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Schwere Havarien in der Seeschifffahrt sind überwiegend auf menschliche Fehler zurückzuführen. Weil die Ausbildung bislang unzureichend ist, sind Kurse nötig, die den gesamten Schiffsführungsprozess abbilden, meint Kapitän in seiner persönlichen Einschätzung
Die Brückenorganisation ist ein Thema, das von überragender Bedeutung für die sichere Führung des Schiffes ist und dass schon mehrfach[ds_preview] bewertet wurde (HANSA 01/2014, 07/2013, 07/2004). Ungeachtet der vielen Wortmeldungen, Seminare, Simulatorübungen usw. hat sich die Brückenorganisation nicht wesentlich verbessert. Das ist für den Autor keine Überraschung, weil der Ansatz zur Verbesserung der Brückenorganisation bei vielen Autoren und Unternehmen unverändert ein »maschineller« ist. Bei dem so genannten »Mensch-Maschine-System« geht es vor allem um die »Maschinen« auf der Brücke. Der Autor hält aber, solange die Schiffe nicht automatisch über die Meere fahren, unverändert die Menschen auf der Brücke und an Land für wichtiger.

In der Leitungstätigkeit und Brückenorganisation gibt es keinen Fortschritt. Das bestätigen u. a. die Seeunfälle der »Rena«, »CMS YM Tianjin«, »Costa Concordia« und »Atlantic Hero«/»Oriental Pioneer«. Die Überlegungen des Autors beschränken sich nicht auf die Probleme der Brückenorganisation, denn die Organisation der Brandabwehr, des Fahrens in schwerem Wetter oder des Verlassens eines Schiffes unterliegen den gleichen Anforderungen.

Derzeitige Situation

Der Autor greift auf einige markante Seeunfälle aus der Zeit vor 1990 zurück, um die damalige Situation zu verdeutlichen (Tabelle 1). Die Liste von Beispielen kann endlos erweitert werden und würde immer wieder die gleichen Mängel ergeben. Genannt werden sollen vor allem unzureichende Reisevorbereitung (»Pamir«, »Freshfield«/»The Lady Gwendolen«, »Torrey Canyon«, »Admiral Nachimow«, »Petr Vasev«) unzureichende Navigation (»Torrey Canyon«, »Metula«, »Böhlen«), nicht existierende oder unzureichende Leitungstätigkeit bzw. Teamwork (»Pamir«, »Torrey Canyon«, »Metula«, »Böhlen«, »Mansfeld«, »Admiral Nachimow«,»Petr Vasev«) und die Unfähigkeit einzelner Crewmitglieder, die Geräte auf der Brücke zur Kollisionsverhütung richtig zu nutzen (»The Lady Gwendolen«, »Petr Vasev«). Diese und andere Seeunfälle führten zu folgenden Aussagen:

– »Teamwork in these circumstances, teamwork as the Royal Navy would know it, seems to be virtually non-existent in Merchant ships.« (Safety At Sea, March 1978, Bridge Teamwork in Restricted Visibility)

– »In my view, the main cause of each of these collisions (›Scythia‹, ›Santa Rosa‹, ›Valchem‹, ›Constitution‹, ›Crystal Jewel‹, ›Niceto De Larrinaga‹, ›Canopic‹) was not the limitations of radar in general but failure to fit suitable equipment and/or to use it intelligently.« (Wylie [Wylie, F. J., Safety At Sea, 12/1973])

– »Mr. Justice Sheen rejected that claim for the obvious reason that had they been keeping a proper radar lookout, or had the ARPA been properly set, the developing threat posed by their overtaking of ›Eglantine‹ would have been discovered in ample time to defuse it.« (Cahill [Cahill, R. A., Collisions and Their Causes, 3rd edition, The Nautical Institute, 2002, p. 38])

