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Mathias Jonas

»Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört«. Willy Brandts legendäre Kurzformel der deutschen Wiedervereinigung ist für die[ds_preview] sich gleichfalls am 3. Oktober 2010 zum zwanzigsten Male jährende Eingliederung der Aufgaben der nautischen Hydrographie des vormaligen Seehydrographischen Dienstes der DDR (SHD) in das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) vollkommen zutreffend. Das Bundesamt selbst hatte im Oktober des Wiedervereinigungsjahres 1990 unter diesem Namen erst eine sehr kurze eigene Geschichte. Es war kurz vorher am 1. Juli 1990 aus der Zusammenlegung des vormaligen Deutschen Hydrographischen Institutes (DHI) und des Bundesamtes für Schiffsvermessung entstanden. Seine Aufgaben bezog es aus dem Seeaufgabengesetz, dessen entsprechende Änderungen an diesem Tag in Kraft getreten waren. Für die nunmehr gesamtdeutsche Umsetzung dieses gesetzgeberischen Auftrages war die Übernahme von maritimen Aufgaben der DDR nun die vordringlichste Zielstellung. Sie wurde dadurch erschwert, dass die BSH-Aufgaben in der DDR auf zahlreiche Institutionen verteilt waren: Seefahrtsamt, Seehydrographischer Dienst (SHD), Wasserwirtschaftsdirektion Küste, Meteorologischer Dienst, Baggerei- und Bugsierbetrieb, Staatliches Amt für Strahlenschutz sowie das Institut für Meereskunde. Der Aufgabenübergang, der immer nur Teilbereiche der betroffenen Institutionen betraf, musste möglichst so reibungslos gestaltet werd, dass die »Kunden«, vor allem die Schifffahrt, davon möglichst wenig beeinträchtigt wurden. Zugleich war es Ziel, das mit diesen Aufgaben betraute Personal – soweit wie möglich – zu übernehmen und in das BSH zu integrieren. Zu diesem Zweck wurden in Rostock die Liegenschaften des Seehydrographischen Dienstes übernommen und als Außenstelle des BSH ausgewiesen. Im Verlauf der folgenden zwei Jahrzehnte wuchs dem neuen BSH-Dienstort Rostock eine in der Geschichte der deutschen Hydrographie nie zuvor innegehabte Bedeutung zu.

Gemeinsame Wurzeln

Das BSH kann sich auf eine Traditionslinie hochanerkannter Vorgängerinstitute berufen, die bis in die sechziger Jahre der 19. Jahrhunderts zurückreicht. Der auf private Initiative Wilhelm von Freedens 1868 in Hamburg eingerichteten Norddeutschen Seewarte folgte 1875 die Gründung der Deutschen Seewarte, die unter der Leitung des herausragenden Wissenschaftlers Georg von Neumayer als Anstalt des Deutschen Reiches die Förderung der Seefahrt, der Meteorologie, die Prüfung nautischer Instrumente und Chronometerprüfungen zu ihrem Aufgabenkreis zählte. In den Folgejahren änderte sich aufgrund der wachsenden Bedeutung der Seeschifffahrt für das Deutsche Reich das Unterstellungsverhältnis und der Aufgabenzuschnitt der Seewarte mehrfach. 1919 kamen der Zeitdienst, der Gezeitendienst und der Windstau- und Sturmflutwarndienst vom Marineobservatorium Wilhelmshaven zur Seewarte. Bereits 1911 war aufgrund der steigenden Nachfrage eine Abteilung Ozeanographie eingerichtet worden. Die Deutsche Seewarte, die zu jener Zeit in einem repräsentativen wilhelminischen Bau auf dem Stintfang oberhalb der Hamburger Landungsbücken residierte, wurde ab 1934 ausschließlich auf Aufgaben mit militärischer Bedeutung ausgerichtet.

Das Deutsche Hydrographische Institut

Zum Kriegsende war die Tätigkeit der Seewarte fast vollständig zum Erliegen gekommen. Das Hauptgebäude war stark zerstört, viele Mitarbeiter in den Kriegswirren verschollen und die technische Ausrüstung in militärischen Verwendungen verschlissen. Das Fehlen jeder hydrographischen Tätigkeit in den deutschen Küstengewässern und den Zufahrten der deutschen Seehäfen führte zu ganz erheblichen Schwierigkeiten bei der Versorgung des besetzten Landes über den Seeweg. Daraufhin wurden noch im Mai 1945 auf Befehl der britischen Militärverwaltung erste Arbeiten in der Vermessung und in der Wracksuche durchgeführt. Ein Indiz für die herausragende Bedeutung, die der Alliierte Kontrollrat der Durchführung der hydrographischer Aufgaben beimaß, ist die Gründung des Deutschen Hydrographischen Instituts (DHI) als (einzige) zivile Institution mit Zuständigkeiten in allen Besatzungszonen bereits am 12. Dezember 1945. Das DHI erhielt zunächst die Aufgabe, die für eine sichere Schiffsführung nötigen Dienste in den deutschen Küstengewässern auszuüben und wichtige Sturmflut- und Eiswarnungen herauszugeben. Jegliche Arbeit, die von militärischem Wert für Deutschland sein könnte, war ausdrücklich ausgeschlossen. Das Institut stand unter der Aufsicht eines Direktorenrates, der aus amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Vertretern bestand. Der britische Vertreter war außerdem der Manager des Institutes.

