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Die Probleme auf der Vorschriftenseite sind geringer als angenommen, aber die Marktentwicklung ist schwer vorherzusagen.
Jeder Segler und jeder Badegast kennt sie, die gelben Schleier über der Ostsee an manchem windärmeren Tag. Die Belästigung ist[ds_preview] zwar mehr optisch, da der SOx Gehalt der Luft meist weit unter den für die Gesundheit relevanten Grenzwerten liegt, aber ab Januar 2015, wenn auch die Ostsee zum Sulphur Emission Control Area (SECA) wird, soll nach dem Willen der IMO auch damit Schluss sein. Diese an sich löb­liche Zielsetzung wurde von der IMO in Form von rigorosen Emissionsgrenzwerten umgesetzt und stellt die Beteiligten des Seeverkehrs vor schwierige unternehme­rische und finanzielle Herausforderungen. Es trifft vor allem den existierenden Schiffsbestand, während sich die neuen Regeln bei Neubauten besser einplanen lassen. Wie unter anderem eine von der EU finanzierte Studie (North European LNG Infrastructure) unter Führung der Danish Maritime Administration (DMA) Ende 2012 herausgearbeitet hat, sind alle Alternativen zur Einhaltung der künftigen Grenzwerte ent­weder in der Investition oder im Betrieb teuer, sei es der Einbau von Abgaswäschern (»Scrubber«), das Bunkern von teurem schwefelarmen Gasöl (MGO), Elektroantrieb mit Brennstoffzellen und Batterien oder die Verwendung neuer Kraft­stoffe wie Methanol oder flüssigem Erdgas (LNG), die eine geeignete Maschinenanlage und Tanks voraussetzen. Nicht wenige Logistikexperten halten es daher auch für möglich, dass Verkehrsströme wegen der dadurch induzierten Kostensteigerungen bei den Seefrachten auf den bezüglich des CO2-Ausstoßes wesentlich ungünstigeren Straßenverkehr entlang der Ostseeküsten ausweichen könnten.

Zahlreiche Untersuchungen zeigen auch, dass es keine verallgemeinerbar ökonomisch günstigste Alternative für die künftige Fahrt in SECA-Gebieten gibt. Die im Einzelfall beste Lösung hängt von vielen Parametern ab, die spezifisch für Schiffstyp und -alter, Trades (vor allem Zeitanteil innerhalb von SECA) und auch die Reedereiphilosophie sind. Nicht zuletzt wegen der mit LNG erzielbaren Emissionsreduzierungen (nahezu 100% bei Schwefel und Partikeln, mehr als 80 % bei NOx und ca. 30% bei CO2), aber auch wegen der Hoffnung auf künftig im Vergleich zum knapper werdenden Öl günstige LNG-Bunkerpreise, gilt LNG aber bei vielen als der Schiffskraftstoff der Zukunft. So auch bei der EU-Kommission, deren Anfang 2013 vorgeschlagener LNG-Aktionsplan, der in allen Kernhäfen des trans­europäischen Transportnetzes (TEN-T) bis Januar 2020 LBG-Bunkermöglichkeiten fordert, derzeit mit dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten verhandelt wird und dabei allerdings auch Widerstand erfährt, vor allem von Mittelmeeranrainern. Die Ausweisung des Mittelmeeres als SECA dürfte eher in weiter Ferne liegen, wie auch solche Pläne für die Küstengewässer vor dem mittleren Norwegen und um Japan zunächst verschoben wurden.

Mutige Investitionen trotz Krise

Das die Akzeptanz von LNG bisher bremsende »Henne und Ei«-Dilemma aus mangelnder Nachfrage und fehlendem Angebot scheint in der Ostsee inzwischen durch strategische Investitionen von LNG-Lieferanten wie AGA Linde, Gasnor/Shell, Vopak + Swedgas oder Bomin Linde in Lager und Bunkerstationen durchbrochen. Weitere Anbieter wie Gasum, Gazprom und eventuell Polskie LNG sind zu erwarten. Technisch ist das Bunkern mit LNG weitgehend geklärt, es stehen Tank-Lkw und auch Tankcontainer für den Einsatz an Bord zur Verfügung. Weitere Lager und Bunkerboote könnten innerhalb von zwei Jahren errichtet werden.

Damit kann jeder Reeder nun davon ausgehen, dass er ab 2015, spätestens jedoch 2016 in vielen Häfen der Ostsee auch LNG bunkern kann. Die begonnenen Investitionen der LNG-Anbieter sind mutig, da die Entwicklung der Nachfrage in den kommenden Jahren schwer vorhersagbar und mit erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Die dazu kursierenden Marktprognosen streuen denn auch stark und sind für Investitionsrechnungen wenig belastbar.