– »Er (Kapitän der ›Petr Vasev‹) vertraute nur den Geräten … und vernachlässigte dabei die gute seemännische Praxis … Verließ er sich doch in diesen Minuten hinsichtlich des Ausweichmanövers der Schiffe voll auf das Instrument (ARPA), das nach seiner Auffassung das Ausweichmanöver ermöglichte. Nach der Kollision wiederholte der Kapitän einige Male staunend: ›Wie denn das, es hätte doch reichen müssen!‹« (»Vodnyj Transport«, 02.10.1986)

Tabelle 2 belegt beispielhaft die Ursachen für das Auftreten von Seeunfällen bei Passagierschiffen. Folgende Aussagen wurden angeführt:

– The dangers of integrated navigation systems: »The confidence entrusted to the integrated navigation system and the GPS linked to it, is directly responsible for this navigational error (›Royal Majesty‹).« (Gouard [Le Gouard, Yann: Maritime Magazine, Spring 1996, p. 47])

– Im Bericht der Untersuchungskommission zur Strandung der »Sleipner« heißt es: »The navigators did not know where they were when Sleipner ran aground. At the decisive moment, both navigators were busy, each adjusting their own radar, which distracted their attention from visual navigation.« (»Lloyd’s List«, 10.01.01). Terje Einarsud sagte: »The chief engineer who should be in charge of SB embarkation station had never participated in any drill and did not know how to operate this hydraulic system. He stated ›theoretical drills‹.«

Aus den in Tabelle 3 aufgeführten Mängeln ergaben sich Schlagworte wie »Radar-assisted collisions«, »ARPA-assisted collisions«, »Computer-Kollisionen« und »AIS-assisted collisions«, »Aufbrechen von Strukturen« sowie die folgenden Aussagen:

– »It is a sad and salutary fact that virtually every advance in navigational equipment, while undoubtedly delivering the promise of its developers, has been accompanied by a rash of accidents which, had the equipment not been carried, would have been unlikely to have happened.« (Watchkeeper [Watchkeeper: A false sense of electronic security, Bimco News, 12.12.2001, p. 2])

– »Ja, ungeachtet dieser Myriade fortgeschrittener technischer Geräte auf den heutigen Schiffen ereignen sich unverändert Unfälle. Selbst die beste Technologie ist nahezu nutzlos, wenn die sie benutzenden Leute nicht aufmerksam, wach, motiviert und entsprechend der richtigen Normen ausgebildet, trainiert und qualifiziert sind. Deshalb hat die IMO versprochen, sich auf das menschliche Element zu konzentrieren, deshalb betrachten wir die Weiterbildung als so wichtig.« (William A. O’Neil [William A. O’Neil, IMO-Generalsekretär am 11.10.2000 auf der Konferenz CBT@Sea 2000])

Auf die Frage nach den größten Gefahren für die Schiffssicherheit in der Ostsee antwortete Kapitän Rambke (»Vera Rambow«) etwa: »Die größte Gefahr ist das schlecht ausgebildete Personal, das hypnotisiert auf Computer und ECDIS schaut. Sie sehen nicht aus dem Fenster, was ich immer wieder von ihnen verlange. Viele reden auch zu viel.«

Auf den Brücken der Schiffe gibt es heute Geräte und Anlagen en masse. Die vielen »Maschinen« haben die Sicherheit aber nicht entscheidend verbessert. Für alle dem Autor bekannten Seeunfälle lässt sich – das war schon ein Ergebnis der Seeunfalluntersuchung der DSR in Rostock – sagen, dass für keinen der Ausfall oder Fehler in der Arbeitsweise der auf den Brücken der Schiffe vorhandenen Anlagen und Geräte verantwortlich war. Immer gab es ausreichend Möglichkeiten, das Schiff, unabhängig von diesen Geräten, zu navigieren und damit sicher zu führen.