Diese Zuständigkeit wurde zunächst für die ganze Küste des verbliebenen deutschen Staatsgebietes wahrgenommen. Die zonenübergreifende Tätigkeit endete jedoch mit der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland durch das Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949. Das DHI wurde in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums eingegliedert und diesem als Bundesoberbehörde direkt unterstellt.

Der Neubau – in unmittelbarer Nachbarschaft der ehemaligen Navigationsschule nur unweit vom alten Standort entfernt, konnte 1951 bezogen werden. Das Gebäude vereinigte moderne Funktionsbereiche für die Verwaltung, technische Labore und den Drucksaal für den Seekarten- und Seebücherdruck sowie deren buchbinderische Verarbeitung.

Im Jahr 1965 verabschiedete der Bundestag eine umfangreiche Neufassung des Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschifffahrt. Es regelte auch die Tätigkeitsbereiche des DHI genauer: u. a.

• den Seevermessungsdienst;

• den Gezeiten-, Windstau- und Sturmflutwarndienst;

• den Eisnachrichtendienst;

• den erdmagnetische Dienst;

• den Zeitdienst;

• die Herstellung und Herausgabe amtlicher Seekarten und amtlicher nautischer Veröffentlichungen sowie die Verbreitung nautischer Warnnachrichten;

• die Überwachung des Meerwassers auf Radioaktivität und sonstige schädliche Beimengungen

• Seeschifffahrt und Fischerei durch naturwissenschaftliche und nautisch-technische Forschungen zu fördern (meeresbiologische Forschungen wurden ausgenommen);

• die nautischen Instrumente und Geräte der Schiffsausrüstung auf ihre Eignung für den Schiffsbetrieb und ihre sichere Funktion an Bord zu prüfen und die Magnetkompasse zu regulieren.

Auf dieser Grundlage arbeitete das Deutsche Hydrographische Institut im Wesentlichen bis zum Übergang in das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie im Jahr 1990. Gemeinsam mit einigen kleineren Außenstellen zählte das BSH am Ende der Achtziger Jahre ca. 800 Mitarbeiter und betrieb fünf eigene Schiffe für Forschungs-, Wracksuch- und Seevermessungsaufgaben. Als gesamtdeutsche Institution hat sich das BSH seit dem zu einer wissenschaftlich-technische Behörde mit umfassenden maritimen Zuständigkeiten gewandelt: Die ursprünglichen Aufgaben, Navigationsgeräte zu prüfen und Schiffe zu vermessen, sind schrittweise – nicht zuletzt wegen Veränderungen in der Schifffahrt zurückgefahren, zugleich aber durch zahlreiche zusätzliche Schifffahrtsaufgaben ergänzt worden. Als deutsche Flaggenbehörde führt das BSH das nationale Flaggenregister, das Internationale Seeschifffahrtsregister und erteilt Genehmigungen zum zeitweiligen Ausflaggen. Im Rahmen der Maßnahmen zur Förderung der deutschen Handelsflotte gewährt es Finanzbeihilfen. Es ist zentrale Stelle für Befähigungsnachweise der Seeleute, nimmt Aufsichtsfunktionen bei den schulischen Abschlussprüfungen der Seeleute wahr und führt ein Register über sämtliche erteilten Befähigungsnachweise. Bei der Zulassung von Navigationsgeräten und Funkanlagen hat sich das BSH einen weltweit anerkannten Ruf als Prüflabor erworben. Neue Aufgaben hat das BSH auch durch die weltweit nach dem 9. September 2001 eingeführten Maßnahmen zur Abwehr von Terrorgefahren in der Schifffahrt erhalten. Eine Aufgabenerweiterung ist auch durch den schifffahrtsbezogenen Meeresumweltschutz eingetreten. Neben der Ahndung von Umweltverstößen erteilt das BSH Ölhaftungsbescheinigungen und lässt Ballastwassermanagementsysteme zu. Umweltschutzaspekte finden auch in den Genehmigungsverfahren des BSH für Pipelines und Windkraftanlagen besondere Berücksichtigung. Sie sind eingebettet in eine nationale marine Raumordung, für die das BSH die fachliche Vorarbeit geleistet hat. Dies Aufgaben lassen sich ohne profunde Kenntnisse über die Meere nicht bewältigen. Wissenschaftliche meereskundliche Untersuchungen und darauf basierende Dienste waren und sind deshalb ein besonderer Schwerpunkt des Aufgabenspektrums. Große Veränderungen haben sich im Bereich der Nautischen Hydrographie ergeben, die insbesondere vom Standort Rostock ausgingen. Um sie zu erläutern, bedarf es zunächst eines Rückblicks.

