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Fundierte Anweisungen an Kapitäne werden oft unterschätzt, sind aber bei multinationalen Crews und angesichts des Verlusts alter seemännischer Traditionen sehr wichtig. Kapitän Hans-Hermann Diesel macht sich für die Ständige Wachorder stark
1. Einleitung

Die Aufgabe der Anleitung der Kapitäne durch die Reedereien sowie Managementunternehmen und der Offiziere an Bord[ds_preview] durch den Kapitän ist lange über die Tradition in wichtigen Schifffahrtsländern geregelt worden. Diese Traditionen sind fast vollständig durch die Veränderungen in der Schifffahrt (multinationale Crews, fehlende seemännische Kompetenz in den Unternehmen usw.) verlorengegangen. Hinzu kommt eine seit langem existierende Unterschätzung der Bedeutung von fachlich fundierten Anweisungen an die Kapitäne.

Durch die angedeutete Entwicklung hat die Ständige Wachorder als standardisierte Handlungsanweisung enorm an Bedeutung gewonnen. Die Ständigen Wachordern, die der Autor als Auditor oder Trainingskapitän auf den von ihm besuchten Schiffen vorfand, waren in der Regel unzureichend.Würde ein Kapitän Anleitung in einem der zahlreichen Fachlexika oder in einem Fachbuch (Seemannschaft, Müller-Krauß etc.) suchen, dann fände er dort entweder gar keinen oder einen nichtssagenden Eintrag zum Stichwort Wachorder.

2. Vor dem ISM Code

Fachlich gut geführte Reedereien legen seit langem Wert auf klare Anweisungen an ihre Kapitäne. Bei W. S. Lindsay (Lindsay, W.S.: History of Merchant Shipping and Commerce, Vol. IV, S. 242, Sampson Low, Marston, Low, and Searle, London, 1876.) findet sich für die Dampfschifffahrt einer der ersten Hinweise auf eine sehr detaillierte Anweisung der Reederei Cunard an ihre Kapitäne zur sicheren Führung des Schiffes. Sehr prägnant ist auch die Anweisung von Ferdinand Laeisz an seine Kapitäne vom Oktober 1903, wenn ihm offensichtlich auch die »Creditirung aller Nebeneinnahmen, Gratificationen und dergleichen« an ihn wichtiger war als die Seemannschaft.

Wie schon bei anderen seemännischen Problemen (Reisevorbereitung, Brückenorganisation) haben sich die Tankschiffreedereien intensiver mit der Formulierung aussagekräftiger Wachordern beschäftigt als die Reeder von Stückgut- und Containerschiffen. Das bestätigt ein Vergleich des Tanker-Manuals von Niarchos und der Dienstvorschriften für Kapitäne und Offiziere der Hamburger Poseidon Schiffahrt. Beide wurden im Jahre 1959 erlassen. Das Handbuch von Niarchos enthält einen Abschnitt zum Wachorderbuch (Night Order Book, Part I, Section 5, Point 28+29) mit Hinweisen zum Kurs, den Kurs- und Geschwindigkeitsänderungen, anzutreffenden Landmarken und den üblichen Hinweisen zum Informieren und Wecken des Kapitäns. In diesem Handbuch ist auch ein Abschnitt »Standing Orders for Watch Officers« (Part I, Section 5, Point 32 + 33) enthalten. In zwölf Punkten schrieb das Unternehmen den Wachoffizieren vor, wie sie zu navigieren, ihre Wache zu gehen und den Kapitän zu informieren haben. Bei Poseidon wiederum werden die Wachorder oder das Wachorderbuch nicht einmal erwähnt.

Auch die Dienstordnung der DSR für das seefahrende Personal vom 1. Januar 1971 ist in ihren Aussagen zu diesem seemännischen Problem zurückhaltend. In Punkt 5.4.11 findet sich folgende Aussage: »Der Kapitän hat alle die Seewache betreffenden Anweisungen in ein Wachorderbuch einzutragen.« Dessen ungeachtet übte die Reederei Druck auf die Kapitäne aus, umfangreiche und fachlich fundierte Ständige Wachordern zu erarbeiten. Diese Entwicklung lief dann etwas aus dem Ruder, weil die Wachordern zu umfangreich wurden. Der Autor hatte 1977 zur Indienststellung der »Sangerhausen« eine Ständige Wachorder mit 41 Punkten erarbeitet. Der zuständige Inspektor verlangte dann, die wichtigsten Punkte aus dieser Wachorder herauszulösen und der Ständigen Wachorder voranzustellen. 1983 überarbeitete der Autor seine Ständige Wachorder und reduzierte sie auf 27 Punkte.

