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Zu langsam begreift man im Industrieland Deutschland mit seiner binnen-ländischen Tradition, dass ein ozeanisches Jahrhundert begonnen hat, in dem Existenzgrundlagen, Wohlstand und Sicherheit global maritim geprägt sind.
Auf See steht alles mit allem in Verbindung. Fukushima 2011 als Beispiel eines Tsunami im Pazifik verändert die deutsche Energiepolitik[ds_preview]. Aus fernen und manchmal kleinen Ursachen können große Probleme entstehen. Damit hat die maritime Sicherheit im Zeitalter der Globalisierung eine neue Bedeutung erlangt. Auch die Rohstoff- und Energieversorgung und der Warenhandel laufen überwiegend auf dem Seeweg, wobei Deutschland der führende Logistikstandort in Europa ist. Ohne Schiffe geht gar nichts. Zugleich geht es um Sicherheit in der Welt, für die man in EU, Nato und den Vereinten Nationen Verantwortung mittragen muss, denn die USA werden die Transportwege nicht für alle Zeiten kostenlos sichern. Alarmzeichen an der Peripherie Europas rund um das Mittelmeer nehmen zu. Welche Risiken drohen also auf See?

Die Piraterie als »zweitältestes Gewerbe« hat sich rund um den Äquator etabliert. Die Marinen der Welt und private bewaffnete Sicherheitsdienste bemühen sich um Eindämmung, obwohl nur politische Lösungen im Ursprungsland die Piraterie überwinden können. Wegen des Rückgangs der Piraterie vor Somalia nahm diese Bedrohung 2013 um 20% ab. Weltweit waren jedoch zwölf Schiffe entführt und viele mehr beschossen und geentert worden. Insgesamt 300 Seeleute wurden als Geisel genommen. Es gab Tote und Verletzte. Die Geschäftsmodelle der Lösegeld­erpressung und des Ladungsdiebstahls bleiben attraktiv. Ein neuer Schwerpunkt liegt vor Westafrika. Kriminelle Organisationen mit Verbindung zu Islamisten und zu Drogenhändlern stehlen und verkaufen dort Schiffsladungen von Öl und Ölprodukten begleitet von Brutalität und Geiselnahme. Als zweiter »Hotspot« bleibt dauerhaft Südostasien mit knapp der Hälfte aller Überfälle.

Der volkswirtschaftliche Gesamtschaden einschließlich der Militär- und Hilfsaktionen wird auf jährlich mehrere Milliarden US-Dollar geschätzt. Seit 2008 wurden ca. 150 Seeschiffe gegen Lösegeld entführt. Die Gesamtzahl der Geiselnahmen liegt bei 3.000 und die gezahlten Lösegelder belaufen sich auf 400Mio. $. Die Gelder fließen in Waffenkäufe sowie über die Geldwäsche in Immobilien. Wer Piraterie bekämpfen will, bewegt sich in einem juristischen Minenfeld. Die einschlägigen Regeln des Seerechts stammen aus dem 19. Jahrhundert und sind lückenhaft, während die strafrechtliche Verfolgung von Piraten ein rechtlicher »Eiertanz« bleibt.

Terror auf See ist die moderne Schwester der Piraterie. Anders als profitorientierte Piraten handeln Terroristen aus ideologischen Motiven. Sie möchten Staaten destabilisieren, größtmöglichen Schaden anrichten und sind bereit, das eigene Leben einzusetzen. Ein bedeutender Teil der Logistik des Terrors geht über See. Bekannt sind Überfälle auf Kreuzfahrer, Fähren, Tanker und Kriegsschiffe. Besonders heimtückisch war 2008 der unbemerkt von See kommende Angriff in Mumbai gegen Hotels, Restaurants und Touristen mit 180 unschuldigen Opfern. Am 1. September 2013 gab es den video-dokumentierten Beschuss des Containerschiffes »Cosco Asia« im Suezkanal. Schiffe bleiben ein Risiko als Terrorziel oder als Waffe auf See und im Hafen. Gleiches gilt für sensible Infrastrukturen wie Bohrinseln, Deiche, Tunnel, Brücken, Kabel und Kanäle. Angriffsmittel sind Minen und Sprengstoff, eingeschleuste »Innentäter«, Autobomben, tragbare Flugabwehrraketen, Hubschrauber, Drohnen, Mini-U-Boote und Cyberangriffe. Der Angreifer bestimmt Ort und Zeitpunkt, sodass Prävention außerordentlich schwierig bleibt.

