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Eine integrierte europäische Meerespolitik ist unabdingbar für nachhaltiges Wachstum. Dies war das Credo beim 6. Maritimen Business Lunch des Baltic Sea Forum, auf dem EU-Politiker Paul Nemitz Gastredner war.

Die breite Aufstellung Deutschlands in der maritimen Wirtschaft wie auch die Interaktionen zwischen den vielfältigen Aktivitäten auf dem Meer und[ds_preview] an der Küste erfordern eine multidisziplinäre Zusammen­arbeit und fachübergreifende Politik aus einem Guss, die Wachstum, Arbeit und Umweltschutz in ein nachhaltiges Konzept zusammenführt. Unabdingbarer Teil einer solchen integrierten Politik in der Meereswirtschaft ist eine Flächenplanung auf See, die von den jeweiligen Anrainerstaaten nach gemeinsamen, verbindlichen Grundsätzen koordiniert wird.

Dieses Credo stand im Mittelpunkt der Ausführungen von Paul F. Nemitz, Abteilungsleiter Maritime Politik in der Generaldirektion Mare der EU-Kommission. Wachstum und Umwelt seien in Deutschland gleichermaßen wichtig, weil es sich beim Klimawandel um eine Schicksalsfrage handele, betonte er als Gastredner des vom Verband Deutscher Reeder (VDR), dem Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) sowie dem Zentralverband Deutscher Schiffsmakler (ZVDS) geförderten 6. Maritimen Business Lunch des Baltic Sea Forum (BSF) am 29. Juni in Hamburg. Dabei wiesen Nemitz und auch der beim Bundesverkehrsministerium unter anderem für die Meerespolitik zuständige Referent Dietrich Seele auf den inzwischen vom Bundeskabinett verabschiedeten »Entwicklungsplan Meer« hin, der einen Beitrag zu einer integrierten Meerespolitik sowie nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung leisten soll (siehe S. 66).

Nemitz vertrat eine Reihe von Thesen, die vom fachlich kompetenten Auditorium zum Teil kritisch hinterfragt wurden. Das galt insbesondere für die Terminierung der verschärften Emissionslimits in den SECAs. Abgesehen von den beschränkten Liefermöglichkeiten der benötigten technischen Abgasreinigungsanlagen oder Motoren könnte die damit verbundene Verteuerung der Kurzstreckenseetransporte eine kontraproduktive Verlagerung auf den Landverkehr zur Folge haben. Ihr sollte nach Auffassung von Nemitz allerdings durch eine entsprechende Maut auf den Straßenverkehr und verbesserte Hinterlandanbindungen entgegen gewirkt werden. Eine stärkere Praxisnähe wurde insbesondere vom ZDS bei den Forderungen nach einer möglichen Landstromversorgung von Schiffen während der Hafenliegezeiten angemahnt, da es abgesehen von der Verfügbarkeit entsprechender Versorger und deren Möglichkeiten und Konditionen noch nicht einmal innerhalb Europas einheitliche Standards für Bordnetze und entsprechende Steckdosen gebe.

Seeverkehr bleibt Wachstumsmarkt

In der Schifffahrt sei Europa gut aufgestellt, stellte Nemitz fest. Der für die deutsche Wirtschaft strategisch bedeutsame Seeverkehr bleibe auf absehbare Zeit ein Wachstumsmarkt, der sich stärker als der Welthandel entwickele. Als Grundlage für die Schifffahrtspolitik als Teil einer integrierten Meerespolitik sei allerdings eine ökonomische Analyse erforderlich, die folgende drei Segmente getrennt nach Profitabilität, Marktchancen und Beschäftigungspotenzial untersuche: Dabei gehe es um die Schifffahrt zwischen Drittländern, die sogenannten »Crosstrades«, um die Schifffahrt zwischen der EU und Drittländern als Segment der großen Linienschifffahrt sowie um den Kurzstreckenseeverkehr zwischen den Mitgliedsländern des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) und Verbindungen mit unmittelbaren Nachbarn. Im Gegensatz zu den sehr geringen Einwirkungsmöglichkeiten autonomer EU-Politik bei den Crosstrades gebe es bei den Kurzstreckenseeverkehren erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten.

