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Das BALTIC SEA FORUM lädt zusammen mit BELUGA Shipping zu einer Expertenrunde zum Thema »Moderne Piraterie – Risiken und Wege aus[ds_preview] dem Dilemma« ein. Vertreter aus Politik, Militär, Wissenschaft, Reedereien und Nichtregierungsorganisationen werden am 26. und 27. März 2010 auf Spiekeroog über das Thema diskutieren und einen Aktionsplan entwickeln. Zur Vorbereitung dieser Veranstaltung hat der Autor folgende Ausführungen erarbeitet.

Geschichtliche Betrachtung 

Piraterie ist so alt wie die Schifffahrt selbst; in der Antike galt sie wie Jagd und Fischfang als Handwerk und war eng mit dem Sklavenhandel verknüpft. Im 14. und 15. Jahrhundert war Kaperei in Seekriegen ein hoheitliches Seebeuterecht. In Friedenszeiten führten nicht Verträge mit Nachbarstaaten allein oder die Bildung eines Bundes (z. B. die Hanse) zur Beendigung von Piratenangriffen, sondern vor allem bewaffnete Auseinandersetzungen.

Im 16. bis 19. Jahrhundert, dem Zeitalter der Entdecker, erlebte die Piraterie eine weitere Hochkonjunktur. Feudalmächte legalisierten Beutezüge, um sich ihren Anteil an den Reichtümern der Neuen Welt zu sichern. Erst 1856 wurde mit der Pariser Seerechtsdeklaration die staatlich autorisierte Kaperei abgeschafft. Damit verlor die Piraterie zwar ihre offizielle Legitimation, überlebte jedoch als kriminelle Erscheinung vor allem in Asien, besonders in der Straße von Malakka. Meist ging es um Diebstahl von Schiffskassen, Ladung und Schiffsausrüstung. Zur Piratenbekämpfung richtete Malaysia eine eigenständige Dienststelle, die Malaysian Maritime Enforcement Agency (MMEA) ein, deren Auftrag die Überwachung der Malakkastraße ist. 

Aber erst gemeinsame Gegenmaßnahmen der Anrainerstaaten, unterstützt von der IMO führten zu einem drastischen Rückgang der Überfälle. Dies zeigt, dass durch UN-Unterstützung, enge Zusammenarbeit der Anrainerstaaten und militärischen Einsatz Erfolge in der Piratenbekämpfung erzielt werden können.

Piraterie heute – Zahlen 

Nach Angaben des ICC International Maritime Bureau (IMB) gingen in der Straße von Malakka die Piratenüberfälle auf Seeschiffe von elf (2006) auf nur noch zwei (2009) zurück. Gleichzeitig stiegen sie jedoch gewaltig in anderen Gewässern: 

Die größte Steigerung der Piratenüberfälle fand am Horn von Afrika statt. Auffällig ist aber nicht nur eine Verlagerung von Asien nach Afrika, sondern die verschärfte Vorgehensweise, Schiffe mit Waffengewalt zu kapern und Lösegeld für ihre Freilassung zu erpressen. 

Von den 2009 weltweit überfallenen Schiffen (406) gehörten 64 deutschen Schiffseignern, damit steht Deutschland vor Griechenland (59) und Singapur (45) an erster Stelle. Von den 406 überfallenen Schiffen wurden lt. IMB 49 Schiffe entführt, davon allein 46 mit modernen Schusswaffen sowie Panzerfäusten und Raketen am Horn von Afrika (26 Somalia und 20 Golf von Aden).

Frage: Warum wurden nur zwei Schiffe unter chinesischer, eins unter russischer und keins unter israelischer Flagge von den Piraten entführt?

Angriffsmethoden und Taktiken 

Hafenüberfall: Piraten beschaffen sich meist in kleinen Gruppen (ohne Anbindung an eine größere Organisation) Zutritt an Bord, um Geldmittel und Wertgegenstände zu rauben. Pro Überfall werden durchschnittlich 20.000 US$ gestohlen. 

