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Im zweiten Teil der vierteiligen HANSA-Serie über deutsche Offshore-Häfen geht es diesmal um die Ostsee. Viele Häfen dort erhoffen sich vom Ausbau der Windenergie auf hoher See ein neues Geschäftsfeld.

Von den derzeit 29 genehmigten Offshore-Windparks in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) sollen zwar nur drei in der Ostsee[ds_preview] gebaut werden, doch befinden sich mehrere weitere im Genehmigungsverfahren. Hinzukommt, dass die meisten Hafenstandorte über ihre ange­strebte Funktion als Basis- oder Servicehafen hinaus auch als Produktionsstandorte sowie als Import- und Exporthäfen infrage kommen. Es ist daher davon auszugehen, dass künftig auch an

der Ostseeküste vermehrt Komponenten für Windparks in der Nordsee oder in anderen Ländern umgeschlagen werden.

Der einzige Windpark, der aktuell schon in der Ostsee steht, ist »EnBW Baltic 1«. Er befindet sich innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone und ist vor genau einem Jahr offiziell in Betrieb genommen worden. Die Komponenten, die nicht in den dänischen Häfen Nyborg und Aarlborg verladen wurden, sind allesamt über den Hafen in Ros­tock gegangen. Das nächste Großprojekt in der deutschen Ostsee ist »EnBW Baltic 2«: Baubaubeginn soll hier im Sommer 2012 sein. Basishafen ist der Fährhafen Sassnitz, der sich bereits seit einiger Zeit auf die kommenden Aufgaben vorbereitet. Die Ausbauarbeiten auf dem Hafengelände in Sassnitz-Mukran sollen rechtzeitig zum Projektstart abgeschlossen werden. Auch andere Ostseehäfen haben bereits vereinzelt Erfahrungen mit dem Umschlag von Windenergie-Komponenten gesammelt.

Eine im vorigen Jahr veröffentlichte Studie, die die Landeswirtschaftsfördergesellschaft »Invest in MV«, das Wind Energy Network und die Logistikinitiative Mecklenburg-Vorpommern beim Dienstleister GL Garrad Hassan (GLGH) in Auftrag gegeben hatten, kommt zu dem Ergebnis, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern und seine Häfen langfristige Perspektiven im Offshore-Bereich haben. In einem Kostenmodell werden aus dem Blickwinkel der unterschiedlichen Produktionsstandorte Mecklenburg-Vorpommerns einerseits und der deutschen Nordsee beziehungsweise der Ostküste Großbritanniens andererseits die Bau- und Logistikkosten für einen Offshore-Windpark in der Irischen See verglichen: Wegen der großen Entfernung wird dieser Fall als »Worst-Case-Szenario« angenommen. Unter dem Strich kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die vermeintlich höheren Logistikkosten durch die entfernte Lage an der Ostsee im Verhältnis zu den Gesamtprojektkosten relativ gering seien – vielmehr würden die bereits vorhandene Zuliefererstruktur sowie moderate Flächenpreise und Hafengebühren für aussichtsreiche Wettbewerbsvorteile sorgen.

Den Häfen des Landes wird empfohlen, sich um die Ansiedlung von neuen Produktionsstätten zu bemühen und noch mehr ausreichend große Flächen für derartige Ansiedlungen zur Verfügung zu stellen. Viele Arbeiten für Windparks könnten direkt vom Gelände der Hersteller ausgeführt werden, heißt es. In der folgenden Übersicht werden alle Ostseehäfen näher beleuchtet, die im Offshore-Hafenatlas des Zentralverbands der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) aufgeführt sind. Einige Daten sind daraus übernommen.

Kiel

Ein wichtiges Geschäftsfeld für die Zukunft sieht der Kieler Hafen in der Offshore-Windenergie. Schon heute werden bei den dort ansässigen Werften Großkomponenten für die Windparks in der Ostsee gefertigt. »Mit dem Ausbau der Offshore-Windenergie wird die Umschlagmenge im Hafen langfristig ansteigen«, meint Dr. Dirk Claus, Geschäftsführer des Hafenbetreibers Seehafen Kiel. »Wir erwarten einen Ausbau unserer Schwergutkapazitäten, die derzeit in erster Linie für unsere Verkehre nach Osteuropa genutzt werden.« Darüber hinaus erhoffe er sich von dem neuen Geschäftsfeld positive Effekte auf Wertschöpfung und Beschäftigung.