Der Autor hat in den vergangenen Monaten im Gespräch mit mehreren potenziellen LNG-Lieferanten feststellen können, dass diese inzwischen alle von einer langsameren Nachfrageentwicklung ausgehen. Dies ist auch gut nachzuvollziehen: Inmitten einer veritablen Schifffahrtskrise mit nicht auskömmlichen Fracht- und Charterraten ist die Investition in teure Umbauten, wie sie in der von der DMA geführten Studie »North European LNG Infrastructure« noch im Herbst 2012 als betriebswirtschaftlich sinnvolle Reaktion auf die SECA-Anforderungen erwartet worden war, für viele Reedereien momentan nicht darstellbar. Neubauplanungen werden trotz des aktuell günstigen Werftpreisniveaus nur von wenigen großen Playern offensiv betrieben. Wie sich in Gesprächen mit Reedereien immer wieder bestätigt, dürfte mit einem wirklichen Durchbruch für LNG-Antriebe erst dann zu rechnen sein, wenn klar ist, dass LNG Bunker Fuel weltweit langfristig wesentlich günstiger als Bunkeröle zu bekommen ist, auch abseits der großen Importterminals wie in der Ostsee, wo der Preis höhere Logistikkosten für die Anlieferung und Lagerung decken muss.

Dabei zählt weltweit nicht der Vergleich mit MGO, sondern mit dem außerhalb der SECAs weiter nutzbaren Schweröl, bei dem ja frühestens ab 2020 der Schwefelgehalt gesenkt werden wird. Deutliche Preisvorteile für LNG würden auch augenblickliche Vorbehalte mancher finanzierender Banken wegen des Secondhand-Wertes von LNG-Schiffen mangels weltweiter Wettbewerbsfähigkeit ausräumen. Genau über diese künftige Bunkerpreisrelation ist aber zurzeit wenig mehr zu erfahren als unterschiedlichste Spekulationen. Vielen Reedern erscheint daher die Option, zunächst Investitionen zu vermeiden und ab 2015 im SECA mit Bestandsschiffen und teurem MGO zu fahren und so zunächst die Marktentwicklung sowohl bei Frachten als auch für Treibstoffe abzuwarten, als die momentan vernünftigste Vorgehensweise.

Günstiger als zunächst erwartet kann mittlerweile die Lage auf der Vorschriftenseite beurteilt werden, wie eine im März–Mai 2013 im Auftrag der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern (MV) von C-PL Rostock und MvB euroconsult durchgeführte Studie über Handlungsansätze zum Aufbau einer LNG-Infrastruktur für die Seeschifffahrt in MV ermittelt hat. Nach der augenblicklichen internationalen und deutschen Rechtslage ist der Betrieb von LNG angetriebenen Schiffen schon heute möglich, obgleich der endgültige IMO-Gas Fuel-(IGF) Code noch in intensiver Diskussion ist und kaum vor 2015 in Kraft treten dürfte. Dies wird möglich über die Anwendung der Interims-Richtlichtlinie MSC 285(86) der IMO, der jeweilige Flaggenstaat genehmigt auf Basis dieser Richtlinie im Einzelfall. Für den Bunkervorgang, der üblicherweise in den lokalen Hafenordnungen geregelt ist, gibt es momentan keine international einheitlichen Vorschriften. Es stehen jedoch ausreichend einschlägige und etablierte Standards zur Verfügung (z.B. ISO, OGP, SIGTTO, DNV), die von den ersten Häfen mit LNG-Bunkermöglichkeit bereits als technische Richtlinien und Bezugspunkte herangezogen werden und sich wohl hinsichtlich Gerät und Ausrüstung international durchsetzen dürften. Der letzte Stand ist in einem Richtlinienentwurf für Systeme und Einrichtungen für LNG-Bunker zusammengefasst, den die Organisation der Öl und Gas Produzenten (OGP) Anfang Juni gemeinsam mit der ISO vorlegte. Die EU hat über die European Maritime Safety Agency (EMSA) einen Vorschlag für einheitliche Bunkerrichtlinien erarbeitet, der jedoch nach Aussage der zuständigen Generaldirektion MOVE in Brüssel nicht zwingend zu einer verbindlichen europäischen Vorschrift führen muss. Einige «Early Mover« wie Rotterdam, die Häfen an der flandrischen Küste, Göteborg und Stockholm haben eigene Risikoanalysen durchgeführt und darauf aufbauend das Lagern und Bunkern von LNG geregelt. Ein sehr pragmatisches Beispiel ist die kürzlich geänderte Hafenordnung von Stockholm, die nun das Bunkern von Treibstoffen mit niedrigerem Flammpunkt als 55 °C wie LNG berücksichtigt und damit die tägliche Versorgung der Finnlandfähre »Viking Grace« durch ein LNG-Bunkerboot inmitten des Publikumsbereichs des Hafens und während des Passagier- und Autoumschlags ermöglicht, mit einer Sicherheitszone von 25 m zur Bordwand.