Lösegelderpressung: Piraten stoppen ein Schiff mit Waffengewalt, entern es und nehmen die Besatzung als Geiseln. Mit den Geiseln sowie dem Schiff und der Ladung wird vom Eigner Lösegeld erpresst. Die Deutsche Marine geht für 2009 von ca. 77 Mio. $ Lösegeldzahlungen am Horn von Afrika aus.

Bei dieser Art von Piraterie, die vor allem in den Gewässern um das Horn von Afrika anzutreffen ist, gehören die Seeräuber zu einer größeren Organisation, mit entsprechendem logistischen Unterbau und hierarchisch geordneten Strukturen. Die Piraten an sich fungieren hier nur als ausführendes Organ; Verhandlungen und Geldübergabe finden außerhalb des Schiffes statt. Nach der Übergabe des Lösegeldes verlassen die Geiselnehmer in der Regel das Schiff und lassen Besatzung und Fahrzeug wieder frei. 

Nach jüngsten Angaben des ICS-Executive Council planen die USA Sanktionen gegenüber Reedern und Schiffen, die auf Lösegeldforderungen eingehen. 

Die Frage ist, wieweit vor diesem Hintergrund die deutsche Haltung, Lösegeldverhandlungen zu führen, überprüft werden muss?

Entführung des Schiffes: Piraten entern das Schiff mit Waffengewalt und entführen es mit dem Ziel, Ladung und Fahrzeug später zu veräußern. Hier steckt eine straff geführte Form des Organisierten Verbrechens dahinter, an der häufig korrumpierte staatliche Organe beteiligt sind. Die ursprüngliche Besatzung wird in der Regel über Bord geworfen, um keine Zeugen zu hinterlassen.

Taktiken: Piraten benutzen heutzutage moderne Schusswaffen sowie Panzerfäuste und Raketen. Sie verwenden kleine, wendige und vor allem schnelle Boote, die aufgrund des ausgedehnten Operationsgebietes häufig von größeren »Mutterschiffen« aus eingesetzt werden. Zeitgemäße Kommunikationsmittel stellen die Koordination sicher. 

Deutlich verändert haben sich die Führungsstrukturen der Piraten. Oftmals hat sich eine straff geführte Organisation gebildet mit professionell geschulten Hintermännern, die über Insiderwissen verfügen und die Piratenkommandos auf bestimmte Ladungsteile oder bestimmte Container ansetzen. Darüber hinaus organisieren sie die Abwicklung der Lösegeldforderungen, das Verschiffen der erbeuteten Ladung, die Umregistrierung des gekaperten Schiffes und seine anschließende Veräußerung. 

Rechtliche Situation

Die rechtliche Grundlage für die Bekämpfung der Piraterie ist im Völkerrecht verankert. Zum einen im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen – SRÜ und zum anderen im Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt – SUA, Art. 100 SRÜ verpflichtet alle Staaten zur größtmöglichen Zusammenarbeit, um »Seeräuberei auf Hoher See oder an jedem anderen Ort zu bekämpfen, der keiner staatlichen Gewalt untersteht.«

Die schwierige Frage ist, zu welchen Maßnahmen die Staaten berechtigt sind. 

Alle Staaten haben das Recht, Schiffe auf hoher See unter ihrer Flagge fahren zu lassen (Art. 90 SRÜ).

Gemäß Art. 92 SRÜ übt der Flaggenstaat die ausschließliche Hoheitsgewalt über seine Schiffe aus. Er allein hat die Rechtssetzungs- und Durchsetzungsgewalt. Eine Einwirkung dritter Staaten ist nur in Ausnahmen möglich.