»Stunde Null« an der Ostseeküste – der Seehydrographische Dienst der DDR

Aufgrund der zunehmenden Entfremdung der vormals alliierten Siegermächte erteilte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) im Juli 1948 den Auftrag, in der sowjetischen Besatzungszone einen selbständigen hydrographischen Dienst aufzubauen. Seine Ausführung stellte die deutschen Befehlsempfänger jedoch vor erhebliche Schwierigkeiten. Bedingt durch die ehemaligen Strukturen der hydrographischen Einrichtungen Deutschlands, gab es in der durch die Gründung der DDR ehemaligen sowjetischen Besatzungszone keine historischen Bezüge, an die der aufzubauende Dienst anschließen konnte. Neben dem akuten Mangel an wissenschaftlich-technischem Personal, fehlte es an Schiffen, technischen Geräten und wissenschaftlichen Ausrüstungen. Der Beginn war dementsprechend mühsam: Im Winter 1948/49 wurde begonnen, bei den Wasserstraßenämtern Rostock und Stralsund Seevermessungsgruppen zu bilden. Deren Aufgabe war es zunächst, mit dem Erneuern und Einnivellieren der Küstenpegel und dem Verpeilen der Zufahrten zu den Seehäfen zu beginnen. Gleichzeitig organisierte man Wasserstands- und Eisbeobachtungen durch ehrenamtliche Helfer entlang der Küste. Bei der Generaldirektion Schifffahrt wurde ein Referat für Seevermessung und Meereskunde gebildet. Dieses begann mit der Sammlung seekartographischer, nautischer und hydrometeorologischer Unterlagen sowie mit Strömungsmessungen, der Bestimmung des Salzgehaltes und anderer meereskundlicher Arbeiten. Diese Vorarbeiten waren erkennbar auf die Gründung eines Institutes gerichtet, dessen Aufgabenzuschnitt dem DHI in groben Zügen entsprechen sollte. Tatsächlich wurde der bereits erteilte Befehl zur Bildung eines solchen Institutes durch die zwischenzeitliche Gründung der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1949 nicht mehr ausgeführt. Zwar bemühte sich auch die neue Regierung entsprechend den bereits vorliegenden Planungen zunächst um die Bildung eines solchen zivilen Institutes – letztlich entschied man sich jedoch im Sommer 1950 für die Einrichtung des Seehydrographischen Dienstes der DDR (SHD), der der Hauptverwaltung Seepolizei und damit dem Ministerium des Inneren unterstellt wurde. Erster Dienstort war Berlin. Die Grundstruktur des SHD zum Zeitpunkt seiner Gründung umfasste 6 Abteilungen:

• Nautische Veröffentlichungen und Mitteilungen

• Seekartographie mit den Gruppen Ostsee und Nordsee / Nordmeer

• Seevermessung mit drei Seevermessungstrupps und einer Landvermessungsgruppe mit zwei Trupps

• Meereskunde mit zehn hydrometeorologischen Beobachtungspunkten an der Küste und drei Arbeitsgruppen

• Nautische Instrumente

• Verwaltung, Bücherei und Archiv

Der Standort Berlin erwies sich für die Ausübung der zugewiesenen Aufgaben jedoch bald als ungeeignet. 1953 wurde die Hauptdienststelle zunächst nach Stralsund und 1959 nach Rostock verlegt. Bereits 1956 war der SHD in die Seestreitkräfte der gerade gegründeten Nationalen Volksarmee eingegliedert worden. Zu den bisherigen Hauptaufgaben wie der Verpeilung der Küstengewässer, der Bezeichnung der Seewasserstrassen mit schwimmenden und festen Seezeichen, der Schaffung eines allgemeinen Seekartenwerkes für die Nord- und Ostseegewässer, dem Kompensieren und Funkbeschicken – alles Arbeiten vorrangig für die zivile Schifffahrt, kamen nun auch die militärischen Aspekte der nautisch-hydrographischen Sicherstellung von Handlungen der Seestreitkräfte hinzu. Abgesehen von einigen organisatorischen Anpassungen änderte sich an diesem Zuschnitt der dem SHD übertragenen Aufgaben bis 1990 nur noch wenig. Im Jahr 1976 konnte ein neues Vermessungsschiff, die CARL FR. GAUSS mit Heimathafen Rostock in Dienst gestellt werden. 1981 folgte die Vermessungsbarkasse BESSEL für die SHD-Außenstelle Peenemünde und schließlich 1983 das Wohn- und Arbeitsschiff MERCATOR. In Folge der internationalen Anerkennung der DDR trat der SHD 1975 dem Internationalen Seezeichenverband IALA bei und wurde 1985 in die Internationale Hydrographische Organisation IHO aufgenommen. Insbesondere die IHO lieferte ein Forum für den zaghaften Ausbau der Kontakte zwischen den hydrographischen Diensten beider deutscher Staaten, die sich zuvor im Wesentlichen auf den Austausch von Quellmaterial für die Herstellung nautischer Veröffentlichungen und seltene gegenseitige Arbeitsbesuche beschränkt hatten. Seit 1985 war der SHD auch in der Baltic Sea Hydrographic Commission – dem Zusammenschluss der hydrographischen Dienste der Ostseeanrainer- vertreten. Der Zufall wollte es, dass die Ausrichtung dieses zweijährlich von Mitgliedsland zu Mitgliedsland wechselnden Arbeitstreffen dieses Gremiums 1988 turnusmäßig in der alten Bundesrepublik im DHI Hamburg stattfand und – da die DDR der nächste Staat in der Reihenfolge der Ausrichter war – das Treffen im Mai des Jahres 1990 vom SHD in Rostock ausgerichtet werden sollte. Keiner der damals an den Hamburger Beratungen Beteiligten konnte ahnen, welch radikale Umwälzungen beiden Diensten und seinen Mitarbeitern in diesen beiden Jahren bevorstehen würden.

