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Die Manila-Änderungen der STCW 95 sind für neu beginnende maritime Ausbildungsgänge seit Juli 2013 verbindlich. Die Schulung der sozialen Kompetenzen der Seeleute wird jetzt stärker im Lehrplan berücksichtigt. Doch bei der methodisch–didaktischen Umsetzung gibt es international große Unterschiede. Eine vergleichbare Bewertung der Ausbildungsqualität steht noch aus.
Am 21. November 2012 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Europäische Rat die Richtlinie 2012/35/EU über Mindestanforderungen für[ds_preview] die Ausbildung von Seeleuten. Damit sind die formalen Voraussetzungen geschaffen worden, die Neuerungen aus den in 2010 beschlossenen »Manila-Änderungen« der Standards of Training, Certification and Watchkeep­ing (STCW 95) in europäisches Recht um­zu­setzen. Der Richtlinienentwurf führt weiter aus: »Eine verbesserte Ausbildung von Seeleuten sollte eine geeignete Ausbildung in Theorie und Praxis umfassen, um sicherzustellen, dass Seeleute hinreichend qualifiziert sind, um die Gefahrenabwehr und Sicherheitsstandards zu erfüllen und auf Gefahren und Notfälle reagieren zu können.«

In der Anpassung der nationalen Vorschriften an die Manila-Änderungen bedeutet dieses konkret für Deutschland, dass u.a. alle Seeleute ihre Befähigung im Hinblick auf die Sicherheitsgrundausbildung, den Rettungsbootmannschein und die fortschrittliche Brandbekämpfung alle fünf Jahre mit der Teilnahme an Auffrischungskursen nachweisen müssen. Im Zusammenhang mit der Gültigkeitsverlängerung der Befähigungszeugnisse ist nunmehr für Kapitäne und nautische Offiziere der (einmalige) Nachweis über ausreichende Kompetenzen für die Benutzung des elek­tronischen Kartendarstellungs- und Informationssystems (ECDIS) verbindlich. Neu ist auch die für alle Seeleute verbindliche Grundausbildung in der Gefahrenabwehr auf dem Schiff, mit der die Manila-Änderungen des STCW der veränderten Sicherheitslage insbesondere durch seeräuberische Überfälle Rechnung tragen.

Als Übergangsfrist für die Umsetzung der EU-Richtlinien gilt eine Dauer von fünf Jahren bis zum Januar 2017, wobei diese Frist in Teilbereichen auch frühzeitiger enden kann. So ist vorgesehen, dass die Manila-Änderungen seit Juli 2013 in allen neu beginnenden Ausbildungsgängen durch entsprechende Inhalte berücksichtigt werden. Verbindliche Kompetenzen wie »Führungskräftetraining« oder »Bridge Ressource Management« werden dann durch Erteilung der nautischen und technischen Befähigungszeugnisse dokumentiert.

Insbesondere durch die verstärkte Einbeziehung von nicht-technischen Inhalten in die Ausbildung stellt sich die Frage nach der Qualitätserfassung und -bewertung des Trainings und der Auswahl an geeigneten Parametern zur Evaluierung. Für die Bewertung von »Führungskompetenz« wäre etwa zu fragen, welches Verhalten in einem speziellen interaktiven Zu­sammenhang (Teamwork auf der Brücke, Sicherheitstraining, allgemeine Kommu­nikation und Kooperation, Führung in kri­tischen Situationen, Motivation) Rückschlüsse auf die geforderte Kompetenz des Schiffsoffiziers zulassen.

Das ebenfalls damit zusammenhängende Problem der Vergleichbarkeit von international unterschiedlichen Lehrinhalten und Curricula sieht auch die EU-Richtlinie und empfiehlt deshalb die Entwicklung und Einführung von »Qualitätsnormen und Qualitätssicherungssystemen«. Diese sollten sich gegebenenfalls an der Empfehlung des Europäischen Parlamentes und Rates vom 18. Juni 2009 zur Einrichtung eines europäischen Bezugsrahmens für die Qualitätssicherung in der beruflichen Aus-und Weiterbildung (ECVET) orientieren. Aktuell sind hier mit Blick auf den maritimen Bereich noch keine konkreten Schritte unternommen worden.

