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Wilhelmshaven soll größter deutscher Umschlagplatz für Steinkohle werden. Terminalbetreiber Rhenus Midgard sieht trotz eher rückläufiger Kohleverstromung gute Chancen beim seewärtigen Import für Kraftwerkskunden. Nach drei Jahren Bauzeit geht jetzt die erweiterte Niedersachsenbrücke in Betrieb.

Dass sich in Wilhelmshaven etwas tut, ist spätestens seit dem Bau des JadeWeserPorts klar. Das Containerhafenprojekt sorgt seit einigen Wochen[ds_preview] zwar mit Baumängeln und Verzögerungen für negative Schlagzeilen. Doch es gibt noch andere interessante Entwicklungen vor Ort, deren Licht bislang unter dem Scheffel steht. So wurde im April nach drei Jahren Bauzeit die erweiterte Niedersachsenbrücke für den Massengutumschlag eingeweiht. Mit der vergrö­ßerten Anlage will der Umschlagbetreiber Rhenus Midgard Marktanteile beim Kohlenimport und der Versorgung deut­scher Kraftwerke erobern. Die Umschlagkapa­zität der kilometerweit in die Nordsee ragenden Löschbrücke ist durch Vertiefung der Liegewanne, Ausbau der Pier und Installation zweier neuer Portalkrane auf 8 Mio. t pro Jahr verdoppelt worden. Im 18,5 m tiefen Wasser vor der Pier können künftig voll abgeladene Frachter der Capesize-Klasse mit bis zu 240.000 tdw abgefertigt werden. Diese mussten bislang in Rotterdam geleichtert werden, um Wilhelmshaven anlaufen zu können.

»Wir investieren hier mehr Kohle für viel mehr Kohle«, brachte Dr. Jens-Abert Oppel, Geschäftsführer der Hafenbetriebsgesellschaft Niedersachsen Ports, die Kosten-Nutzen-Betrach­tung auf eine griffige Formel. Rund 25 Mio. € hat die öffentliche Hand für die Infrastrukturarbeiten budgetiert. Planung und Bau fanden parallel zum JadeWeserPort-Projekt statt, damit beide Baustellen kostensparend auf dieselben Arbeitsmittel zugreifen konnten. Noch deutlich mehr wirft der private Umschlagbetreiber Rhenus in die Waagschale. 90 Mio. € lässt sich der Logistikkonzern den Ausbau der Suprastruktur kosten. Nach den neuen Kranen und der Einrichtung zweier Lagerplätze am Festland soll in Kürze noch ein zweites Kohletransportband errichtet werden, das bis zu 4.000 t Kohle pro Stunde an Land befördern kann.

Für den Rhenus-Konzern sei es aktuell die größte Einzelinvestition, »das hat für uns einen riesigen Stellenwert«, erklärte Rhenus-Midgard-Geschäftsführer Dr. Andreas Schmidt. Jedoch machte er keinen Hehl daraus, dass sich das Marktumfeld seit dem Projektantrag Ende 2006 erheblich eingetrübt hat. Seinerzeit hätten Berater eine »Armada neuer Kohlekraftwerke« und eine Verdopplung der Importmengen prophezeit, damit die durch den Kernkraftausstieg drohenden Stromerzeugungsengpässe überbrückt werden könnten.

»Nach sechs Jahren erkennt man die Welt kaum wieder«, stellte Schmidt fest. Aufgrund der hohen CO2-Emissionen ist die Kohleverstromung seither immer stärker in die Kritik geraten. Stattdessen machen erneuerbare Energien wie die Offshore-Windkraft auch dank starker politischer Förderung zunehmend das Rennen. »Wir hatten mit einem gigantischen Kohlenmarkt gerechnet, es bleibt aber ein begrenz­ter Kohlenmarkt«, so Schmidt. Auch auf lokaler Ebene weht heute ein anderer Wind. Ursprünglich wollte der Hauptkunde der Niedersachsenbrücke – das örtliche E.on-Kraftwerk – einen zweiten hoch effizienten Kraftwerksblock bauen. Die Planungen wurden jedoch 2010 gestoppt. Dafür soll 2013 in direkter Nachbarschaft ein neues 800-MW-Kraftwerk des französischen Betreibers GDF Suez in Betrieb gehen, das seinen Brennstoff ebenfalls über die Niedersachsenbrücke beziehen wird. Ferner konnte Rhenus bereits 2005 einen weiteren wichtigen Auftrag an Land ziehen: den Kohlenumschlag für ein anderes E.on-Kraftwerk in Heyden bei Minden in Südniedersachsen.

Damit kann Wilhelmshaven sein Geschäftsmodell bald auf die Belieferung von Inlandsstandorten ausdehnen, die aufgrund der Stilllegung des deutschen Steinkohlebergbaus neue Bezugsquellen in Übersee anzapfen müssen. Dieses Transitgeschäft ist für weiteres Wachstum entscheidend. Die Heydener Mengen werden derzeit noch über Nordenham, das ebenfalls Teil des Rhenus-Netzwerks ist, importiert. Mittelfristig soll das Geschäft an die Jade verlagert werden. Die beiden E.on-Standorte sowie das neue GDF-Suez-Kraftwerk zusammengenommen, könnten an der Niedersachsenbrücke damit bereits 5,2 Mio. t Kohle pro Jahr umgeschlagen werden, sagte Schmidt. Damit sich die Anlage angesichts der hohen Fixkosten rechnet, müsse man schon zügig in hohe Tonnageumfänge vordringen. Ab 2014 möchte man 8 Mio. t pro Jahr schaffen. Bis dahin sollen sich die Betriebsprozesse eingespielt haben.

Dieses Jahr sind dem Umschlagwachstum für Transitkohle noch aus einem ganz anderen Grund enge Grenzen gesetzt. So zieht sich der zweigleisige Ausbau der Bahnstrecke Oldenburg–Wilhelmshaven, der für den JadeWeserPort erforderlich ist, noch bis Jahresende hin. Angesichts der Streckensperrungen können bis dahin keine regelmäßigen Kohlenzugsysteme organisiert werden. Auch nach 2013 wird die Schienenlogistik flexibel bleiben und wohl mit gelegentlichen Einschränkungen leben müssen, wenn die Strecke nachträglich elektrifiziert wird.

Interessante Kraftwerkskunden für Wilhelmshaven zeichneten sich dadurch aus, dass sie über einen Bahnanschluss und keinen Zugang zum Rhein verfügten. Sonst sei die Versorgung per Binnenschiff über die Beneluxhäfen die wirtschaftlichere Option, erläuterte Schmidt. Bis nach Süddeutschland und sogar Österreich reiche das potenztielle Hinterland für Wilhelmshaven. »München ist zum Beispiel ein interessanter Markt für uns, es liegt näher an Wilhelmshaven als an den ARA-Häfen«, verdeutlichte der Rhenus-Midgard-Geschäftsführer. Den Nach­lauf per Bahn könne Rhenus mit der hauseigenen Bahnspedition Rhenus Rail Logistics unter Einbindung eigener oder fremder Kapazitäten ebenfalls organisieren, so Schmidt. »Das wird alles geprüft und auf Wilhelmshaven optimiert.«


Michael Hollmann