Gemäß Art. 105 SRÜ darf jeder Staat auf Hoher See oder an jedem anderen Ort, der keiner staatlichen Hoheitsgewalt untersteht, ein Seeräuberschiff oder -luftfahrzeug oder ein durch Seeräuberei erbeutetes und in der Gewalt von Seeräubern stehendes Schiff oder Luftfahrzeug aufbringen, die Personen an Bord des Schiffes oder Luftfahrzeugs festnehmen und die dort befindlichen Vermögenswerte beschlagnahmen. Die Gerichte des Staates, der das Schiff oder Luftfahrzeug aufgebracht hat, können über die zu verhängenden Strafen entscheiden sowie die Maßnahmen festlegen, die hinsichtlich des Schiffes, des Luftfahrzeugs oder der Vermögenswerte zu ergreifen sind, vorbehaltlich der Rechte gutgläubiger Dritter.

Das Übereinkommen zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Seeschifffahrt – SUA, soll Lücken im SRÜ schließen. Die Definition einer illegalen Handlung auf See ist hier wesentlich weiter gefasst. Die SUA-Konvention erfasst im Gegensatz zum SRÜ auch politisch motivierte, also terroristische Akte. Außerdem deckt die SUA-Konvention ein wesentlich größeres geografisches Territorium ab als das SRÜ. 

Art. 10 SUA verpflichtet die Mitgliedsländer zur Auslieferung und Strafverfolgung. Bei der konkreten Ausgestaltung und Durchführung der Strafverfolgung gilt jedoch das nationale Recht, es spielt bei der Bekämpfung der Piraterie eine wichtige ergänzende Rolle. Das jeweilige nationale Recht ist die einzige gesetzliche Grundlage 

• für angegriffene Schiffe, die nur ein Hoheitsgewässer befahren

• zur strafrechtlichen Verfolgung, wenn das Völkerrecht Strafverfolgungsmaßnahmen nicht legitimiert (SRÜ) oder das Völkerrecht auf nationales Recht verweist (SUA).

Da Piraterie meist die nationalen Grenzen überschreitet, ist oft nicht ganz klar, welche nationale Rechtsordnung in Betracht gezogen werden muss. 

Das Territorialitätsprinzip 

Danach kann der Staat alle Taten, die im Inland begangen werden, unabhängig von der Nationalität des Täters oder des Opfers dem inländischen Strafrecht unterstellen. 

Das Flaggenstaatprinzip:

Danach fallen alle an Bord begangenen Taten unter das Strafrecht des Staats, dessen Flagge das Schiff führt. Damit wird der Forderung nach Sicherheit an Bord Rechnung getragen. Befindet sich ein Schiff in fremden Hoheitsgewässern, soll die Strafgerichtsbarkeit des betreffenden Staates neben die des Flaggenstaats treten, wobei das Territorialitätsprinzip in der Regel Vorrang hat.

In Deutschland wird Piraterie nach dem Strafgesetzbuch (StGB) verfolgt, obwohl das Wort dort gar nicht vorkommt. Die entsprechenden Vorschriften erfassen alle kriminellen Handlungen gegen den Schiffsverkehr und darunter fällt die Piraterie.

Große Schwachstellen im internationalen Rechtsgeflecht der Pirateriebekämpfung liegen in dem jeweiligen nationalen Recht, dessen Strafgesetze vielseitig auslegbar sind. Entweder müssen unterschiedlichste Voraussetzungen vorliegen, damit der Tatbestand der Piraterie erfüllt ist, oder der Tatbestand der Piraterie existiert in den Strafrechtsordnungen überhaupt nicht. Hinzu kommt, dass in einigen Staaten die Sicherheits- und Vollzugsbehörden personell und finanziell nicht ausreichend ausgestattet sind, um Piraten angemessen zu verfolgen.

Hier wird m. E. deutlich, wie notwendig und wichtig eine Unterstützung beim Auf- und Ausbau eines Rechtssystems in den Täter-Herkunftsländern ist. Schon die Frage, welches Recht überhaupt anzuwenden ist, macht die Komplexität und Schwierigkeit einer Lösung deutlich. Die nächste Frage ist, ob und wie die Täter angemessen bestraft werden können?

