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Nach vier Jahren Krise rechnen Experten damit, dass die Branche erst in zwölf bis 18 Monaten die Talsohle durchschritten haben könnte. Angesichts unauskömmlicher Charterraten, sinkender Schiffswerte sowie steigender Betriebskosten wird eine zunehmende Zahl von Insolvenzen erwartet, hieß es Mitte November auf dem 16. HANSA-Forum Schiffsfinanzierung in Hamburg.

Schiffsinvestoren und Reedereien müssen sich weiter auf schwierige Zeiten einstellen. Auch im bald beginnenden fünf­ten Jahr der Krise ist[ds_preview] Besserung nicht in Sicht. Experten rechnen damit, dass die Branche erst Anfang bis Mitte 2014 die Talsohle durchschritten haben wird. Weder Anleger noch Reeder oder Emissionshäuser hätten jetzt noch die Mittel, um weitere Restrukturierungen zu finanzieren, lautete das Fazit des diesjährigen HANSA-Forums Schiffsfinanzierung am 15. November in Hamburg.

Die Traditionsveranstaltung, dieses Mal unter dem Titel »Deutsche Schifffahrt im Netz von Banken, Märkten und Politik«, fand bereits zum 16. Mal statt. Die bedeutendste Konferenz zur Schiffsfinanzierung in Deutschland war mit knapp 650 Teil­nehmern im Hamburger Grand Elysée wieder sehr gut besucht. In insgesamt vier Panels diskutierten hochkarätige Vertreter aus Politik und Schifffahrt, von Banken und Fondshäusern über die aktuelle Lage. Moderiert wurde die Veranstaltung von HANSA-Chefredakteur Nikos Späth, Fachjournalist Michael Hollmann und Dr. Bernd Kröger, langjähriger VDR-Hauptgeschäftsführer.

Nur ein Drittel der Fondschiffe fährt Gewinne ein

Seit Ausbruch der Wirtschafts- und Schifffahrtskrise hat es bereits 113 Insolvenzen deutscher KG-Schiffsfonds gegeben. In der noch fahrenden Flotte fährt nach Angaben der Analysten der Deutschen Fondsresearch nur noch jedes dritte Schiff Geld ein, fast jede zweite deutsche KG-Gesellschaft ist bereits ein Sanierungsfall oder steht unmittelbar vor einem erneuten finanziellen Engpass, weil die Einnahmen die täglichen Ausgaben nicht mehr decken. »2013 werden wir vermutlich noch mehr Insolvenzen sehen, aber hoffentlich keine ›Fire Sales‹ in großem Umfang, denn das würde die Abwärtsspirale noch verstärken«, sagte HANSA-Chefredakteur Späth bei der Eröffnung des Forums.

Das Ratenniveau wird angesichts von 1,8 Mio. TEU, die kommendes Jahr zu Wasser gelassen werden, vermutlich auf dem niedrigen Niveau von 2012 verharren. Denn dem Wachstum der Kapazität von knapp 10 % steht ein Plus beim Transportaufkommen von geschätzten 3 bis 5 % gegenüber.

Banken führen »Bereinigung« ihrer Kreditbücher fort

Die Banken, selbst strengeren Regularien zur Risikovorsorge unterworfen, gewäh­ren vielen Fondsgesellschaften nicht einmal mehr Betriebsmittelkredite. Nachdem Tilgungen oft schon seit drei Jahren ausgesetzt sind, müssen immer mehr Schiffsfinan­zierungen bilanziell als Ausfall gewertet werden. Nach Restrukturierungen in den ersten Krisenjahren sind auch die finanziellen Reserven bei Anlegern und Reedern erschöpft.

