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Der Klimawandel macht die Nordostpassage zunehmend für die Handels-schifffahrt nutzbar. Der Journalist Juri Banko fuhr von Murmansk nach Pewek auf einem Tanker mit und berichtet über den Alltag der Seeleute, die nicht immer leichte Navigation durch die Inselwelt der sibirischen Nordküste und die Öl- und Gasschätze, die in der Region lagern


Pewek an der Küste der Ostsibirischen See ist die nördlichste Stadt Russlands. Wie alle Häfen, Städte und Siedlungen im Norden[ds_preview] muss auch Pewek per Schiff versorgt werden. Die wichtigste Lieferung jedes Jahr ist Dieselkraftstoff, denn ohne Heizung müsste die Bevölkerung im arktischen Winter evakuiert werden. Daher erwarten die Bewohner die Tanker der nördlichen Versorgung in jedem Sommer mit Spannung. Solch einen Tanker suchte sich der Journalist Juri Banko aus Seweromorsk bei Murmansk für eine Reise auf dem Nördlichen Seeweg aus, als »Badegast« sozusagen. Sein Bericht erschien in der Zeitschrift »Neftegasowaja Vertikal«. Die HANSA druckt ihn in gekürzter Fassung.

Am Sonnabend, den 14. September 2013, kam ich an Deck des Tankers »Khatanga« der Murmansker Seereederei (Murmansk Shipping Company / MMP). Ursprünglich war die Abreise nach Pewek für den 12. September angekündigt, doch alles hatte länger gedauert als geplant – das Beladen mit Dieselkraftstoff für Pewek von dem in der Kolski-Bucht liegenden Supertanker »Natalie«, die Dokumente für das Schiffsregister und das Hafenamt, das Bunkern von Treibstoff und Trinkwasser.

Am 15. September um vier Uhr morgens ging es endlich los. Mit der Mannschaft unter Kapitän Konstantin Barabanow hatte ich ausgesprochen Glück, der Kontakt war von Anfang an freundschaftlich. Die Bedingungen an Bord waren ausgezeichnet. Die Seeleute konnten sich in ihrer wachfreien Zeit gut beschäftigen: Es gab einen Videosalon mit einer beachtlichen Filmauswahl, Fitnessraum und Sauna, eine kleine Bibliothek. Aber eigentlich erholen sich die Seeleute nach ihrer Wache am liebsten in ihrer Kajüte. Eine Ausnahme war Bootsmann Oleg Lartschenko, der jeden Tag über das Deck joggte und mit dem Matrosen Konstantin Tolstopjatenko auf einer eigens eingerichteten Sportfläche an Deck trainierte.

Die ersten drei Tage machte ich mich vor allem mit der Mannschaft bekannt, die Zeit ging wie im Flug dahin. Danach begann der Alltag. Eine Wache löste die andere ab, auf dem Kartentisch des Steuermanns wechselten die Seekarten mit der eingezeichneten Route. Und unabänderlich lagen die Mahlzeiten fest: Frühstück um 7:30 Uhr, Mittagessen um 11:30 Uhr, Abendessen um 17:30 Uhr, und das ungeachtet der verschiedenen Zeitzonen. Immerhin ist der Zielhafen Pewek der Stadt Murmansk um sieben Stunden voraus.

Es wäre schön gewesen, die See von der Brücke aus zu beobachten, aber bis zur Insel Kolgujew, fast zwei Tage lang, herrschte dichter Nebel. Aber auch dann, als sich der Nebel verzogen hatte, gab es auf der Brücke wenig zu tun. Ringsumher erstreckte sich nichts als die schier endlose See, die am Horizont in den gleichfarbigen Himmel überging. Aber ich kam immer wieder auf die Brücke, um auf der Karte nachzusehen, welche Strecke noch vor uns lag. Und die wurde nicht so schnell kürzer wie erhofft.

Am dritten Tag fuhren wir durch die Petschorasee. Noch ist es dort ziemlich ruhig, Öl wird nur am Terminal Waran­dei verladen. Aber die Plattform »Prirazlomnaja« wird gerade für die Förderung fertiggestellt. 2014 will Gazprom Explorationsbohrungen in der Petschorasee niederbringen, bei der Dolginski-Öllagerstätte, die auf 130–140Mio.t geschätzt wird.

