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Bei den Kunden der Reedereien macht sich Unmut breit. Zwar sind die Frachten auf vielen Routen wieder extrem billig, doch dafür leidet auch die Service-Qualität. Neben Slow Steaming wünschen sich mehr und mehr Verlader einen Express-Service. Das wurde auf der Leitmesse transport logistic in München deutlich.

Vorbei sind die Zeiten, als die großen Containerschiffe mit über 24 Knoten in der Spitze durch die Fluten brausten. Inzwischen[ds_preview] sind Regelgeschwindigkeiten von 18 bis 20 Knoten an der Tagesordnung, und einige Reeder haben bereits mit Super Slow Steaming bei 12 Knoten experimentiert. Da sich die Rundläufe der Schiffe am Asien-Europa-Verkehr folglich um ein bis zwei Wochen verlängern, wurden die eingesetzten Schiffs-Strings von acht auf neun bis zehn Einheiten verstärkt, damit auch weiterhin wöchentliche Abfahrten angeboten werden können. Der Vorteil für die Reeder liegt auf der Hand: Durch Absenkung der Fahrtgeschwindigkeiten können die Brennstoffkosten so stark gedrosselt werden, dass selbst nach Abzug der Charterkosten für die erforderliche Zusatztonnage immer noch eine beträchtliche Einsparung verbleibt.

Der Effekt für Versender und Empfänger: Die Transitzeiten nehmen zu und damit auch die Kapitalbindungskosten für die verschickte Ware, die nun auf dem Weg bis zum zahlenden Kunden manchmal eine Woche länger im Container unterwegs ist. Damit setzen die Carrier offenbar Teile ihres Kontraktgeschäfts mit Verladern von Modeartikeln und Unterhaltungselektronik aufs Spiel. So beobachtet der Speditionskonzern Damco, der zur Maersk-Gruppe gehört, zunehmende Verlagerungen solcher Frachtgüter im Fernost-Europa-Verkehr auf Luftfracht-Carrier. Speziell seien die Kunden an kombinierten See-Luft-Lösungen interessiert, bei denen die Container in Zwischenhäfen wie Dubai von Bord genommen, entladen und die Ware am nächsten Flughafen per Flugzeug weiterbefördert wird. Im Verkehr von Fernost nach Europa hat sich Dubai als führender Umladungspunkt etabliert, auf den Routen von Fernost nach Südamerika lädt man in Los Angeles um. Ladungskunden machen sich dabei strukturelle Kapazitätsüberhänge im Luftfrachtverkehr ab bestimmten Regionen und damit niedrigere Luftfrachtraten zunutze.

Die Daumenregel lautet: halb so hohe Transitzeit wie im Seeverkehr, halb so große Fracht wie bei der reinen Luftfracht. »Die erhöhten Transitzeiten durch Slow Steaming treiben Frachtgut zu Sea-Air-Lösungen«, sagte Martin Thaysen, Chief Commercial Officer von Damco, auf einer Pressekonferenz in München. Der Druck dazu sei auf den europäischen Importrouten am größten, »weil Europa auch am schwersten vom Slow Steaming betroffen ist«, ergänzte Chief Operating Officer Peter Kjaer Jensen. Genaue Marktzahlen, die eine Verlagerung anzeigen, liegen nicht vor. Aber Damco sieht sich durch die steigenden Anfragen von Kunden ermutigt, neben Dubai einen zweiten Umladepunkt in Malaysia einzurichten. Die Ware aus China wird dann in Tanjung Pelepas von Bord genommen und für die Luftfrachtabfertigung vorbereitet. Die Laufzeit von Haus zu Haus liege dann nur noch bei 12 Tagen gegenüber 18 Tagen bei der Zwischenabfertigung in Dubai, wo Damco allerdings weiterhin die größten Volumina verzeichnet. Um den Kunden maximale Flexibilität zu ermöglichen, werde die die Landungsannahme und -bearbeitung so weit wie möglich hinausgezögert.