Aktuell stehen etwa 4,2 ha freie und schwerlastfähige Fläche für Unternehmens­ansiedlungen, Vormontage und Zwischenlagerung zur Verfügung. Neben dem Ankauf dieser Erweiterungsfläche am Ostuferhafen hat die Seehafengesellschaft dort unter anderem in einen 140 t tragenden Hafenmobilkran investiert. Ein Erweiterungsprojekt über 35 ha ist ferner in Planung: Im Zuge des Abzugs des Marinefliegergeschwaders wird geprüft, ob auf dem Westufer der Kieler Förde Unternehmen aus der Offshore-Windenergiebranche angesiedelt werden können. Dass Kiel Basishafen für Jack-up-Schiffe werden könnte, ist derzeit nicht abzusehen. Man positioniere sich in erster Linie als Produktionsstandort für Komponenten sowie als Logis­tikdrehscheibe für die Offshore-Industrie, erläutert Claus.

Derzeit sind mehrere Firmen mit ­Geschäftstätigkeit im Offshore-Bereich im Einzugsbereich von Kiel ansässig: unter anderem Abu Dhabi Mar, Knierim und Windpark Heliflight. Winkraftan­lagen werden im Hafen, der eine Wassertiefe von bis zu 11,5 m hat, regelmäßig umgeschlagen, allerdings bislang hauptsächlich für den Onshore-Bereich. Im Offshore-Bereich sieht die Seehafen­gesellschaft künftige Einsatzmöglichkeiten vor allem bei den Windparks in der deutschen und dänischen Ostsee. Über den Nord-Ostsee-Kanal könnten jedoch auch die Nordsee-Windparks erreicht werden.

Lübeck

Der Lübecker Hafen hat sich in Sachen Offshore-Wind ebenfalls Einiges vorgenommen. »Wir haben die Absicht, der größte Offshore-Hafen an der deutschen Ostseeküste zu werden«, sagt Rolf Klein von der Lübecker Hafen-Gesellschaft (LHG). Sobald der Bau von Windparks in die heiße Phase gehen werde, stünden ­Flächen von bis zu 35 ha bereit. Darüber hinaus positioniere man sich bereits als ­Hafen für die Entwicklung, Produktion und Verschiffung von Großkomponenten der Offshore-Industrie.

Aus der Branche haben sich bislang unter anderem die Firmen Vestas Nacelles, LMG und ­DeWind in Lübeck angesiedelt. Grundsätzlich sind rund um die Mündung der Trave alle Terminals schwerlastfähig und bei einer Wassertiefe von 9,50 m für entsprechende Aufgaben nutzbar: Angesichts des Flächenangebots, der zur Verfügung stehenden Liegeplätze und der Nähe zur Ostsee bieten sich allerdings insbesondere der Skandinavienkai mit einer maximalen Kailänge von rund 600 m sowie die Umschlagflächen des Hafenbetriebs Lehmann am nördlichen Trave-Ufer an. Auf dem Skandinavienkai werden schon jetzt Turmsegmente, Generatoren und Flügel zwischengelagert und in beide Richtungen verschifft. Für die Ansiedlung weiterer Unternehmen stehen dort etwa 5,3 ha planfestgestellte Gewerbefläche zur Verfügung. Planfeststellungsbeschlüsse liegen außerdem für eine 16 ha große Hafenerweiterungsfläche vor.

Die verkehrsgünstige Lage an den Autobahnen A1 und A20 sowie am Elbe-Lübeck-Kanal sorgt dafür, dass auch die Offshore-Windparks in der Nordsee von der Hansestadt aus zu erreichen sind. In erster Linie haben die LHG und die Wirtschaftsförderung Lübeck jedoch die Ostsee-Windparks im Blick. Aufgrund seiner größeren Entfernung versteht sich der Lübecker Hafen hier als »Backup« für die Service- und Wartungshäfen in Mecklenburg-Vorpommern. Für die Errichtungsphase könne man aber eine sinnvolle logistische Alternative bieten, betont Jan Herzberg von der Wirtschaftsförderung Lübeck. Weitere Investitionen sind geplant – unter anderem sollen die Gewerbeflächen ausgeweitet werden. Zudem soll im Norden des Skandinavienkais ein zusätzlicher Güterbahnhof entstehen

Wismar

Der Seehafen Wismar arbeitet derzeit an der Erweiterung seiner Hafenanlagen und kann seit Abschluss des ersten Bauabschnitts im vorigen Jahr auch der Offshore-Branche eine zusätzliche Fläche von 10.000 m² sowie eine umstrukturierte Kaianlage vorhalten. In einem zweiten Bauabschnitt soll ab 2013 unter anderem die Fahrrinne von 9,5 m auf 11,5 m vertieft werden. Insgesamt stehen in Wismar Flächen von 60 ha für die Ansiedlung von Unternehmen, 2 ha für die Vormontage und 3 ha zur Lagerung von Komponenten zur Verfügung.

