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Der Weltmarktführer bereitet sich nach einer politischen Reform auf die dritte Runde des Ausbaus der Offshore-Windkraft vor. Die britische Regierung plant mehr Wertschöpfung im eigenen Land
Beim Ausbau der Offshore-Windenergie ist Großbritannien unangefochtener Weltmeister: In keinem anderen Land der Welt stehen so viele Windkraftanlagen im[ds_preview] Meer wie im Vereinigten Königreich. Laut Statistik der European Wind Energy Association verfügten die Briten Ende 2013 über 56 % der in Europa installierten Offshore-Kapazität, gefolgt von Dänemark mit 19 % und Deutschland mit 8 %. Zwar dürften die hiesigen Windpark-Errichter nach der regen Bautätigkeit der vergangenen Monate ein gutes Stück aufgeholt haben, doch wird an der Spitzenposition des langjährigen Weltmarktführers so schnell nicht zu rütteln sein. 1075 Turbinen oder 3,65 GW Leistung in Betrieb, 1,4 GW im Bau, 3,24 GW genehmigt und mit Finanzierungszusage durch die Regierung versehen sowie zahlreiche weitere Projekte in der Planung und Entwicklung: Das sind die aktuellen Zahlen, die auch für die kommenden Jahre einen Ausbau auf weiterhin hohem Niveau erwarten lassen.

Verglichen mit dem Rekord-Installationsjahr, in dem zwischen Juli 2012 und Juni 2013 Offshore-Anlagen mit einer Kapazität von fast 1,5 GW in Betrieb gegangen sind, hat sich das Tempo zuletzt jedoch wieder erkennbar verlangsamt. Einer der wesentlichen Gründe hierfür ist ein grundlegender Umbau des Fördersystems, der ähnlich wie hierzulande auch in England die Branche über einen längeren Zeitraum im Unklaren über die künftige Vergütung gelassen und damit für Unsicherheit bei den Investoren gesorgt hat. Inzwischen steht fest, dass Offshore-Anlagen nach der sogenannten Strommarktreform 15 statt bislang 20 Jahre gefördert werden und der von ihnen erzeugte Strom zunächst mit 155 £ (umgerechnet knapp 200 €) pro Megawattstunde (MWh) vergütet wird. Ab 2016/2017 sinkt die Vergütung auf 150 £/MWh, in den darauffolgenden beiden Jahren dann auf 140 £/MWh.

Wie weit reicht das Geld?

Insgesamt zeigt sich die Branche erleichtert, dass nun wieder Planbarkeit für die kommenden Jahre besteht. Mehrere Projekte sind allerdings zwischenzeitlich wegen der Unwägbarkeiten auf der Strecke geblieben oder in ihrem Umfang deutlich nach unten korrigiert worden. So hat der deutsche Energieversorger RWE, der aktuell kurz vor der Fertigstellung seines Offshore-Windparks »Gwynt y Môr« in der Irischen See steht, im November 2013 die Entwicklung des Projekts »Atlantic Array« gestoppt und im Oktober dieses Jahres auch die Pläne für den Park »Galopper« zu den Akten gelegt. »Die Risiken und die erwartete Rendite stimmten nicht mit den von RWE gesetzten Investitionskriterien überein«, erläutert Paul Cowling, Head of Offshore Wind, die jüngste Entscheidung. Offshore-Wind sei und bleibe aber ein strategisch bedeutendes Geschäftsfeld für das Unternehmen, wobei der britische Markt eine wichtige Rolle spiele. »Deshalb konzentrieren wir uns nun auf die anderen, technisch weniger komplexen Projekte«, so Cowling. In England sind das aktuell noch die im Vergleich zu den Ursprungsplanungen reduzierten Windparks »Triton Knoll« (mit 900 statt 1.200 MW) und, gemeinsam mit Partnern, »Dogger Bank« (7.200 statt 9.000 MW).Nachdem die im Jahr 2001

beziehungsweise 2003 vergebenen Projekte der ersten beiden Ausbaustufen mittlerweile so gut wie abgeschlossen sind, gehen nun die Vorbereitungen für die »Round 3« nun in die entscheidende Phase. »Das ist ein Schlüsselmoment für die britische Offshore-Windindustrie«, meint Nick Medic, Director of Offshore Renewables beim britischen Branchenverband RenewableUK. Die Regierung habe signalisiert, dass sie bis zum Jahr 2020 eine installierte Offshore-Leistung von 10 GW sehen möchte – nun müsse sich zeigen, wie weit man mit dem vorgegebenen Budget tatsächlich kommen werde.

Bewerbung über Auktionen

Hintergrund ist der, dass sich potenzielle Windparkbetreiber künftig im Rahmen von Auktionen um einen sogenannten »Contract for Difference« (CfD) bewerben müssen. In der aktuell laufenden ersten Auktionsrunde stehen für die weniger etablierten Technologien, zu denen auch die Offshore-Windenergie gezählt wird, für den Förderzeitraum von 15 Jahren insgesamt 235 Mio. £ pro Jahr zur Verfügung, was nach Schätzungen von Experten für 700 bis 900 MW reichen könnte. Wie hoch das Budget für die zweite Auktionsrunde dann sein wird, soll im kommenden Jahr bekannt gegeben werden. Es sei davon auszugehen, dass ab 2016 die ersten Round-3-Projekte gebaut würden, sagt Nick Medic. »Wichtig ist jetzt, dass die Industrie schnell Sicherheit darüber bekommt, wie der Plan für die Zeit nach 2020 aussieht.«

Stärkung der heimischen Industrie

In einem anderen Punkt steht schon jetzt fest, wie es weitergehen soll – zumindest dann, wenn es nach der britischen Regierung geht. Obwohl Großbritannien beim Ausbau der Offshore-Windenergie die mit Abstand führende Nation ist, werden derzeit fast alle wesentlichen Komponenten aus anderen Ländern importiert. Der Anteil der Wertschöpfung, die im eigenen Land bleibt, ist dadurch vergleichsweise gering. Das soll sich nun ändern.

