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Schätzungen über Steuermindereinnahmen infolge der Einführung der Tonnagesteuer sind mit sehr großen Unsicherheiten behaftet. Auswirkungen der Finanzkrise wurden bisher – soweit erkennbar – nicht näher eruiert.

Die Forderung nach Subventionsabbau ist ein Dauerthema der Politik. Insbesondere in Zeiten der Schuldenkrise der Staaten gerät auch die Tonnagesteuer[ds_preview] in den Fokus. Von »massiven« Steuermindereinnahmen aufgrund der Tonnagesteuer sei auszugehen, so einige Kritiker. Aber wie hoch sind diese behaupteten Steuermin­dereinnahmen? Auf welche Zahlen wird zurückgegriffen, um ein adäquates Urteil zu fällen und wie plausibel sind sie bzw. können sie überhaupt sein? Dies soll nachfolgend näher untersucht werden.

Mangelnde Transparenz bei der -Evaluierung des Datenmaterials

Da es sich bei der Tonnagesteuer um keine direkte, sondern um eine indirekte Subvention bzw. Steuervergünstigung handelt, können die Steuermindereinnahmen lediglich geschätzt werden. Zutreffend führt das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) (vgl. Ergebnis des Forschungsauftrags des Bundesminis­teriums der Finanzen, Evaluierungsbericht, 3. Teilband, Endfassung (2009), 484 ff) in seinem Evaluierungsbericht auf Seite 485 aus, dass die Quantifizierung einer Steuervergünstigung immer dann besonders präzise ist, wenn man die tatsächlichen Daten der Finanzverwaltung zugrundelegen kann. Der Beobachter stößt hier auf massive Probleme.

»Die herangezogenen Daten für die Berechnung der Steuermindereinnahmen durch die Tonnagesteuer sind nicht überprüfbar«

Bei den Veröffentlichungen in den sogenannten Subventionsberichten der Bundesregierung wird nicht offengelegt, wie bei der Ermittlung der eruierten Steuermindereinnahmen vorgegangen wurde. Die für die Berechnungen herangezogenen Daten sind nicht überprüfbar.

Selbst über die Anzahl der Tonnagesteuerfälle werden bei den Finanzämtern keine Statistiken geführt. Von Transparenz kann nicht die Rede sein. Man kann sich demnach bei der Berechnung der Steuermindereinnahmen lediglich auf mittelbares Quellenmaterial beziehen. Dies führte selbstverständlich zu erheblichen Unsicherheiten.

Vorliegende Schätzungen der Steuermindereinnahmen

Der Bundesregierung wurde anlässlich einer Anfrage zur Subventionierung der Seeschifffahrt (BT-Drucks. 17/5870) am 17.5.2011 folgende Frage unterbreitet: »Welches Modell und welche Annahmen legt die Bundesregierung bei ihrer Berechnung der Einnahmeausfälle aus der sogenannten Tonnagebesteuerung nach § 5a EStG in Höhe von 500 Mio. € im Jahre 2008 (vgl. 21. Subventionsbericht) zugrunde, und in welcher Höhe werden Einnahmeausfälle für die danach folgenden Jahre veranschlagt?« Sie nahm hierauf wie folgt Stellung: »Den Berechnungen für die im 22. Subventionsbericht für das Jahr 2008 ausgewiesenen Steuermindereinnahmen (ohne­ Solidaritätszuschlag) in Höhe von 500 Mio. € aus der Tonnagebesteuerung nach § 5a EStG liegt ein Modell zugrunde, dass eine fiktive Besteuerung nach Bilanzgewinn i. S. d. § 4 Abs. 1 EStG mit der tatsächlichen Besteuerung nach der Tonnage i. S. d. § 5a EStG vergleicht. Für die Entwicklung des Modells wurden u. a. Erkenntnisse des Bundesrechnungshofs herangezogen, die im Rahmen der Prüfung der ›Gewinn­ermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr‹ gewonnen wurden. Bei der Ermittlung des fiktiven Bilanzgewinns werden u. a. die tatsächliche Entwicklung der Zeitcharterraten gemäß dem veröffentlichten Hamburg-Index der Vereinigung Hamburger Schiffsmakler und Schiffsagen­ten und die Erkenntnisse der Studien der HSH Nordbank zu der Entwicklung der Betriebskosten von Containerschiffen für die Jahre 2006 und 2009 zugrundegelegt.Die prognostizierten Steuerausfälle aufgrund der Subventionswirkung der Tonnagebesteuerung i. S. d. § 5a EStG werden derzeit im Rahmen der Erstellung des 23. Subventionsberichts aktualisiert.« In einer weiteren Anfrage an die Bundesregierung führen die Fragesteller aus, dass die deutschen Reeder seit 2004 etwa 5 Mrd. € an Steuern gespart hätten (BT.-Drucksache 17/7750 vom 17.11.2011).

