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Die Informationstechnologie erobert Schiffstechnik und Schifffahrt. Der immer schnellere Daten- und Internet-verkehr, die weltweite Satellitenabdeckung sowie rasante Kostensenkungen der Datenübertragung sind die wesentlichen Ursachen.

Unter dem Titel »Maritime IT 2011 – Lösungen für die Schifffahrt« fand am 29. September 2011 in der ACO Academy in[ds_preview] Büdelsdorf eine Tagung zum gleichnamigen Thema statt, an der etwa 100 Experten aus den Bereichen Werften, Zulieferer, Meeres­technik, Schifffahrt und der Hafenwirtschaft teilnahmen. Nachfolgend sollen die Inhalte der vom Maritimen Cluster Norddeutschland veranstalteten Tagung zusammenfassend dargestellt werden.

Herausforderungen durch moderne Navigationssysteme

Prof. Dr. Rudolf Kreutzer von der Fachhochschule Emden/Leer ging zum Beginn seines Vortrags kurz auf die nautische Ausbildung der zukünftigen Kapitäne ein, die 144 Semester-Wochen-Stunden (SWS) umfasst, davon aber nur 8 SWS technische Navigation beinhaltet. Nach der Definition der Navigation, einem Rückblick in die 1970er Jahre und einer kurzen Analyse der aktuellen Besatzungszahlen und -strukturen sprach er die heutige Brückenausstattung der Schiffe an (Abb. 1). Die Forderung, die Geräte müssten einfach bedienbar sein, würden durch ansteigende Integration und zunehmende Komplexität immer weniger erfüllt. Kreutzer demonstrierte an mehreren praktischen Beispielen, wie nur durch die Wahl von Farben oder Auflösungen in der elektronischen Seekarte ECDIS (Abb. 2) plötzlich wichtige Informationen in der Darstellung kaum noch erkennbar sind bzw. ganz verschwinden. Abschließend gab er einen Ausblick auf die nähere Zukunft mit eNavigation.

In der anschließenden Diskussion kamen weitere Probleme zur Sprache, z. B. die Gerätevielfalt der Hersteller, die Schiffsoffizieren und besonders den Lotsen auf der Brücke die Arbeit erschwere. Eine sichere Nutzung sei ohne Einarbeitung nicht immer gewährleistet, so der Tenor, da Bedienknöpfe und/oder Bedientasten oft an beliebigen Stellen angeordnet sind. In der zivilen Luftfahrt sind solche Probleme durch entsprechende Normen beseitigt worden.

Kommunikation in Forschungs- und Handelsschifffahrt

Als IT-Leiter der Reederei Briese, die neben Handelsschiffen auch Forschungsschiffe betreut, beschrieb Holger Börchers in seinem Referat zunächst die Kommunikationssysteme der Reederei. Inmarsat C (Abb. 3) mit inzwischen zwölf (davon elf in Betrieb) geostationären Satelliten ist vorgeschrieben, weil das weltweite Seenot- und Sicherheitsfunksystem integriert ist. Das Kommunikationssystem Iridium verfügt über 66 Satelliten in sechs Umlaufbahnen mit extrem hoher Abdeckung und bezieht auch die Polkappen ein.

Börchers stellte fest, dass die zu übertragenden Datenmengen wachsen – beispielsweise weil viele Daten heute nicht mehr über die Tastatur eingegeben werden. Aus Zeitgründen werden entsprechende Seiten immer häufiger gescannt und als Bild übersandt. Die Umrüstung auf Inmarsat Broadband ergab für die Reederei Börchers zufolge eine Reduktion der Kosten pro Megabyte (MB) von zuvor ca. 100 $ auf nur noch ca. 15 US $, wodurch sich die Investition in weniger als neun Monaten amortisierte. Der Datenaustausch mit den Forschungsschiffen erfolgt mit VSAT (Very Small Aperture Terminal). Eine Anwendung von UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) findet aufgrund der unübersichtlichen Durchleitungsgebühren (Roaming) nicht statt.