3. ISM Code / Code of Federal Regulations (CFR)

Die Einführung des ISM Codes war keine Sternstunde der Seemannschaft, denn dieses Wort findet sich nicht ein einziges Mal im Code. Trotzdem fordert er die Schaffung der notwendigen Weisungen für einen sicheren Schiffsbetrieb von Seiten des Unternehmens und des Kapitäns. Im Code sind diese Anforderungen folgendermaßen formuliert:

1.4 Every Company should develop, implement and maintain a Safety Management System (SMS) which includes the following functional requirements: (…)

.2 instructions and procedures to ensure safe operation of ships and protection of the environment in compliance with relevant international and flag State legislation (…).

5.1 The Company should clearly define and document the master‘s responsibility with regard to (…)

.3 issuing appropriate orders and instructions in a clear and simple manner (…).

Durch den ISM Code rückte die Ständige Wachorder somit wieder stärker in den Fokus des Kapitäns, der Unternehmen und der Verwaltung.

4. Wachorder durch Unternehmen oder Kapitän

Als der Autor 1999 vom Geschäftsführer des Managementunternehmens Alpha Ship in Bremen mit der Erarbeitung des Safety Management Systems (SMS) beauftragt wurde, nahm er auf allen Schiffen des Unternehmens an Reisen in Seegebieten teil, die hohe Anforderungen an die Schiffsführung stellen. Eine Analyse der Arbeitsweise der aus verschiedenen Ländern kommenden Kapitäne ergab die Notwendigkeit, die Seemannschaft zum Schwerpunkt des zu schaffenden SMS zu machen, weil Reisevorbereitung, Naviga­tion, Nachweisführung und Brückenorganisation erhebliche Mängel aufwiesen.

Die zu schaffenden Verfahrensanweisungen sollten Anleitungen für die Lösung der wichtigsten seemännischen Aufgaben sein. Eine der zentralen Verfahrensanweisungen wurde die übergreifend geltende Ständige Wachorder, die vom Unternehmen (Durchführungsbeauftragten) erarbeitet und laufend auf den neuesten Stand gebracht wurde. Die Geschäftsleitung stimmte dieser Verfahrensweise zu. Der Autor verfasste die Ständige Wachorder, die er als Designated Person Ashore (DPA) in sechseinhalb Jahren sieben Mal überarbeitete. Sie wurde ein hervorragendes Werkzeug, um auf neue Entwicklungen in der Navigation und Brückenorganisation (Lotsenberatung) zu reagieren. Reagiert werden musste auch, weil sich die Arbeitsweise der Kapitäne und Offiziere durch das vom Unternehmen durchgeführte intensive Training ständig veränderte. In der Verfahrensanweisung wurde auch erwähnt, dass die Kapitäne eine eigene Ständige Wachorder im Rahmen der Ständigen Wachorder des Unternehmens formulieren konnten und dies in der Regel auch taten.

Weitere, unverändert gültige Gründe für eine Ständige Wachorder des Unternehmens sind:

• unterschiedliches Wissen, Erfahrung sowie Ausbildung der Kapitäne und Offiziere;

• Schwierigkeiten für die Kapitäne und Offiziere – im Gegensatz zu einer interessierten und befähigten DPA –, solche die sichere Führung des Schiffes beeinflussenden Entwicklungen, geänderte oder neue Vorschriften, Gerichtsurteile usw. kontinuierlich und zeitnah zu verfolgen;

• mangelndes Interesse zu vieler Kapitäne und Offiziere an einer eigenständigen Weiterbildung, um den sich ständig verändernden Anforderungen gerecht zu werden.

Dementsprechend hat der Autor seit 2005 als Auditor oder Trainingskapitän bei seinen Besuchen und Mitreisen auf den Schiffen verschiedener Reedereien, bis auf zwei Ausnahmen, lieblos verfasste, endlos von den Kapitänen kopierte Ständige Wachordern vorgefunden, die keine Anleitung für zum Teil unzureichend ausgebildete sowie unerfahrene und deshalb eine ständige umfassende Anleitung mit diesem außerordentlich wichtigen Werkzeug benötigende Offiziere waren.

5. Anforderungen

Die Schwerpunkte der Ständigen Wach­order des Autors von 1977 waren:

• Navigation des Schiffes;

• Brückenorganisation / Teamarbeit;

• Disziplin des Wachoffiziers (inhaltlich und zeitliche Vorbereitung der Wache, Verhalten auf der Brücke usw.);

• Übernahme und Übergabe der Wache (einschließlich des sofortigen Überprüfens des übergebenen Kurses, Schiffsortes, Übernahme der Wache durch den Kapitän usw.) sowie Wachtagebuchführung.