In der Meerenge Karskije Worota (Nowaja Semlja) war auch der Kapitän auf der Brücke, zusätzlich zum Wachhabenden Aleksei Wassilenko. Die Durchfahrt wird dort durch starke Strömungen erschwert. Am vierten Tag, in der Karasee, begegneten wir dem MMP-Stückgutfrachter »Juri Arshenewski«, der gerade aus Pewek zurückkam, das er im Rahmen der Versorgung des Nordens beliefert hatte. Die wachhabenden Steuerleute tauschten über Funk Informationen aus: Die Lage war ermutigend, das Eis in der Ostsibirischen See war nicht sehr kompakt, kleine Eisschollen mit einzelnen Eisbergen. Der Atomeisbrecher »Jamal« würde die Passage anführen.

Riesige Öl- und Gasvorkommen stehen vor dem Abbau

Nach der Vergabe zahlreicher Lizenzen für den arktischen Schelf an den Ölmulti Rosneft wird in den nächsten Jahren in der Barentssee, der Petschora- und der Karasee ein Ölboom einsetzen. Igor Setschin, Präsident von Rosneft, hat mit dem chinesischen Unternehmen CNPS einen Vertrag über den Abbau der Lagerstätten Sapadno-Prinowosemelskoje, Jushno-Russkoje und Medynsko-Warandeiskoje unterzeichnet. Den Schelf der Karasee will Rosneft zusammen mit ExxonMobil erschließen.

An der Steuerbordseite tauchte die Halbinsel Jamal auf, einer der großen »Gasbehälter« Russlands mit einer riesigen Kapazität. Im Untergrund von Jamal lagern mehr als 50 Billionen m3 Erdgas – die 13-fache Menge des Shtokman-Feldes in der Barentssee –, weiterhin 14 Billionen m3 Gas im Schelf vor Jamal, in der Ob-Bucht und der Tasowski-Bucht. Hier arbeiten Gazprom und Novatek. Die Gaslagerstätten in der Ob-Bucht und der Tasowski-Bucht wurden von Gazflot, der Murmansker Tochterfirma von Gazprom, mithilfe der Jack-up-Bohrplattform »Amazone« explo­riert.

Auf Jamal bereitet Gazprom die Förderung der größten Gaslagerstätte Bowanenkoje vor, mit einer jährlichen Fördermenge von 115Mrd. m3. Zum Vergleich: Bei Shtokman sollte die jährliche Förder­menge in der ersten Phase gerade mal 27Mrd. m3 betragen. Auf Jamal wurde ferner der erste Teil der Gasleitung Bowanenkowo-Uchta gebaut, die 1.260km lang sein wird und streckenweise durch die Baidarazki-Bucht führt.

Novatek indessen plant für 2016 die Inbetriebnahme der Gasverflüssigungsanlage »Jamal LNG«, die 15Mio.t LNG im Jahr produzieren wird. An der Anlage sind Total und das chinesische Unternehmen CNPS mit je 20% beteiligt. Für den Abtransport des Flüssiggases mit Tankern wird zurzeit der Hafen Sabetta angelegt.

Die Belebung der Seeroute entwickelt sich nur langsam

Am Morgen des 18. Septembers erreichten wir den Hafen Dikson. Die 500sm lange Strecke bis zur Wilkitzki-Straße gilt wegen der Eisverhältnisse und der Navigation als eine der schwierigsten Passagen. Allerdings ist der September die günstigste Zeit für das Befahren des Nördlichen Seeweges.

In fünf Tagen Fahrt waren wir nur einem einzigen Schiff begegnet. Eine belebte Schifffahrtsstraße kann man den Nördlichen Seeweg schwerlich nennen. Gegen 13 Uhr am 19. September liefen wir in die Garnet-Meerenge zwischen der »Insel des Arktischen Instituts« und der »Insel der Iswestija des ZIK« ein. Die weitere Route sollte zu den Mon-Inseln führen, wo wir auf einige Schiffe warten sollten, um dann, von einem Atomeisbrecher begleitet, die Passage fortzusetzen.