Die Bundesregierung beziffert die Steuer­mindereinnahmen aufgrund der Tonnagesteuer (ohne Solidaritätszuschlag) im Vergleich zu anderen Autoren (Angaben der anderen Autoren wurden der Arbeit von Martinen, »Die Tonnagesteuer – Eine ökonomische Analyse«, Frankfurt am Main, 2010, entnommen) wie in Tabelle 1 angegeben. Wie dieser Tabelle entnommen werden kann, enthält erstmalig der 21. Subventionsbericht überhaupt eine Quantifizierung des Umfangs der durch die Tonnagesteuer verursachten Steuermindereinnahmen. Den Ausführungen des ZEW lässt sich entnehmen, dass die Daten auf einer Stichprobenerhebung des Bundesrechnungshofs in den Jahren 2004 und 2005 basieren. Dieses so ermittelte Zahlenmaterial wurde dann auf die Jahre 2006 bis einschließlich 2008 hochgerechnet.

Diese Ergebnisse wurden in der Folge mit den fünf Küstenländern erörtert. Deren Finanzbehörden ermittelten die Differenz zwischen Tonnagegewinn und regulärem steuerrechtlichem Gewinn bei ca. 10 % aller Tonnagesteuerfälle. Dieses Ergebnis wurde dann auf die Gesamtfallzahl hochgerechnet. Die Ermittlung der Finanzbehörden der fünf Küstenländer führte dazu, dass Steuermindereinnahmen für das Jahr 2004 in Höhe von 1,2 Mrd. € und für das Jahr 2005 in Höhe von 1,9 Mrd. € ausgemacht wurden. Wie diesem Überblick entnommen werden kann, weisen die Schätzungen der Steuermindereinnahmen Differenzen von mehreren 100 Mio. €, in der Spitze sogar von über 1 Mrd. € auf. Eigene Plausibilitätsüberlegungen des ZEW führen dazu, dass die Angaben im 21. Subventionsbericht als plausibel, aber tendenziell zu niedrig angesetzt betrachtet werden. Es wird ausgeführt, dass die von den Küstenländern durchgeführten Berechnungen die Realität besser treffen ( Evaluationsbericht ZEW a.a.O., 488).

Grundlage der Berechnungen des ZEW ist die Höhe des in den Reedereien gebundenen Eigenkapitals und die damit erzielbare durchschnittliche Rentabilität. Im Ergebnis wird hierbei die Differenz der Steuerbelastung ohne Vergünstigung und der Steuerbelastung mit Tonnagesteuer betrachtet. Hierbei wird auf der einen Seite (Steuerbelastung ohne Vergünstigung) ausgegangen von einem festgestellten Eigenkapital, welches mit einem Rentabilitätsfaktor und einem festgelegten Steuersatz multipliziert wird. Dem wird die Steuerbelastung mit Vergünstigung, also das Multiplikationsergebnis von Schiffsgröße mal Multiplikator mal Steuersatz, gegenübergestellt. Das ZEW kommt bei einer angenommenen Rendite auf das eingesetzte Kapital von 10 % unter Berücksichtigung eines Steuersatzes von 35 % auf Steuermindereinnahmen für 2004 in Höhe von 649 Mio. € und für 2005 in Höhe von 587 Mio. €.

