Print Friendly, PDF & Email

Henning Gramann, Geschäftsführer bei Green Ship Recycling Services (GSR), sieht die verantwortungsvolle Entsorgung von Schiffen auf dem Vormarsch: »Grüne Recycler« sind konkurrenzfähiger geworden, zugleich wachsen aber Risiken durch unsauberes Abwracken

Herr Gramann, welche rechtlichen Regularien und Risiken müssen beim Abwracken beachtet werden?

Henning Gramann: Zur Abwrackung gibt es[ds_preview] derzeit keine praktikable oder spezifische internationale Gesetzgebung. Anwendbar ist aus juristischer Sicht die Basel-Konvention, welche die grenzüberschreitende Sonderabfallverbringung regelt. Im rechtlichen Sinne gelten Schiffe als Abfall, sobald der Entledigungswille vorliegt. Dabei ist es egal, wie alt oder betriebssicher das Schiff ist, oder ob es über alle notwendigen Zertifikate verfügt und entsprechend STCW betrieben wird.

Da jedes Schiff Schadstoffe enthält – das sind zum Beispiel Brennstoffe, Schmieröle, Lösemittel, Reiniger, Schiffsabfälle und -abwässer, Farben, Schwermetalle in Elektrik und Elektronik und auch die stark diskutierten Schadstoffe wie Asbest, PCB, ozon­abbauende Substanzen und viele andere –, gelten sie automatisch als Sonderabfall. Laut Basel-Konvention dürfen Sonderabfälle nur innerhalb der OECD-Länder verbracht werden und in der EU gibt es weiterführende Restriktionen, wonach Schiffe nur innerhalb europäischer OECD-Länder »entsorgt« werden dürfen.

Ausschlaggebend für die Anwendbarkeit ist der Ort, an dem abgewrackt wird, nicht die Flagge des Schiffes. Die Basel-Konvention und die europäische Gesetzgebung wird aber meist umgangen, indem die Entscheidung zum Abwracken nicht in europäischen oder nationalen Territorialgewässern, sondern offiziell in internationalen Gewässern getroffen wird. Hier können diese landseitigen Gesetze kaum kontrolliert oder durchgesetzt werden.

Dennoch gibt es Initiativen, welche solche Fälle aufdecken und publik machen. Ein Risiko besteht also vor allem für Eigner mit einem prägnanten Profil, auch wenn diese ihre Schiffe über Broker oder sogenannte Cash Buyer verkaufen und sich damit von der direkten Einflussnahme über die Abwrackentscheidung und die ausgewählte Abwrackwerft entkoppeln wollen. Es gibt über vertragliche Regelungen die Möglichkeit, den weiteren Verbleib des Schiffes zu regeln und dies wird zusehends von der Öffentlichkeit gefordert.

Aber zurück zu den Gesetzesgrundlagen: Die IMO hat im Mai 2009 die sogenannte Hongkong-Konvention zum sicheren und umweltverträglichen Recycling von Schiffen verabschiedet. Die wichtigsten technischen Guidelines für Schiffe und Recyclingwerften sind mittlerweile fertiggestellt und dieses Paket stellt derzeit die Grund­lage zum ordentlichen Schiffsrecycling dar, wenn auch noch nicht in Kraft. Auf dieser Basis hat die Europäische Kommission im März dieses Jahres einen eigenen Regelentwurf veröffentlicht, der in ein bis zwei Jahren in Kraft gesetzt werden soll.

Wichtig ist hierbei, dass solche Regelungen direkt in Kraft treten können, ohne dass diese einer nationalen Umsetzung bedürfen. Unter anderem wird neben der Überprüfung und Autorisierung von Recyclingwerften auch ein Schadstoffkataster, die sogenannte Inventory of Hazardous Materials (IHM), für alle neuen und in Betrieb befindlichen Schiffe über 500 GT gefordert werden.

Welche Risiken entstehen für den Reeder durch die Verwendung von Asbest?