Gemeinsames Beginnen

Die politische Wende in der DDR führte den DHI-Präsidenten, Dr. Ehlers und den SHD-Leiter, Konteradmiral Bernig bereits wenige Tage nach dem Mauerfall am Rande einer Sitzung des Combatting Committee der Helsinki-Kommission in Rostock zu informellen Gesprächen zusammen. Nachdem nach einigen Rückfragen die Zustimmung des DDR-Verteidigungsministeriums vorlag, traf man sich im SHD-Dienstgebäude am Dierkower Damm. Zu dem Sondierungsgespräch über eine mögliche zukünftige Zusammenarbeit stieß am Abend Dr. Haussmann, der damalige Leiter des Seefahrtsamtes der DDR hinzu. Erste formelle Gespräche zwischen dem DHI und dem SHD auf fachlicher Ebene fanden im Frühjahr 1990 statt. In einer Presserklärung vom 21. März anlässlich eines Besuchs des SHD-Leiters beim DHI-Präsidenten in Hamburg hieß es, dass beide Dienste für das kommende Jahr 1991 die Herausgabe gemeinsamer Sportschifffahrtskartenserien planen würden. Durch die sich nach den freien Wahlen zur Volkskammer am 18. März 1990 abzeichnende rasche Wiedervereinigung entstand jedoch ein viel weitreichenderer Handlungsbedarf. Etwa ab Mai 1990 wurden die Absprachen intensiviert, wie die Zuständigkeit des BSH auf den Bereich der neuen Bundesländer zu erweitern und dabei die Strukturen und Mitarbeiter des SHD und anderer in den betroffenen Aufgabenbereichen tätigen DDR-Institutionen zu integrieren seien. Nach Auflösung der Nationalen Volksarmee am 30. September 1990 unterstand der SHD für zwei Tage dem Verkehrsministerium der DDR, bis mit der Herstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober der BSH zugeschlagene fachliche Bereich des nun ehemaligen SHD zum Kern einer Außenstelle des BSH wurde, während das Seezeichenwesen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes angegliedert wurde. Die 200 neuen BSH-Mitarbeiter wurden zum überwiegenden Teil vom SHD und zum kleineren Teil vom ehemaligen Seefahrtsamt, der Wasserwirtschaftsdirektion Küste, dem Meteorologischen Dienst und der Bagger-, Bugsier- und Bergungsreederei übernommen. Den Mitarbeitern war vom BSH-Präsidenten, Prof. Dr. Ehlers bereits zum Stichtag die ausnahmslose Übernahme ihrer Beschäftigungsverhältnisse zugesagt worden.

Vorrangiges Ziel bei der Bildung der Außenstelle war es, dass die Schifffahrtsaufgaben und -dienste entlang der Küste Mecklenburg-Vorpommerns schnellstmöglich wirksam erledigt wurden. Dieses Ziel konnte vergleichsweise zügig realisiert werden. Für die Schiffsvermessung wurden zwei Vermessungsgruppen in Rostock eingesetzt, die zunächst vor allem bei der Umschreibung der Messbriefe mitwirkten. Für die Prüfung und Überwachung nautischer Geräte wurde zusätzlich zur Außenstelle Rostock ein weiterer Aufsichtsbereich in Stralsund eingerichtet. Das übernommene Vermessungsschiff CARL FR. GAUSS und die Vermessungseinheit MERCATOR / BESSEL setzten ihre geplanten Vermessungsarbeiten ohne Unterbrechung fort. Zudem wurden 38 Seekarten des SHD übernommen, die Seegebiete der früheren DDR, Polens und der Sowjetunion (Ostsee) abdeckten. Diese und andere vom SHD herausgegebene Seekarten und nautischen Veröffentlichungen wurden durch Ergänzungshefte zu den »Nachrichten für Seefahrer« berichtigt, damit die damit ausgerüsteten Schiffe diese Unterlagen zunächst weiter verwenden konnten. Alle 37 vom SHD übernommenen Karten der deutschen Ostseegewässer erschienen bereits ab September 1990 als gesamtdeutsche Ausgaben mit dem BSH-Logo. Damit war im Interesse der Schifffahrt ein reibungsloser Übergang gewährleistet. Die gleichzeitige Einstellung der vormaligen BSH-Karten dieser Seegebiete war ein Zeichen, das den neuen Rostocker Mitarbeitern die hohe Wertschätzung ihrer fachlichen Arbeit signalisierte.