SOLAS-Übereinkommen, ISPS-Code und Verordnung (EG) 725/2004

Als Reaktion auf die Ereignisse des 11. Septembers 2001 verabschiedete die IMO im Dezember 2002 verschiedene Ergänzungen des SOLAS-Übereinkommens. Unter anderem wurde das Kapitel XI-2 eingefügt. Es enthält Regelungen für die Gefahrenabwehr auf Schiffen und in Häfen. Dazu gehört auch der ISPS-Code als Ergänzung des SOLAS-Übereinkommens. Danach müssen nahezu alle Schiffe, die einen Hafen anlaufen, zuvor explizit übermitteln, welche Ladung sie an Bord haben. Die Behörden des anlaufenden Hafens haben umfassende Kontrollrechte.

Zu den Hafenanlagen haben nur noch bestimmte Personenkreise Zutritt, diese müssen sich ausweisen und bekommen dann für die Dauer ihres Aufenthalts in den Hafenanlagen eine Identifikationskarte ausgehändigt.

In der Europäischen Union wurde der ISPS-Code durch die Verordnung (EG) 725/2004 vom 31. März 2004 umgesetzt. Die Gefahrenabwehr von Terror und Piraterie ist für die Schifffahrt der Europäischen Gemeinschaft damit nach internationaler Abstimmung eingeführt. 

In Deutschland kommen außerdem noch das Seeaufgabengesetz und die See-Eigensicherungsverordnung zur Anwendung. Diese Verordnung regelt die Einrichtung und Überwachung der zur Abwehr äußerer Gefahren für die Sicherheit des Schiffsverkehrs erforderlichen Sicherungssysteme im Sinne des Seeaufgabengesetzes. Die Aufgaben des Bundes werden nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4b des Seeaufgabengesetzes durch das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) wahrgenommen. 

Mit den neuen Regelungen zur Gefahrenabwehr werden auch die Aufgaben und Zuständigkeiten von staatlichen Stellen, Schifffahrt und Hafenwirtschaft festgelegt. Danach müssen z. B. konkret aufgestellt bzw. ernannt werden:

• Sicherheitspläne:

  SSA = Ship Security Assessment + SSP = Ship Security Plan + SSAS = Ship Security Alert System

• Sicherheitsoffiziere:

SSO = Ship Security Officer + CSO = Company Security Officer

• Anerkannte Stelle zur Gefahrenabwehr:

  RSO = Recogniced Security Organisation (Klassifikationsgesellschaften)

Reeder, Sicherheitsoffiziere und Kapitäne können in Deutschland über das von der Bundespolizei eingerichtete Maritime Sicherheitszentrum in Cuxhaven individuelle Informationen zur Piraterieprävention rund um die Uhr erhalten.

Die Änderungen des SOLAS-Übereinkommens mit dem ISPS-Code (bzw die EG-Verordnung 725/2004) bilden eine gute Basis für die Gefahrenabwehr. Sie haben aber auch einen erheblichen zusätzlichen Arbeitsaufwand für Schiffsoffiziere und Hafenmanager zur Folge und setzen entsprechende Schulungen voraus. In einigen Ländern wie Somalia fehlt es an der entsprechenden Verwaltung und dem Know-how, sodass diese Maßnahmen überhaupt nicht umgesetzt werden können.

Die Frage ist, wie können diese Länder dazu gebracht werden, ihre Verwaltungen so zu organisieren, dass die SOLAS-Änderungen und der ISPS-Code angewendet und damit ein besserer Schutz gegen Piraterie erreicht werden? Wieweit können IMO und EU mit entsprechenden Hilfsprogrammen unterstützend mitwirken?

Sicherheitslage vor Somalia 

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums hat sich die Sicherheit in Somalia verschlechtert. Es gibt täglich u.a. im Raum von Mogadischu militärische Auseinandersetzungen zwischen Truppen der Transitional Federal Government (TFG, Übergangsregierung) und der Afrikanischen Union (AU) mit islamistischen Extremisten. Insgesamt ist zu befürchten, dass sich der Konflikt sowohl durch somalische Islamisten als auch durch al-Qaida zu einem weiteren internationalen Jihad-Schauplatz entwickelt.