Studie: LNG auch rechtlich sicher

Die im Land Mecklenburg-Vorpommern durchgeführte Studie von C-PL / MvB euroconsult zeigt, dass Bunkern von LNG in den vier Seehäfen des Landes schon heute nicht verboten ist und dass die lokalen Hafenordnungen relativ leicht an routinemäßiges Bunkern von LNG angepasst werden können. Nur in Rostock und Sassnitz dürfte allerdings nach der Studie mittelfristig nennenswerte LNG-Nachfrage zu erwarten sein, davon in Rostock (einer der TEN-T-Kernhäfen) etwa drei Viertel des Landesbedarfs. Selbstverständlich sollte für jede neue Bunkerstelle (wie für alle Gefahrgüter, auch zur Dokumentierung pflichtgemäßer Gefahrenabwehr) eine Risikobetrachtung angestellt werden, die die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt und aus der sich eventuell besondere örtliche Anordnungen wie z.B. temporäre Einschränkungen des Publikumsverkehrs, besondere Sicherheitsabstände oder Abstellorte für Tankfahrzeuge / Tankcontainer ergeben können. Dabei kann aber auf einen immer größer werdenden Fundus allgemeiner Erkenntnisse zurückgegriffen werden, sodass der Aufwand für den einzelnen Hafen mit der Zeit immer geringer werden dürfte. In MV wird eine landesweite Initiative vorbereitet, die eine Änderung der Landeshafenordnung einschließt.

Rechtlich ist LNG bis zur Abgabe an ein Lager oder bis zum Anschluss des Tankfahrzeugs / Tankcontainers an das Schiff Gefahrgut, erst danach Treibstoff. Bei allen Risikobetrachtungen wurde nochmals deutlich, dass LNG kein Explosivstoff ist. Im internationalen Gefahrgut-Code (IMDG-Code) ist LNG unter der UN-Nummer 1972 in Klasse 2.1 (»entzündbare Gase«) eingeordnet. Tiefkaltes LNG verdampft nach Austritt aus einem geschlossenen System (z.B. durch Leckagen) praktisch sofort. Der Dampf sinkt zunächst zu Boden und verflüchtigt sich dann sehr schnell. Eine Entzündung kann nur erfolgen, wenn das Gemisch aus Gas und Luftsauerstoff innerhalb eines Mischungsverhältnisses von ca. 5–15 % Vol. mit einer Zündquelle zusammentrifft. Diese Grenzen werden allerdings bei der Verflüchtigung sehr schnell passiert, sodass die Zeitspanne mit akuter Entzündungsgefahr relativ kurz ist. Kommt es zu einer Entzündung, kann Methan in offenen Bereichen normalerweise keinen schädlichen Überdruck aufbauen und nur Bereiche, aus denen sich das Gas nicht schnell genug verflüchtigen kann, könnten explosionsgefährdet sein. Der für die Handhabung gravierendste Unterschied zu Bunkerölen ist die niedrige Temperatur (ca. minus 161–163 °C). Daher wird bei der Treibstoffübergabe durch spezielle Schläuche und Kupplungen sowohl eine Erwärmung und die daraus resultierende stärkere Verdampfung als auch der direkte Kontakt von tiefkalter (»kryogener«) LNG-Flüssigkeit zu Stahlstrukturen oder menschlichen Körperteilen vermieden.

Es bestehen bereits jahrzehntelange positive Erfahrungen in der Handhabung von LNG auf Schiffen, die Unfallrate ist verschwindend gering. Es kann nach den bisherigen Untersuchungen wohl davon ausgegangen werden, dass das Bunkern von LNG von qualifiziertem Personal und bei Beachtung gewisser Sicherheitsvorschriften künftig im Hafen ähnlich routinemäßig durchgeführt werden kann, wie heute Öl gebunkert wird.


Michael vom Baur