Die dem BSH obliegenden meereskundlichen Aufgaben wurden für den Bereich der Ostsee weitgehend dem Institut für Meereskunde in Warnemünde – dem späteren Institut für Ostseeforschung – übertragen. Der Wasserstandsvorhersage- und Sturmflutwarndienst sowie der Eisnachrichtendienst für Mecklenburg-Vorpommern wurden in der Außenstelle selbst wahrgenommen. Die Leitung der Außenstelle wurde in den ersten Monaten von einem Hamburger BSH-Mitarbeiter ausgeübt und die einzelnen Aufgabenbereiche unmittelbar den Referaten und Sachgebieten der Abteilungen in Hamburg unterstellt. Sehr schnell wurde dann aber ein Rostocker Mitarbeiter mit der Leitung beauftragt. Für die BSH-Mitarbeiter aus Ost und West begann nun eine Zeit der Angleichung der Organisationsstrukturen, der Aufgabenerledigung und der zu erbringenden Dienstleistungen. In der nautischen Hydrographie war davon insbesondere das Seekartenwerk betroffen: Bis 1993 wurden die zunächst vom SHD übernommenen Seekarten und Seebücher sowie der nautische Warn- und Nachrichtendienst auf den BSH-einheitlichen Gestaltungsduktus umgestellt. In Umsetzung des Beschlusses der Unabhängigen Föderalismuskommission zur Verlagerung von Bundeseinrichtungen in die neuen Bundesländer ca. 150 Stellen nach Rostock umzusetzen, entschied sich die Leitung des BSH, dafür im wesentlichen die Abteilung »Nautische Hydrographie« vorzusehen. Für das erforderliche Dienstgebäude einschließlich der notwendigen Betriebsstätten, Druckereieinrichtungen, Lager und Schiffsliegeplätze wurde ein Neubau im Stadthafengebiet in Aussicht genommen. Eine bedeutende Aufwertung erfuhr der Standort Rostock durch die offizielle Einrichtung als gleichberechtigter Dienstort des BSH am 1. Juli 1994. Die Standortfrage des Neubaus wurde 1996 zugunsten des Geländes der ehemaligen Neptunwerft an der Warnow nahe des Stadthafens entschieden. Hier hatte das Industriezeitalter Rostocks im 19. Jahrhundert mit dem Bau von seetüchtigen Dampfschiffen begonnen. Nach der Wende war der Schiffbau weiter flussabwärts in Richtung Warnemünde gezogen; für die Ansiedlung einer Behörde mit dem Aufgabenzuschnitt des BSH bot die Industriebrache mit seiner zentralen Lage nahe der Innenstadt und am schiffbaren Bereich der Warnow jedoch ideale Voraussetzungen. Nach langwierigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen wurden 1998 dort schließlich zwei vorhandene Gebäude samt anschließenden Grundstücken für bauliche Erweiterungen erworben. Im selben Jahr erfolgte der symbolische erste Spatenstich – bis zum Richtfest im Januar 2001 und der Fertigstellung im Mai 2003 sollten jedoch noch einige Jahre vergehen. Bis dahin war am inzwischen schon recht maroden Standort Dierkower Damm das Improvisationstalent aller Mitarbeiter gefragt.

Beständigkeit im Wandel

Zug um Zug wurden nun Aufgaben von Hamburg nach Rostock verlagert. Die erforderliche und dabei möglichst sozialverträgliche Umsetzung von Mitarbeitern setzte an beiden Dienstorten das »Personal-Karussell« ordentlich in Gang: Für die in Rostock mit Hamburger Kollegen zu besetzenden Dienstposten mussten Umzugswillige gefunden werden. Für Mitarbeiter die aus unterschiedlichen Gründen am Standort Hamburg bleiben wollten, mussten Ausweichlösungen in anderen Abteilungen geschaffen werden. Einige gingen, wenn die Voraussetzungen erfüllt waren, in den vorgezogenen Ruhestand. Eine erhebliche Anzahl der verlagerten Stellen wurden in Rostock neu mit Berufsanfängern besetzt, die von den erfahrenen Kollegen angelernt werden mussten. Für die wechselweise Präsenz der Hausleitung wurden nun an beiden Dienstorten entsprechende Arbeitsräume hergerichtet.

Der so enstandene Mix aus professioneller Erfahrung und jugendlichem Elan erwies sich als besonders vorteilhaft, um den im folgenden Jahrzehnt anstehenden Umbruch von analoger auf die digitale Technologie in allen Arbeitsbereichen zu bewältigen. So wurde im Jahre 1998 die Umstellung der Seekarten der heimatlichen Gewässer auf das GPS-kompatible geodätische Bezugssystem WGS84 begonnen. Etwa zeitgleich begann die Einführung digitaler kartographischer Bearbeitungsmethoden für gedruckte Seekarten. Vollkommenes Neuland in der Seekartographie wurde mit der versuchsweisen Herstellung digitaler Seekartendaten für die elektronische Seekarte ECDIS ab 1997 betreten. Erste praktische Seeerprobungen darauf aufbauender Navigationstechnologien fanden 1998 in einem gemeinsamen Projekt des BSH, der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV), dem Fachbereich Seefahrt Warnemünde und dem schwedischen hydrographischen Dienst auf den Fährlinien Rostock–Travemünde nach Trelleborg / Schweden unter dem Namen BAFEGIS (Baltic Sea Ferry Ferry Guidance and Information System) statt. Ganz neu war dabei die Kombination der elektronischen Seekarte mit dem damals noch in der Versuchsphase befindlichen Transpondersystem AIS, das heute zur Standardausrüstung aller Schiffe in internationaler Fahrt gehört.

Im Oktober 1990 kam der Ersatzneubau »Wega« in Fahrt. 1994 wurde die »Deneb« als erster gesamtdeutscher Neubau eines BSH-Schiffes als Ersatz für die »C. F. Gauss« in Dienst gestellt und warb 1997 bei einer Mittelmeerreise anlässlich der internationalen Hydrographischen Konferenz in Monaco für die Leistungsfähigkeit des deutschen Spezialschiffbaus. 1998 wurde der Ersatzneubau der »Komet« und schließlich 2004 die »Capella« als Ersatz für »Mercator«/»Bessel« in Anwesenheit des damaligen Verkehrsministers Stolpe in Dienst gestellt.