»Normale« Kriminalität auf See und in den Häfen ist intensiver als allgemein bekannt. Drogentransporte laufen nicht nur auf weit entfernten »hash highways«, sondern auch über die Häfen Europas. Nach Pressemeldungen bleibt der Hamburger Hafen eine Drehscheibe für den Transport von Drogen wie auch Waffen. Ermittler zählten im Jahr 2012 u.a. 1,4 Mio. Schuss illegaler Munition und 136 Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Die Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und deren Bauteilen ist Gegenstand von UN-Resolutionen und führt immer wieder zu Zwischenfällen auf See, die ein schlechtes Licht auf die Herkunftsstaaten werfen. Es gibt illegale Abfallentsorgung chemischer und nuklearer Schadstoffe. Nicht genehmigte Fischerei bleibt ein Phänomen, auch in europäischen Seegebieten. Rund um Afrika blühen Diebstahl und Schwarzhandel mit Öl, Diamanten und Naturschätzen.

Illegale Migration und Menschenhandel sind das Spezialgebiet krimineller Transporteure. Diese Menschenströme setzen sich zusammen aus Wirtschafts- und politischen Flüchtlingen, Kriegsflüchtlingen, Asylsuchenden und blinden Passagieren. Internationale Organisationen rechnen für Europa mit jährlich 100.000 Migranten via Mittelmeer, von denen 1 bis 2% ihr Leben verlieren. Die Geschichte lehrt, dass es unaufhaltsame Völkerwanderungen gibt, wenn Menschen in Not auf der Suche nach besseren (Über-)Lebensbedingungen sind.

Der Wettlauf um Rohstoffe und Energie hat eine lange Tradition und geostrategische Bedeutung, nun auch für Arktis und Tiefsee. Es geht um Fisch, Energie, strategische Metalle und Seltene Erden. Die 200 sm breiten Wirtschaftszonen schaffen oberflächlich Rechtssicherheit, andererseits aber Streit über Seegrenzen und kleinste Inseln. Militärisch brisant ist der Konflikt um die Senkaku- bzw. Diaoyu(tai)-Inseln zwischen Japan und China. An der Peripherie Europas im östlichen Mittelmeer gibt es umstrittene Öl- und Gasvorkommen zwischen der Türkei, Zypern, Syrien, Libanon, Palästina und Israel. Zu Recht spricht man von »maritimen Nationalismus« bzw. von einem neuen »maritimen Kolonialismus«.

»Die Meere werden wärmer, höher und saurer.

Die Folgen betreffen die Lebensgrundlagen an Land«

Naturkatastrophen und der Klimawandel sind Risiken eigener Art, denn Erdbeben, Hangrutschungen, Tsunamis und Wirbelstürme sind nicht vorhersehbar und überfordern regelmäßig den Zivil- und Katas­trophenschutz. Sie können Küstenregionen verwüsten und Plattformen, Kabel und Pipelines zerstören. Da die Hälfte der Weltbevölkerung im 50-km-Umkreis der urbanisierten Küsten lebt, sind die Gefahren offensichtlich.

Ursächlich dürfte der Klimawandel sein, der höhere Energie im Meer und in der Atmosphäre frei setzt. Extreme Wetterlagen und Wellenhöhen sowie Veränderungen von Meeresströmungen sind zu erwarten. Der Meeresspiegel stieg über 100 Jahre seit 1900 nur um 20cm und hat sich jetzt auf 3,2mm/Jahr beschleunigt. Dabei gibt es große regionale Unterschiede. Im Norden der Erde ist der Anstieg überdurchschnittlich. Auch Tuvalu hat einen Anstieg von 15cm in 20 Jahren zu verzeichnen und sieht seine Existenz gefährdet. Der UN-Klimabericht von 2013 rechnet mit einem Anstieg des Meeresspiegels um bis zu 81cm in diesem Jahrhundert.

