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Unter dem Aspekt der Bürgerkriegsökonomie und Gewaltmärkte ordnet Udo Sonnenberger den Einsatz privater Sicherheitsdienstleister gegen Piraterie am Horn von Afrika ein

Die Angriffe im Seegebiet am Horn von Afrika setzten sich auch in der zweiten Jahreshälfte 2011 unvermindert fort. Die Summe[ds_preview] der geglückten Kaperungen ist zwar rückläufig, das Vorgehen der Piraten aber immer aggressiver und entschlossener. Zahlreiche Reedereien setzen bereits private Sicherheitsteams an Bord ihrer Handelsschiffe ein. Teilweise wird dies von staatlicher Seite legitimiert, teils bewegen sie sich in einer rechtlichen Grauzone. Die tagesaktuellen Berichte vermelden die ersten erfolgreichen Abwehrmaßnahmen, bei denen es auch zum Einsatz von Schusswaffen kam. Entsprechende Hinweise legen den Schluss nahe, dass es schon seit längerer Zeit im Seegebiet vor Somalia auch tödlichen Waffeneinsatz durch private Sicherheitsdienstleister gegen somalische Piraten gibt.

Die ausschlaggebenden Binnenfaktoren, die ausgerechnet diese Region zum Hotspot der globalen Piraterieaktivitäten gemacht haben, müssen zu nachhaltigen Strategien führen, die weit über eine Bekämpfung der Auswirkungen hinausgehen. Die einhellige Forderung, dass Problem an seiner Wurzel zu packen, impliziert, dass mit dem Einsatz von staatlichen und nunmehr auch privaten Gewaltakteuren nur Zeit für die Entwicklung weiterer Handlungsstrategien »er­kauft« werden kann. Die Verschiebung des Gewaltmonopols zugunsten privater Akteure am Horn von Afrika schuf über einen Zeitraum von über zwei Jahrzehnten nahezu idealtypische Voraussetzungen für die Entstehung von Piraterie.

Ursachen und Gunstfaktoren

Mag die Situation in Somalia für externe Betrachter anarchisch und zuweilen irrational wirken, sie weist eine Struktur auf: Das Scheitern, respektive der Zerfall eines Staates führt eben nicht zur Unordnung, das ursprünglich staatliche Primat wird lediglich durch eine von privaten Akteuren bestimmte Ordnung ersetzt.

Nach der Typisierung des deutschen Soziologen Georg Elwert handelt es sich um einen sogenannten Gewaltmarkt. Gewalt wird in diesen Gesellschaften nicht geächtet, sondern zweckrational angewendet. Sie ist kein unnötiger wirtschaftlicher Kostenfaktor, sondern essenziell, um durchsetzungsfähig und erfolgreich zu sein: »Gewaltmärkte sind (…) Konflikte, bei denen unter der Oberfläche weltanschaulicher und machtpolitischer Ziele oder vorgeblich traditionell bestimmter Kampfverpflichtungen das ökonomische Motiv des materiellen Profits dominiert.«

Die wirtschaftlichen und militärischen Eliten eines Landes haben kein Interesse an einem Ende der kriegerischen Gewalt. Händler verdienen am Handel mit Waffen, Treibstoff, Rauschmitteln und Luxusgütern. Warlords und ihre Söldner profitieren von Schutzgelderpressung und Raub. Eine weitere Verschärfung erfährt diese Entwicklung dadurch, dass Gewaltmärkte und Bürgerkriegsökonomien reguläre Wirtschaftszweige zunächst zurückdrängen und schließlich in Gänze ausschließen.

Elwert beschreibt zusätzlich die notwendige Voraussetzung für »gewaltoffene Räume«, also Gebiete, die sich einer staatlichen Kontrolle entziehen. Das ursprünglich staatliche Gewaltmonopol geht auf private Akteure über. Kodifizierte Gesetze, wann Gewaltanwendung erlaubt ist, entfallen damit. Trotzdem entstehen Regeln, denen immer der Gedanke ihrer Zerbrechlichkeit innewohnt. Jeder Akteur denkt auch an die Unzuverlässigkeit seines Handelspartners. Gleichzeitig entsteht eine sich selbst stabilisierende Wechselbeziehung: Die wirtschaftlichen Interessen der Akteure vergrößern die gewaltoffenen Räume.

Umgekehrt führt die fehlende staatliche Ordnung zur besseren Verwirklichung krimineller Geschäfte. Kein Akteur kann sich auf eine Rolle beschränken: Der Händler muss immer in der Lage sein, auch Gewalt anzuwenden, um fehlende Verlässlichkeit oder Vertragsbruch seines Handelspartners zu sanktionieren. Die Entscheidung, ob man für den erfolgreichen Abschluss eines Geschäfts handelt oder Gewalt anwendet, ist auf einem Gewaltmarkt prinzipiell offen und nicht von moralischen oder normativen Kriterien beeinflusst.