Den Worten von O’Neil ist nichts hinzuzufügen. Das Versagen liegt bei den Kapitänen und Wachoffizieren. Und das vor allem deshalb, weil ihre Ausbildung ungenügend und ihre Weiterbildung, Erziehung, Kontrolle, Anleitung sowie Unterstützung in einem Großteil der Schifffahrt entweder nicht vorhanden oder unzureichend ist.

Konzepte der Unternehmen

Da die IMO zwar viel von Bridge Resource Management (BRM) redet, aber bei der Schaffung der nötigen Grundlagen für die in Gegenwart und Zukunft erforderliche Brückenorganisation nicht vorankommt, sind vor allem die Unternehmen in der Kreuzschifffahrt sehr aktiv. Schon aufgrund ihrer personellen Ressourcen an Land und der zahlreichen nautischen Offiziere auf den Passagierschiffen ist es eine Welt für sich. Konzepte der Kreuzschifffahrt können deshalb vom Rest der Handelsschifffahrt nicht einfach übernommen werden. Selbst dann nicht, wenn ihre Konzepte als sinnvoll erachtet werden sollten. Die zahlreichen Simulationszentren versuchen diese Entwicklung mit einem entsprechenden Kursangebot zu nutzen.

In der Containerschifffahrt werden sehr unterschiedliche Wege für die Aus- und Weiterbildung der nautischen Offiziere beschritten. Einige übertragen diese Aufgabe einer maritimen Bildungseinrichtung, ohne sich selber damit weiter zu belasten. Das ist der uneffektivste Weg, weil die Ursachen von Seeunfällen eigener Schiffe, falls sie überhaupt untersucht wurden, die Ergebnisse von Inspektionen, Audits usw. nicht einbezogen werden.

Die Hamburger Reederei Rickmers hat über Jahre Seminare und Simulatorkurse organisiert, in denen diese Faktoren zusammengeführt wurden. Bevor die Simulatorkurse ihre volle Wirkung erzielen konnten, wurden sie nach nur vier Kursen durch eine neue Geschäftsführung beendet. Gründe dafür wurden nicht angegeben. Bei einem anderen Unternehmen war der Autor an der an Bord durchgeführten Weiterbildung beteiligt. Diese Form hatte eine Reihe von Vorteilen, auch wenn sie irgendwann durch Kurse, wie der Autor sie bei Rickmers organisierte, hätten ergänzt werden müssen.

NSB hatte jahrelang mit der Lufthansa zusammengearbeitet. Diese Zusammenarbeit wurde eingestellt, weil, so wurde es dem Autor in Buxtehude erklärt, die Kapitäne des Unternehmens sie nicht für richtig hielten. Im vergangenen Jahr ermöglichten die Verantwortlichen bei NSB dem Autor, an einem ihrer Simulatorkurse teilzunehmen. Sie waren nicht die einzigen, die darum gebeten worden waren, aber sie waren die einzigen, die den Mut dazu hatten, einen externen Beobachter zuzulassen.

Das in diesem Komplex herrschende Chaos wird schon bei der Verwendung der verschiedenen Begriffe – Crew Resource Management, Maritime Resource Management, Bridge Team Management, Bridge Resource Management, Crowd- und Crisis Management usw. – deutlich. Zu den erläuternden Aussagen, z. B. im Handbuch, muss eine Definition des jeweils verwendeten Begriffes gehören ebenso wie auch eine Begründung, warum das Unternehmen sich für die jeweilige Form entschieden hat und was es mit der Ausbildung erreichen will. Beispiele für verwendete Begriffe und Auffassungen sind:

– Princess Cruises: Brückenwache – Offi­cer Conning, Officer Navigation, Officer Not Conning (Kapitän, der die beiden anderen Offiziere überwacht)

– Star Cruises: Brückenwache – Pilot (Schiffsoffizier, Conning), Co-Pilot (Schiffsoffizier, Navigation), Jump Seat (Schiffsoffizier, Überwachung), Pilot (Lotse). Auch bei dem von Star Cruises verwendeten »Conning« gibt es keine Klarheit, denn es existiert keine allgemeinverbindliche Definition des Wortes.