Die BSH-Schiffe ermitteln auf ihren Vermessungsfahrten den Grundstock der Daten zur Darstellung der Topographie des Meeresgrundes – des sogenannten Tiefenbildes. Einer völligen Neugestaltung des Tiefenbildes aller Nordseekarten – der aufwändigsten und anspruchsvollsten kartographischen Teilaufgabe der Seekartographie – kommt die Umstellung auf das mit den Nordseeanrainern vereinbarte Bezugssystem für die Tiefenangaben »Lowest Astronomical Tide – LAT« gleich, die 2001 beschlossen, seit 2003 umgesetzt und 2012 abgeschlossen sein wird.

Die parallele Bewältigung so umfangreicher Veränderungsprozesse war keineswegs einfach, denn in der Zwischenzeit war auch das BSH nicht von dem seit 1992 für alle Bundesbehörden gültigen globalen Stellenabbau verschont geblieben: seit 1992 musste es über 25 % seines Personals abbauen, und dies hat sich natürlich auch auf den Personalbestand in Rostock ausgewirkt.

Viele der damit verbundenen Schwierigkeiten waren jedoch vergessen, als der Umzug in das neue Dienstgebäude im Juni 2003 endlich vollzogen werden konnte – denn das Ergebnis lohnte die lange Planungs- und Bauphase: Der Gebäudekomplex beherbergt modern eingerichtete Büroarbeitsplätze für die Auswertung der Seevermessung, der Wracksuche, die nautisch-kartographische Redaktion und Technik sowie die meereskundlichen Dienste für die Ostsee mit kurzen Wegen zu den Produktionsbereichen der Druckerei und Buchbinderei, der Bibliothek und dem nautisch-hydrographischen Archiv. Die IT-Ausstattung und die Drucktechnik sind durchweg neu. Der unmittelbar angrenzende Liegeplatz für die Schiffe der BSH-Flotte ist ein Standortvorteil, um den das BSH immer wieder von den ausländischen Kollegen beneidet wird. Die feierliche Inbetriebnahme der neuen Vierfarben-Offsetdruckmaschine im August 2008 beschloss die Umsetzung der zehn Jahre zuvor geplanten Infrastrukturmaßnahmen und vollendete symbolisch den Umzug der Abteilung »Nautische Hydrographie« an den Dienstsitz Rostock. Insgesamt sind derzeit ca. 215 Mitarbeiter im BSH Rostock tätig. Zwei der Vermessungsschiffe – die »Deneb« und die »Capella« – haben die Hansestadt als ihren Heimathafen und signalisieren damit, dass Rostock das deutsche Zentrum für Hydrographie ist.

Fachliche Aufgaben

Das BSH hat sich in den Jahren seines Bestehens eine hohe nationale und internationale Reputation erarbeiten können – gerade auch am Standort Rostock. Hier wird ganz überwiegend die im Seeaufgabengesetz und im Internationalen Schiffssicherheitsvertrag verankerte Aufgabe der Herstellung und Herausgabe amtlicher nautischer Veröffentlichungen ausgeübt. Dazu gehört die eigene Datenerhebung und -auswertung, die redaktionelle Bearbeitung sowie technische Herstellung der analogen und digitalen Zwischen- und Endprodukte. Das BSH in Rostock stellt damit nautische und topographische Grundlagendaten und Geoinformationen des Meeres, der Küsten und der Seeschifffahrtsstraßen einschließlich der Häfen zur Sicherung der Seefahrt und für die Landesverteidigung zur Verfügung. Diese Informationen bilden darüber hinaus die topographische Grundlage für alle marinen Aufgaben einschließlich Raumplanung und des Küstenschutzes.

Am Beginn der Bearbeitungskette steht mit der Seevermessung die topographische Aufnahme des Meeresbodens und der Wattflächen sowie die Ortsbestimmung von Objekten unter der Wasseroberfläche. Das Vermessungsgebiet des BSH umfasst eine Fläche von etwa 57.000 km²; dies entspricht einem Sechstel der Fläche Deutschlands. Es wird durch die entsprechenden Hoheitsgewässer und Ausschließlichen Wirtschaftszonen der Nachbarstaaten begrenzt. Sowohl die Deutsche Bucht als auch die südwestliche Ostsee sind ausgesprochen stark befahrene Gewässer, die nur geringe Wassertiefen aufweisen und deren vielerorts sandiger Meeresboden ständigen Veränderungen unterliegt. Je nach den örtlichen Gegebenheiten werden systematische Wiederholungsvermessungen in Abständen von 1 bis 30 Jahren vorgenommen. Die Seevermessung erfolgt in enger Abstimmung mit den Behörden der WSV und international mit den hydrographischen Diensten der Nachbarländer. So werden nach Vereinbarungen der Ostsee- und der Nordsee-Anrainerstaaten alle Hauptschifffahrtswege und Ansteuerungen in Nord- und Ostsee in den natürlichen Veränderungsprozessen angepassten Wiederholungszyklen hochauflösend vermessen und nach Hindernissen abgesucht. Dabei werden internationale Standards zugrunde gelegt, nach dem u. a. Objekte ab der Größenordnung eines Würfels mit zwei Metern Kantenlänge flächendeckend erkannt werden müssen.