»Unsere Kunden sind für die neuen Angebote sehr dankbar«, meinte Thaysen und prophezeite: »Es ist eine Entwicklung, die sich fortsetzen wird in dem Maße, wie die Kunden in die Lage kommen, ihre Lieferketten dynamischer zu gestalten.« Denn für die Verkürzung der Lieferzeit durch Sea-Air müssen auch die Folgeprozesse bei der Warenannahme und Distribution im Heimatmarkt getrimmt werden. Das größte Interesse beobachten die Dänen bei Verladern aus den Bereichen Mode, Schuhe und Unterhaltungselektronik. Aufgrund der tendenziell immer kürzeren Produktzyklen in diesen Segmenten können sich die Kunden keine Lieferzeitverlängerungen durch Slow Steaming erlauben. Um die Verkaufserlöse zu maximieren, muss die Ware möglichst schnell und in schneller Frequenz nachgeliefert werden.

Auch die Bestands- und Kapitalbindungskosten spielen dabei eine Rolle. Von den insgesamt 75.000 t Luftfrachtladung, die Damco im Vorjahr abgefertigt hat, entfielen nach Unternehmensangaben rund 20.000 t auf Sea-Air-Kombinationen, davon wiederum knapp drei Viertel auf Ladung ex Dubai. Insgesamt soll das Luftfrachtaufkommen bis 2015 auf 300.000 t vervierfacht werden, so die Planung. Auch der Marketingchef des Speditionskonzerns Geodis Wilson mit Hauptsitz in Amsterdam, Kim Pedersen, vertritt die Auffassung, dass die Verlader Alternativen zum Slow Steaming benötigen. »Die Frustration ist bei vielen Kunden groß, wenn sie für einen Transport, der einst 26 Tage und heute 32 Tage dauert, denselben Preis zahlen müssen.« Die Serviceangebote der Reedereien würden sich immer mehr ähneln. So gebe es nur noch wenig Dienste mit kurzen Transitzeiten, was die Komplexität für den Spediteur bei der Erstellung unterschiedlicher Transportoptionen mit unteschiedlichen Laufzeiten für den Kunden erschwere. Sea-Air-Kombinationen seien die eine Lösung, sagte Pedersen. Die Reedereien könnten einen erheblichen Teil des zeitsensibleren Frachtguts aber selbst einfangen, indem sie auch schnellere Dienste anbieten parallel. »Ich habe noch keine innovativen Ansätze gesehen. Das könnten zum Beispiele Schnellboote sein. Dafür gibt es Nischen am Markt«, so Pedersen.

Neben Schnelligkeit verlangten auch mehr Kunden nach Transporten mit garantierten Zustellzeiten, wie man sie im Expressbereich vorfindet. »Wir haben unsere zehn größten Kunden für zwei Tage nach Paris eingeladen und sie gefragt, welche innovativen Lösungen sie sich wünschen. Die Antwort war: Garantierte Laufzeiten. Ihnen ist egal, ob der Carrier blau oder grün ist, solange ein Transport, der mit 21 Tagen Laufzeit vermarktet wird, auch garantiert 21 Tage dauert«, verdeutlichte Pedersen. Um den Kunden heute trotz fehlender Garantien der Linienreeder feste Zustellfenster zu ermöglichen, gingen die Spediteure selbst ins Risiko und versuchten die Transporte bei zuständiger Verfolgung und im Zusammenspiel mit den Reedern entsprechend zu steuern.