Wichtige Schiffsfinanzierer wie die Commerzbank-Gruppe, einschließlich der ehemaligen Deutschen Schiffsbank und der Dresdner Bank, haben sogar ihren kompletten Rückzug verkündet oder wie die HSH Nordbank große Teile ihres Portfolios in einer Abwicklungsbank (Bad Bank) geparkt. Geplant sei, das Kreditportfolio von aktuell 20 Mrd. € bis zum Jahresende 2016 auf 14 Mrd. € zu reduzieren, sagte Matthias Pohl, Leiter Portfolio­management bei der Commerzbank. »Das heißt aber nicht, dass wir in jedem Fall eine schnelle Zwangsverwertung anstreben«, betonte er. Der Abbau des Schiffkreditbuchs sei langfristig an­gelegt. Auch Christian Nieswandt von der HSH Nordbank verwies darauf, dass intensiv daran gearbeitet werde, möglichst viele notleidende Schiffsgesellschaften zu retten. »So lange der Markt aber so schlecht ist wie er ist, gibt es bei allen Beteiligten einen großen Handlungsdruck.«

Die Bremer Landesbank (BLB) werde zwar grundsätzlich an der Schiffsfinanzierung festhalten, ihr Portfolio aber ebenfalls bereinigen müssen, sagte Björn Nullmeyer, Leiter der Spezialfinanzierung und Generalbevollmächtigter bei der BLB. Dazu werde sie durch gesetzliche Ratingvorgaben (Bafin) gezwungen. Nach Ablauf des dritten Krisenjahres ohne Tilgung sei eine Bank verpflichtet, einen Kredit als Ausfall zu verbuchen und mit Eigenkapital »höher als 40 %« zu unterlegen. Für Schiffsgesellschaften mit positiver Fortführungsprognose, darin stimmten die Bankenvertreter überein, sei auch künftig eine Sanierung möglich, »aber wir müssen dies nicht mehr unbedingt tun«, so Nullmeyer.

Genossenschaft vor dem Aus, »weißer Ritter« nicht in Sicht

Allgemeiner Tenor auf dem Forum war: Der Versuch, mit größeren Unternehmenseinheiten (Corporates) oder durch die Bildung von Genossenschaften der Krise zu entkommen, ist nur in wenigen Fällen geglückt. Der erst im Frühjahr in Haren gegründete Zusammenschluss Container Feeder eG stellt zum Jahresende das operative Geschäft sogar wieder ein. Die Kosten soll-

ten gesenkt, Erlöse gesteigert und das Management der vereinten Flotte professionalisiert werden. »Auf allen drei Gebieten haben wir die Ziele nicht erreicht«, beklagte Geschäftsführer Joachim van Grieken. »Die wenigsten Mitglieder haben sich so solidarisch verhalten, wie es nötig gewesen wäre.« Die Schwestergenossenschaft European Minibulk eG mit rund 100 Schiffen beschloss kurz darauf ebenfalls die Einstellung ihrer operativen Arbeit.

Auch die Hoffnung auf neue Finanziers aus Asien oder den USA, die zur Rettung herbeieilen könnten – vor Jahresfrist noch gehegt und munter diskutiert –, ist mittlerweile zerstoben. Es ist bei vereinzelten Engagements geblieben, etwa bei Lloyd Fonds (AMA Capital) oder der Bremer Reederei Harren & Partner (Goldman Sachs, J.P. Morgan). »Da kommt leider kein weißer Ritter plötzlich um die Ecke geritten«, sagte ein Reedereivertreter am Rande des Forums. Wie dieser Tage bekannt geworden war, hatte eine deutsche Reederei jüngst für den symbolischen Preis von 1 € zum Verkauf gestanden – es fand sich jedoch kein einziger Interessent.

»Master KG«: Praxisbeispiel aus den Niederlanden

Finanzinvestoren nicht in Sicht, das Genossenschaftsmodell im Grunde gescheitert, das Potenzial von reedereieigenen Pool-Lösungen ausgeschöpft – bliebe noch die Idee der »Master KG«, also eine Bündelung und gemeinsame Sanierung mehrerer Einzel-KGs. In den Niederlanden gibt es dafür ein erstes erfolgreiches Beispiel bei der Feeder-Reederei JR Shipping mit einst 23 Schiffen und einem eigenen Emissionshaus mit 3.500 Anlegern. Nach drei Jahren ohne Tilgung, zwei erfolgten Sanierungsrunden und einem neuerlichen Ratenabfall bei einem gleichzeitigen Anstieg der Betriebskosten sei im Herbst 2011 klar geworden, dass nicht mehr alle Schiffe gerettet werden könnten, berichtete JR-Geschäftsführer Sander Schakelaar auf dem HANSA-Forum. Sieben der 23 Schiffe wurden aufgegeben, fünf davon sind inzwischen in die Insolvenz gegangen.