Piraterie als »Geschäftszweig« mit externer Dimension

Ordnet man die Piraterie am Horn von Afrika in diese komplizierte Gemengelage ein, stellt auch die Entführung von Schiffen und ihren Besatzungen in der Theorie der Gewaltmärkte ein rationales marktwirtschaftliches Handeln dar, bei dem die Anwendung von Gewalt geboten ist. Diesen zusätzlichen wirtschaftlichen Kosten steht eine im Verhältnis außerordentlich hohe Aussicht auf Profit entgegen. In der englischsprachigen Literatur, die sich schon deutlich länger der wissenschaftlichen Bearbeitung des Themas widmet, wird Piraterie als »low-risk crime« klassifiziert. Nur wenn die Summe aller äußeren Bedingungen den potenziellen Tätern günstige Erfolgschancen bietet, kommt es zu einer Tatausführung.

Die Lösegeldzahlungen haben sich in den vergangenen Jahren signifikant erhöht. So waren 2005 noch Lösegelder um etwa 150.000 US$ üblich. 2009 waren es bereits geschätzte 3,4 Mio. US$. 2010 waren gar Einzelzahlungen von 5,4 Mio. US$ an der Tagesordnung. Im April 2011 wurde für die Freigabe eines griechischen Tankers sogar 13,5 Mio. US$ gezahlt.

Wie sichern die somalischen Piraterienetzwerke in einem solchen System ihre Gewinne? Zum einen ist jeder Akteur auf seinen eigenen Schutz angewiesen. Er muss also stets einen großen Teil seiner Gewinne für Söldner und Waffen aufwenden. So gab der Warlord Aidid 1994/1995 allein 40.000 US$ Sold pro Woche für seine Milizen aus. Zugleich ist eine langfristige Geldanlage in Somalia kaum möglich. Gefragt sind vor Ort zunächst Konsumgüter, Drogen und Waffen für die eigenen Milizen. Die Kosten für die Söldner, die als Piraten rekrutiert und eingesetzt werden, sind dabei vergleichsweise gering. Man geht von einer Bezahlung im niedrigen vierstelligen Dollarbereich für einen erfolgreichen Einsatz aus. Nichtsdestotrotz bedeutet auch diese Summe einen großen Wohlstandszuwachs und entsprechenden Anreiz in den somalischen Küstenregionen.

Für die langfristige Wertanlage sind sichere Gebiete für einen Entrepot-Handel notwendig. Moderne Piraterie ist ein transnational organisiertes Verbrechen. Die eigentliche Durchführung des Angriffs stellt lediglich den Abschluss einer langen Kette von vorhergehenden organisatorischen Maßnahmen dar. Auch die Abwicklung der Verhandlungen und Lösegeldübergaben sowie die anschließende Verteilung an alle Beteiligten setzen entsprechende Strukturen voraus.

So gibt es Anhaltspunkte, dass Gelder, die nicht vor Ort in Waffen, Konsumgüter oder für Personalaufwendungen benötigt werden, über Mittelsmänner in den Arabischen Raum, Indien oder sogar nach Europa transferiert werden. Eine erfolgreiche Verschleierung der illegalen Herkunft dieser Beträge macht sogar einen Rückfluss in den regulären Finanzkreislauf, also Geldwäsche möglich. Die somalischen Kriegsherren sind somit auf die Nutzung illegaler globaler Handels- und Finanznetzwerke und die Mitwirkung auswärtiger Geschäftspartner angewiesen. Anderseits erschwert das sogenannte »Hawala-System« zusätzlich eine wirksame Kontrolle. Es basiert auf persönlichen Beziehungen und Bargeldtransfers zu den zahlreichen Exil-Somalis in aller Welt, da es in Somalia kein funktionierendes Bankenwesen gibt.

Bezieht man die dargestellten Faktoren neben den eher juristischen und praktischen Begleitumständen in die Überlegungen über Pirateriebekämpfung ein, wird deutlich, dass innerhalb Somalias bestimmende interne Gewaltakteure regelmäßig kein Interesse an Kooperation oder gar der Beendigung ihrer Handlungen haben. Sie agieren als Störenfriede, weil sie nur so lange Profiteure sind, wie ein gewaltsamer Konflikt andauert. Sie werden aktiv und unter Einsatz von Gewalt ihre Geschäftsgrundlage verteidigen.

Dabei ist die persönliche Bereicherung nicht das einzige Motiv: Ihrer Gefolgschaft und damit ihrer persönlichen Sicherheit in dieser Bürgerkriegsgesellschaft können sie sich nur so lange sicher sein, wie sie in der Lage sind, ihre Söldner zu bezahlen. Ideelle oder religiöse Motive sind entweder gar nicht vorhanden oder dienen nur der vordergründigen Legitimation.