Aktuelle Beobachtungen belegen, dass die islamistischen Gruppierungen am Horn von Afrika, respektive Somalia, ein großes Interesse an der Internationalisierung des Konfliktes haben. Bei versuchten bzw. vollendeten terroristischen Anschlägen auf Schiffe wurden mit Sprengstoff beladene Motorboote verwendet. Eine Lageentspannung ist mittelfristig nicht zu erwarten.

Die größte Gefahr besteht im Küstengebiet Somalias und vor den Anrainerstaaten Dschibuti und Kenia, sowohl für ankernde oder fahrende Schiffe als auch für Hafenanlagen. In diesen Häfen- und Küstengebieten besteht nach SOLAS die Gefahrenstufe 2. Daneben werden Seeschiffen unter deutscher Flagge weitere Eigensicherungsmaßnahmen und erhöhte Wachsamkeit besonders während der Nachtzeit empfohlen.

Das Bundesinnenministerium hat darauf hingewiesen, dass militärisches Eingreifen und ziviler Aufbau Hand in Hand gehen müssen, um gefährdete Länder nachhaltig zu stabilisieren. 

Die Frage ist, wieweit können die Maßnahmen Deutschlands und der EU zum Aufbau stabiler staatlicher Institutionen nach rechtsstaatlichen Grundsätzen (insbesondere für Justiz und Polizei) in den betroffenen Ländern verstärkt werden?

EU Navfor Atalanta 

Aufgrund der drastischen Zunahme der Piratenangriffe auf Handelsschiffe vor der Küste Somalias hat der UN-Sicherheitsrat im Jahre 2008 vier Resolutionen (1814, 1816 sowie 1838 und 1846) verabschiedet, wonach Piraten auch bis in das Hoheitsgebiet Somalias verfolgt werden können, was nach Völkerrecht eigentlich der Zustimmung des Küstenstaates bedarf. 

In Deutschland war die rechtliche Lage von Anfang an sehr kompliziert, da die Bekämpfung der Piraten nur der Bundespolizei erlaubt ist. Diese verfügt aber nicht über entsprechende Schiffe. Die Deutsche Marine dagegen hatte kein Mandat und durfte aus verfassungsrechtlichen Gründen nur bei gerade stattfindenden Überfällen eingreifen. 

Im November 2008 beschloss die EU, Marineneinheiten der European Union Naval Force (EU Navfor) für den ersten gemeinsamen Einsatz unter dem Nahmen Atalanta an das Horn von Afrika zu entsenden, um die Sicherheit der Handelsschifffahrt zu gewährleisten.

Am 19. Dezember 2008 beschloss der Bundestag eine Beteiligung Deutschlands mit bis zu 1.400 Soldaten an der Operation Atalanta. Das Mandat war auf ein Jahr befristet und wurde Ende 2009 um ein Jahr verlängert.

Die Deutsche Marine leistet zeitweise mit bis zu vier gut ausgerüsteten Schiffen den größten nationalen Beitrag an Atalanta. Auf den zwei Fregatten ist jedem Kommandanten ein Jurist zur Seite gestellt.

Frage: Warum? Sind die internationale Rechtslage und das Mandat des deutschen Bundestages zu komplex und für die konkrete Situation nicht eindeutig?

Die EU hat im Rahmen von Atalanta zusammen mit weiteren Staaten ca. 40 Kriegsschiffe am Horn von Afrika im Einsatz. Der Auftrag lautet: Überwachung der Gebiete vor der Küste Somalias einschließlich der somalischen Hoheitsgewässer zum Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms – im Einzelfall auch von zivilen Schiffen – Abschreckung, Verhütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen im Operationsgebiet – notfalls mit Gewalt – Gewahrsamnahme von Personen, die im Verdacht stehen, seeräuberische Handlungen begangen zu haben und die Zusammenarbeit mit den Organisationen und Staaten zur Bekämpfung von Piraterie.