Die Suche nach Unterwasserhindernissen ist Bestandteil der Seevermessung. Wo Unterwasserhindernisse auf leicht veränderlichem Grund liegen und den Strömungen des Meeres ausgesetzt sind, kann sich deren Lage im Laufe der Zeit verändern. Im Rahmen der periodischen Untersuchungen werden die Lage und auch die geringste Tiefe über dem Hindernis kontrolliert und gegebenenfalls neu bestimmt. Nautisch bedeutsame Änderungen müssen dann aktuell bekannt gemacht und in den Seekarten dargestellt werden. Selbst Wracks, die in einer Tiefe von mehr als 20 m liegen, können eine Gefahr darstellen, z. B. für die Fischerei (Netzhaker); für die Marine sind ohnehin alle Unterwasserhindernisse von Interesse, u. a. für die Unterwassernavigation von U-Booten.

Als Grundlage werden für die deutschen Seegebiete neben den eigenen Seevermessungen auch Peil- und Hafenpläne der WSV sowie topographische Karten der Landesvermessungsämter herangezogen. Die hauptsächliche Verwertung der Ergebnisse dieser Daten, eigener Seevermessungen, der Wracksuche und einer kaum zu übersehenden Vielzahl anderer Datenquellen zum Verlauf und der Bebauung der Küstenlinie, der Lage der Seezeichen and Land und auf See und vieler weiterer für die Navigation relevanter Informationen erfolgt in der kartographischen und nautischen Redaktion. Dort werden alle eingehenden Informationen gesichtet, auf ihre Relevanz für die Überwasserschifffahrt bewertet und thematisch für die Einarbeitung in Seekarten und Seebücher vorbereitet. Karten und Bücher bilden gemeinsam mit dem Berichtigungsdienst – den Nachrichten für Seefahrern – ein einheitliches nautisches Informationssystem.

Die geographische Überdeckung des deutschen Seekartenwerkes, das übrigens 1944 seine größte Ausdehnung mit 1050 Karten erreicht hatte, unterliegt seit Jahrzehnten einem beständigen Verkleinerungsprozess. Der Bedarf an deutschsprachigen Karten in der Berufsschifffahrt hat sich geändert – überregional operierende Reedereien mit internationalen Besatzungen rüsten heute überwiegend mit englischsprachigen Kartenwerken aus. Mitte der neunziger Jahre wurden deshalb bereits die Karten des Fernen Ostens und Südamerikas aufgegeben; Nordafrika, das Rote und das Schwarze Meer folgten nach der Jahrtausendwende und seit der Einstellung der Seekarten für das Mittelmeer Ende 2009 beschränkt sich die aktuelle Überdeckung auf das Seegebiet der sogenannten Kleinen Fahrt – vom Englischen Kanal in die Nordsee und die Ostsee. Das BSH folgt damit dem Trend aller internationalen Kartenwerke – außer dem der Britischen Admiralität – sich zugunsten der Aktualität und der Diversität ihrer nautischen Veröffentlichungen stärker auf die heimischen Gewässer und die daran direkt angrenzenden Seegebiete zu konzentrieren.

Der nachlassende Bedarf für ein deutschsprachiges nautisches Informationssystem wird durch die Einführung der elektronischen Navigation mithilfe digitaler Seekartendaten noch beschleunigt, die mittelfristig die gedruckte Seekarte in der Berufsschifffahrt vollständig ablösen wird. Entfallen auf diese Weise mehr und mehr Papierseekarten ausländischer Seegebiete, wächst andererseits das Arbeitspensum in der Kartographie entlang der heimischen Küste: Die aufgrund neuer Messverfahren immer detailreicheren Informationen aus der Seevermessung, Wracksuche und eingehenden externen Quellen bedürfen für eine zügige Bearbeitung eines erheblichen technischen und personellen Aufwandes. Gleichzeitig haben sich die Kundenerwartungen hinsichtlich der Aktualität der Veröffentlichungen enorm erhöht. Und schließlich sind neue Bedarfe für kundengerecht aufbereitete digitale Datenprodukte wie z. B. den Offshore-Bereich, die Raumordnung im Meer, den Küsten- und Meeresumweltschutz entstanden, die es zu bedienen gilt.

Derzeit werden noch rund 300 amtliche Seekarten für deutsche und europäische Gewässer und 29 Seebücher vom BSH herausgegeben. Für die etwa 240 Seekarten ausländischer Gewässer erhält das BSH diese Informationen direkt von den anderen hydrographischen Diensten. Die wöchentlich, bereits im 141. Jahrgang erscheinenden Nachrichten für Seefahrer (NfS) sorgen dafür, dass die BSH-Karten und Seehandbücher an Bord aktualisiert werden können. Die 14 Kartensätze, die das BSH für die Sportschifffahrt herausgibt, überdecken deutsche und polnische sowie Teile der dänischen Gewässer. 2008 ist es erstmals gelungen, eine gedruckte Seekarte von der Aufnahme der Messdaten über die redaktionelle Bearbeitung, den Satz und schließlich den Druck vollständig digital herzustellen. Dies bedeutet einen wichtigen technischen Durchbruch in der nautischen Kartographie. Damit wurde die Umstellung des Seekartenwerks auf eine datenbankgestützte Redaktion und Produktion eingeleitet, mit der alle notwendigen Quelldaten zentral gesammelt und direkt für die Herstellung aller Seekarten und Seebücher in gedruckter Form oder als Datensatz verwendet werden können.

