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Reisevorbereitung, Navigation, Nachweisführung und Brückenorganisation sind in der Praxis an Bord ebenso unverzichtbar wie im Simulatortraining an Land. Kapitän Hans-Hermann Diestel erklärt die Bedeutung dieser Maßnahmen
Gegenwärtiger Stand der Seemannschaft

Die Ergebnisse einer Vielzahl von Untersuchungen zu Seeunfällen, u. a. der »Rena«, unterstützen folgende[ds_preview] Überschriften in Fachpublikationen:

• Fairplay (9.10.2008): Shorter sea time, less expertise

• Lloyd’s List (30.9.2010): Technology still cannot replace human decisions

• Lloyd’s List (24.5.2011): DNV urges owners to sack incompetent crew

Die Beobachtungen des Autors als Ausbilder, Auditor und Trainings-Kapitän bestätigen den Tenor dieser Beiträge und würden es erlauben, ein noch schwärzeres Bild vom Stand der Seemannschaft unserer Zeit zu vermitteln.

In diesem Beitrag ist es nicht möglich, die verschiedenen Auffassungen zur Brückenorganisation, die in den letzten Jahren entwickelt wurden, zu erläutern und zu bewerten. Das muss einem späteren Beitrag vorbehalten bleiben.

Erste Schritte zur Verbesserung der Brückenorganisation

»Bridge Teamwork in Restricted Visibility: Teamwork in these circumstances, teamwork as the Royal Navy would know it, seems to be virtually non-existent in merchant ships.« Für den Autor war diese Aussage in »Safety At Sea« (März 1978) die Initialzündung zur Beschäftigung mit dem Thema Brückenorganisation als junger Kapitän. Ein Begriff, der bis dahin für ihn geprägt war von der deutschen Tradition, dass der Navigationsoffizier unaufgefordert den Wachleiter mit seiner Navigation, seinen Beobachtungen usw. unterstützt. Dass Tradition allein nicht mehr reichen könnte, wurde ihm auch beim Studium des Berichts vom Netherlands Maritime Institute zur Strandung der »Metula« (1974) in der Magellan-Straße bewusst. Diese Überlegungen bekamen eine neue Dringlichkeit, als er 1985 die Verantwortung für die Untersuchung von Seeunfällen für die Flotte der Deutschen Seereederei (DSR) übernahm. Die Untersuchungen zu Kollisionen und Grundberührungen ihrer Schiffe machten überdeutlich, dass Brückenorganisation und Reisevorbereitung erheblich verbessert werden mussten. Das Ergebnis war ein Papier, das im Informationssystem der Flotte veröffentlicht und damit für die Kapitäne verbindlich wurde. Heute würde es als Verfahrensanweisung bezeichnet werden.

Weiterentwicklung dieser Grundlagen bei Alpha Ship

Nachdem der Autor von 1989 bis 1999 bei verschiedenen Reedereien als Kapitän gefahren war, übertrug ihm der Chef von Alpha Ship 1999 die Funktion der Designated Person Ashore (DPA) und damit auch die Verantwortung für die fachliche Aus- und Weiterbildung der Nautiker. Um diese Aufgabe erfolgreich bewältigen zu können, musste der Autor vor allem eine gründliche Analyse der Seemannschaft der Kapitäne vornehmen. Das war umso wichtiger, da sie aus verschiedenen Ländern (Deutschland Ost und West, Ukraine, Russland, Holland, Großbritannien usw.) kamen und damit auch durch sehr unterschiedliche Kulturen geprägt waren. Auf seinen Reisen mit den Schiffen des Unternehmens wurden Mängel in der Reisevorbereitung, Navigation, Nachweisführung und Brückenorganisation deutlich. Schon bei den ersten Kursen in Odessa wurden Simulationsübun­gen in die Weiterbildung einbezogen, um dann feststellen zu müssen, dass für eine nachhaltige Entwicklung die Voraussetzungen sowohl beim Simulationszentrum als auch beim Autor und dem Unternehmen fehlten. Durch seine Beobachtungen an Bord und durch diese ersten Kurse wurde deutlich, dass zuerst seemännische Voraussetzungen (Reisevorbereitung, Navigation, Nachweisführung) geschaffen werden mussten, bevor ein Bridge Re­source Management (BRM) ernsthaft etabliert werden konnte. Zielstellung war auch, unabhängig von der jeweiligen Kultur des Kapitäns, auf allen Schiffen das gleiche System zu etablieren, damit die Aufgabenstellung für die nautischen Offiziere objektiviert, systematisiert und planbarer werden würde. Um dies zu erreichen, waren eine systematische Weiterbildung erforderlich, ebenso die Schaffung kurzer und präziser Verfahrensanweisungen, während der Seereise durchgeführte Audits sowie gründliche Management Reviews. Erst nach fünf Jahren war ein Niveau erreicht, dass die Formulierung einer Verfahrensanweisung zur Brücken­organisation mit der Festlegung konkreter Aufgaben für den Teamleiter und den Navigationsoffizier erlaubte.