Klimawandel ist Meereswandel. Vereinfacht gesprochen werden die Meere wärmer, höher und saurer. Die Folgen betreffen die Lebensgrundlagen an Land. Flache Inseln und Küsten werden überspült. In den Mündungsdeltas großer Flüsse steigt der Wasserstand, weil sich der Abfluss ins Meer verlangsamt. Landverluste und Untergang von Inseln lösen humanitäre Probleme aus. Seegrenzen verschwimmen und Meereszonen werden wieder Hohe See. Die rasante Erwärmung der Arktis macht die Probleme besonders deutlich, da hier der Anstieg der Temperatur und des Meeresspiegels doppelt so stark wie im Durchschnitt sind. Plötzlich werden Rohstoffvorkommen und neue Schifffahrtswege zugänglich. In Grönland wird der Anbau von Kartoffeln und Tomaten möglich, während die Permafrostböden Sibiriens und Amerikas ihre Stabilität verlieren.

Schifffahrtswege verändern sich. Die Sorge um die Sicherheit wichtiger Meerengen als »choke points« des Welthandels bleibt. Zugleich verändern sich Schifffahrtswege von der nördlichen Halbkugel nach Süden zu den Schwellenländern. Besonders stark wächst der regionale Seehandel zwischen asiatischen Staaten. Es entstehen neue große Häfen. Der Panamakanal – anders als der Nord-Ostsee-Kanal – wird (nach aktuellen Plänen) 2015 seine Kapazität verdoppelt haben. Flüssiggas wird zum Massenprodukt mit neuen Versorgungswegen und Terminals. Der Boom der Kreuzfahrer ist ungebrochen. Das hat Folgen für die Sicherheit des Seeverkehrs, der sich auf Verkehrsverdichtung, auf neue Routen und Regionen fern der traditionellen Zentren einstellen muss. Man denke an Notfallsituationen für Kreuzfahrer und Tanker in den Polargebieten oder an die Evakuierung aus Konfliktregionen.

Auch die Nordsee und Ostsee stehen vor Herausforderungen, wo es ohnehin die dichtesten Verkehre, die schwierigsten Gewässer und die empfindlichste Natur gibt, während Windparks hinzu kommen. Neben der Zunahme der Fährverkehre gibt es stark wachsende Öltransporte aus Russland, Mega-Containerschiffe und eine Ballung von Kreuzfahrern im Sommer.

Seekabel werden in ihren Risiken unterschätzt. Die Kabel bewältigen bis zu 90% des Datenverkehrs zwischen den Kontinenten. Sie gelten als schnell, zuverlässig, leistungsfähig und bis vor Kurzem als abhörsicher. Ein Blick auf Spezialkarten zeigt, dass die Datenautobahn von Europa nach Ostasien durch das Mittelmeer, über den Sinai in das Rote Meer und am Horn von Afrika bis zum Südchinesischen Meer verläuft. Durch Unfälle, Anschläge oder Zugriffe auf das Netz kann enormer Schaden für Wirtschaft und Welthandel, für Politik und Sicherheit entstehen. Gleiches gilt für Pipelines und Stromkabel.