Das System wird teilweise auch schon für die Herstellung der 147 digitalen Seekarten (Electronic Navigational Charts – ENCs) für die Berufsschifffahrt eingesetzt, die das deutsche Küstenmeer seit 2006 vollständig überdecken und ebenfalls wöchentlich aktualisiert werden. Für digitale Anwendungen im Wassersportbereich vergibt das BSH Lizenzen für seine digitalen Datenbestände. Die für den Bereich der Kleinschifffahrt angebotenen digitalen, meist mit einem GPS-Empfänger gekoppelten Navigationssysteme basieren in ihrem Kartenteil für deutsche Seegebiete ganz überwiegend auf BSH-Daten.

Als Vertragsstaat des Antarktisvertrages leistet Deutschland auch einen Beitrag zur Kartierung eines Seegebietes in den internationalen Gewässern der Antarktis. In einem gemeinsamen Projekt haben das BSH und das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) drei Seekarten der Weddell-See fertiggestellt. Die Karten, die auch in elektronischer Form vorliegen, basieren auf den Daten, die das AWI mit dem deutschen Forschungsschiff »Polarstern« in den letzten beiden Jahrzehnten in diesem Gebiet gesammelt hat, sowie auf Satellitenbildauswertungen der Eisbedeckung. Die Karten liefern einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Schifffahrt in diesem ökologisch sensiblen Seegebiet, das von zunehmendem wissenschaftlichem und touristischem Interesse ist.

Diese und alle anderen Seekarten, Seebücher, Broschüren, Flyer und viele andere Druckerzeugnisse werden in dem ebenfalls am Dienstort angesiedelten Bereich »Mediengestaltung und Druck« gefertigt, der auch umfassende Druckaufträge im Rahmen des Druckereiverbundes des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung erledigt, die keinen direkten fachlichen Bezug zum BSH haben.

Das BSH in Rostocker beherbergt nicht nur eine Fachbibliothek und das Quellenarchiv für die Seevermessungen und nautische Veröffentlichungen sondern auch das sogenannte »Verlagsarchiv« – die nationale Sammlung aller noch vorhandenen Ausgaben amtlicher deutscher Seekarten seit der Gründung des deutschen Reiches. Die sorgsam archivierten Kartenschätze haben natürlich einen besonders ansprechenden Schauwert – sie sind aber auch von hohem wissenschaftlichen Interesse, denn sie geben anschauliche Auskunft über die Veränderungen der wirtschaftlichen und topographischen Umstände an unseren Küsten. Diesen Schwerpunkten ist auch der Wasserstandsdienst für die Ostsee und der nationale Eisdienst verpflichtet, der ebenfalls im BSH Rostock seine Heimat hat. Beide Dienste sind neben ihren täglichen Routineaufgaben in Zustandsbeschreibung und Vorhersage auch der wissenschaftlichen Weiterentwicklung ihrer Methodiken verpflichtet. Deshalb hat dieser Aufgabenbereich eine wichtige Brückenfunktion zu regionalen Behörden und zur Wissenschaftslandschaft. Deutlich wird dies am Beispiel der zahlreichen Kooperationen allein im Datenaustausch – mit dem Marineamt Rostock, den Landesvermessungsämtern und den staatlichen Ämtern für Landwirtschaft, Umwelt- und Naturschutz, im Rahmen der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten mit dem Fachbereich Seefahrt der Hochschule Wismar, dem Forschungshafen Rostock und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt Neustrelitz.

Die Weiterentwicklung der eigenen Verfahren und Dienstleistungen orientiert sich strategisch an der wachsenden ökonomischen und ökologischen Bedeutung des Seeraums vor unseren Küsten. Sie ist regional mit unseren Nachbarn in Ost- und Nordsee abgestimmt und in internationale Abstimmungsprozesse eingebunden. Zukunftsaufgaben liegen in der Anwendung von satelliten- und flugbasierten Fernerkundungsmethoden zur Ergänzung der Seevermessung, die Anwendung ferngesteuerter Unterwasserroboter für die Objektuntersuchung, der gesteigerten Aktualität der Produkte durch volldigitale Bearbeitungsketten ohne Medienbrüche und deren bedarfsgerechten Gestaltung im digitalen Zeitalter. Geodatendienste, zu denen die Aufgaben des BSH Rostock generell zu zählen sind, liefern die Basis für eine nachhaltige, zwischen Nutzungs- und Schutzinteressen ausgleichende Meeresnutzung. Sie sind als qualifizierte staatliche Dienstleistung der Daseinsvorsorge und der Zukunftseroberung gleichermaßen unverzichtbar. Entsprechend dem internationalen Charakter der Seeschifffahrt, Deutschlands Rolle in der Europäischen Union und seiner Industriepolitik in einer globalisierten Welt ist die überregionale Abstimmung eines der Kernelemente der Aufgabenerledigung des BSH. Dieser Logik folgend, konnten seit 2005 eine ganze Reihe bedeutender internationaler Fachtagungen auf dem Gebiet der Hydrographie in die Hansestadt »geholt« werden. Ihr fachlicher Erfolg hat geholfen, den Ruf Rostocks als nationales Zentrum der Hydrographie auch bei unseren ausländischen Kooperationspartnern zu begründen. Einige der in Rostock beschäftigten Fachleute arbeiten seit Jahren außerordentlich aktiv in den Gremien der Internationalen Hydrographischen Organisation (IHO) mit und haben so dem BSH zu hoher Wertschätzung in der Gemeinschaft der hydrographischen Dienste der Welt verholfen.

 

Mathias Jonas