Bereits 2012 hatte das Offshore Wind Developers Forum, eine gemeinsame Plattform von Regierung und Industrie, eine »Vision« veröffentlicht, nach der die einheimische Industrie mit ihren Waren und Dienstleistungen künftig zu mindestens 50 % zum Gesamtwert von Offshore-Windprojekten beitragen soll. Es folgte im August 2013 die »Offshore Wind Industrial Strategy« der Regierung mit dem Ziel, in diesem Bereich Zehntausende neue Arbeitsplätze zu schaffen, eine wettbewerbsfähige Lieferkette zu entwickeln und große Produktionsstätten im Land anzusiedeln. Um das zu erreichen, wurden in dem Papier 34 unterschiedliche Maßnahmen genannt – eine davon ist die Einführung eines »Lieferkettenplans«, den künftig jeder CfD-Bewerber von der Regierung absegnen lassen muss. Er soll sicherstellen, dass jedes geförderte Projekt »einen maßgeblichen Beitrag zum Wachstum und zur Entwicklung der industriellen Lieferkette« leistet.

Auch ausländische Investoren sind in diesem Zusammenhang sehr willkommen, wie Ende September bei der WindEnergy-Messe in Hamburg deutlich wurde. Dort bewarb das Vereinigte Königreich unter anderem mit einem eigenen Länderpavillon und diversen Vortrags- und Informationsveranstaltungen die sich bietenden Möglichkeiten. Man sei auf einem guten Weg, eine leistungsfähige und innovative Industrie aufzubauen, betonte Karl John von UK Trade & Invest, der Wirtschaftsförderung der britischen Regierung. »Dafür müssen bestehende einheimische Player wachsen, aber wir brauchen auch neue Investitionen in britische Produktionsstätten durch Unternehmen aus dem Ausland.«

Siemens investiert an Ostküste

Erste Erfolge gibt es in diesem Zusammenhang schon vorzuweisen: So hat MHI Vestas Offshore Wind Mitte November bekannt gegeben, ab dem kommenden Jahr auf der südenglischen Isle of Wight Rotorblätter für die neue 8 MW starke Anlage des Unternehmens fertigen zu wollen. Bereits Ende März hatte mit Siemens der international führende Produzent von Offshore-Turbinen angekündigt, in Nordengland eine Fabrik zur Produktion von Rotorblättern und zur Endmontage der zuvor im dänischen Brande gefertigten Gondeln bauen zu wollen. Darüber hinaus soll in der neuen Hafenanlage »Green Port Hull« ein neues Logistik- und Servicezentrum entstehen. Zusammen mit dem britischen Partner Associated British Ports will das Unternehmen dort insgesamt 371 Mio. € investieren und 1.000 direkte Arbeitsplätze schaffen.

Es gehöre zur globalen Produktionsstrategie von Siemens, in den Kernmärkten zu produzieren, erläutert Michael Westhagemann, Deutschland-Chef der Sparte Wind Power. »Wir wollen nachhaltig investieren, müssen also die Märkte langfristig beurteilen. Bei Green Port Hull sind wir sicher, dass der Markt für unser Produkt da ist und Bestand hat.« Großbritannien sei ein Schlüsselmarkt für Offshore-Windenergie: Das Marktvolumen dort sei im Schnitt fast doppelt so groß wie das in Deutschland, einem weiteren wichtigen Offshore-Markt für sein Unternehmen.

Die Ansiedlung von Siemens sei ein echter »Game-Changer«, meint Nick Medic von RenewableUK – und zwar nicht nur für Großbritannien, sondern auch für den gesamten Nordsee-Raum. Darüber hinaus gebe es derzeit ermutigende Signale von weiteren Produzenten. Die Regierung habe in den vergangenen Jahren viel unternommen, um entsprechende Investitionen anzuziehen: Auch für andere deutsche Unternehmen sei der britische Offshore-Markt daher auf jeden Fall interessant. Das sieht auch die deutsche Windenergie-Agentur WAB so. Um sich an Ort und Stelle einen Eindruck vom aktuellen Stand der Dinge zu verschaffen, starteten einige Mitglieder kürzlich zu einer mehrtägigen Reise nach Nordengland, wo sie unter anderem mit dem Branchenverband Team Humber Marine Alliance und dem Offshore-Cluster Orbis Energy einen regelmäßigen Austausch vereinbarten. »Wir sehen da ein großes Potenzial für Win-win-Situationen«, sagt WAB-Geschäftsführer Ronny Meyer. Offshore-Windenergie sei ein europäischer Markt mit europäischen Zulieferern. Dafür sei es allerdings entscheidend, dass der Markt frei sei und es keine staatlichen Eingriffe in die Industriekette gebe.

 


Anne-Katrin Wehrmann