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Fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs liegen noch immer bis zu 1,6 Mio. t

konventionelle Kampfmittel vor der deutschen Küste. Der Ausbau der Offshore-

Windenergie macht ein altes Thema wieder aktuell.
Etwa 50 Stück Munition hatten die Verantwortlichen nach den ersten Baugrunduntersuchungen in der Osterems erwartet. Mittlerweile haben die Kampfmit-

telbeseitiger[ds_preview] von Boskalis Hirdes mehr als 1.000 Stück zutage gefördert: »Von der Munition in Kisten bis zur Schiffsartillerie mit 200 kg schweren Granaten stoßen wir hier auf die komplette Palette an konventionellen Kampfmitteln«, sagt Jan Kölbel, Technischer Leiter Offshore der Heinrich Hirdes EOD Services.

Das Unternehmen ist von Nordseenetzbetreiber Tennet beauftragt worden, die Kabeltrasse zwischen dem 15 km nordwestlich von Borkum entstehenden Offshore-Windpark »Riffgat« und dem Anlandungspunkt im ostfriesischen Pilsum zu räumen. Ursprünglich waren dafür zwei Monate veranschlagt: Wegen der unerwartet großen Zahl von Funden und der schwierigen Sichtbedingungen im Wattenmeer musste der Auftrag allerdings um ein ganzes Jahr verlängert werden. Aktuell geht Kölbel davon aus, dass die Arbeiten bis Ende März abgeschlossen werden können. Knapp 7 t Kampfmittel haben seine Mitarbeiter bisher an den Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes Niedersachsen übergeben. Vier Minen mussten an Ort und Stelle gesprengt werden, weil ein Transport zur Zerstörung an Land zu gefährlich gewesen wäre.

Fachleute warnen vor »punktuellen Gefährdungen«

Bald 70 Jahre liegt das Ende des Zweiten Weltkriegs nun zurück, doch auf dem Grund der deutschen Nord- und Ostsee liegen noch immer bis zu 1,6 Mio. t konventionelle Kampfmittel – allein 1,3 Mio. t davon in der Nordsee. Hinzu kommt eine geringere Menge an chemischen Kampfmitteln. Das geht aus einem Bericht zur Munitionsbelastung der hiesigen Meeresgewässer hervor, den eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Ende 2011 veröffentlicht hat (s. HANSA 2/2012, S. 53 ff.).

Dorthin gelangt sind die explosiven Stücke durch Übungen der Streitkräfte, Kriegshandlungen sowie die mehr oder weniger gezielten Versenkungen im Anschluss an die beiden Weltkriege. Minen, Torpedos, Bomben, mit dem Nervengas Tabun gefüllte Artilleriegranaten: Es liest sich wie eine Liste des Schreckens, was die Fachleute da zusammengetragen haben.

Zwar sei eine großräumige Gefährdung der marinen Umwelt über den lokalen Bereich der belasteten Flächen hinaus nicht zu erwarten, schreiben sie in ihrer Gesamtbewertung. Eine Gefährdung bestehe allerdings punktuell für Menschen, die in jenen Gebieten tätig seien.

Waren bislang vor allem Fischer betroffen, denen immer wieder einmal Munition ins Netz gegangen ist, muss sich jetzt die Offshore-Branche mit der Problematik auseinandersetzen. »Die Versenkungsgebiete, die in den Seekarten eingezeichnet sind, kennen wir einigermaßen gut«, erläutert Claus Böttcher vom Umweltministerium Schleswig-Holstein, einer der Autoren des Berichts und Geschäftsführer des Expertenkreises »Munition im Meer« innerhalb des Bund-Länder-Ausschusses Nord- und Ostsee (BLANO). »Darüber hinaus liegen aber auch unvorstellbar viele Minen und verschossene Torpedos an Stellen, die uns nicht bekannt sind.« Je nach Umweltbedingungen seien die Kampfmittel teilweise erstaunlich gut erhalten und durchaus noch detonationsfähig, so Böttcher. Wer auf See ein Bauprojekt plane, müsse sich dieses Risikos bewusst sein und die jeweiligen Baugebiete sorgsam überprüfen.