Von der Theorie zur Praxis

Nach 2005 bot die Reederei Rickmers dem Autor die Gelegenheit, weiter an diesen Problemen zu arbeiten. Dazu gehörte die Möglichkeit, sich Simulatorübungen in Rostock-Warnemünde, Hamburg, Constantza und Colombo anzusehen und zu beurteilen. Die Übungen hatten eine ähnliche Struktur (Crisis Management). Folgende Beobachtungen konnte er dabei machen:

Die erfahrenen Kapitäne neigten dazu, die vom Instrukteur vorgegeben Aufgaben ohne die Einbeziehung der auf der Brücke anwesenden Offiziere zu lösen. Ein erfahrener Kapitän griff wiederholt in die Manöver eines Ersten Offiziers ein, der zu diesem Zeitpunkt die Leitung des Brückenteams übernommen hatte. Das widerspricht den Prinzipien des Bridge Resource Management … Der Erste Offizier zog im weiteren Verlauf des Kurses vor, in einem anderen Team zu arbeiten. Besser wäre es gewesen, wenn er sich die Eingriffe des Kapitäns verbeten und damit seiner Verantwortung und Autorität als Bridge Team Leader gerecht geworden wäre. Der erwähnte Kapitän übernahm später die Leitung des Brückenteams und war dann nicht in der Lage, die vom Instrukteur gestellte Zielstellung im vollen Umfang zu realisieren. Ein Teil der mit der Zielstellung verbundenen Aufgaben konnte nicht abgearbeitet werden, weil er seine Offiziere nicht zur Lösung der Aufgaben heranzog.

In einem Statement an die Reederei hieß es dazu: »Der theoretische Teil eines Kurses ist zu umfangreich. Wir werden die Verhaltensweisen der Kapitäne und Offiziere nur verändern, wenn sie durch diese Kurse zu anderen Verhaltens- und Arbeitsweisen angehalten werden. Deshalb muss mit Hilfe der Kurse ein gewisser Drill erreicht werden. Dieses Ziel wurde nicht erreicht, dafür war die ganze Atmosphäre zu locker. Die Übungen arteten in Spielerei aus … Um die Ernsthaftigkeit zu erhöhen, muss z.B. der Zeitplan strikt eingehalten werden. Für die Erfüllung der Aufgaben müssen Zeitvorgaben erfolgen. Das heißt, dass die Kurse so ablaufen müssen, wie wir uns den Dienstbetrieb auf der Brücke vorstellen … Dass die Navigation teilweise auf der Nutzung von Tonnen beruhte, war eine navigatorische Bankrotterklärung … Die Fragen betreffend der Führung des Brückenbuchs, Vorbereitung der Reiseplanung und die Aufgabe des Lotsen habe ich mit den Lektoren besprochen. Sie haben mir zugestimmt. Ob dies bei der Rolle des Lotsen auch aus Überzeugung geschah, weiß ich nicht. Ich habe ihnen die Festlegungen in der STCW in Erinnerung gerufen … Bei den Übungen, die ich mir ansehen konnte, haben immer die anwesenden Kapitäne die Rolle des Teamleiters übernommen. Auf diese Weise werden wir die Umsetzung des Prinzips der Teamarbeit nicht voranbringen.«

Es wurde offensichtlich, dass ein Kurs die Ausbildungsstandards nach STCW nicht korrekt umsetzte und dass die Kurse keines der in der Flotte des Unternehmens existierenden seemännischen Probleme lösen würden. Daraufhin wurde der Blex (Bridge Leadership of Excellence)-Kurs vom Autor erarbeitet, um die theoretischen Grundlagen für Reisevorbereitung, Nachweisführung, Navigation und Brückenorganisation zu verbessern.

