Print Friendly, PDF & Email

Angesichts der Entwicklung in der jüngeren Vergangenheit treibt die Internationale Seeschifffahrtsorganisation die Erweiterung maßgeblicher Übereinkommen für die polare Schifffahrt voran.
Es waren auch die Bilder der Ende Dezember 2013 im antarktischen Eis ein-

geschlossenen russischen »Akademik Shokalskiy«, die die Risiken[ds_preview] der polaren Schifffahrt nochmals drastisch vor Augen geführt hatten. Insofern stellen die derzeitigen Bestrebungen der International Maritime Organisation (IMO) ein wichtiges und anspruchsvolles Vorhaben dar, durch eine Erweiterung der für die Seeschifffahrt maßgeblichen Regelwerke eben diese sensiblen Ökosysteme von Arktis und Antarktis zu schützen. Der nach fast vierjähriger intensiver Beratungstätigkeit jetzt vor der Beschlussfassung stehende Polar Code als neues Kapitel XIV der International Convention for Safety of Life at Sea (SOLAS) sieht dazu umfangreiche verbindliche Vorgaben für Schiffe vor, die sich in polaren Gewässern bewegen.

Dabei betrifft der Polar Code nicht nur das SOLAS-Übereinkommen, sondern beinhaltet auch Erweiterungen der International Convention for Prevention of Pollution from Ships (MARPOL), insbesondere dessen Annexe I, II, IV und V. Die vorbereitende Koordination dafür findet im Unterausschuss »Schiffsdesign und -konstruktion« (SDC) der IMO statt. Unter der Leitung von Anneliese Jost, Baudirektorin im Bundesverkehrsministerium, für 2014/15 zur Vorsitzenden dieses Gremiums gewählt, werden hier die nationalen Änderungs- oder Ergänzungsvorschläge zu einer Beschlussvorlage zusammengefügt. Das Beratungsverfahren bei der IMO sieht insgesamt zwei Lesungen vor, wobei die Beschlussfassung durch das zuständige Maritime Safety Committee (MSC 94) auf deren Sitzung im November 2014 auch eine gleichlautende Verabschiedung des Entwurfes durch das Maritime Environmental Protection Committee (MEPC 68) im Mai 2015 erfordert.

Grundsätzlich gliedert sich der Polar Code in eine allgemeine Einführung mit verbindlichen Bestimmungen und in zwei inhaltliche Teile zum Bereich Sicherheit und Umweltschutz. Die darin festgeschriebenen Ziele werden mit jeweils verpflichtenden und empfohlenen Maßnahmen präzisiert.

Beginnend mit der geografischen Festlegung des arktischen und antarktischen Seegebietes definiert der Polar Code im Einführungsteil die verschiedenen Begrifflichkeiten wie beispielsweise Eistemperatur, Eisstärke oder die Eisklasse von Schiffen. Auch mögliche Gefahrenquellen, die in polaren Gewässern auftauchen können – beispielsweise ein »human error« durch eine zu geringe Erfahrung der Crew – werden benannt und die Durchführung einer entsprechenden Risikobewertung empfohlen. Der Polar Code verfolgt einen holistischen Ansatz zur Risikominimierung und in seinen dreizehn Kapiteln zu den Sicherheitsvorschriften werden diesbezügliche Erfordernisse hinsichtlich der baulichen Beschaffenheit eines Schiffes, der Schiffsausrüstung oder der Mannschaft aufgeführt. Sie sind die Voraussetzungen für das erforderliche »Polar Ship Certificate«, mit dem der Reeder dokumentieren kann, dass sein Schiff für die Fahrt in polaren Gewässern gerüstet ist.

So sollen sich Reederei, Kapitän oder Besatzung u. a. mittels eines speziellen »Betriebshandbuches für polare Gewässer« über Möglichkeiten und Grenzen des Schiffsbetriebes informieren können und notwendige Entscheidungsprozesse unterstützt werden. Dementsprechend bietet es spezifische Hinweise, beispielsweise zu den Manövriereigenschaften des Schiffes in Eisgewässern. Daneben enthält das Handbuch Risikoabschätzungen für die Fahrtplanung, ebenso wie es die benötigten Vorkehrungen entsprechend der Wetterprognosen oder die Möglichkeiten

zur Wahrung der Einsatzfähigkeit der Schiffsausrüstung unter eben solchen Bedingungen aufzeigt.

Die Kapitel zur »Schiffskonstruktion«, »Schiffsstabilität«, »Maschinenanlagen« und »Wasser- und Wetterbestandsfähigkeit« stellen auf die technischen Voraussetzungen eines Schiffes für die polare Fahrt ab. So ist beispielsweise die Festigkeit der Außenhaut maßgeblich für die Eisklasse und behördlich zu bestätigen. Schiffe der Klasse A und B müssen ebenso auch ausreichende Stabilität nach eisbedingten Schäden nachweisen. Und auch im Hinblick auf die Wettertüchtigkeit und insbesondere die Dichtigkeit der Türen ist der Witterung durch geeignete Maßnahmen zu entsprechen. Hier soll beispielsweise auf die Viskosität der Flüssigkeiten bei der Hydraulik geachtet werden. Wind, Schnee oder Eisanlagerungen werden auch im nachfolgenden Kapitel zur »Sicherheit der Crew im laufenden Betrieb« als mögliche Gefahrenquellen identifiziert. Eine Risikoabschätzung soll dem »Gefahrensichtungsprozess« folgen und die Sicherheit und Gesundheit der Personen an Bord gewährleisten.