Versenkungsgebiete oft größer als in den Karten eingezeichnet

Bei der »Riffgat«-Kabeltrasse war bereits im Vorfeld bekannt, dass sie zwischen Borkum und Juist an einer Stelle vorbeiführen würde, an der nach Kriegsende deutsche Munition entsorgt wurde. Im Verlauf des Einsatzes sei dann deutlich geworden, dass das Gebiet in den Karten kleiner eingezeichnet sei, als es sich tatsächlich darstelle, berichtet Kampfmittelbeseitiger Kölbel. Zum einen liege das an der durch die Tiden verursachten ständigen Bewegung. »Noch problematischer ist allerdings, dass damals ein Teil der Ladung schon auf dem Weg zu den Versenkungsstellen über Bord geworfen wurde.«

Doch nicht nur die Versenkungsgebiete, die sich zumeist vergleichsweise nahe an den Küsten befinden, stellen Netzbetreiber und Bauherren vor Herausforderungen: Sowohl innerhalb der Zwölf-Meilen-Zone als auch weiter außerhalb in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), wo die meisten Offshore-Windparks entstehen, haben deutsche und auch alliierte Streitkräfte während der beiden Weltkriege großflächig Minensperren ausgelegt. Bis in die 1970er-Jahre hinein gab es große Anstrengungen, diese Sperren zu räumen – viele der Sprengkörper liegen jedoch nach wie vor hochexplosiv auf dem Meeresboden. So ist es zu erklären, dass in den vergangenen Monaten in den Baufeldern der Windparkprojekte »Nordsee Ost« und »Meerwind Süd/Ost« nordwestlich von Helgoland insgesamt sieben Minen entdeckt wurden, die gezielt gesprengt werden sollen, sobald die Wetterverhältnisse dies zulassen.

Unterschiedliche Regelungen für AWZ und Zwölf-Meilen-Zone

Dank der Arbeit des Expertenkreises und bedingt durch die aktuellen Funde sei bei Planern und Errichtern zuletzt das Bewusstsein für diese Thematik gewachsen, meint Jan Kölbel. Was fehle, seien allerdings einheitliche Regelungen der zuständigen Behörden. Momentan ist es so, dass die von den Bauherren engagierten privaten Kampf-

mittelräumer die geborgene Altmunition an die zuständigen Bundesländer übergeben, sofern sie innerhalb der Zwölf-Meilen-­Zone gefunden wurde. Bei notwendigen Sprengungen übernimmt hier der Kampfmittelräumdienst des jeweiligen Landes das Kommando. Werden hingegen in der AWZ nicht-transportsichere Sprengkörper entdeckt, sind die Privatunternehmen für deren Zerstörung an Ort und Stelle verantwortlich. Auch bei der Vernichtung von dort geborgenen transportfähigen Kampfmitteln wird es problematisch: Kein Bundesland und damit kein öffentlicher Kampfmittelräumdienst ist verpflichtet, die Alt­-

lasten anzunehmen und sicher zu zerlegen. »Da wäre ein strategisches Gesamtkonzept wichtig«, sagt Kölbel. »Für uns ist das jedes Mal eine Gratwanderung.«

Zumindest in Sachen Dokumentation gibt es seit dem 1. Januar 2013 ein abgestimmtes Vorgehen. Zum Jahreswechsel sind die Aufgaben der Wasserschutzpolizei-Leitstelle innerhalb des Maritimen Sicherheitszentrums (MSZ) in Cuxhaven dahingehend erweitert worden, dass hier jegliche in der deutschen Nord- und Ostsee entdeckte Munition erfasst und einheitlich dokumentiert werden soll. Damit ist eine wesentliche Empfehlung aus dem oben erwähnten Expertenbericht umgesetzt.

Die Autoren hatten darin betont, dass Informationen zu allen relevanten Ereignissen sowie deren geeignete Aufbereitung die Grundlage eines vollständigen Lagebildes zur Munition im Meer seien – es bislang allerdings keine nationale Meldestelle hierfür gebe. Das hat sich nunmehr geändert. Bereits im Oktober haben die Mitarbeiter der WSP-Leitstelle den Probebetrieb für das neue Arbeitsfeld aufgenommen: Die ersten Erfahrungen seien durchaus positiv, berichtet Leitstellenchef Hartmut Neumann. Bis zum Ende des Jahres seien 15 Kampfmittelfunde gemeldet worden, darunter sechs mit Bezug zur Offshore-Windenergie.

»Wir bekommen jetzt zeitnah und sehr detailliert alle wesentlichen Informationen von den Kampfmittelräumdiensten der Länder«, so Neumann. Da im MSZ unter anderem auch die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sowie die Bundespolizei See vertreten seien, würden Meldungen aus der AWZ ebenfalls aufgenommen und verarbeitet. Das Ziel einer zentralen Registrierung sei somit voll erreicht.


Anne-Katrin Wehrmann