Dabei zeigt die gegenwärtige Thematisierung des Aspektes »Human Element« bei der International Maritime Organisation (IMO) (»IMO Symposium on the Future of Ship Safety»; 10./11. Juni 2013, London.), dass das Problem der Validierung und Steuerung der sogenannten Softskills auch in der globalen Dimension gesehen wird. Das Bestreben der IMO »… to identify the best way of encouraging a safety culture beyond mere compliance with statuatory requirements …« stellt die Bedeutung des Verhaltens und der »inneren Einstellung« des einzelnen Seemannes für einen sicheren Schiffsbetrieb klar heraus.

Dass hier noch Handlungsbedarf besteht, belegen auch die Ergebnisse einer Studie (»Safety culture within cross-cultural crews«. Intern veröffentlichte Studie der Verfasserin zur Sicherheitskultur an Bord verschiedener Containerschiffe (2.800 TEU), 2013.), die sich mit der Sicherheitskultur an Bord im interkulturellen Kontext befasst. In einem begleitenden Fragebogen antworteten auf die Frage, ob sie bezüglich des Sicherheitsverständnisses in einer multikulturellen Mannschaft einen Unterschied sehen, mehr als 46 % der osteuropäischen und philippinischen Schiffsoffiziere mit »Ja«, wohingegen 87 % der philippinischen Decks­crew dieses verneinte. Bei der Konkretisierung der Indikatoren für das unterschiedliche Sicherheitsverhalten wurde das grundsätzliche Verständnis von Sicherheit genannt, aber auch mangelnde Ausbildung, mangelnde Risikobewertung, Probleme der Kommunikation und Probleme durch Hierarchie. Nachfolgend wurde die Frage, ob die tägliche Routine ihr Sicherheitsbewusstsein beeinflusse, dieses von 40 % der Schiffsoffiziere mit »Ja« bestätigt, während 86 % der Decksleute hier kein Problem sahen.

Im Bereich der individuellen Risikoabschätzung (»Glauben Sie, alle Risiken Ihres Arbeitsplatzes zu kennen?«) zeigte sich ein ähnlich divergierendes Bild. Bei den Schiffsoffizieren verneinten 60 % die Frage, wohingegen 87 % der einfachen Seeleute die Risiken ihrer Arbeit als bekannt ansehen. Eine weiterführende Rangordnung von sicherheitsrelevanten Aspekten erbrachte bei den Schiffsoffizieren »Persönliche Fähigkeit« als sehr wichtiges Merkmal und »Training« an zweiter Stelle. Bei der Deckscrew wurden beide Variablen in umgedrehter Reihenfolge eingestuft. Hier kommt dem Training die höchste Wertigkeit zu.

Da sich der kulturelle Hintergrund insbesondere im entsprechenden Rang dokumentierte (ausschließlich philippinische Ratings, überwiegend osteuropäische Offiziere), kommt den Aussagen der beiden philippinischen Offiziere Trendwirkung zu. So zeigten diese bei der Wertigkeitsfest­legung nachfolgender Variablen ähnliche Ergebnisse wie die philippinischen Nicht-Offiziere.

Bei der Einordnung von Merkmalen wie Kommunikation, Gesundheit und Wohlbefinden, Situationsbewusstsein (»situation awareness«), Schichtarbeit, Entscheidungsfindung, Fatigue, Stress und Training hinsichtlich ihrer Bedeutung für ihre Arbeit werteten die osteuropäischen Schiffsoffiziere das Situationsbewusstsein mit oberster Priorität, während bei der philippinischen Crew die Kommunikation als wichtigstes eingestuft wurde. Die Variable »Gesundheit und Wohlbefinden« rangiert bei beiden Gruppen auf dem zweiten Platz. Bei der Präzisierung, welcher Aspekt hinsichtlich des Wohlbefindens an Bord für sie von Relevanz ist, wurden von beiden Gruppen in der Hauptsache genannt: gutes Verhältnis innerhalb der Mannschaft, Respekt, gute Kommunikation, normale Ruhezeiten, weniger Bürokratie und weniger Stress.

Unter Berücksichtigung weiterer Ergebnisse, die u.a. aus teilnehmender Beobachtung an Bord gewonnen wurden, zeigte die Studie auch einen Bedarf an interkultureller kommunikativer Kompetenz. Dieser Befund mag durch den globalen Charakter von Schifffahrt auf den ersten Blick nicht sonderlich verwundern. Hinterfragt werden muss jedoch, inwieweit die Vermittlung der entsprechenden Kompetenz durch »learning by doing« an Bord stattfindet oder ob sie in den Lehrplänen der maritimen Ausbildungseinrichtungen entsprechende Berücksichtigung findet. So ergab eine nicht-standardisierte Umfrage unter 100 Studierenden an europäischen maritimen Bildungseinrichtungen, dass sich ein Großteil mehr interkulturelles Kommunikationstraining im Lehrplan wünscht.