Wie schwierig ein effektiver Schutz der Handelsschiffe durch die Marine ist, macht schon die Dimension des im August 2009 erweiterten Einsatzgebietes deutlich. Es reicht mit 5.426.000 km2 bis zu den Seychellen und ist 15-mal so groß wie die Bundesrepublik.

Die EU unterstützt daher im Rahmen der Operation Enduring Freedom das Ziel, die Anrainerstaaten im Rahmen der »Theater Security Cooperation (TSC)« in die Sicherheitsstrukturen der Region einzubinden. Dabei sollen diese Länder langfristig gesehen die Überwachungsaufgaben übernehmen und selbst für Sicherheit in der Region sorgen. 

Die Bundeswehr bewertet die Operation Atalanta als erfolgreich, da die Quote der vollzogenen Schiffsentführungen erheblich reduziert werden konnte. Allerdings ist die Zahl der Piratenüberfälle erheblich gestiegen. Optimierungsmöglichkeiten sind in jedem Fall zu prüfen. 

Internationaler Transitkorridor für Handelsschiffe im Golf von Aden

Im Jahr 2009 haben die EU Navfor Atalanta zusammen mit United Kingdom Maritime Trade Operations für die Handelsschifffahrt einen Transitkorridor im Seegebiet um Somalia / Golf von Aden (GoA) eingerichtet, der von Marinekräften geschützt wird. Als Planungs- und Koordinierungszentrum für die Handelsschifffahrt fungiert das »Maritime Security Centre Horn of Africa« (MSCHOA) in London. 

Aufgrund der Resolution 1851 des Weltsicherheitsrates hat der Schiffssicherheitsausschuss der IMO (MSC 86) »Best Management Practices to Deter Piracy« verabschiedet und im Circular 1332 vom 16.6.2009 veröffentlicht. Danach wird den Reedern weltweit dringend empfohlen, sich vor einer Passage durch das gefährdete Seegebiet bei MSCHOA anzumelden. 

MSCHOA stellt jeweils eine Transitgruppe pro Tag ost- und westwärts für unterschiedliche Geschwindigkeiten zusammen. Dabei handelt es sich nicht um einen militärisch begleiteten Konvoi. Die Schiffsgruppen fahren alleine durch den Transitkorridor; die Marineschiffe sind u. U. nicht sichtbar und nach Angaben von Reedern besteht kein direkter Sprechkontakt zwischen Handelsschiffen und Marinefahrzeugen, sondern nur über MSCHOA in London.

Die Frage ist, wieweit sich die Kommunikation zwischen Handelsschifffahrt und Marine unter der Koordination von MSCHOA verbessern lässt?

Wegen der enormen Ausdehnung des Gefährdungsgebietes scheinen weitere Transitkorridore notwendig zu sein. Wie kann hierzu die Zustimmung des EU-Hauptquartiers von EU Navfor Atalanta erreicht werden? 

Außerdem ist zu fragen, ob im Golf von Aden statt der bisher durchgeführten Gruppentransitfahrten richtige Konvois für Handelsschiffe (mit militärischer Begleitung) zusammengestellt werden können. (China, Russland, Indien und Japan tun dies bereits.)

Weitere Präventivmaßnahmen für Handelsschiffe

Die Reeder haben daneben folgende Optionen zum Schutz vor Piratenangriffen:

1. Die Bewaffnung der Besatzung von Handelsschiffen

Diese Maßnahme wurde vom Maritime Safety Committee der IMO auf seiner 86. Sit-

zung 2009 entschieden abgelehnt, um die Besatzung den damit einhergehenden Gefahren nicht auszusetzen. Zuletzt hat der Ständige Fachausschuss (StFA) des Deutschen Nautischen Vereins im Februar dieses Jahres diese Überlegungen ebenfalls kategorisch zurückgewiesen.