Auswertungen der durchgeführten Audits und der in der Flotte auftretenden Kollisionen und Grundberührungen zeig­ten, dass die Wirksamkeit der vom Unternehmen organisierten Kurse unzureichend war. Durch Gespräche mit betroffenen Kapitänen wurde der Druck auf sie, ihr Verhalten zu ändern, erhöht. Gleichzeitig kam der Autor zu der Auffassung, dass theoretische Unterweisungen und praktische Übungen am Simulator miteinander verbunden werden sollten. Das Ergebnis war der Blex-II-Kurs. In ihm stand ein Tag für die Erörterung der Prinzipien einer seemännisch korrekten Reisevorbereitung, Nachweisführung, Navigation, Führungstätigkeit, Kommunikation und Brückenorganisation zur Verfügung. Dann folgten zwei Tage mit vier Simulations­übungen, bei denen die vom Autor zusammengestellten Brücken­teams mit der Erarbeitung eines Reiseplans begannen und anschließend auf der Brücke während der Übung die theoretischen Vorgaben umsetzten. Die Umsetzung dieser Vorgaben durch die Teams wurde vom Autor nach jeder Übung eingeschätzt, damit bei der nächsten Übung die vorher gemachten Fehler vermieden oder die unzureichende Umsetzung verbessert werden konnte. Von vier Kursen erfüllte ein Kurs die Zielstellung nicht. Bei diesen Übungen wurden sofort die Stärken und Schwächen der Teilnehmer sichtbar. Dadurch wurde dem Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt, Beförderungen vorzunehmen oder hinauszuschieben, weiteres Training zu veranlassen usw.

Voraussetzungen für nachhaltige Simulation

Aus den bisher beschriebenen Ausbildungsmaßnahmen ergeben sich folgende Anforderungen an ein nachhaltiges Simulationstraining, das ein entscheidendes Mittel zur Schaffung einer den heutigen Anforderungen entsprechenden Brückenorganisation ist:

• Die Schaffung einer Struktur in einem Unternehmen, die die Einführung eines Safety Management Systems ermöglicht, das den heutigen hohen Anforderungen gerecht wird und dessen unverzichtbarer Bestandteil eine fachlich fundierte Aus- und Weiterbildung der Nautiker ist. Eine mit dieser Aufgabe betrauten Person (DPA, Personalleitung usw.) muss über das nötige seemännische Wissen verfügen.

• Die Unternehmen müssen erkennen, dass Simulationsübungen als Einzelmaßnahme wirkungslos sind und dass sich nur dann ihr Ziel – Schaffung BRM – erreichen, wenn die nötigen Voraussetzungen (Reisevorbereitung, Navigation, Nachweisführung, Führungstätigkeit usw.) an Bord der Schiffe etabliert wurden.

• Damit die Teilnehmer die Simulations­übungen ernst nehmen und sie nicht als gut bezahlte Freizeitbeschäftigung ansehen, muss das Unternehmen Druck auf die Teilnehmer ausüben, indem ihnen klar gesagt wird, dass die Übungen zur Überprüfung ihres Wissens und ihrer Erfahrung eingesetzt werden. Sie sollten deshalb Bestandteil eines Prozesses sein, der darüber entscheidet, ob ein Nautiker befördert oder ob ihm die Führung eines neuen Schiffstyps anvertraut werden kann usw. Das Unternehmen seinerseits muss mit der Präsenz führender Vertreter bei den Übungen und Kursen ihre Bedeutung dokumentieren.

• Das Unternehmen sollte von seinen Nautikern Lernbereitschaft und Selbststudium einfordern und dies mit der Bereitstellung von Fachliteratur, Computerprogrammen usw. unterstützen.

• Diese Maßnahmen werden nur dann Erfolg haben, wenn das Management eine Geschäftspolitik, irrtümlich oft Philosophie genannt, etabliert, die die Mitarbeiter achtet und die sich um die Mitarbeiter kümmert, wozu auch die Schaffung angemessener Verhältnisse an Bord gehört.