Der massenhafte Bau von Offshore-Windparks macht deutlich, wie wichtig Seeraum wird. Zu den vielen Unsicherheiten im Offshore-Windmarkt ergibt sich ein Sicherheitsproblem durch den Raumbedarf für 33 genehmigte Parks vor deutschen Küsten mit 2.100 Windmühlen, 25 Konverterplattformen und 3.880km Seekabeln. Nord- und Ostsee werden für mindestens zehn Jahre eine Baustelle bleiben. Mehr als 1.000 Menschen arbeiten zurzeit in den entstehenden Windparks permanent auf See, die mit Schiffen und Hubschraubern die Bauwerke errichten und warten. Das komplexe Risikopoten­zial in »industrialisierten« Seegebieten muss überwacht und reduziert werden. Simulationsergebnisse der Fachhochschule Flensburg zeigen, dass Handelsschiffe im Radarbild den »Ameisenverkehr« innerhalb der Parks nicht präzise erkennen können. Ein auf Dauer angelegtes Sicherheitskonzept muss die Verantwortlichkeiten der Betreiber der Windparks, des Bundes und der Länder klarstellen. Seine Bausteine müssten eine Notfallleitstelle, Verkehrslenkung, Havarie und Bergung, Befahrensregelung für die Kleinschifffahrt, Kriminalitätskontrolle und Arbeitsschutz, Gewerbeaufsicht, Luft- und Seerettung sowie Überwachungs- und Warnsysteme umfassen – alles das in Abstimmung mit den Nachbarstaaten und der EU. Die bisherigen Arbeitspapiere und »runde Tische« ersetzen ein umfassendes Sicherheitskonzept nicht. Die ungelöste Sicherheit der Windparks birgt Sprengstoff für die politisch gewollte Energiewende.

Weltweit und vor den eigenen und europäischen Küsten drohen also drei Risikotypen:

– Maritime Gewalt als menschliche Tätigkeiten wie Piraterie, Terror und Kriminalität.

– Maritimer Nationalismus mit dem steigenden Trend zur Durchsetzung nationaler Interessen durch Militarisierung von Seeräumen.

– Spontane oder längerfristige Naturereignisse.

Eine Sicherheitsdiskussion und Gesamtanalyse, die sich an Ursachen und Bedarf orientiert, findet in Deutschland auf staatlicher Ebene kaum statt. Die Gemengelage von »failing states«, Proliferation von Waffen, gewaltbereiten Ideologien, überzogenen Territorialansprüchen auf See und einer unberechenbaren Natur wird nur zu gerne ausgeblendet. Im Kern geht es darum, die auf den Meeren heraufziehenden Risiken zu erkennen, zu analysieren, zu kommunizieren, zu begrenzen und am Ursprungsort zu bekämpfen. Die meisten Staaten sind wenig vorbereitet für ein Krisenmanagement, geschweige denn für ein effizientes »disaster management«.

Eine einheitliche deutsche Küstenwache liegt in weiter Ferne, denn das zersplitterte System verschiedener Zuständigkeiten von Bund und Ländern erhält sich selbst am Leben. Für die Marine drängt sich eine neue Zweitrolle »from defence to security« auf. Dazu zählen Überwachung des Seeraums, Bündnispflichten, Risikovorsorge und humanitäre Hilfe.

Das erfordert ständige Präsenz bei hoher Beweglichkeit auf See und in der Luft. Wer auf See erfolgreich sein will, muss mit dem Meer und seinen Räumen vertraut sein, alle Informationen beherrschen und professionelles Personal haben. Man muss interventions-, durchhalte- und führungsfähig sein und man braucht Partner. Ohne leistungsfähige Schiffe, Flugzeuge und Hubschrauber wird es nicht gehen, denn man hat es großräumig mit neuen Risiken, mit hochbeweglichen, intelligenten und rücksichtslosen Gegnern und andererseits mit dynamischen Naturkräften zu tun.

Im Ergebnis steht die zivil-militärische Zusammenarbeit vor großen Herausforderungen. Es geht um die ressortübergreifende Aufgabe, die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Staates in Krisen zu bewahren. Neue Modelle für Organisation und Partnerschaften sind erforderlich. Sicherheit wird neben Klimawandel eines der beherrschenden Themen der Zukunft.

Jedes Risiko bietet Chancen. Die maritime Wirtschaft kann Technik, Ausrüstungen und Dienstleistungen für die zivilen und militärischen Nutzer in großer Vielfalt anbieten, einschließlich hochwertiger Schiffe und moderner Berufsbilder. Für die Versicherungen hat sich das neue Geschäftsfeld bereits eröffnet. Insgesamt ist maritime Sicherheit nicht nur als Belastung und Kostenfaktor, sondern auch als Wachstumsindustrie zu sehen. Und ganz nebenbei bietet sich die Chance, den allgemeinen Schutz der Meeresumwelt (und der Nationalparke) noch effektiver zu gestalten.


Uwe Jenisch