In der ersten 1999 für Alpha Ship formulierten Ständigen Wachorder fanden sich diese Punkte im Wesentlichen wieder. Zusätzlich wurden Vorgaben zur Häufigkeit des in verschiedenen Seegebieten festzustellen Schiffsortes sowie umfassende Festlegungen zur Kollisionsverhütung eingefügt. Im Laufe von sechseinhalb Jahren wurden Festlegungen gestrichen oder reduziert, weil die Probleme gelöst worden waren. Andererseits wurden Festlegungen zu folgenden Problemen, die sich aus den Beobachtungen im Verlaufe der Audits oder durch generelle Entwicklungen in der Schifffahrt ergeben hatten, in dieser Reihenfolge aufgenommen:

• Nutzung der Radargeräte;

• keine Ablenkung durch Büroarbeiten; Verbot, ein Mobiltelefon mit auf die Brücke zu nehmen; auf Wunsch der Kapitäne wurde auch das, Verbot Lotsen-Mobiltelefone für private Zwecke auf der Brücke zu nutzen, aufgenommen;

• ECDIS zur Information und nicht zur Navigation verwenden;

• Vertiefung der Festlegungen zur Brückenorganisation / Teamarbeit;

• Besprechung des Reiseplans des Kapitäns mit dem Lotsen;

• Erhöhung des Passierabstandes bei dem Überholen eines anderen Schiffes von vier bis fünf Kabel auf eine Seemeile;

• Nutzung von AIS;

• Festlegungen zur internen und externen Kommunikation.

Im Jahr 2011 überarbeitete der Autor für ein Hamburger Unternehmen den nautischen Teil des seit längerem nicht mehr verbesserten Handbuches. Auch bei diesem Unternehmen sorgte der Autor dafür, dass eine Ständige Wachorder in das Handbuch aufgenommen wurde. Die folgenden Schwerpunkte fügte er dieser Wachorder hinzu:

• Verbot, einen Computer während der Wache mit auf die Brücke zu nehmen;

• Instruktionen zur Vorbereitung der Verseglung und der Erarbeitung des Reiseplans;

• detaillierte Festlegungen zur Navigation des Schiffes entsprechend den derzeitigen Gegebenheiten;

• eine Verbesserung der Festlegungen zum Bridge Resource Management und zur Kollisionsverhütung.

6. Beispiele

Das Fehlen oder die mangelnde Qualität von Ständigen Wachordern wird selten als Ursache für Grundberührungen oder Kollisionen in den Berichten der untersuchenden Behörden genannt. Der Grund dafür ist nicht ihre gute Qualität, sondern die Ständigen Wachordern stehen einfach nicht im Fokus der Behörden, weil ihre Bedeutung unterschätzt wird. In einigen wenigen Fällen wurden sie doch erwähnt. Dafür folgende Beispiele:

• MAIB: Report of the Inspector’s Inquiry into the Grounding of the Feeder Container Ship »MV Cita« off Newfoundland Point, Isles of Scilly, on 26 March 1997: »Findings: Neither the Owner nor the Superintendent issued any instructions to the Master of CITA on standards of watchkeeping or any other matters relevant to her safe operation.«

• BSU / MAIB: Report on the investigation of the collision between »Lykes Voyager« and »Washington Senator«, Taiwan Strait, on 8 April 2005:

»Neither of the bridge teams made use of the available AIS information to monitor the actions of the other vessel when manoeuvring at close-quarters. This was probably due to several factors, including the absence of specific guidance or in­struction from the ship managers, and the method in which AIS information was displayed.«

• Das Washington State Department of Ecology veröffentlichte einen Bericht zu der Strandung der »Monchegorsk« am 5. September 1988 in der Einfahrt zur Amsterdam-Bucht. Zu den im Bericht behandelten Sicherheitsfragen gehörte die Notwendigkeit, die Ständige Wachorder zu befolgen.

• ATSB: Independent investigation into the grounding of the Panamanian registered bulk carrier »Pasha Bulker« on Nobbys Beach, Newcastle, New South Wales, on 8 June 2007:

»The safety management system on board ›Pasha Bulker‹ did not provide the master with specific guidance about safely putting to sea in adverse weather. Neither the master’s standing orders nor the passage plan form prescribed in the safety man­agement system contained any guidance with regard to bridge resource or team management or encouraged its use. [Safe­ty issue].«

7. Zusammenfassung

Es ist sowohl den Kapitänen als auch den Schifffahrtsunternehmen zu empfehlen, die Ständige Wachorder – basierend auf den Gegebenheiten des Unternehmens (Schiffstypen, Zusammensetzung und Qualität der Besatzungen, Anforderungen der Fahrtgebiete etc.) – als unverzichtbare standardi­sierte Handlungsanweisung für die Vermeidung von Seeunfällen und die Weiterentwicklung der Seemannschaft zu definieren und zu pflegen.

Autor:

Kapitän Hans-Hermann Diestel,

Althof, Bad Doberan

althof.diestel@t-online.de


Hans-Hermann Diestel