Unterdessen traf vom Stab Maritime Operationen von Atomflot die Meldung ein, die Insel Belucha anzusteuern, die der Matisen-Straße wesentlich näher liegt, um von dort die Fahrt zwischen den Inseln des Nordenskiöld-Archipels fortzusetzen. Die Eiskante war nämlich weiter vorgedrungen als erwartet. Und wieder hörten wir vom Stab Maritime Operationen, dass am Eingang zur Laptewsee 13 Eisberge von 100 bis 200m Durchmesser lagen. Da dort vor einiger Zeit der Tanker »Nordvik« mit einer Eisscholle kollidiert war, wobei der Rumpf aufgerissen wurde, waren die Schiffsführer entsprechend vorsichtig. Daher wurde während der schwierigen Passage die vierstündige Wache durch eine sechsstündige ersetzt, mit zwei Mann auf der Brücke.

So legten wir also die Strecke nah am Ufer zurück, denn wie Starpom Waleri Twerdochlebow, der wachhabende Offizier, sagte, war dort nur kleinteiliges Brucheis. Er gab mir die Broschüre »Die Praxis der Navigation im Eis« zur Lektüre, im Jahre 1970 herausgegeben vom Ministerium der Seehandelsflotte der UdSSR. Darin hieß es: »… eine lange Strecke durch offenes Wasser oder durch kleinteiliges Eis ist vorteilhafter als eine kurze Strecke durch festes Eis.«

Am Morgen des 20. Septembers lagen wir ein Dutzend Seemeilen nördlich der Insel Belucha, wo sich der Konvoi für die Begleitung durch einen Atomeisbrecher formieren sollte. Die Eiskante war mit bloßem Auge zu erkennen. Schnee auf Deck, die Temperatur bei -3 °C. Der Frachter »Pjotr Anochin« war bereits eingetroffen. Da er weniger Tiefgang hatte, konnte er in die Bucht Obschirnaja der Halbinsel Sarja einlaufen. Die Inseln lagen bereits unter Schnee. Nachts traf ein weiterer Frachter ein, der Tanker »Egwekinot«. Auch er steuerte die Bucht an.

»Um zu berechnen, wieviele Tage man unterwegs ist, teilt man normalerweise die Entfernung durch die mittlere Geschwindigkeit des Schiffes. In der Arktis funktioniert diese Methode aber nicht«

Die schwierigste Strecke des ganzen Nördlichen Seeweges ist die Wilkitzki-Straße zwischen den Inseln von Sewernaja Semlja. Die Inseln tragen alle politische Namen: »Bolschewik«, »Oktober-Revolution«, »Komsomolez« und »Pionier«. Auf diesen Inseln bilden sich Eisflächen von 300 bis 900m Dicke, von denen riesige Stücke abbrechen und als Eisberge im Meer treiben.

Während des Wartens auf die Eisbegleitung wurde mir klar, woran es bei der Schifffahrt auf dem Nördlichen Seeweg hapert. Um zu berechnen, wieviele Tage man unterwegs ist, teilt man normalerweise die Entfernung durch die mittlere Geschwindigkeit des Schiffes. In der Arktis funktioniert diese Methode aber nicht. Wir warteten nämlich schon den zweiten Tag auf unseren Eisbrecher, es war quälend. Doch die waren noch mit der Passage von Schiffen aus östlicher Richtung beschäftigt. Dazu kam, dass bei der Fahrt durch Eis die Schiffe ihre Geschwindigkeit drosseln müssen.

Würde man die Berechnung mit der mittleren Geschwindigkeit der Schiffe machen, hätte die Fahrt nach Pewek und zurück ganze 20 Tage gedauert. Nun waren wir aber schon sieben Tage unterwegs und hatten nicht einmal die Hälfte der Strecke bis Pewek zurückgelegt. Doch für die Reeder, die Waren zwischen Europa und Asien transportieren, liegt der Vorteil des Nördlichen Seeweges zweifellos im Zeitgewinn, bei den geringeren Kosten, der Sicherheit vor Piraterie und vor Stürmen.

Eisbrecher befinden sich im Dauereinsatz

Endlich, am 21. September um 19:20 Uhr, ertönte die Stimme des wachhabenden Offiziers des Atomeisbrechers »Jamal« aus dem Lautsprecher: Der Geleitschutz werde in Kürze beginnen. Er gab die Koordinaten durch, wo sich unser Konvoi formieren sollte. Wir hielten uns bereit.

