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Ergebnisse in einer Kurzfassung der 19. Betriebsrätebefragung im September 2010

Der seit zwei Jahren stattfindende krisengetriebene Strukturwandel im deutschen Schiffbau setzt sich weiterhin fort. Unternehmensverkäufe wie zuletzt mehrerer Werften von[ds_preview] Thyssen Krupp Marine Systems an Abu Dhabi Mar oder die Übernahme der ehemals zur Hegemann-Gruppe gehörenden Rolandwerft durch die Fr. Lürssen Werft verändern das Gesicht des deutschen Schiffbau merklich.

Ohne neue Aufträge und vor allem ohne eine strategisch ausgerichtete und flankierende Schiffbaupolitik in Deutschland und Europa wird die Krise im deutschen Schiffbau sich weiter verschärfen. Im Vergleich zu den im europäischen Ausland praktizierten Unterstützungsmaßnahmen für die Werften ist die Industriepolitik in Deutschland zögerlich. Insbesondere vor dem Hintergrund des anstehenden Freihandelsabkommens zwischen der EU und Südkorea im Herbst 2010 muss verhindert werden, dass der deutsche und der europäische Schiffbau endgültig aufgegeben und ins politische Abseits gedrängt wird.

Im zweiten Jahr in Folge muss der deutsche Schiffbau einen schmerzhaften Beschäftigungsrückgang verkraften. Im September 2010 sind mit 16.760 direkt Beschäftigten auf allen deutschen Werften 3,9 %, d.h. 686 Menschen weniger beschäftigt als noch ein Jahr zuvor. Verglichen mit dem Jahr 2008 fällt die Bilanz noch negativer aus:

Seit dem September 2008 haben rd. 3.800 Arbeitnehmer/innen ihren Job auf der Werft verloren – ein Rückgang um 18,4 %. Nach wie vor dominieren bei der Beschäftigung im deutschen Schiffbau die fünf größten Werftengruppen. Auf den insgesamt 20 Standorten der fünf Gruppen arbeiten mit rund 12.600 Mitarbeiter/innen ca. 75 % aller deutschen Schiffbauer/innen. Trotz eines erheblichen Personalabbaus führt Thyssen Krupp Marine Systems immer noch die Rangliste der größten Werftengruppen an, im Vergleich zeigt sich jedoch, dass vor allem die beiden familien-

geführten Gruppen der Meyer Werft GmbH und der Fr. Lürssen Gruppe in den letzten Jahren (und auch in den beiden Krisenjahren 2008 und 2009) ihre Beschäftigtenzahlen stetig aufstocken konnten.

Ebenfalls nachteilig entwickelt sich die Bilanz bei den Neueinstellungen. Knapp 51 % aller Neueinstellungen fanden nur noch mit Befristung statt. Im Jahr zuvor waren es noch weniger als 40 %. Auch wenn sich die durchschnittliche Ausbildungsquote gegenüber dem Vorjahr minimal erhöht hat, ist die absolute Zahl der Auszubildenden deutlich zurückgegangen: Im September 2010 absolvierten auf 33 Werften nur noch 1.163 junge Menschen ihre Ausbildung – 32 % weniger als noch im Jahr 2008. Gerade im Hinblick auf den immer noch von den Arbeitgebern beklagten Fachkräftemangel zeigt die diesjährige Befragung, dass die Auszubildenden ein hohes Maß an Engagement auszeichnet und sie eine große Faszination für den Schiffbau aufweisen. Sie schätzen das vielfältige Aufgabenspektrum im Schiffbau, loben die Ausbildungsvergütungen und verbinden mit dem Schiffbau ihre berufliche Zukunftsperspektive. Kritisch äußern sich viele Auszubildenden zu den sich verschlechternden Übernahmeperspektiven, obwohl nach wie vor die Mehrheit davon ausgeht, von ihren Betrieben übernommen zu werden. Bei mehreren Werften haben sich offensichtlich die Ausbildungsbedingungen merklich verschlechtert: ein Rückgang der Auszubildendenzahlen, Auseinandersetzungen um Übernahme und die Ausgliederung von Ausbildungsaktivitäten sind nur einige Punkte, die von den Nachwuchskräften im Schiffbau bemängelt werden.