2. Der Einsatz von privaten bewaffneten Sicherheitskräften an Bord

Diese Option wird von der IMO nicht empfohlen und von den Reedern größtenteils nicht befürwortet. Neben den erheblichen Kosten für einen Einsatz privater bewaffneter Sicherheitskräfte (ca. 30.000– 60.000 $ pro Passage) stehen ungeklärte logistische Fragen, die diese Variante nicht wünschenswert machen.

Vertreter des StFA des Deutschen Nautischen Vereins, die als Nautiker als direkt Betroffene angesehen werden können, sprachen sich im Februar ebenfalls gegen diese Variante aus.

3. Der Einsatz von staatlichen Kräften (Militär oder Polizei) 

Die Möglichkeit des Einsatzes von militärischen Einheiten, sowohl auf Schiffen der eigenen als auch fremder Flaggen, ist offen. Die IMO lehnt mit Verweis auf das Flaggenstaatprinzip weder diese Empfehlung ab, noch empfiehlt sie sie. 

Deutsche Schiffe sind am häufigsten von Piratenüberfällen betroffen; russische Schiffe, die zum Schutz Soldaten an Bord nehmen können, kaum. 

Der Verband Deutscher Reeder hält es angesichts der andauernden Bedrohung der Handelsschifffahrt für erforderlich, im Einzelfall durch Soldaten an Bord die Sicherheit der Handelsschifffahrt zu verbessern.

Der Bundesverteidigungsminister hält dies zwar für eine mögliche Maßnahme, wies aber im Januar 2010 darauf hin, dass eine Entscheidung hinsichtlich des Einsatzes deutscher Sicherungssoldaten im Rahmen EU Navfor Atalanta beim EU-Hauptquartier und nicht in der Entscheidungsbefugnis deutscher Stellen liegt. Bisher ist ein solcher Einsatz nur auf besonders gefährdeten Schiffen vorgesehen, zu denen selbstverständlich auch Schiffe deutscher Reeder zählen können. 

Für Schiffe deutscher Reeder unter fremder Flagge ist eine Einwilligung des Flaggenstaates zur Einschiffung von Sicherungsteams notwendig. 

Die Frage ist: Wieweit können außereuropäische Register zur Einholung einer solchen Flaggenstaatseinwilligung gebracht werden? 

Außerhalb der Operation EU Navfor Atalanta ist die Einschiffung von deutschen militärischen Kräften auf Handelsschiffen aufgrund des fehlenden Rechtsrahmens nicht möglich. Deutschland hat jedoch als bedeutende Handelsnation, deren Im- und Exporte zu ca. 90 % über See und zum Großteil durch den Golf von Aden abgewickelt werden, ein besonderes Interesse an sicheren Handels- und Seewegen. Deutsche Schiffe sind zahlenmäßig am häufigsten von den Aktivitäten der Piraten betroffen. 

Die Frage ist: Sollte Deutschland die Initiative ergreifen, damit im Rahmen von EU Navfor Atalanta die Möglichkeiten des Einsatzes von militärischen Einheiten auf Handelsschiffen verbessert werden? 

Der Schutz der deutschen Schifffahrt obliegt im Frieden und in Krisen- sowie Konfliktsituationen dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS). Das BMVBS koordiniert also alle Maßnahmen der »Zivilverteidigung Seeschifffahrt«. 

Die Marineschifffahrtleitorganisation im Flottenkommando ist das operative Instrument, mit dem die Deutsche Marine den Schutz der Handelsschifffahrt im Krisen- und Konfliktfall gewährleisten soll. Hierbei ist von Vorteil, dass in Deutschland ständig mehr als 300 Handelsschiffsoffiziere der Marineschifffahrtleitung als Reservisten angehören, die in der Zusammenarbeit zwischen Marine und Handelsschifffahrt sowie in der Konvoifahrt ausgebildet sind.

Frage: Wie lässt sich dieses Potential besser für die Zusammenarbeit zwischen Marine und Handelsschifffahrt und damit für den Schutz der Schiffe vor Piratenüberfällen am Horn von Afrika nutzen?

Jörg Neubert