Technische Ausrüstungsvorgaben für die Polarfahrt sind auch in den Abschnitten zur »Kommunikation« und »Sicherheit in der Navigation« festgelegt. So muss das Schiff beispielsweise zwei unabhängige Echolote und über Vorrichtungen zur Eisbestimmung verfügen. Und im Falle eines Einsatzes des Rettungsbootes soll dieses mit einem GMDSS-kompatiblen Kommunikationsmittel ausgestattet sein.

Besondere Bedeutung wird im Code auch der Fahrtenplanung – mit einem eigenen Kapitel – zugemessen. Insbesondere die Verpflichtung des Kapitäns wird dabei deutlich gemacht, bei seinen Routenplanungen die verschiedenen Aspekte des Fahrtgebietes, beispielsweise durch das erforderliche Verfahren mittels Polar Water Operational Manual (PWOM), aber auch mögliche Einschränkungen von SAR-Einsätzen, statistische Informationen zur Beschaffenheit des Eises oder Informationen zu spezifischen Umweltschutzgebieten entlang der ursprünglich geplanten Route, sehr sorgfältig einzubeziehen.

Umfassend zeigen sich ebenso die zwei Kapitel, die sich dem Brandschutz und den Rettungsmitteln widmen. Das Ziel, insbesondere unter den polaren Umweltbedingungen eine schnelle und effiziente Brandbekämpfung sicherstellen zu können, sieht in diesem Zusammenhang eine frostsichere Aufbewahrung der Löschwassersysteme vor. Auch die Anzüge des Feuerbekämpfungsteams sollen in warmer Umgebung verstaut sein. Die Fluchtwege an Bord müssen für den Notfall immer schnee- und eisfrei gehalten und auch für Personen mit dicker Winterbekleidung passierbar sein. Zudem sehen die Richtlinien umfangreiche Vorkehrungen für das Notfallequipment vor, um im Fall einer Evakuierung die Passagiere und die Crew vor Erfrierungen zu schützen. Schließlich wird auch die Notwendigkeit einer sachgerechten Handhabung der Notfallvorrichtungen durch die Crew und eines entsprechenden Trainings aufgeführt.

Trainings werden an polares Umfeld angepasst

Der Vorbereitung der Mannschaft auf die polaren Bedingungen widmet sich abschließend auch das Kapitel »Crewing«. Hier sollen die Reedereien u. a. durch ein angemessenes Training die betreffenden Deck- und Maschinenraumoffiziere mit den besonderen Verantwortlichkeiten und Aufgaben in polaren Breiten vertraut machen. Prozeduren, Pläne und Vorschriften sollen auf die vielfältigen Aspekte eines Ernstfalles in einer solchen Umgebung vorbereiten: Lange Zeiten an Bord im Falle eines Steckenbleibens im Eis, Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Unterkühlung, Kommunikation in entfernten Gegenden ohne SAR-Unterstützung oder auch grundsätzlich Evakuierungsmaßnahmen in schwierigen Wettersituationen. Weiter sollen die unter den ISM-Code fallenden Drills an Bord entsprechend auf die Erfordernisse des polaren Umfeldes angepasst und mit entsprechenden Inhalten versehen werden.

Mit den Umweltschutzvorgaben des zweiten Teils des Polar Codes erfahren die verbindlichen Richtlinien nach MARPOL Annex I, II, IV und V eine Erweiterung im Hinblick auf die polaren Gewässer. So ist beispielsweise im MARPOL Annex I nun auch festgelegt, dass bei Tankschiffen der Kategorie A und B die Öltanks einen Abstand von nicht weniger als 760mm zur Außenhaut aufweisen müssen. Ähnliches gilt für die Tanks mit flüssigen Schadstoffen (MARPOL Annex II). In den Ausführungen zu MARPOL Annex IV wird im Weiteren das Ablassen der unterschiedlich geklärten Abwässer in einem gestaffelten Abstand zum Eisschelf und Festlandseis festlegt. In MARPOL Annex V sehen die Vorschriften für den Polarbereich beispielsweise explizit ein Verbot des Ausbringens von Essensabfällen und Tier-überresten vor.

Die Maßnahmen, die im abschließenden Teil B zum Umweltschutz aufgeführt sind, haben insofern nur empfehlenden Charakter, da sie Bezug auf die Antarktis nehmen, für die im Unterschied zur Arktis schon verschiedene Regelsysteme und auch MARPOL Annexe existieren.

Dieser Aspekt der Vermeidung eines Konfliktes mit anderen bestehenden rechtlichen internationalen und regionalen Übereinkommen – sei es das Antarktische Vertragssystem, der Spitzbergen-Vertrag für die Arktis, das Internationale Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen von 1982, das die freie Durchfahrt von Schiffen in polaren Gewässern sicherstellt, oder nationales Recht – prägt denn auch die derzeitige Schlussphase der Diskussionen zum Polar Code. Doch trotz des Ringens um Formulierungen lässt sich schon jetzt feststellen, dass die in Aussicht stehende Verabschiedung des Polar Codes einen bedeutsamen Schritt zu mehr Sicherheit von Passagieren, Schiffen und Ladung und der Vermeidung von Umweltverschmutzung durch den prognostizierten zunehmenden Schiffsverkehr in den polaren Regionen darstellt.

Dr. Birgit Nolte-Schuster