– NSB: »Es hat sich bewährt, dass EO das Manöver fährt und Kapitän das überwacht. Der OOW (NO) ist im Revier verantwortlich, er wird von EO oder Kapitän überwacht.«

Manche Überlegungen gehen soweit, dass von Land aus über Kameras die Arbeit der Seewache überwacht und dann notfalls eingegriffen werden könnte.

Schlussfolgerungen

In allen angeführten Beispielen waren BRM und damit Teamwork nicht vorhanden oder völlig unzureichend. Dies ist seit Jahrzehnten so. Das belegt, dass die Aus- und Weiterbildung, einschließlich der vielen Simulatorkurse, versagt hat. Ein außerordentlich aussagefähiges Beispiel ist dafür die Brückenwache der »CP Valour«. Der Kapitän hatte zwei BRM-Kurse und der Zweite Offizier einen besucht. Eine Brückenorganisation gab es auf dem Schiff aber nicht einmal im Ansatz.

Die einzige Aufgabe, die diese Kurse erfüllen, ist die auditierenden Behörden und Organisationen zufriedenzustellen. Die entscheidende Aufgabe, das Verhalten der Kapitäne und Offiziere zu verändern, erfüllen sie nicht. Der Schwerpunkt der Aus- und Weiterbildung muss dementsprechend sowohl bei den maritimen Bildungseinrichtungen als auch bei den Unternehmen bei der Abstellung dieser Mängel liegen, nicht bei der Bereitstellung immer neuer Hard- und Software. Der Schwerpunkt kann deshalb nur bei der Schaffung der erforderlichen Leitungsbefähigung von Kapitänen liegen, was BRM/Teamwork einschließt.

Das kann nur über Kurse erreicht werden, die den gesamten Schiffsführungsprozess (Reisevorbereitung, Navigation und BRM) abdecken. Die Teilnehmer müssen sich auch darüber im Klaren sein, dass der Kurs Konsequenzen hat, weil während eines entsprechend durchgeführten Kurses Stärken, Schwächen und Mängel sofort festgestellt werden können. Ein verantwortungsbewusstes Unternehmen muss darauf reagieren. Das kann das Aufschieben oder Unterlassen einer Beförderung, ein spezielles Training zur Abstellung festgestellter Mängel oder auch die Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses sein.

Der Autor hat stets die Auffassung vertreten, dass nur ein umfassendes System (Simulator, Audits, Verfahrensanweisungen,

umfassende Aus- und Weiterbildung, Management Review) eine sichere Schiffsführung, basierend auf Teamwork in allen Bereichen des Schiffes, gewährleisten kann. Andere, hier geschilderte Ansätze der Unternehmen sind gefährlich. Die Gründe sind:

– Der wichtigste und im Normalfall erfahrenste Mann, der Kapitän, wird aus der Verantwortung entlassen und zum mehr oder weniger präsenten und konzentrierten Kontrolleur »degradiert«.

– Viele Schulungskonzepte verwischen die Verantwortlichkeit. Manche Überlegungen zu den rechtlichen Konsequenzen sind unausgegoren und kurzsichtig. Siehe Kapitän Pahl [Pahl, Uwe: Schiff & Hafen, 7/2007, S. 100]: »Kollektivierung« der Schuldzuweisungen.

