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Angesichts steigender Gütermengen braucht auch der Hamburger Hafen leistungsfähigere Hinterlandverbindungen. Axel Mattern und Ingo Egloff, Vorstände der Marketinggesellschaft HHM, äußern sich im Interview über Staus an den Kajen und dringend nötige Investitionen in die Infrastruktur

Gute Zahlen zum Halbjahr, davor wochenlang negative Schlagzeilen wegen des Staus im Hafen. Wird das zweite Halbjahr im Hamburger[ds_preview] Hafen ruhiger oder gibt es noch Nachwehen?

Ingo Egloff:

Es gibt weniger Probleme auf den Terminals. Die Umschlagzahlen sind im ersten Halbjahr, wie schon im gesamten Vorjahr weiter gestiegen, stärker als bei den Wettbewerbern. Auch die von der HHLA eingestellten neuen Mitarbeiter müssen erst einmal eingearbeitet werden, da musste auf der Personalseite reagiert werden. Laufende Bauarbeiten, etwa an der Köhlbrandbrücke bis Oktober, erschweren die Verkehrssituation im Hafen noch.

Axel Mattern: Gerade die großen Containerfrachter mit bis zu 8000 Umschlagbewegungen pro Schiff sind in der Abfertigung in allen Häfen eine Herausforderung. Wir haben heute schon 900 von diesen besonders großen Schiffen pro Jahr, statistisch also drei pro Tag. Künftig eher noch mehr. Ein Problem wird es vor allem dann, wenn die Ankunftszeit von den Reedern so offen gehalten wird, wie das zuletzt immer wieder passiert. Das Interesse an den logistischen Prozessen auf der Landseite ist bei Reedereien nicht immer sehr ausgeprägt. Für Auswirkungen der Schiffsverspätungen von 70 Stunden und mehr, verursacht durch schlechtes Wetter und Slow Steaming, sind die Containerterminals nun wirklich nicht verantwortlich zu machen.

Also sind die Staus eher eine Momentaufnahme?

Mattern:

Wir waren 2008 auch schon mal kurz vor dem Kollaps, danach wurde viel in die Infrastruktur und IT investiert. Der Hafen ist inzwischen für steigende Mengen gut aufgestellt. Aber noch einmal: Im ersten Halbjahr kam einfach sehr viel zusammen.

Egloff: Laut der Seeverkehrsprognose, die je nach Szenario von 13 bis 19Mio. TEU ausgeht, stehen wir vor einer Verdoppelung des Umschlags gegenüber dem vergangenen Jahr. 39% der Gütermenge im Hinterlandverkehr geht heute auf die Schiene, in Richtung Bayern oder Sachsen sind es mehr als 70%, bei insgesamt 1200 Zugabfahrten pro Woche. In Zukunft müssen wir angesichts der Situation auf den Straßen im Modal Split zulegen, um weiter wachsende Gütermengen abfahren zu können.

Die Bahn ist künftig das Mittel der Wahl?

Mattern:

Nicht nur. Wir sind davon überzeugt, dass das Binnenschiff einen wesentlich größeren Anteil am Hinterlandverkehr erreichen muss, weil anders steigende Gütermengen kaum bewältigt werden können.

Steigerungen im Container-Hinterlandverkehr von heute unter 2 auf 5% bis 2015 und sogar auf 10% bis 2020 sind aber wohl kaum noch realistisch.

Egloff:

Die Elbe ist durch die deutsche Teilung lange vernachlässigt worden. Vor dem Krieg war die Elbe stärker befahren als der Rhein, das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Seit 1996 gibt es die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Elbeanrainer-Ländern, an 345 Tagen eine Tauchtiefe von 1,60m vorzuhalten. Diese Vereinbarung wird schlicht nicht umgesetzt. Durch einfache Buhnenbauwerke ließe sich die Situation entspannen.

Woran liegt das denn?

Egloff:

Es werden immer wieder Bedenken wegen des Hochwasserschutzes vorgebracht. Aber wenn man nicht in Deiche investiert und eine Bebauung der Auen erlaubt, darf man sich nicht wundern, wenn es zu Schäden kommt. Auch eine Gefahr für das Weltnaturerbe sehe ich nicht. Das Eine hat mit dem Anderen doch gar nichts zu tun. Niemand will die Elbe kanalisieren. Und wirtschaftspolitisch ist es eine Verschwendung. Erst werden die Häfen entlang der Mittel- und Oberelbe für viel Geld ausgebaut und dann verweigern wir denen die Zufahrt. Das hat etwas von Schilda.

Was also muss passieren?

Egloff:

Bei knappen Finanzmitteln ist zu fragen, ob wir die Elbe ertüchtigen oder das neue Schiffshebewerk in Scharnebeck am Elbe-Seitenkanal bauen. Das wird die Bundesregierung entscheiden müssen. Die Alternative Elbe ist aber wesentlich günstiger.

Mattern: Leider stehen uns die Niedersachsen, die keinen Binnenhafen an der Mittelelbe haben, dabei nicht als Partner zur Verfügung.

Ist es ein Entweder-Oder?

Mattern:

Vor dem Hintergrund einer Stärkung des Gütertransports per Binnenschiff sollte eigentlich beides realisiert werden.

Egloff: Es wird doch ohnehin für 14Mio. € im Jahr Unterhaltungsbaggerei betrieben. Die Buhnen würden einmalig 38Mio. € kosten. Wenn ich mir den chronisch unterfinanzierten Verkehrsetat anschaue, wüsste ich, was zu tun ist. Erst recht, wenn die knapp 250Mio. € für Scharnebeck absehbar nicht zur Verfügung stehen.