Unter den rund 130 von Briese betreuten Schiffen (Abb. 4) befinden sich auch fünf Forschungsschiffe, die aufgrund des immensen Datenverkehrs eine sehr aufwendige apparative Ausstattung benötigen. Während bei den typischen Frachtschiffen pro Monat rund 20 bis 30 MB anfallen, entsteht auf den Forschungsschiffen ein Kommunikationsdatenvolumen von rund 80 bis 100 Gigabyte, weil neben dem üblichen schiffsbetrieblichen Informationsaustausch viele Daten aus wissenschaftlichen Untersuchungen übermittelt werden.

Eine Brücke ins Internet

In einem weiteren Vortrag skizzierte Martin Thomas Reincke als heutiger Betreiber von Kiel Radio zunächst dessen Entwicklungsgeschichte. Kiel Radio war seit 1946 eine Küstenfunkstelle, wurde 1994 abgeschaltet und 1999 wieder aktiviert. Heute hat es im Kieler Innovations- und Technikzentrum (KITZ) seinen Sitz. Die unter dem alten Rufzeichen DAO zu erreichende Station Kiel Radio (Abb. 5) ermöglicht Schiffen, die diesen Service nutzen, auf hoher See über Kurzwelle z.B. auch E-Mails zu verschicken sowie Wetterberichte abzufragen. Auch die weltweite Schiffsverfolgung (Fleettracker) ist eine Dienstleistung von Kiel Radio.

Im Rahmen einer Übersicht zu den verschiedenen Kommunikationssystemen auf Seeschiffen ging Reincke neben den technischen Informationen auch auf die Kosten (Investitions- und Betriebskosten) sowie die Vor- und Nachteile der Systeme ein (Abb. 6). So kostet die Übertragung einer DIN-A4-Seite mit Inmarsat C rund 10 $. Andererseits wurde verdeutlicht, dass das Kommunikationssystem VSAT nicht standardisiert ist und anspruchsvolle Anlagen Investitionskosten um 100.000 $ und mehr verursachen. Einfache Anlagen dieses Systems sind dagegen schon für etwa 15.000 $ zu haben (SES ASTRA S.A. mit 15 aktiven geostationären Fernseh- und Kommunikationssatelliten). Die Nachteile des Iridium-Dienstes wiederum, der nicht-geostationäre Satelliten nutzt, sind vom Prinzip verur­sacht und treten beim Wechsel der den Satelliten zugeordneten Funkzellen auf. Dann bricht die Verbindung häufig zusammen und die Daten sind mit dem nächsten Satelliten erneut zu übertragen. Das Thuraya-Satellitensystem basiert auf drei geostationären Satelliten, weshalb die Netzabdeckung auf Europa, Nord- und Zentralafrika, den Nahen Osten, Zentralasien und auf den indischen Subkontinent sowie Australien beschränkt ist. Globalstar ist ein Satellitenkommunikationsnetz mit 48 umlaufenden Satelliten ähnlich dem Iridium-Netz, deckt jedoch nicht die Polkappen ab, zudem gibt es auch auf hoher See Lücken. Abschließend führte Reincke die Anforderungen der IT auf Schiffen auf, wie u. a. E-Mail, Datendienste, Wetterinformationen, Netzwerke, Virenschutz sowie Backups, beschrieb die jeweiligen Hindernisse und stellte den Schiffsserver ELSE vor. Da die weltweite E-Mail-Nutzung für die Besatzungsmitglieder aller Schiffe demnächst verbindlich wird, so sein Fazit, sei eine rasant wachsende IT-Verbreitung in der Schifffahrt zu erwarten.

