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Anlässlich des Wachwechsels vom Einsatzgruppenversorger »Berlin« zur Fregatte »Bremen« im Rahmen der EU-Antipirateriemission Atalanta vor der Küste Ostafrikas besuchte VDR-Geschäftsführer Ralf Nagel beide Schiffe im Hafen von Dschibuti. Nach der Rückkehr gab er seine Eindrücke für die HANSA wieder.

Die Zahl der erfolgreichen Piratenangriffe auf Handelsschiffe vor Ostafrika ist zuletzt merklich zurückgegangen. Welche der getroffenen Maßnahmen waren Ihrer[ds_preview] Einschätzung nach am erfolgreichsten? Die Mission Atalanta, die passiven Schutzmaßnahmen auf den Schiffen oder bewaffnete Wachen an Bord?

Ralf Nagel: So eindeutig kann ich das nicht benennen. Ganz nachhaltig haben die Eigenschutzmaßnahmen der Reedereien zur Sicherheit ihrer Besatzungen

beigetragen. Dieser Schutz hat aber seine Grenzen. Wir haben die gesicherte Erkenntnis, dass bisher noch kein Schiff gekapert wurde, von dem aktive Gegenwehr kam. Das ist wohl die wirksamste Maßnahme. Es bedeutet aber nicht, dass die anderen Maßnahmen wirkungslos wären. Aufgrund des Mandats der militärischen Kräfte erhält die zivile Schifffahrt beispielsweise Lagebilder. Ein Flugzeug der Deutschen Marine macht dort Aufnahmen, auf denen man sieht, wie sich die Piraten verhalten und wo plötzlich Rohrwaffen gesammelt werden. Aus all dem kann man dann schon Rückschlüsse ziehen, wann und von wo aus mit den nächs­ten Aktionen zu rechnen ist. Jede Maßnahme hat also ihren Anteil am Schutz.

Sie haben sich aber in der Vergangenheit gegen den Einsatz bewaffneter Kräfte auf Handelsschiffen ausgesprochen …

Nagel: Es ist auch heute noch so, dass es unseren Mitgliedern, den deutschen Reedern, keinen Spaß macht, mit Waffen auf Schiffen zu tun haben zu müssen. Unsere Linie als Verband ist immer noch: keine Bewaffnung von Seeleuten. Der bewaffnete Schutz jedoch wurde uns aufgezwungen, weil organisierte Kriminalität Gewalt gegen Seeleute richtet. Deshalb hat es auch eine Zeit gebraucht, bis wir uns dazu durchgerungen haben, auf bewaffneten Schutz nicht verzichten zu können.

Wir haben dann aber sehr deutlich gemacht, dass der Schutz vor Piraterie zunächst eine hoheitliche Aufgabe ist, und zwar nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch der gesamten Staaten­gemeinschaft. Denn nach internationalem Seerecht ist klar, dass diese Gemeinschaft sich und die Seeleute zu schützen hat. Das Atalanta-Mandat der EU ist dafür ein wichtiger Baustein. Wir haben aber auch gesagt, dass aus unserer Sicht der aktive Schutz auf den Schiffen selber, sofern sie unter deutscher Flagge fahren, sehr wohl eine hoheitliche Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland ist – also entweder durch deutsche Marinesoldaten oder durch die Bundespolizei vorzunehmen ist.

Dazu sind diese Kräfte aber weder personell noch finanziell in der Lage …

Nagel: Mit dieser Tatsache müssen wir umgehen. Deshalb haben wir gesagt, wenn wir schon private Sicherheitskräfte einsetzen, brauchen wir für die Reeder und Kapitäne Rechtssicherheit. Deshalb benötigen wir ein Zulassungsverfahren. Der maritime Koordinator arbeitet mittlerweile mit Hochdruck daran.

Wie sieht denn aktuell die Situation für eine Reederei aus, die durch dieses Gebiet fahren muss und sich mit privaten Wachen schützen will?

Nagel: Wenn das Schiff unter deutscher Flagge fährt, ist bewaffneter Schutz nicht ausdrücklich erlaubt, er ist aber auch nicht verboten. Es ist also eine typische Grauzone. So lange nichts passiert, interessiert es niemanden. Aber wenn bei einer Piratenattacke entweder Piraten, Besatzungsmitglieder oder jemand von den bewaffneten privaten Sicherheitsleuten zu Schaden kommt, gibt es zunächst eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung. Eine der Fragen, die dann geprüft wird, ist, wie sorgfältig diejenigen ausgewählt wurden, die den Schutz mit Waffen übernommen haben. Da wird dann auch das Auswahlverschulden geprüft. Hat also die Reederei genau hingeschaut, wen sie beauftragt?