Stunden später setzte sich unser Konvoi in Marsch: Vorneweg der Atomeisbrecher »Jamal«, hinter ihm der Tanker »Egwekinot«, danach die »Khatanga«, den Schluss bildete der Bulker »Pjotr Anochin«. Auf der Backbordseite waren die Lichter eines aufkommenden Konvois zu erkennen, angeführt von dem Atomeisbrecher »Taimyr«. Seine Scheinwerfer strahlten wie ein Christbaum.

Zum Glück gab es in der Matisen-Straße keine dichten Eisfelder, nur vereinzelt Eisschollen. Die Geschwindigkeit musste deswegen nicht gemindert werden. Uns kam zugute, dass der Wind die Schollen nach Norden getrieben hatte. Nachdem die »Taimyr« die Karawane aus dem Osten entlassen hatte, dauerte es nicht lange und der Eisbrecher machte kehrt, holte unseren Konvoi ein und legte sich zwischen die »Egwekinot« und die »Khatanga«.

Am 22. September um 10 Uhr durchfuhren wir die Matisen-Straße und liefen in die Taimyr-Bucht ein. Vor uns die Wilkitzki-Straße. Nachts hatte man, zum ersten Mal seit sieben Tagen, an der Küste Lichter sehen können – das Tscheljuskin-Kap. Ohne Schwierigkeiten kamen wir voran. Doch während des vorherigen Konvois vor 20 Tagen hatten Eisbrecher die »Khatanga« durch dickes Eis hin und zurück geleitet. Fast 70 Stunden brauchten sie dafür. Dann teilte sich die Karawane. Der Atomeisbrecher »Jamal« fuhr einem anderen Konvoi entgegen, »Pjotr Anochin« nahm Kurs auf den Hafen Khatanga, die »Egwekinot« steuerte die Siedlung Kolyma an. Jeder hatte seine Aufgabe. Die »Taimyr« blieb zurück, sie wartete auf den Konvoi, den die »Jamal« anführte.

Bis Pewek waren es noch mindestens vier Tage, durch die Sannikow-Straße und an den Neusibirischen Inseln vorbei. Vor der Sannikow-Straße, im seichten Gewässer der Laptewsee, gab Kapitän Barabanow den Befehl, die Geschwindigkeit auf 6kn zu drosseln. Die See ist hier nur 15m tief, manchmal sogar weniger, und das bei einem Tanker mit mehr als 10m Tiefgang. Im flachen Gewässer nahm der Wellengang zu, aber der bis zur Lademarke beladene Tanker rollte nur wenig.

Bei diesen seichten Gewässern versteht man rasch, was beim Ausbau des Nördlichen Seeweges am meisten hinderlich ist: die für Frachter mit großer Tonnage zu geringe Wassertiefe der Routen zwischen den Inseln hindurch, die meistens befahren werden. Aber um die neuen Routen nördlich der Neusibirischen Inseln, die durch tieferes Gewässer führen, auch gegen Ende des Sommers und im Herbst befahren zu können, braucht man starke Atomeisbrecher der neuen Generation.

Neues Eis bildet sich bereits

Am Morgen des elften Tages liefen wir in die Sannikow-Straße ein. Einen Tag, bevor wir Pewek in der Ostsibirischen See erreichten, stießen wir auf neues Eis, das sich dort bereits gebildet hatte. Der Winter hatte also bereits begonnen. Etwa 80sm vor Pewek kam uns der Atomeisbrecher »Waigatsch« entgegen, der den griechischen Tanker »Propontis« mit 105.000t Gaskondensat auf seiner Route von Japan nach Rotterdam begleitete. Mit seinen 249m Länge und 44m Breite war er recht beeindruckend. Da er mehr als 15m Tiefgang hatte, musste der Konvoi die Route um die Neusibirischen Inseln herum nehmen.

Am 28. September um 1:00 Uhr nachts liefen wir endlich in die Tschaunski-Bucht ein, an deren Ostufer Pewek liegt. Im Hafen hatten zwei Bulker und ein kleiner Tanker festgemacht. Im letzten Jahr hatte die Navigationsperiode erst am 5. November geendet; einen Monat noch würde es hier Seeverkehr geben.