Grundsätzlich geht Pedersen im Bereich Seefracht dieses Jahr von weiter stark steigenden Volumina aus. Nach einem rund 30-prozentigen Anstieg der Containerbuchungen durch Geodis Wilson im Vorjahr, stieg das Ladungsaufkommen der Spedition im ersten Quartal abermals um 17 % an. Die Beziehungen zu stark wachsenden Industrie- und Handelskunden wie dem US-Konzern Apple ermöglichten dem Unternehmen, etwas schneller als der Gesamtmarkt zu wachsen. »Ich glaube nicht, dass sich die Transportnachfrage abkühlen wird. Bei unseren wichtigsten Kunden beobachte ich weiter steigende Aktivität. Die reisen viel, sind optimistisch und gehen neue Wege in der Beschaffung«, so Pedersen.

Der deutsche Logistikkonzern Hellmann Worldwide Logistics sieht ebenso verstärkten Bedarf im Bereich Seefracht mit fest definierter Laufzeit und plant nach Angaben seines Bereichsleiters See und Luft, Markus Lingohr, neue Produkte für Sammelgut (LCL, less than container load) unter der Marke »Hellmann on time«. »Vor allem im LCL-Bereich investieren wir stark«, sagte Lingohr. Dazu werde auch das weltweite Sammelgutnetzwerk mit den Hubs Bremen, Singapur, New York und Houston weiter ausgebaut. Einzelheiten nannte Lingohr nicht. Während die Nachfrage nach zuverlässigen Transitzeiten zunimmt, zeigt der Trend in der Containerschifffahrt nach Angaben der Beratungsfirma Drewry aktuell aber in die entgegen gesetzte Richtung. Die Pünktlichkeitsquote in der Linienschifffahrt sei vom vierten Quartal 2010 auf das erste Quartal dieses Jahres global von 55 % auf 51 % gesunken, heißt es. Für die Auswertung verfolgt Drewry weltweit rund 3.000 Containerschiffe.

Noch beunruhigender für die Reedereien dürfte ein zweiter Trend sein, den der Prof. Dr. Thorsten Blecker von der Technischen Universität Hamburg-Harburg als durchaus folgenschwer für die maritimen Verkehre einstuft. So zeigten Umfragen des Fraunhofer ISI, dass immer weniger deutsche Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, während der Anteil derer, die Fertigungskapazitäten wieder zurückholen, stabil bis steigend sei. Im verarbeitenden Gewerbe sei der Anteil der verlagerungswilligen Firmen seit 2006 von 15 % auf 7 % gesunken, während die Quote der Firmen, die Rückverlagerungen vornehmen, leicht von 2 % auf 3 % zulegte. » Wir haben den niedrigsten Stand der Verlagerung seit 15 Jahren und das kleinste Delta zwischen Velagerung und Rückverlagerung«, warnte Blecker. Es handele sich dabei nicht um einen deutschen, sondern um einen allgemeinen Trend. »Auch für China sehen wir signifikante Tendenzen der Rückverlagerung nach Europa und auch nach Nordamerika«, sagte er.

Die Hauptgründe für das Umdenken seien Qualitäts- und Flexibilitätseinbußen durch die Fertigung oder Beschaffung in weit entfernten Regionen. Auch erhöhte Logistikkosten aufgrund der Rohöl- und Treibstoffverteuerungen trieben viele Hersteller und Händler zum Umschwenken von globaler auf lokaler oder regionaler Beschaffung. Am größten sei der Druck bei günstiger Massenware und Komponenten im Containerverkehr, bei denen die Fracht einen höheren Anteil am Endpreis ausmacht. »Bei Apple-Produkten im Container lassen sich Transportkostensteigerungen wegatmen. Bei Komponenten ist das schon anders«, unterstrich Blecker. Tendenziell rechnet der Wissenschaftler deshalb mit einem Abflachen des Verkehrswachstums auf den langen Ost-West-Routen. Hingegen dürften Carrier auf Shortsea- und intraregionalen Routen von verstärkten Warenbewegungen in Folge von Rückverlagerungen profitieren. Reeder und Spediteure müssten sich zeitig darauf vorbereiten und ihre Verkehrs- und Standortnetze innerhalb der Wachstumsregionen dichter ziehen.