Zusätzlich steht ihnen – aufgrund der Not eines überwiegenden Teils der Bevölkerung – ein schier unerschöpfliches Reservoir willfähriger Söldner zur Verfügung. Sie können sich zudem auf internationale Netzwerke stützen, die trotz bestehender Embargos sowohl Waffen und andere Güter nach Somalia, als auch Lösegelder heraus transferieren und dabei ebenfalls finanziell profitieren. Verschärft wird die Situation dadurch, dass die meisten Nachbarstaaten ebenfalls von schwacher Staatlichkeit und Gewaltmärkten betroffen sind.

Private Sicherheitsdienstleister: zusätzliche externe Gewaltakteure

Zu den internen privaten Gewaltakteuren und den im Rahmen der Anti-Pirateriemissionen vor Ort befindlichen externen staatlichen Kräften gesellt sich nun ein weiterer privater Akteur in Form der privatwirtschaftlich organisierten Sicherheitsteams. Auch die privaten Sicherheitsfirmen haben keine Ambitionen, eine dauerhafte Lösung herbeizuführen, sie werden dafür bezahlt, lediglich das Schiff ihres Auftraggebers zu schützen. Weder ist es ihr Auftrag, noch haben sie die nötige Ausbildung und Stärke, weitergehende Maßnahmen zu ergreifen. Der nun stark expandierende Markt maritimer Sicherheitsdienstleistungen hat ein wirtschaftliches Interesse an einem Fortbestand ihrer Geschäftsgrundlage. Die Folge ist möglicherweise die dauerhafte Etablierung einer entstaatlichten Gewaltausübung zwischen Piraten einerseits und privaten Sicherheitskräften anderseits. Es ist wahrscheinlich, dass zukünftig die Profiteure und Auftraggeber der Piraterieaktivitäten bereit sind, ihre Investitionen in eine verbesserte Bewaffnung weiter zu vergrößern und mehr Personal zu rekrutieren, um ihren Geschäftsbereich nicht aufgeben zu müssen. Die zunehmende Brutalität, mit der die somalischen Piraten derzeit vorgehen, untermauert diese Annahme. Schilderungen von Seeleuten deuten daraufhin, dass die angreifenden Piraten grundsätzlich zunächst das Feuer auf die Brücke eröffnen, um dadurch festzustellen, ob ein bewaffneter Schutz vorhanden ist. Dieser so genannte »Zweitrundeneffekt« ist hinsichtlich der Bewaffnung und Vorgehensweise deutlich erkennbar, wenn die Entwicklung der letzten Jahre berücksichtigt wird. Sowohl auf Seiten der betroffenen Reeder als auch der eingesetzten Sicherheitsteams wird ebenfalls verstärkt in bessere Schutz- und Abwehrmaßnahmen investiert.

Damit droht wiederum ein sich selbst stabilisierendes System, eine Art »Rüstungswettlauf«. In diesem Fall steigen die wirtschaftlichen Kosten sowohl auf Seiten der Piraten und deren Hintermännern, als auch bei den Reedern. Angesichts der ­enormen Gewinnspannen dürfte zumindest auf Seiten der Schiffsentführer im Erfolgsfalle »die Rechnung weiterhin aufgehen«. Für die Reeder steigt der allgemein vorhandene Kostendruck durch das teure Engagement von Sicherheitsteams weiter. Diese Entwicklung wäre nur dann akzeptabel, wenn sie dazu beiträgt, die geschilderte Dynamik innerhalb der somalischen Bürgerkriegsökonomie zu bremsen. Es wäre jedoch unrealistisch, dadurch einen Zustand zu erwarten, der über jenen Status Quo hinausgeht, der vor der Eskalation der Piraterie um 2008 herausginge.

Es wäre also entscheidend, dass die Handelsschifffahrt über einen langen Zeitraum hinweg fähig ist, sowohl passive als auch aktive Gegenmaßnahmen aufrechtzuerhalten. Zumindest ein Gunstfaktor, nämlich das Verhältnis zwischen Aufwand und zu erwartendem Gewinn, würde sich zum Nachteil der Piraten verschieben. Dabei ist weniger die Abschreckung der Ausführenden, sondern vielmehr der »Finanziers« im Hintergrund ausschlaggebend.

Gleichzeitig muss sich die Bundesregierung vergegenwärtigen, dass sie eine hoheitliche Aufgabe, der sie sich verpflichtet hat, teilweise aus der Hand gibt: Es gilt: »angesichts der maritimen Abhängigkeit Deutschlands angemessen Vorsorge (…) zu treffen. Der Marine kommt beim Schutz (…) der Seeverbindungslinien Deutschlands und seiner Verbündeten eine besondere Verantwortung zu.« Auch in den verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 wird dieser Anspruch bekräftigt. Innerhalb eines außerordentlich intransparenten Konfliktes werden Firmen beauftragt, die sich trotz entsprechender Zertifizierung schwerlich so lückenlos kontrollieren lassen wie staatliche Exekutivorgane. Kritisch zu hinterfragen ist dabei auch, dass es bisher noch keine Ansätze gibt, für die Reeder zumindest einen finanziellen Ausgleich zu schaffen.