Berechnung nach Martinen

Martinen (Martinen, Die Tonnagesteuer – Eine ökonomische Analyse, Frankfurt am Main, 2010, insbesondere auf den Seiten 138–167, denen auch die Tabellen entnommen wurde) führt den interessierten Leser mit seiner Arbeit erstmals eine dezidierte Berechnung der Steuermindereinnahmen vor Augen, die aufgrund der praktischen Relevanz eine eingehendere Betrachtung rechtfertigt. Ausgangspunkt seiner Berechnung ist der Bestand an Handelsschiffen unter wirtschaftlicher Kontrolle deutscher Reeder ab 1.000 BRZ. Dieser Bestand unterteilt sich im relevanten Bereich in Schiffe unter deutscher Flagge und Schiffe, die ausgeflaggt sind.

Er bereinigt die Anzahl der unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe um die Schiffe, die keine fremdländischen Häfen anlaufen und daher nicht unter die Begüns­tigung fallen. Als Approximation werden die Werte, die auf den maritimen Konferenzen beschlossen wurden, zugrundegelegt. Der so bereinigten Anzahl Schiffe mit deutscher Flagge wird die neu berechnete durchschnittliche BRZ (Z.B. für das Jahr 2003: 5.642.000/494 = 11.421) gegenübergestellt. Die Anzahl der befristet ausgeflaggten Schiffe verändert sich nicht. Hierdurch hat man die Anzahl der in den Jahren begünstigten Schiffe (Annahme: Die so errechneten Schiffe werden begünstigt eingesetzt) näherungsweise bestimmt.

Dem in einem weiteren Schritt ermittelten gewichteten Durchschnitt der BRZ, bezogen auf ein Schiff, wird die durch ein Stichprobenverfahren (Bei 140 Containerschiffen wurde die Netto- und Bruttoraumzahl ermittelt und ins Verhältnis gesetzt. Dies ergab einen Umrechnungsfaktor NRZ = 0,47662 * BRZ) ermittelte NRZ gegenübergestellt (siehe Tabelle 4). Martinen erhält somit die Durchschnitts-Nettoraumzahl pro Schiff, wobei er von einer Gleichverteilung (Dies ist eine zentrale Annahme, da der Staffeltarif der Tonnagesteuer stufenweise degressiv gestaltet ist: Je größer ein Schiff ist, desto niedriger ist der durchschnittliche Tonnagegewinn je 100 NRZ) der verschiedenen Größenklassen ausgeht. Um die Steuermindereinnahmen zu schätzen, stellt er im Folgenden eine fiktive Besteuerung nach Bilanzgewinn der Besteuerung nach Tonnagegewinnermittlung gegenüber. Hierbei legt er ein Renditemodell zugrunde. Ausgangspunkt sind die durchschnittlichen Anschaffungskos­ten (Grundlage: durchschnittliche Werftpreise im ISL Shipping Statistics Yearbook für ein 3.500-TEU-Schiff von 1996 bis 2005) der Schiffe je TEU. Dies ergibt einen Preis von ca. 12.500 $ je TEU (Errechneter Durchschnittspreis in Höhe von 43,85 Mio. $ pro 3.500 TEU).

Da die Anschaffungskosten je TEU bestimmt worden sind, muss der eingangs ermittelte durchschnittliche NRZ-Wert je Schiff in TEU umgerechnet werden. Unter Verwendung des Datensatzes zur Ermittlung der BRZ-NRZ-Relation (Vgl. Fußnote 3) wird ein Faktor von ca. 0,1858 (TEU= 0,1858 * NRZ) geschätzt. Zur Umrechnung der in $ angegeben Baukosten bzw. Anschaffungskosten wird ein Euro-Referenzkurs von 1,2441[$/€] herangezogen. Zur Errechnung des Steueraufkommens nach bilanzieller Gewinnermittlung unterstellt er eine Normalrendite von 4,25 % p.a. (Umlaufrendite börsennotierter Bundeswertpapiere 2007; Eine Schätzung der Erlös- und Aufwandsituation ist nach Martinen mit zu großen Unsicherheiten belastet) , welche die Kommanditisten bei Investition am Kapitalmarkt erhalten würden und welche somit die Untergrenze des durchschnittlichen (Durchschnitt über die gesamte Betriebszeit des Schiffs, um die Rendite nicht aufgrund zyklischer Schwankungen in der Höhe der Charterraten zu über- bzw. unterschätzen) Gewinns durch die Investition in ein Containerschiff p. a. darstellt (Wäre die Rendite am Kapitalmarkt höher, würde ein rational agierender Akteur nicht in ein Containerschiff inves­tieren). Als zur Anwendung kommender Steuersatz wird ein effektiver, durchschnittlicher Steuersatz von 36 % zugrundegelegt (siehe Tabelle 5).