Der Beschäftigungsrückgang hätte unter Umständen deutlich höher ausfallen können, hätten nicht viele Werften auf das Instrument der Kurzarbeit zurückgegriffen, um die Fachkräfte im Unternehmen zu halten. Zurzeit befinden sich auf zwölf Werften rund 3.000 Menschen auf den Werften in Kurzarbeit – das sind ca. 40 % der insgesamt dort beschäftigten Arbeitnehmer/innen. Die Auftragseingänge der deutschen Werften bewegen sich noch immer auf einem kritischen Niveau. Neubauaufträge konnten nur noch im Spezialschiffbau hereingenommen werden. Der Bau von Containerschiffen oder Massengutfrachtern – so muss betont werden – ist in Deutschland unwiederbringlich vorbei. Für elf Werften konnte der Auslastungshorizont (Ablieferung des letzten Schiffs im Orderbuch) im September 2010 ermittelt werden. Bis auf ein Unternehmen hat sich der Horizont der Werften zwischen zwei und 14 Monaten gegenüber dem Vorjahr reduziert: Die Luft wird in der nahen Zukunft dünner für die Werften, sollten nicht neue Aufträge in absehbarer Zeit hereinkommen. Trotz des erheblichen Rückgangs der direkt auf den Werften Beschäftigten greifen die Arbeitgeber wieder verstärkt auf Instrumente wir Mehrarbeit, Leiharbeit und Werkverträge zurück. Gegenüber dem Vorjahr haben sich die durchschnittlichen Arbeitszeitguthaben pro Beschäftigtem um rund 15 Stunden erhöht, während bei den bezahlten Überstunden pro Beschäftigtem ein 24-prozentiger Rückgang zu verbuchen ist. Auch die Leiharbeitsquote ist im Durchschnitt aller Werften in den letzten zwölf Monaten wieder leicht angestiegen (12,2 % in 2010 gegenüber 10,4 % in 2009). Dabei ist jedoch hervorzuheben, dass allein fünf Werften Leiharbeitsquoten zwischen 29,6 % und 45,8 % aufweisen.

Die Arbeitsplatzäquivalente von Arbeitszeitguthaben, Überstunden, Leiharbeit und Werkverträgen zugrunde gelegt, errechnet sich eine hypothetische Gesamtbeschäftigung auf den deutschen Werften von 25.213 Beschäftigten – 8.453 Arbeitsplätze mehr als die tatsächliche Stammbelegschaft in den Schiffbaubetrieben. Auch die Situation in der maritimen Zulieferindustrie hat sich – wenn auch ein wenig milder als in den Werften – gegenüber dem Vorjahr verschlechtert. Der Umsatzrückgang im Jahr 2009 um 7,7 % in der gesamten Zulieferbranche zeigt auch Spuren bei den zehn im Rahmen der Umfrage erfassten Schiffbauzulieferunternehmen mit insgesamt 2.539 Beschäftigten. Während bei Neueinstellungen und der Ausbildung ein ähnliches Bild wie auf den Werften festzustellen ist, gehen die Betriebsräte der meisten Zulieferer davon aus, dass angesichts der schlechten Auftragslage im Schiffbau im nächsten Jahr ein Arbeitsplatzabbau stattfinden wird.

Wie auf den Werften nutzen auch die Zulieferer Leiharbeit (Leiharbeitsquote: 5,1 %) Überstunden und Arbeitszeitkonten. Werkverträge kommen dagegen nur in drei der zehn befragten Zulieferbetriebe vor – ein signifikant geringerer Wert als im Falle der Werften.

Manuel Kühn, Thorsten Ludwig, Jochen Tholen