Ausblick

In 2012 könnte es gelingen, dass durch den fortdauernden Einsatz von Marineverbänden und dem Engagement privater Teams an Bord der Handelsschiffe zumindest die Summe der erfolgreichen Kaperungen weiterhin rückläufig sein wird. Die­se Maßnahmen würden dazu führen, dass einerseits das Risiko für die Piraten und die Hintergrundstrukturen zunehmen. Gleichzeitig sinkt dadurch die Erfolgsquote und damit die Summe der gezahlten Lösegelder. Der Zweitrundeneffekt würde an Dynamik verlieren und ein Geschäftsfeld der Bürgerkriegsökonomie Somalias dadurch reduziert werden. Dabei eröffnet dieser möglicherweise eintretende, partielle Erfolg lediglich den Handlungsspielraum für weiterreichende Maßnahmen, die zwangsläufig auch das somalische Festland betreffen müssen. Es geht um nicht weniger als die Stabilisierung des gesamten Konfliktherdes Ostafrika, um auf lange Sicht den Gordischen Knoten aus der Failed-State-Problematik, Bürgerkriegsökonomie und den damit verbunden Gewaltmärkten zu zerschlagen. Alle Faktoren stehen dabei in einem direkten funktionalen Zusammenhang und bedürfen einer gemeinsamen Herangehensweise. Der Maßnahmenkatalog für die Beseitigung von Gewaltmärkten und Bürgerkriegsökonomie hört sich angesichts der Zustände am Horn von Afrika derzeit unrealistisch an: Erstens bedarf es einer Auszehrung sämtlicher Ressourcen innerhalb Somalias, der sich die Warlords bedienen können. Zusätzlich sind sämtliche Nachschubrouten für Waffen und der Zugang zu den transnationalen Finanznetzwerken von außen zu blockieren. Angesichts der ohnehin schon dramatischen Situation der somalischen Bevölkerung würde diese Option wohl mit einer humanitären Katastrophe noch größeren Ausmaßes einhergehen.

Auch eine Verhandlungslösung innerhalb des ehemaligen somalischen Staatsgebietes erscheint ambitioniert. Angesichts der manifestierten und gewaltsamen Clanstrukturen ist es schwierig, konziliante und kompromissbereite Verhandlungspartner zu identifizieren, weil die meisten von ihnen bei einer Friedenslösung ausschließlich Nachteile befürchten. Das »Abkaufen« einer Zustimmung dürfte angesichts der derzeitigen Gewinne und zahlreichen Kriegsparteien derart teuer sein, dass es abwegig erscheint. Eine militärische Intervention scheint ebenfalls international nicht konsensfähig zu sein, zumal sie keinen »positiven Frieden« herstellen kann, dient sie doch lediglich dazu, Kampfhandlungen soweit zu unterbinden, dass ein umfassender Friedensprozess implementiert werden kann. Westliche Staaten sind zudem wegen der leidvollen Erfahrungen Anfang der 1990er Jahre wohl kaum bereit, sich erneut direkt zu engagieren. Die derzeitigen Truppen der Afrikanischen Union sind wegen ihrer Unterlegenheit zur Passivität innerhalb Mogadischus verdammt. Auch ein Aufstocken dieser Verbände birgt die Gefahr, dass sich die Truppen wie auch an anderen afrikanischen Kriegsschauplätzen durch den Verkauf von Waffen und Ausrüstung an der Bürgerkriegsökonomie beteiligen.Dabei ist es notwendig, alle dargestellten lokalen Akteure von der jahrzehntelang etablierten »Kultur der Gewalt und des Krieges« abzubringen. Gleichzeitig muss die Verbindung raumfremder Interessen mit den Konfliktlinien vor Ort gekappt und das sich selbst stabilisierende System der Gewaltmärkte und Bürgerkriegsökonomie beendet werden. Diese Maßnahmen müssen mit einer Beteiligung der Nachbarstaaten Äthiopien, Kenia und Dschibuti und unter Berücksichtigung der jeweiligen Partikularinteressen einhergehen. Die privaten Sicherheitsdienstleister können innerhalb dieses komplexen Konfliktes nur einen kleinen Teil beitragen, indem sie die Piraterie gemeinsam mit den eingesetzten Marineeinheiten auf ein »erträgliches« Maß beschränken.

Dipl.-Pol. Udo Sonnenberger