Gramann: Für die Reeder gibt es direkte Risiken, die mit der andauernden Verwendung von Asbest in der Schifffahrt zusammenhängen. In Rotterdam und in Australien werden bereits Kontrollen durchgeführt, ob das durch die SOLAS bestehende Asbestverbot eingehalten wird. Bei Asbestfunden droht die Festhaltung oder Ausweisung aus Territorialgewässern. Das kann erheblichen Einfluss auf den Fortbestand von Charterverträgen haben. Selbst brandneue Schiffe enthalten sehr häufig Asbest, trotz der Asbestfreizertifikate. Bei Asbestfunden soll möglichst die Bauwerft für eventuelle Dekontaminationsmaßnahmen aufkommen – somit sollen Risiken und Kosten nicht durch den Eigner getragen werden müssen. Wenn Asbest auf Schiffen, die ab Sommer 2002 abgeliefert wurden, gefunden wird, ist das SOLAS-Zertifikat gefährdet. Diese Thematik ist recht komplex und in vielerlei Hinsicht sehr sensibel. Nur kompetente Dienstleister und Berater können helfen, diese Klippen sicher zu umfahren.

Wie haben sich die Preise beim Abwracken entwickelt?

Gramann: Als die Frachtraten auf einem historischen Höchststand lagen, wurden umfangreiche Instandsetzungen und Reparaturen durchgeführt, damit die Schiffe möglichst lange in Fahrt bleiben und Profite einbringen konnten. Neubauten waren zu der Zeit kaum zu bekommen, da die Schiffbauindustrie bis zu ihrer Kapazitätsgrenze ausgelastet war, wodurch existierende Schiffe nicht nur erheblich im Wert gestiegen sind, sondern auch den Transport­bedarf zu bewältigen hatten. Durch den Ratenverfall waren Investitionen in alte Tonnage nicht mehr tragbar und die Konkurrenzfähigkeit von Schiffen gelangte durch den Kostendruck immer mehr in den Vordergrund. Davon waren insbesondere ältere Einheiten betroffen, die relativ schnell ausgesondert wurden.

Interessanterweise wurden während der Boomphase bis zu 800 $/LDT von den Recyclern in Asien gezahlt. Da nur wenige Schiffe vorhanden waren, wurden weltweit diverse Recyclingwerften geschlossen. Im Januar 2009 sanken die Preise durch das wachsende Angebot an Recyclingschiffen sowie drastisch gefallener Stahlschrottpreise fast bis auf 200 $/LDT.

Seither ist jedoch wieder ein stetiger Anstieg zu verzeichnen und die Preise liegen trotz eines Überangebots an Recyclingkandidaten seit einigen Monaten im Bereich von 420 bis 500 $/LDT. Die Preise sind abhängig vom Abwrackland, den rechtlichen Anforderungen, dem Stahlschrottpreis und dem Wieder- beziehungsweise Weiterverwendungsgrad der Schiffsmaterialien sowie dem Standard des Recyclers. Häufig ist die Höhe des gebotenen Preises für ein Schiff umgekehrt proportional zum Sicherheits- und Umweltstandard. Ferner spielen unter anderem Schiffstyp, Zustand, Ersatzteile und vorhandener Bunker an Bord eine Rolle. Schadstoffe haben fast keinen Einfluss auf den Preis, sofern sich diese im normalen Rahmen bewegen.

Wer haftet bei Schäden für Mensch und Umwelt, die durch den Abwrackvorgang entstehen?

Gramann: Die Haftung geht einher mit dem Besitzerwechsel, beziehungsweise dem Gefahrenübergang, welcher vertraglich eindeutig geregelt sein sollte. Wenn der Reeder das Schiff selbst anliefert, endet seine Haftung zum Beispiel bei der Übergabe an den Recycler. Unabhängig davon sind natürlich falsche Angaben zum Schiff ein Problem, welches später geklärt werden muss. Hiervon betroffen sind auch die zum Schiff gehörenden IHMs, welche die Schadstoffe an Bord beschreiben. Wenn diese nicht fachmännisch erstellt oder deren Erstellung nicht vollständig dokumentiert wurde, wird der Recycler ganz sicher seinen Schaden, beispielsweise durch erhöhte Dekontaminations- und Entsorgungskosten oder Verzögerungen im Betriebsablauf, geltend machen. Wichtig für den Eigner sollte die Auswahl einer guten Recyclingwerft sein, statt ausschließlich ökonomischen Aspekten den Vorrang einzuräumen. Gutes Recycling inklusive Entsorgung kostet mehr und dementsprechend bieten gute Recycler meist weniger als solche, die keinerlei Sicherheits- oder Umweltschutzauflagen erfüllen. Mittlerweile sind aber auch die »grünen Recycler« konkurrenzfähiger geworden und die Risiken bei einer fahrlässigen Vorgehensweise des Eigners sind schwierig monetär zu beziffern.