Fernüberwachung von Schiffen

Henrik Alfke von der Firma Interschalt Maritime Systems sprach anschließend über das seit 2008 durchgeführte Forschungs- und Entwicklungsprojekt SEMICS (Smart Electronic Maritime Information and Communication System). Dessen Ziel war der Aufbau einer Intranetplattform, um administrative Aufgaben an Bord digital bearbeiten zu können. Acht Partner waren daran beteiligt, es wurde von Beluga koordiniert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 3,1 Mio. € gefördert (Mehr Informationen unter http://www.pt-it.pt-dlr.de/_media/SEMICS_Infoblatt.pdf). Das Projekt fand durch die Beluga-Insolvenz im Mai 2011 ein vorzeitiges Ende, wurde von Interschalt im Vorhaben Bluetracker (Abb. 7) weitergeführt und im Juni 2011 durch die Installation auf einem Testschiff abgeschlossen.

Alfke zeigte u. a. die Erfassung der technischen und nautischen Daten auf, die über geeignete Schnittstellen aus verschiedenen Systemen wie Voyage Data Recorder, Ladungsrechner, Tankinhaltserfassung, Automationssystem sowie dem Diagnose- und Instandhaltungssystem entnommen und an Bord in Datenbanken abgelegt werden. Sie werden später an Land übermittelt und sind von der nautischen und technischen Inspektion der Reederei webbasiert nutzbar (Abb. 8). Zur Datenübertragung werden breitbandige unterbrechungstolerante Kommunikationssysteme (z.B. VSAT) empfohlen. Um die Funktionsweise von Bluetracker zu verdeutlichen, stellte Alfke über das Internet eine Verbindung zur entsprechenden landseitigen Datenbank her und demonstrierte die grafische Darstellung der gemessenen Motorabgastemperaturen des Testschiffes über vier Tage. Anschließend blendete er die Daten zum Brennstoffverbrauch und die Schiffsgeschwindigkeit über diesen Zeitraum in die Grafik ein.

Potenzial von Augmented Reality

Im letzten mit Unterstützung vom Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung (IGD) in Rostock entstandenen Vortrag wurde das Auditorium von Prof. Dr. Reinhard Koch vom Institut für Informatik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in die Zukunft entführt (Abb. 9). Unter Augmented Reality (AR), also der »erweiterten Realität«, wird eine Ergänzung der Realitätswahrnehmung verstanden, die in der Regel mit computergestützten Systemen ermög­licht wird. Diese innovative Technologie wird bereits in Teilbereichen der Automobilindustrie und der Architektur eingesetzt.

Bei sehr komplexen Aufgaben und Arbeiten kann es hilfreich sein, virtuelle Daten oder Abbildungen in die betrachtete oder zu bearbeitende Umwelt einzublenden. Ob sich der nicht unerhebliche Aufwand lohnt, ist für die jeweilige Applikation kritisch zu bewerten (Abb. 10). Bezogen auf die Schiffstechnik hat die Flensburger Schiffbaugesellschaft Augmented Reality bei der Fertigungsplanung erprobt. Von MAN Diesel & Turbo ist die Eignung dieser Methode bei Umbauprojekten für Schiffsantriebsmotoren (Retrofit) untersucht worden. Bei weitergehenden Anwendungen könnten zum Beispiel beim Umbau einer komplexen Dieselmotorenanlage im engen Maschinenraum eines schnellen Fährschiffes durch die Anzeige von Zusatzinformationen Motorbauteile »beschriftet« werden. Dabei würden Monteure oder Schiffsingenieure durch eine spezielle Brille Anweisungen für komplizierte Arbeitsvorgänge bekommen.

Wissensaustausch

Am Ende der Tagung suchten Anwender aus Reedereien, Häfen, Werften und Zulieferern das Gespräch mit IT-Experten. Angeregt durch die Vorträge wurden viele Fragen zur Informationstechnologie in den eigenen Unternehmen angesprochen, mögliche Lösungen skizziert und Optimierungen diskutiert. Dabei ergaben sich innovative Ideen, deren Realisierung besonders den Reedereien, aber auch den Werften und der Zulieferindustrie großen Nutzen verspricht. Gemeinsam wurde überlegt, wie diese Ideen praktisch umgesetzt und welche Hilfestellungen seitens des Maritimen Clusters vor Ort eingebracht werden können.


Karl-Heinz Hochhaus