Neben dem Lehrinhalt (»Was«) stellt die Lehrmethode (»Wie«) einen essenziellen Bestandteil in der allgemeinen pädagogischen Praxis dar und speziell in der maritimen Ausbildung kommt der Methodenkompetenz durch den Einfluss des lernkulturellen Hintergrundes eine wichtige Funktion zu. So lässt sich unterstellen, dass ein Lernender, der aus einem mehr gemeinschaftlich geprägten Kulturkontext kommt, beispielweise auch für den Lernprozess eher Gruppenarbeit vorziehen wird. Auch sollte berücksichtigt werden, inwieweit die Lehrmethode auf die Lernumgebung, etwa an Bord, abgestimmt ist. In diesem Zusammenhang mag die verbreitete Verwendung von Computer Based Training (CBT) an Bord als Methode zur Vermittlung von unterschiedlichen Lerninhalten zwar grundsätzlich praktikabel sein, insbesondere um den bei Flaggenstaatskontrollen erforderlichen Kompetenznachweis der Mannschaft dokumentieren zu können. Inwieweit die Assessment-Ergebnisse jedoch auch Rückschlüsse auf verinnerlichte Wissensstände erlauben, muss mit Vorbehalt gesehen werden ( »Computer Based Training im interkulturellen Lernumfeld«: Intern veröffentlichte Studie der Verfasserin zum Einsatz von Computer Based Training an Bord verschiedener Containerschiffe (2800TEU / 3500TEU), 2009.). Unter Berücksichtigung der spezifischen Lernsituation an Bord (Arbeitstag, Schiffsbewegung, Lärm) wird das Absolvieren von CBT-Modulen denn auch vielerorts zur lästigen Pflicht.

Idealer wäre hier eine Mischung aus kurzem theoretischem Vortrag, praktischem Drill und/oder Vertiefungsphase, beispielsweise in Gruppenarbeit, bei der der Einzelne eine direkte und nachvollziehbare Rückmeldung zu bestimmten Problemstellungen erhält. Der Aufbau solcher methodischer Reihen, die den Lerngegenstand nicht nur abstrakt theoretisch darlegen, sondern in einer Kombination von unterschiedlichen methodischen Herangehensweisen auch den Erfahrungshintergrund der Schiffscrew einbeziehen, wäre ein sinnvoller Beitrag zur Entwicklung eines methodisch-didaktischen Ansatzes und geeignet, verinnerlichtes Wissen, das insbesondere in Krisensituationen abrufbar ist, zu generieren.

Bei den im Lehrplan verankerten Simulationsübungen lässt sich ein entsprechender methodischer Ansatz durch die Verwendung von lernzielbasierten Szenarien verwirklichen. Mit einer stärkeren Ausrichtung des Szenarios auf das vorgegebene Lernziel lassen sich im Szenario-Ablauf die lerntheoretisch bedeutsamen Sequenzen für den Lernenden eindeutiger herausarbeiten, z. B. bei einem Kommunikationstraining die Aspekte Kommunikationsstil, Kooperation und Führungsstil. Zudem erlaubt ein solches Vorgehen auch eine bessere Evaluierung der erlernten Kompetenzen.

Das oben angesprochene Anliegen der IMO, eine maritime Sicherheitskultur über die reinen Vorschriften hinaus zu schaffen, lässt sich auch als eine pädagogische Aufgabe der mit der maritimen Ausbildung befassten Personen an Land und auf See beschreiben. Zur Bewältigung ihre alltäglichen Aufgaben und Probleme verwenden diese oftmals Alltagstheorien, die wenig Veränderungspotenzial aufweisen. Eine stärkere Hinwendung zu methodisch-didaktischen Fragestellungen und ein damit verbundener kontinuierlicher Austausch bei der praktischen Umsetzung könnte hier den Weg weisen für eine flexible Anwendung lerntheoretischer Prinzipien und eine darauf aufbauende Optimierung des maritimen Lern-und Ausbildungsprozesses im Hinblick auf selbstgesteuertes, kooperatives und problemlösendes Lernen im interkulturellen Arbeitsfeld.

Autorin: Dr. Birgit Nolte-Schuster

b.nolte-schuster@t-online.de


Birgit Nolte-Schuster