– Es ist immer häufiger zu beobachten, dass die Kapitäne nicht die Verantwortung im Revier oder in schwierigen Situation übernehmen (Untersuchungsbericht »Costa Concordia«: »… handover between the Master and the Chief Mate did not concretely occur …«). Dies ist eine Entwicklung, die der Autor als Auditor und »Ausbildungskapitän« auf den von ihm besuchten Schiffen registrierte. Eine wachsende Distanz zwischen dem Kapitän und dem Ereignis (z. B. Brand) hatte der Autor schon als Verantwortlicher für die Seeunfalluntersuchung der DSR festgestellt. Er versuchte dies bei seinen Einsätzen als Kapitän zu verhindern, indem er selbst mit Pressluftatmer an den Übungen teilnahm und auch Übungen, ohne Wissen der Besatzung, vor Ort beobachtete und die Ergebnisse der Beobachtungen für ein verbessertes Training nutzte. Für die Kapitäne, die sich schon sehr weit von der Schiffsführung entfernt haben, gab der Kapitän der »Rena« ein bemerkenswertes Beispiel. Der Kapitän wies den WO an, dichter unter Land zu fahren, als im Reiseplan festgelegt. Wie weit, das überließ er dem WO. Dieses unseemännische Verhalten wiederholte der Kapitän bei der Ansteuerung Taurangas, indem er über Telefon eine Verlegung des Kurses in Richtung Astrolabe Reef anwies, ohne sich weiter darum zu kümmern (siehe Hansa 9/2012).

»Nur Teamwork in allen Bereichen mit dem dazugehörenden Verantwortungsbewusstsein und der erforderlichen Disziplin wird die existierenden Probleme lösen«

Wie wichtig das kontinuierliche unmittelbare Ausüben der Schiffsführung ist, musste der Autor nach drei Jahren Untersuchung von Seeunfällen am Schreibtisch registrieren. Beim Auslaufen zur ersten Reise nach dieser Zeit Anfang 1989 war er für die Grundberührung der von ihm geführten »Nordhausen« verantwortlich. Es fehlte ihm die erforderliche Konzentration, Routine und Entschiedenheit, um den Seeunfall zu verhindern. Diese Gesichtspunkte werden bei der Entwicklung der von ihm erwähnten Konzepte völlig unterschätzt. In seiner Auffassung fühlte er sich durch das Buch »Surfen im Seichten« von Nicholas Carr bestärkt. Carr schreibt: »Kandel (Nobelpreisträger Biologie) schrieb, der Versuch zeige ›auf dramatische Weise‹, dass ›Synapsen bereits nach relativ kurzer Schulungsphase große und nachhaltige Veränderungen erfahren können‹.«

Die Plastizität unserer Synapsen bringt zwei Geistesphilosophien in Einklang, die jahrhundertelang in Konflikt miteinander standen: Empirismus und Rationalismus. Aus Sicht von Empirikern wie John Locke ist unser Geist bei Geburt ein unbeschriebenes Blatt, eine »Tabula Rasa«. Unser Wissen entsteht ausschließlich durch Erfahrung, also durch das, was wir im Laufe unseres Lebens lernen. Um es vereinfacht auszudrücken: Wir sind kein Produkt der Natur, sondern unserer Erziehung. Aus Sicht der Rationalisten wiederum – etwa Immanuel Kant – kommen wir mit eingebauten mentalen Schablonen zur Welt, die bestimmen, wie wir die Welt sehen und begreifen. Unsere Erfahrungen werden durch diese angeborenen Wahrnehmungsmuster gefiltert. Hier überwiegt also die Natur.

Die Aplysia-Experimente jedoch zeigten Kandel zufolge, »dass beide Sichtweisen ihre Berechtigung hatten – tatsächlich ergänzten sie einander sogar«. Unsere Gene »spezifizieren« viele der »Verbindungen zwischen Neuronen – soll heißen: welche Neuronen synaptische Verbindungen untereinander bilden und wann«. Diese genetisch bedingten Verbindungen bilden die Kantschen Schablonen, die grundlegende Architektur unseres Gehirns. Unsere Erfahrungen hingegen regulieren die Stärke der »Langzeitwirkung« der Verbindungen und erlauben somit, ganz im Lockeschen Sinne, die stetige Neuordnung des Geistes und die Ausprägung »neuer Verhaltensmuster«. Die folgenden Schlussfolgerungen aus diesem Text bestätigte dem Autor eine Neurologin in einem Gespräch:

– Durch intensives Training und Erziehung können die erwünschten Verhaltensmuster unter schwierigen Bedingungen (Brand und andere Seeunfälle, Verlassen des Schiffes usw.) ausgeprägt werden.