Aber auch eine weitere Finanzierung der verbliebenen Einzel-KGs sei von der kreditgebenden HSH Nordbank abgelehnt worden. »Wir brauchten also ein neues Modell.« So wurde der »JR Fleet Fund CV« aufgelegt, unter dessen Dach elf Problemschiffe zusammengefasst und neu finanziert wurden. Vorteile für die Bank, die ebenfalls Zugeständnisse machte: geringeres Risiko, einfacheres Portfolio-Management, vollständige Tilgung der alten Darlehen.

Dafür gewährt die HSH eine neue Kreditlinie in Höhe von 142 Mio. € über eine Laufzeit von sieben Jahren, die Tilgung wird bis Ende 2013 ausgesetzt. Ab 2014 wird mit 1,8 Mio. € pro Quartal deutlich weniger getilgt als bislang in Summe, bei einer wirtschaftlichen Erholung und überschüssigen Einnahmen sind obligatorische Sonderzahlungen vorgesehen. »Die neue Finanzierung senkt die Zinslast zudem um 50 %«, sagte Schakelaar, der die Flottensanierung auf dem Forum in Hamburg erstmals öffentlich darstellte.

Den Anlegern bleibt ein weiterer Kapitalnachschuss erspart. Stattdessen erhalten sie Anteile zwischen 2,9 und 20,2 % an dem neuen Dachfonds, abgestuft nach aktuellem Wert und Performance des jeweiligen Schiffes. Steigen die Raten an, können sie sogar darauf hoffen, dass sich wieder Eigenkapital bildet und sie einen Teil des eingesetzten Geldes doch noch zurückerhalten.

Die Reederei wiederum behält die elf Schiffe und verhindert schmerzliche Verluste bei den Beteiligungen (knapp 6 Mio. €) und dem bereits investierten Sanierungs­kapital (3,65 Mio. €). »Die Konsolidierung in einer betriebswirtschaftlichen Einheit war die einzig mögliche Lösung, die allen Interessenvertretern eine Perspektive bietet«, so Schakelaar. So sieht es auch Chris­tian Nieswandt von der HSH: »Wir konnten Insolvenzen und damit einen drohenden Wertverlust verhindern.« Außerdem würden die Finanzkosten durch ein besseres Rating der Corporate-Struktur sinken.

Mangelnder Cashflow erschwert Konsolidierung

Die beim HANSA-Forum versammelten Experten bezweifelten allerdings, dass das niederländische Modell als Blaupause für die Sanierung angeschlagener Schiffsfonds in Deutschland dienen könnte. Dafür sei der Fall von JR Shipping mit einer einheitlichen Flotte von Containerfeedern und einer einzigen finanzierenden Bank im Hintergrund zu speziell. »Der Teufel steckt immer im Detail«, sagte Torsten Teichert, Vorstandschef von Lloyd Fonds. »Meist hat man es doch mit einer ganzen Reihe von Partnern zu tun, die alle willig sein müssen.« Eine weitere Schwierigkeit: Keine Bank und erst recht kein Konsortium würden in ein neues Konstrukt investieren, solange kein ausreichender Cashflow gesichert sei. Doch genau daran hapert es in den meisten Fällen, weil die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben weit auseinanderklafft.