Da der Kapitän für alles Geschehen an Bord die Endverantwortung trägt, wollen wir, dass Reeder aus einer Liste von staatlich zugelassenen und geprüften Unternehmen auswählen können. Die müssen zuvor auf Zuverlässigkeit, die Ausbildung der ein­gesetzten Leute bis zur finanziellen Ausstattung des Unternehmens in einem Zulassungsverfahren durchleuchtet worden sein.

Sind Sie an der Erarbeitung der Auswahlkriterien für solche Unternehmen beteiligt?

Nagel: Da gibt es bereits Empfehlungen der IMO. Wir hoffen, dass die Bundesregierung die Zulassung vor der Sommerpause ins parlamentarische Verfahren gibt und dass der Bundestag nach der Sommerpause möglichst rasch Grundlagen schafft. Danach werden wir noch einige Zeit benötigen, denn dann müssen sich noch die Unternehmen in dieses Zulassungsverfahren begeben – auch das braucht Zeit. Und es darf keine deutsche Einzellösung sein. Ein Reeder muss auch ein britisches oder holländisches Unternehmen beauftragen dürfen.

Und wie stehen Ihre Verbandsmitglieder dazu?

Nagel: Grundsätzlich wollen sie friedliche Handelsschifffahrt betreiben. Aber die Reeder haben eine Fürsorgepflicht für ihre Besatzungen. Das Zulassungsverfahren würde es ermöglichen, auch unter deutscher Flagge in einem gesicherten Rechtsrahmen zu agieren. Bei Versicherungsprä-

mien spielt der aktive Schutz der Schiffe ebenfalls eine Rolle.

Was war der Anlass Ihres Besuches auf den deutschen Marineschiffen?

Nagel: Aus Anlass des routinemäßigen Wechsels der beiden Schiffe hatte mir der Staatssekretär Thomas Kossendey die Möglichkeit gegeben, ihn zu begleiten. Das war eine gute Gelegenheit, den Soldatinnen und Soldaten Danke für ihre Tätigkeit im Sinne der deutschen Reeder zu sagen. Ihr Einsatz ist unverzichtbar und erfolgreich.

Wie empfanden Sie die Motivation der Bundeswehrangehörigen?

Nagel: Deren Motivation ist gut, die Soldaten verstehen ihr Handwerk, sie wägen sehr sorgfältig ab, was das richtige Einsatzmittel ist, sie verstehen sich als Parlamentsarmee, sie halten die vom Parlament gezogenen Linien ein, akzeptieren sie und rich-

ten ihr Handeln daran aus. Ich habe ein großes Vertrauen darauf, dass die Soldatinnen und Soldaten ihrem Parlamentsauftrag gerecht werden. Wir sind dankbar, dass sie sich für die Sicherheit aller Handelsschiffe vor Ort einsetzen.

Hat der Besuch in Dschibuti Ihr Bild von der Piraterie verändert?

Nagel: Verändert hat er das nicht, er hat mir aber vor Augen geführt, dass es sich um eine bitterarme Region handelt, in der die Menschen Hunger leiden und in der es große Arbeitslosigkeit gibt. Wir haben deshalb mit der Organisation der SOS-Kinderdörfer ein Projekt begonnen, zusammen mit der Regierung von Dschibuti eine Internetbibliothek aufzubauen. Dort gibt es Betreuung, und Kinder lernen den Umgang mit dem Internet, um ihnen eine Perspektive zu geben. Das ist zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber in solchen Projekten liegt die langfristige Lösung. Wir wollen zeigen, dass sich die Reeder über den Eigenschutz hinaus engagieren. Wenn es in dieser Region keine Perspektiven gibt, geht die Piraterie nicht zurück. Ich habe dort

einige Kinder gefragt, wer sich vorstellen kann, als Seemann auf einem deutschen Schiff zu fahren. Wer weiß, vielleicht fahren aus der Region demnächst einige auf deutschen Schiffen, anstatt sie zu überfallen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Eigel Wiese