Zur Optimierung des Serviceangebots im Marktsegment Projektladungen ist in Wismar die Straßenhinterlandanbindung ausgebaut worden: Dafür sind drei Knotenpunkte entlang der Fahr­strecke vom Autobahnkreuz A20/A14 zum Hafen baulich modifiziert worden. »Großvolumige Schwerguttransporte, zum Beispiel Rotorblätter mit einer Länge von bis zu 60 m, können jetzt barrierefrei auf der ausgebauten Tangente befördert werden«, sagt Seehafen-Geschäftsführer Michael Kremp. Die notwendige Infrastruktur sei vorhanden, um als Produktions-, Reaktions- oder auch Versorgungshafen in den Offshore-Sektor einzutreten.

Für den im Hafen angesiedelten Windkraftanlagenhersteller Kenersys Europe sind bereits zahlreiche Maschinenhäuser und Flügel umgeschlagen worden. Der Komponentenhersteller Hanse Drehverbindungen wird im Juni seine Produktion in Wismar aufnehmen, und nicht zuletzt profitiert auch der Schiffbauer Nordic Yards massiv vom Ausbau der Offshore-Windenergie. Mittlerweile haben die beiden Nordic-Werften in Wismar und Warnemünde drei Großaufträge für den

Bau von Offshore-Konverterplattformen an Land gezogen.

Da der Werftstandort in Wismar über eine sehr hohe und breite Fertigungshalle verfügt, regt die oben erwähnte Offshore-Studie von GL Garrad Hassan ferner an, in die Herstellung und Montage von Jacket-Fundamenten einzusteigen. Hier biete sich eine Zusammenarbeit mit einer bestehenden Produktionseinrichtung zum Schweißen von Gas-Pipelines in Sassnitz an, wo man angesichts der technischen Ausstattung ebenfalls in das neue Geschäftsfeld expandieren könne. Ein erster Gedankenaustausch über eine solche Zusammenarbeit habe bereits stattgefunden, so Wismars Hafenchef Kremp. Konkrete Ergebnisse gebe es allerdings noch nicht.

Rostock

Einer der wenigen deutschen Häfen, die bereits konkrete Erfahrungen mit der Errichtung von Offshore-Windparks haben, ist der in Rostock: Von dort sind für »EnBW Baltic 1« mehrere Fundamente, die aus Köln über Rotterdam gelieferten Seekabel sowie die in Bremerhaven produzierte Umspannstation verschifft worden. Darüber hinaus sind in Rostock bislang Rotoren, Flügel und Transition Pieces umgeschlagen worden. Noch spiele der Geschäftsbereich aber zumindest mengenmäßig eine eher nachgeordnete Rolle, sagt Dr. Ulrich Bauermeister, Geschäftsführer der Hafen-Entwicklungsgesellschaft Rostock. Vom Ausbau der Offshore-Windenergie erhoffe er sich die Sicherung und den Ausbau von Arbeitsplätzen sowie eine Steigerung des noch geringen Umschlagsvolumens in diesem Bereich. Um das zu erreichen, sei die Ansiedlung verschiedener Komponentenhersteller intensiviert worden.

Ab 2016 soll in Rostock die Fahrrinne von 14,5 m auf 16,5 m vertieft werden. Im gesamten Hafen sind 46 Liegeplätze vorhanden, wobei das Aufjacken von Installationsschiffen laut Hafen-Entwicklungsgesellschaft nach Einzelfallprüfung möglich ist. Allerdings rechne man eher nicht damit, dass künftig die großen Errichterschiffe den Hafen anlaufen, heißt es: Man sehe sich vor allem als Standort für Großkomponenten-Hersteller.

Schwerlastfähigkeit ist gegeben, verfügbare Gewerbeflächen für die Ansiedlung von Unternehmen sind vorhanden. Flächen für Vormontage und Lagerung sollen bei Bedarf kurzfristig disponiert werden.Zu den Akteuren aus der Windbranche, die in Rostock ansässig sind, gehören der Anlagenher­steller Nordex Energy sowie EEW Special Pipe Constructions mit einem Großrohrwerk zur Produktion von Rohren für die Offshore-Industrie. In der Liebherr-Produktionsstätte auf dem Hafengelände sind außerdem unter anderem die Hauptkrane für die drei Errichterschiffe von HGO InfraSea Solutions und RWE Innogy gefertigt worden. Eine Kooperation mit dem Hafen in Lubmin, wie sie in der GLGH-Studie vorgeschlagen wird, ist laut Bauermeister aktuell kein Thema: »Wir sehen diese Zusammenarbeit eher mit Sassnitz-Mukran.«

Stralsund

Der Stralsunder Hafen bietet sich der Offshore-Branche als Produktionshafen für Komponenten und als Servicehafen an. Verschiedene Betriebe der Metallverarbeitung und der maritimen Zulieferindustrie, die im und um den Hafen angesiedelt sind, arbeiten intensiv am Ausbau des Geschäftsfeldes Offshore-Wind. Auch der Stralsunder Standort der P+S-Werften erhofft sich Aufträge aus diesem Bereich. Verschiedene Kabelleger und Offshore-Spezialschiffe sind dort bereits gebaut worden, bislang allerdings hauptsächlich für die Öl- und Gasbranche. Ferner will sich der Windenergieanlagen-Hersteller Avantis in Stralsund niederlassen und Ende dieses Jahres die Produktion aufnehmen.