Der seit fast 20 Jahren gleich niedrige Anteil des Seetransports in diesem Segment sei geradezu eine Aufforderung zu aktiver Politikgestaltung auf EU-Ebene, so Nemitz. Vor allem im Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes könne sie durch Verlagerung von Landverkehren auf See zum Umweltschutz, stärkeren Umsätzen im Seeverkehr und höherer Sicherheit in küstennahen Verkehren beitragen. Nemitz: »In diesem Segment verkehren rund 10.000 Schiffe mit einem Durchschnittsalter von fast 20 Jahren. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob die Wettbewerbsfähigkeit und die umweltgerechte Entwicklung des intra-europäischen Seetransports nicht noch stärker durch autonome europäische Regelungen unterstützt werden sollte, wie es ja in Hinsicht auf die maritime Sicherheit nach den Unfällen der Tanker ›Erika‹ und ›Prestige‹ von der EU praktiziert wurde.« Technologien und Servicemodelle für Short Sea Shipping könnten auch Exportschlager werden, von USA bis Vietnam und China, so Nemitz.

Umweltbeitrag alternativlos

Bei den generell positiven Aspekten gelte es allerdings auch einige Trends zu beachten, die das Wachstum des Seeverkehrs auf mittlere Sicht verlangsamen könnten. Neben Konjunktureinbrüchen und Währungsungleichgewichten nannte Nemitz hier Direktinvestitionen zur Verlagerung der Produktion in Abnehmermärkte, die Miniaturisierung von Gütern oder den Ersatz von Gütern durch Software sowie die Energiepolitik und die Emissionspolitik. Insbesondere bei der Umweltpolitik sollte sich die Branche keine Illusionen machen, warnte er. Hier müsse die Schifffahrt überlegen, wie sie konstruktiv auftreten könne, was in der deutschen Schifffahrt der Fall sei, wie er einräumte. »Wenn das auf IMO-Ebene nicht klappt, dann machen wir das autonom«, warnte er. Um einen Beitrag werde die Schifffahrt nicht herumkommen, sagte Nemitz und empfahl den Reedern, das bereits in ihre Investitionsplanung einzubeziehen. In der Umweltpolitik müsse man die Trends einfach zur Kenntnis nehmen und sich darauf einstellen. Wie in Gutachten einzelner Interessengruppen zum Teil argumentiert werde, schade nur der Glaubwürdigkeit, meinte Nemitz und empfahl, dass die Branche übergreifend – nicht nur allein die Schifffahrt – Allianzen bilden sollte.

Auch die Hafenentwicklung sollte nicht ausschließlich unter Logistikgesichtspunkten erfolgen. Die deutschen Häfen hätten nicht nur gute Aussichten, wenn sie die Chancen des Europäischen Binnenmarktes nutzen und die erforderlichen Investitionen in Flächen, Zufahrtswege und Infrastruktur erfolgen. Sie hätten auch wichtige Beschäftigungs- und Wachstumpotenziale als Industriezonen für alte und neue Industrien wie Offshore und als Gebiet für Touristik- und Immobilienentwicklung.

Neben dem fortsetzenden Wachstum der Offshore-Windkraft würden andere Formen der Meeresenergie wie Gezeitenkraftwerke über das nächste Jahrzehnt an Bedeutung gewinnen, die für Deutschland als Technologielieferant von Interesse seien, so Nemitz weiter. Das gelte für die speziellen Anforderungen der Arktis in Bezug auf ihre Rohstoffreserven ebenso wie die des Meeresbodens sowie die steigenden Sicherheitsanforderungen der Offshore-Öl- und Gasgewinnung.

Nemitz sprach sich dafür aus, die Lücke zwischen der Förderung der Schifffahrt und des Schiffbaus regelmäßig unter Kosten-/Nutzen-Gesichtspunkten zu überprüfen. In einigen Küstenregionen sei bereits eine Substitution des Schiffbaus durch die Offshore-Industrie zu beobachten, gleichzeitig gebe es einen Trend zur Diversifizierung der großen Schiffbauunternehmen in den Bereich Offshore-Energie. Diese Entwicklung bedürfe einer politischen Begleitung.

Internationale Öffnung gefordert

Auf Kritik stieß bei Nemitz die mangelnde aktive Beteiligung Deutschlands am Netzwerk europäischer maritimer Cluster. Nachdem in Brüssel die Schifffahrt und der Schiffbau durch europäische Verbände vertreten seien, gebe es nunmehr zwar für die Schifffahrt eine direkte Vertretung des VDR und für die Forschung durch das Konsortium Deutsche Meeresforschung (KDM). Dagegen sei die Meerestechnik weder durch einen europäischen noch einen deutschen Verband in Brüssel präsent. Zudem regte Nemitz eine stärkere Präsenz deutscher Vertreter bei den jährlichen europäischen Meerestagen sowie eine Öffnung der deutschen Nationalen Maritimen Konferenzen für ausländische Redner und Multiplikatoren an. Angesichts der internationalen Ausrichtung der deutschen Meereswirtschaft könnten diese in Europa einzigartigen Konferenzen zu einer »Visitenkarte« für die deutsche Meereswirtschaft und Meerespolitik auch gegenüber dem Ausland entwickelt werden.