– Wenn das Training für bestimmte Arbeiten und Verhaltensmuster eingestellt wird, orientiert sich das Gehirn um. Einmal vorhandene Fähigkeiten gehen verloren. Dagegen erhöht häufiges, intensives, erschwertes Training, z. B. für eine erfolgreiche Brandabwehr, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Besatzungsmitglied nicht von der verbreiteten Angst vor einem Brand überwältigt wird.

– Das Gleiche gilt für die Brückenorganisation. Wenn das Training am Simulator nicht zielgerichtet, straff, anfordernd und überprüfbar organisiert wird, kann die Zielstellung (Brückenorganisation, Teamarbeit) nicht erreicht werden.

Bei einem Kapitän, der nur noch überwacht und kontrolliert, anstatt selbst die Verantwortung und das damit verbundene Handeln zu übernehmen, verringert sich seine Fähigkeit, in kritischen Situationen (siehe Kapitän der »Costa Concordia«) Besatzung und Passagiere anzuleiten. Die Neurologin fasste dies für die Tätigkeit eines Arztes kurz und knapp mit den folgenden Worten zusammen: »Wenn ich die Patienten nicht mehr untersuche, kann ich es nicht mehr.«

Wie man es besser machen kann, schildert der Purser Roland Morgenstern im Zusammenhang mit der Strandung und dem Verlust der »Käthe Niederkirchner« [Diestel, Hans-Hermann (Hg.): Von Bomben, Fidel und Fischen, Hinstorff, Rostock, 2014]: »Kapitän Wenzel war durchsetzungsfähig. Für mich war er eine Respektperson. Über eventuelle Fehler in seiner Schiffsführung wurde schon in anderen Publikationen geschrieben. Fest steht, dass es ohne die strikte Einhaltung des von ihm geforderten Dienstbetriebes nicht gelungen wäre, Besatzung und Passagiere ohne Verluste oder Verletzungen an Land zu bringen. Die regelmäßigen Manöver während der Reise nervten zwar oft die Crew, zahlten sich aber aus. Bei dem Riesenleck des Schiffes, die Taucher sollen eine Länge von 60m gemeldet haben, fielen E- und Alarmanlage sofort aus, mussten die Leute per Läufer aus der Kammer gepurrt werden, gelang das Ausschwingen und Besetzen der Boote in wenigen Minuten. Das schafft nur eine vorbildlich trainierte Besatzung.«

Zusammenfassung

Die maritimen Bildungseinrichtungen und die Unternehmen haben die Aufgabe, die nautischen Offiziere und Kapitäne so aus- und weiterzubilden, dass sie die Verantwortung für Schiff, Besatzung, Passagiere und Ladung übernehmen wollen und auch übernehmen können. Dafür werden Persönlichkeiten benötigt. Albert Einstein hat das kurz und knapp mit den folgenden Worten zusammengefasst: »Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung.«

Das ist die richtige Zielstellung, die aber leider nur über kontinuierliche, systematische und ausdauernde Anstrengungen zu erreichen ist. Das ist in dieser kurzatmigen und kurzsichtigen Welt für viele Unternehmen offensichtlich eine schwere Aufgabe. Die Schifffahrt ist, nachdem sinnvolle seemännische Traditionen aufgegeben wurden, bei BRM/Teamwork nicht über Schlagworte hinausgekommen, aber nur Teamwork in allen Bereichen mit dem dazugehörenden Verantwortungsbewusstsein und der erforderlichen Disziplin wird die existierenden Probleme lösen.


Kapitän Hans-Hermann Diestel