Erfahrungen im Umschlag von Windkraftanlagen und Komponenten gibt es bislang nicht. Für Vormontage und Lagerung ist im Hafen eine Fläche von 6,5 ha beziehungsweise 1,4 ha vorhanden. Schwerlastfähigkeit ist (noch) nicht gegeben. Bei einer Wassertiefe von 7,5 m stehen 25 Liegeplätze zur Verfügung, ein Ausbau ist geplant. »Aufgrund der nautischen Bedingungen, der Entfernungen zu den geplanten Windparks in der Ostsee und der begrenzten Platzverhältnisse haben wir uns bewusst zurückgehalten, als Basishafen zu fungieren«, sagt Sören Jurrat vom Seehafen Stralsund. Die Ausbauplanungen werden derzeit im Rahmen eines »Regionalen Flächenvorsorgekonzepts für den Seehafen Stralsund« definiert, das in Zusammenarbeit mit dem Landesministerium für Energie, Infrastruktur und Landesentwicklung erarbeitet wird. Die Ergebnisse sollen im ersten Halbjahr 2012 veröffentlicht werden.

Sassnitz

In Sassnitz läuft momentan der Ausbau des Fährhafens zum Basishafen für die Offshore-Industrie auf Hochtouren. Erster Nutzer wird der Energieversorger EnBW sein, der ab Sommer dieses Jahres von Sass­nitz-Mukran aus seinen Windpark »EnBW Baltic 2« gut 30 km nördlich von Rügen errichten will. Der Fährhafen Sassnitz entwickelt die Infrastruktur des neuen Offshore-Terminals, das Buss Sea Terminal Sassnitz die notwendige Hafenlogistik.

In einem ersten Bauabschnitt ist ein Spundkasten errichtet und mit 500.000 m³ Sand und Baggergut verfüllt worden, um die Landfläche im Hafensüdbereich zu erweitern. Dadurch ist eine 60 ha große zusätzliche Betriebsfläche mit einer Kailänge von insgesamt 410 m entstanden. Im aktuellen zweiten Bauabschnitt, der im Sommer fertiggestellt werden soll, geht es unter anderem um die Befestigung des Spülfeldes und des Kaikopfes, bevor in einem letzten Schritt die Leitungen verlegt und die Beleuchtung installiert werden. Auch im Hafennord­bereich (Gesamtkailänge 365 m) entstehen weitere für Offshore-Zwecke nutzbare Flächen, insbesondere im Hinblick auf Lagerung und Montage von Gründungsstrukturen. Je nach Anforderungen der Kunden soll der Ausbauprozess mit entsprechenden Anpassungen und Ergänzungen kontinuierlich fortgeführt werden.

Das Aufjacken von Errichterschiffen ist schon jetzt möglich, wobei bei größeren Schiffen vorher eine Einzelfallprüfung notwendig ist: So hat die Jack-up-Barge »Goliath« im Zusammenhang mit der Rammung von Testpiles für »EnBW Baltic 2« voriges Jahr mehrere Aufjack-Manöver erfolgreich durchgeführt. Einschlägige Erfahrungen hat der Hafen außerdem beim Umschlag von Komponenten für die Forschungsplattform »Fino 2« gesammelt. Bis zum jetzigen Zeitpunkt haben sich nach Angaben der Fährhafen Sassnitz GmbH fünf Unternehmen aus der Branche im Hafenbereich angesiedelt, unter anderem ein Tauchdienstleister und ein Anbieter von Crew Transfer Vessels.

Obwohl bisher die meisten Offshore-Windparks in der Nordsee genehmigt sind, sieht Fährhafen-Geschäftsführer Harm Sievers auch für die Ostsee sehr gute Perspektiven. »Mit der Erweiterung zum Basishafen für Offshore-Projekte möchten wir der Offshore-Industrie als starker Partner für die Umsetzung zukünftiger Windenergie-Projekte zur Verfügung stehen.« Über Folgeprojekte würden gegenwärtig Gespräche mit verschiedenen Projektentwicklern und Betreibern geführt.

Die nächsten beiden Teile der Offshore-Häfen-Serie in der HANSA werden sich mit der deutschen Nordsee und ihren Hafenstandorten befassen.


Anne-Katrin Wehrmann