Hier muss jeder Eigner für sich selbst entscheiden, ob er ethisch korrekt oder rein ökonomisch vorgehen möchte. Es existiert ein international abgestimmtes Verständnis zum geordneten Schiffsrecyc­ling, woran jeder gemessen werden kann. Die Reeder verfügen aber häufig nicht über die Ressourcen zur Beurteilung dieser detaillierten Aspekte.

Was passiert mit den Schiffsteilen und welche werden weiterverwendet?

Gramann: Schiffe werden bis zu 97 Gewichtsprozent recycelt. Der Schiffsstahl wird je nach Recyclingland entweder eingeschmolzen oder gewalzt, auch Re-Rolling genannt. Je nach Verfahren können hochwertige oder minderwertigere Stähle produziert und wiederverwendet werden. Insbesondere beim Re-Rolling wird eine nicht spezifizierbare Stahlqualität hergestellt, die aber beispielsweise in Bangladesch, das seinen nationalen Stahlbedarf übrigens zu

fast 80 % aus dem Schiffsrecycling deckt, unter anderem für Stahlbetonbauten verwendet wird.

Einzelne Komponenten werden entweder direkt weiterverwendet, Gensets beispielsweise als Generatoren für Kommunen, oder aber überarbeitet, umgebaut, demontiert und in Einzelteilen verkauft beziehungsweise verwertet. Es ist festzustellen, dass sich je nach Entwicklungsstatus eines Landes der Wiederverwendungsgrad ändert. Je geringer ein Land entwickelt ist, desto mehr wird wiederverwendet.

In Bangladesch und Indien gibt es zum Beispiel Toiletten und Matratzen aus Schiffen, die zum Kauf angeboten werden. Leider schließt das auch Isoliermaterialien und Paneele mit ein, die sehr häufig Asbest enthalten. Eine unkontrollierte Verbreitung von Schadstoffen findet wegen fehlender Restriktionen, Kontrollen und Wissen statt. In der Türkei wäre dies undenkbar, da dort der Entsorgungsanteil und entsprechende Kosten höher liegen.

Gibt es Trends zu neuen Abwrackmethoden, auch hinsichtlich der von der EU angestrebten strengeren Richtlinien?

Gramann: Es ist erkennbar, dass der Anteil des »grünen Recyclings« langsam aber stetig wächst. Dies kommt durch die gestiegene Konkurrenzfähigkeit, Kapazität und auch das Bewusstsein der Eigner. Recycler in Indien, Pakistan und Bangladesch stehen derzeit an einem Scheideweg. Entweder bauen sie ihren technischen Rückstand zu China und der Türkei ab und beginnen mit der Implementierung akzeptabler Standards, oder sie verlieren den Anschluss.

Eine Zweiteilung des Marktes ist ohnehin absehbar, Recyclingwerften werden in Zukunft entweder »Hongkong-Konformes« anbieten, oder sie konzentrieren sich auf das »herkömmliche« Abwracken und fokussieren den »Nicht-Konventionsmarkt«. Ärgerlich ist aus meiner Sicht die an-

dauernde Diskussion, ob das sogenannte »Beaching«, also das Schiffsabwracken am Strand, sicher und umweltgerecht erfolgen kann. Technisch ist dies möglich, Konzepte hierfür gibt es bereits, aber politisch scheint das Beaching nicht akzeptabel zu sein. Leider wird bei den Diskussionen außer Acht gelassen, dass Beaching in den ärmsten Ländern betrieben wird und Hunderttausende von Menschen direkt oder indirekt dadurch ihren Lebensunterhalt erwirtschaften.

Diese Möglichkeit sollte den Menschen nicht genommen werden, aber gleichzeitig dürfen wir damit nicht Substandards rechtfertigen. Es gilt, akzeptable Bedingungen zu fördern und zu schaffen, damit die Gesundheit oder Umwelt nicht weiter gefährdet wird. Es gibt noch viel zu tun und wir stehen erst am Anfang, einige Beteiligte haben die Zeichen der Zeit aber leider noch gar nicht realisiert.

Thomas Wägener