Bei vielen Unternehmen sind die finanziellen Reserven deshalb endgültig erschöpft. Laut einer Analyse der Deutschen Fonds­research lag der Sanierungsaufwand während der ersten Phase in den Jahren 2009 und 2010 bereits bei rund 3,4 Mrd. € – was schon damals gut einem Zehntel des zuvor eingesammelten Gesamtkapitals entsprach. Knapp 200 Schiffsfonds konnten so gerettet werden. Angesichts des weiter schwächelnden Marktes droht vielen Gesellschaften nun die zweite oder sogar schon dritte Restrukturierungsrunde. Der neuerliche Kapitalbedarf trifft auf Anleger und Reeder, die oft nicht mehr willens oder in der Lage sind, frisches Geld nachzuschießen.

Insolvenz in Eigenverwaltung bietet Chancen

Viele Unternehmens- und Fondsmanager dürften sich daher in den nächsten Monaten verstärkt mit dem Insolvenzrecht auseinandersetzen müssen. »Hier steht der Dammbruch erst noch bevor«, warnte der renommierte Insolvenzverwalter Berthold Brinkmann, der zuletzt mit Sanierungsfällen wie Sietas und P+S Werften beschäftigt war. Mit insgesamt bis zu 500 Pleiten von Einschiffsgesellschaften rechnen Experten.

Die Reform des Insolvenzrechts, seit März 2012 in Kraft, biete aber durchaus auch Chancen, so Brinkmann. Die sogenannte Insolvenz in Eigenverwaltung belasse die alte Geschäftsführung im Amt, statt das operative Geschäft in die Hände eines branchenfremden Verwalters zu legen – in der auf persönliche Kontakte aufgebauten Schifffahrt sei das geradezu zwingend.

»Man hat ja bei der Bremer Reederei Beluga gesehen, wie schnell ein Unternehmen sonst vom Markt verschwinden und große Werte vernichtet werden können«, betonte Brinkmann.

Einen Königsweg aus der Krise hat die Branche bis heute nicht entdeckt. »Das ist wie Häuserkampf, es gibt da kein Patent­rezept«, sagt Ralf Friedrichs, Vorstandschef des Emissionshauses HCI Capital. Zehn Leute arbeiten nach seinen Angaben in einem speziellen Restrukturierungsteam, um die akuten Problemfälle zu lösen. Aber auch sie konnten nicht verhindern, dass inzwischen 29 Schiffe in die Insolvenz mussten. Etwas mehr als die Hälfte der HCI-Flotte (über 500 Schiffe seit 1985) musste restrukturiert werden.

Vergebliches Warten auf Hilfe aus Berlin

Auf die erhoffte Hilfe der Politik muss die Branche dabei verzichten. Just am Tag des HANSA-Forums hatte Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler in einem Schreiben an den Verband Deutscher Reeder (VDR) die Forderung zurückgewiesen, über die bundeseigene Kreditanstalt für Wieder­aufbau (KfW) Überbrückungskredite oder komplette Schiffsfinanzierungen zu gewähren. VDR-Chef Ralf Nagel zeigte sich enttäuscht. »Wir haben konkrete Lösungsansätze unterbreitet, die nicht aufgegriffen werden«, sagte er auf der Hamburger Konferenz. Das Problem sei durchaus verstanden worden, die erhoffte Reaktion sei bislang aber ausgeblieben. »Wenn jetzt nicht gehandelt wird, gerät der Schifffahrtsstandort Deutschland in Gefahr.«

Nagel wie auch Hamburgs Wirtschaftss­enator Frank Horch kündigten an, sich in Berlin weiter massiv für wirkungsvolle Hilfen einzusetzen. »Wir müssen den drohenden Ausverkauf der deutschen Flotte verhindern«, sagte Horch. Auch Eckhardt Rehberg, Beauftragter für die maritime Wirtschaft der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ging auf Gegenkurs zum FDP-Minis­ter Rösler: »Zum möglichen Einsatz der KfW zur Flankierung der deutschen Schifffahrt in dieser außerordentlichen Krise ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.«

Konferenzmaterialien und die Vorträge der Referenten finden Sie auf der HANSA-Website: www.hansa-online.de/forum2012


Krischan Förster