Es wird immer wieder behauptet, dass es für die Elbe gar nicht genug Ladung gibt.

Mattern:

Diese Aussage können wir so nicht teilen. Natürlich haben wir im Moment wenig Verkehr auf der Elbe, weil die Schiffe nur eingeschränkt oder gar nicht fahren können. Aber wir wissen von Akteuren und Produzenten, dass sie die Elbe gern mehr nutzen würden. Aber nur dann, wenn es auch verlässlich funktioniert. Beim Schwerlastverkehr ist der Transport auf dem Fluss sogar alternativlos. Dieses Thema wird auch in Gesamtdeutschland noch an Bedeutung gewinnen, weil es für Unternehmen wie Siemens oder die Kirow-Werke zu einer existenziellen Frage wird.

Egloff: Man sollte sich auch unter umweltpolitischen Gesichtspunkten die Karten legen. Wenn die Güter nicht mehr über Hamburg laufen, dann geht es z.B. über Rotterdam. Und von dort erfolgt der Transport mit dem Lkw, was eine zusätzliche Belastung unseres Straßennetzes bedeutet.

Spielt da auch das Hamburger Konzept des »Smart Port« hinein?

Egloff:

Ja, denn da geht es darum, alle Verkehrsträger aufeinander abzustimmen und Umläufe im Hafen besser zu organisieren. Kein Trucker muss Stunden vor dem Tor stehen, besser, er wartet auf einem speziellen Parkplatz, bis er an der Reihe ist. Ähnliches gilt für Züge.

Zum Jahreswechsel wird in Rotterdam die Maasvlakte II eröffnet. Wie wird sich die deutlich höhere Umschlagkapazität auf das Geschäft in Hamburg auswirken?

Mattern: Ganz klar eine verschärfte Konkurrenzsituation. Die wachsenden Märkte liegen eher nicht in Westeuropa, sondern vor allem in Osteuropa, das könnte eher ein Vorteil für uns sein. Wir sind überzeugt davon, dass sich die Häfen in Zukunft über funktionierende Hinterlandanbindung definieren und messen lassen müssen. Da sehen wir uns gut aufgestellt.

Hamburg hat gerade in jüngster Zeit viel Umschlagzuwachs über Feederverkehre generiert. Fürchten Sie nicht, dass Rotterdam wieder über Rabatte solche Zubringerdienste weglocken wird, erst recht mit neuen Reedereiallianzen?

Mattern:

Die Feederverkehre werden sicher stark unter Druck geraten. Da kann das Pendel auch wieder zurückschwingen.

Egloff: Schauen wir mal, wie sich die SECA-Richtlinien auswirken. Das wird unter Umständen ein Rechenexempel, ob es sich auch künftig lohnt, von Rotterdam nach Danzig oder Ust-Luga zu fahren. Und Rotterdam muss die Volumina auch erst einmal abfahren, derzeit haben sie eher Probleme.

In Rotterdam wird auch deshalb mit klaren Vorgaben am Modal Split gearbeitet, um den Hinterlandtransport zu lösen. Warum passiert das nicht in Deutschland so unvorstellbar?

Egloff: Ich glaube, der Bund würde sich damit gar nicht so schwer tun, vorausgesetzt, das ginge verfassungsrechtlich. Aber danach müsste der Bund auch den zweiten Schritt gehen und die nötigen Investitionsmittel für die Infrastruktur zur Verfügung stellen, um zusätzliche Bahn- oder Binnenschiffsverkehre zu ermöglichen.

Das Gerangel um die Investitionsanteile ist über die Anmeldungen der Länder für den neuen Bundesverkehrswegeplan längst entbrannt.

 

Egloff: Auch da wird sich wieder die Frage stellen, was volkswirtschaftlich wichtiger ist: die Ortsumgehung in Bayern oder die Anbindung der Seehäfen? Deswegen sind wir ja ständig in Berlin unterwegs, um auch Abgeordnete aus Bayern davon zu überzeugen, dass der Hinterlandverkehr schon im Süden beginnt. Bayern ist immerhin der größte Kunde des Hamburger Hafens. Wir machen hier ja keine norddeutsche Folklore-Veranstaltung, sondern nehmen eine nationale Aufgabe wahr. Das müssen viele noch begreifen.

Welche Rolle spielt vor diesem Hintergrund Wilhelmshaven?

Mattern:

Die Kollegen in Niedersachsen werden sicher noch durch ein tiefes Tal wandern müssen. Denn anders als vor 2008 prognostiziert, zeigt sich, dass es nicht allein auf einen größtmöglichen Tiefgang, sondern sehr viel mehr auf bestmögliche Transportleistungen und Logistikkonzepte ankommt.

Egloff: Die noch ausstehende Elektrifizierung der Bahnstrecke kostet knapp 200Mio. €. Angesichts des Ladungsaufkommens stellt sich die Frage, ob nicht auch dieses Geld an anderer Stelle sinnvoller ausgegeben werden könnte.

Ist denn, wie von manchen gefordert, eine stärkere Zusammenarbeit der deutschen Seehäfen nötig, um im Wettbewerb entlang der Nordrange zu bestehen?

Mattern:

Es gibt heute schon viele Formen der Zusammenarbeit, insbesondere im operativen Bereich bei den Hafenverwaltungen. Auch das Label »German Ports« macht durchaus Sinn, um gemeinsame Interessen in Richtung Berlin oder Brüssel zu vertreten. Aber wenn es darum geht, Geschäft und Umschlag zu generieren, also um den Kontakt zum Kunden, kämpft jeder Hafen um seinen Anteil. Das wird auch so bleiben.

 


Krischan Förster