Mithilfe des Lotsen und des Schleppers »Nikolai Tawrat« legte die »Khatanga« an der Ölentladestation an. Drei Tage würde das Löschen der Ladung dauern. Für eine Besichtigung von Pewek sollte das reichen. Dann würde ich die Rückreise antreten, dachte ich. Laut Reiseplan sollte die »Khatanga« unter Ballast zurück nach Murmansk fahren. Doch die Reederei hatte inzwischen umdisponiert: Der Tanker sollte eine andere Route nehmen, um Ladung aufzunehmen. Für mich war das eine Katastrophe. Wie sollte ich nun nach Murmansk zurückkehren? Doch es ergab sich unerwartet eine andere Mitfahrgelegenheit. Der Tanker »Indiga« sollte nach Archangelsk fahren, um Ladung aufzunehmen. In diese Richung fuhr auch die »Khatanga«. Ich könnte also unterwegs umsteigen, bis Archangelsk mitfahren und von dort mit dem Zug nach Hause reisen. Das war die einzige Möglichkeit, sonst hätte in Pewek eine Überwinterung gedroht. Binnen eines Tages lag die Genehmigung der Reederei vor.

Sturm zwingt zur Routenänderung

Vor 13 Tagen hatten wir die Wilkitzki-Straße fast eisfrei durchfahren. Jetzt aber war die Lage völlig anders. Bereits in der Zufahrt lagen Eisberge, die Seestraße selbst war fast völlig mit Eis bedeckt. Vor uns fuhr die »Indiga«, deren Rumpf eisverstärkt war, die »Khatanga« dahinter im fast eisfreien Kanal. Am Ausgang der Straße kam uns ein Konvoi mit zwei Schiffen entgegen, angeführt von der »Taimyr«. Der Atomeisbrecher sollte uns, der »Indiga«, der »Khatanga« und dem Forschungsschiff »Grigori Michejew«, Geleitschutz geben.

Ein kleiner Käfig, von den Seeleuten »Gartenlaube« genannt, hob mich am Kran von der »Khatanga« zur »Indiga« hin­über. Die Fahrt auf dem Tanker verlief zunächst ruhig, doch in der Barentssee zog Sturm auf, mit Windstärke fünf, der dem Schiff einen anderen Kurs aufzwang, damit der Bug immer frontal die Wellen nehmen konnte. Bei Karskije Worota (Nowaja Semlja), wurde mir klar, dass der Nördliche Seeweg eines Tages eine belebte Schifffahrtsstraße sein wird. In Höhe des Karischen Tors fuhren allein sieben Schiffe.

Vor der Insel Kolgujew zog wieder Sturm auf, diesmal mit Windstärke 7, typisch für die Barentssee. Die Crew nahm das gelassen, doch mich beunruhigte es, dass Wellen und Gischt das Vorschiff und den Mast einhüllten, immerhin fast 20m über der Wasserlinie. Es war schwierig, sich in der Koje zu halten, ohne rauszustürzen. Auch diesmal musste wegen des Sturms die Route durch das Weiße Meer geändert werden. Schließlich, in der Nacht zum 12. Oktober, legte die »Indiga« im Hafen von Archangelsk an. Mithilfe der Azipods konnte Kapitän Wladimir Rumjanzew den 164m langen Tanker genau in die Lücke zweier Frachter an die Pier manövrieren, mit je 10 m Freiraum am Vorschiff und am Heck.

Der nächste Zug nach Murmansk sollte erst in vier Tagen fahren, Flüge waren eine Woche im voraus ausgebucht. So schlug der Agent der Murmansker Seereederei allen Ernstes vor, über Moskau zu fliegen. Es stellte sich dann aber heraus, dass es eine Bahnverbindung gab, mit Umsteigen in Wolchowstroi. Wenn ich heute Diskussionen über die Entwicklung der Infrastruktur des Nördlichen Seeweges höre, kann ich daher nur lachen: Zwischen Archangelsk und Murmansk, den beiden größten und bedeutendsten Häfen am Nördlichen Seeweg, gibt es nicht einmal eine Bahnverbindung, die diesen Namen verdient.


Juri Banko