Demzufolge ergeben sich die geschätzten Steuermindereinnahmen durch den Vergleich von Steuereinnahmen auf Grundlage der Tonnagegewinnermittlung mit den fiktiven Steuereinnahmen auf Basis der Besteuerung nach Bilanzgewinn.

Da das für die bisherigen Berechnungen größte angenommene Durchschnittsschiff eine NRZ von ca. 9.200 aufweist, werden die Gewinnpauschalen über 10.000 NRZ nicht berücksichtigt. Aufgrund ihres stufenweise degressiven Charakters differieren jedoch die Steuermindereinnahmen je nach Schiffsgröße. Dieser Sachverhalt wird von Martinen in Tabelle 7 dargestellt.

Da aufgrund von Größenvorteilen die Schiffsgröße stetig steigt, führt die von Martinen getroffene Annahme der Gleichverteilung der Schiffe auf die Schiffsgrößen vermutlich zu einer Unterschätzung der Steuermindereinnahmen (degressive Tonnagesteuer). Daher ist die geschätzte Steuermindereinnahme für z. B. 2007 mit fast 700 Mrd. € nicht als eine approximativ richtige Schätzung, sondern nach Martinen eher als eine Untergrenze zu verstehen. Sie stellt somit den »Mindeststeuerverlust« durch die Tonnagesteuer dar.

Resümee

Die Steuerschätzungen im Bereich der Tonnagesteuer sind mit erheblichen Unsicherheiten belastet. Steuermindereinnahmen lassen sich kaum verifizieren. Prognoseberechnungen stehen, wie die Ausführung gezeigt hat, auf mehr als tönernen Füßen. Dies liegt in erster Linie an der mangelnden Transparenz. Konkretes Datenmaterial steht kaum zur Verfügung bzw. ist schwer zugänglich und kann kaum überprüft werden. Hinzu kommt die große Volatilität der Frachtraten im internationalen Seeverkehr.

Darüber hinaus fand die Schifffahrts­krise sowohl bei der Bewertung durch das ZEW (»Die wirtschaftliche Lage in der Seeschifffahrt ist zwar derzeit weltweit sehr gut … «) als auch bei der Arbeit von Martinen noch keine Berücksichtigung. Ob dies im Subventionsbericht der Fall war, kann nicht überprüft werden. Hierzu können nur Vermutungen angestellt werden, vgl. Steuermindereinnahmen für 2009 in Höhe von 40 Mio. €, dann aber wieder steigend. Die Steigerung mag mit neuer Schiffstonnage zusammenhängen, erscheint aber angesichts der drastischen Verlustsituation spätestens ab 2008 wenig plausibel. Letztlich werden nur Zahlen aus dem Containerschifffahrtsbereich herangezogen, es gibt aber noch mehr Seehandelsschiffe, die zur Tonnagesteuer optieren können. Zudem wurde bei jeder Schätzung der Steuermindereinnahmen die Verhaltensänderung der Akteure aufgrund der Tonnagesteuer nicht betrachtet. Daher ist im Falle einer Abschaffung nicht klar, ob überhaupt Mehreinnahmen entstehen würden, oder ob sich durch z. B. Standortverlagerungen ein gegenläufiger Effekt einstellen und die Steuereinnahmen somit im Extremfall auf Null sinken würden.


Paul Voß