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Die Krise in der Schifffahrt bedroht schon länger die Arbeitsplätze deutscher Seeleute und betrifft auch den nautisch-technischen Nachwuchs. Es wird immer schwieriger, die begehrten Stellen auf See zu finden.
Anfang Dezember 2014 sorgte die Reederei NSB für einen Paukenschlag in der deutschen Schifffahrt, als sie den kompletten Ausstieg aus[ds_preview] der deutschen Flagge bis zum Jahr 2017 bekanntgab. Das Unternehmen hatte zuletzt unter allen deutschen Reedereien noch die größte Anzahl an Schiffen unter Schwarz-Rot-Gold.

Die Ausflaggung der verbliebenen 38 Schiffe bedeutet einen Verlust von fast 500 Arbeitsplätzen für deutsche und europäische Seeleute. Dieser Schritt ist auch ein deutliches Signal an alle, die sich für Seefahrtsberufe interessieren. Lutz Weber, CFO der NSB, kommentierte die Entscheidung mit den Worten: »Der maritime Standort Deutschland bietet europäischen und deutschen Seeleuten leider keine Perspektive mehr.«

Beim Verband Deutscher Reeder (VDR) ist man besorgt. Schon 2013 beklagte man einen Rückgang bei den Studiums- und Ausbildungseinsteigern für Seeberufe. Die ungewissen Aussichten für junge Seeleute in Deutschland sieht der VDR als einen der Hauptgründe für eine Entscheidung gegen das Studium. Um wieder eine Perspektive für deutsche Seeleute zu schaffen, ist aus Sicht der Reeder die Politik gefragt.

Die Schifffahrt fordert zusätzlich zu den bisherigen Steuererleichterungen weitere Entlastungen, zum Beispiel bei der Lohnsteuer, da die Kosten gerade für deutsches Personal einen großen Teil der Betriebskosten ausmachen würden. Die Ausflaggung bei NSB nahm der VDR noch einmal zum Anlass, eindringlich davor zu warnen, dass ähnliche Schritte bei anderen Reedereien nun nicht mehr ausgeschlossen seien.

Auch der Verband deutscher Kapitäne und Schiffsoffiziere (VDKS) geht nicht von einer baldigen Besserung der Lage aus und fordert Maßnahmen zum Erhalt der Flagge. »Das Primärziel soll jedoch nicht einfach die Stärkung der deutschen Flagge sein, sondern vor allem die Sicherung des Know-hows am Standort Deutschland«, sagt VDKS-Präsident Christoph Wand. Ein Verlust des Expertenwissens würde auf lange Sicht auch die Reedereien selbst aus Deutschland vertreiben.

Der Verband verzeichnet schon seit dem Beginn der Schifffahrtskrise ein deutliches Ungleichgewicht im Verhältnis zwischen verfügbaren Seeleuten und Arbeitsplätzen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Laut Wand wäre die Situation ohne die Fördermaßnahmen der Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland »katastrophal«, auch für die derzeitigen Hochschulabsolventen. Denn viele Studenten, die sich vor einiger Zeit mit großer Hoffnung für die Seefahrt entschieden haben, beenden derzeit ihre Ausbildung. Eine Stelle zu finden, ist für die gut ausgebildeten Absolventen durchaus möglich, nur eben nicht auf See. Auch wenn es an Land geeignete Arbeitsplätze gebe, sei die Umorientierung oft sehr unbefriedigend für die Absolventen, meint Wand. Die Mehrzahl wolle ja gerade zur See fahren.

Langfristig planen

Der VDKS vermisst eine langfristige Personalplanung bei Reedereien und Politik. Denn sollte es der Schifffahrt irgendwann wieder besser gehen, rechnet man heute schon mit den altbekannten Klagen über einen Mangel an Bewerbern. Eine Ausbildung nach Bedarf sei einfach nicht machbar. Ebenso wie die Länder langfristig Steuergeld in die Ausbildungseinrichtungen investiert hätten, als der Bedarf groß war, müssten die Schifffahrtsunternehmen langfristig denken, um das Know-how zu erhalten.

Trotz Ausflaggungen und weniger Stellen auf See dürfe man jetzt nicht nachlassen auszubilden, meint Wand. Denn im gesamten maritimen Bereich sei der Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs noch immer höher als die Zahl der Bewerber. »Eine Erhöhung der derzeitigen Ausbildungsanstrengungen ist daher trotz der Krise durchaus sinnvoll«, so der VDKS-Präsident. Nach der Krise damit anzufangen, sei zu spät.

Als eine Möglichkeit zur Verbesserung der Situation schlägt er vor, die Liste der geförderten Ausbildungswege zu erweitern. Da in letzter Zeit die Mehrzahl der Absolventen ihr Befähigungszeugnis auf dem bisher nicht geförderten Weg von Praktikumssemestern erworben habe, sollten Reeder auch für dieses Angebot eine Beihilfe erhalten. Dabei seien Kooperationen mit Landbetrieben denkbar, welche die Nautiker und Techniker später übernehmen könnten. Bei den Lotsen würden solche Modelle bereits funktionieren.

Als Beispiele nennt Wand Hafenbetriebe und Behörden, die sich an der Nachwuchssicherung beteiligen könnten. Außerdem regt er eine bessere Vernetzung von schifffahrtsnahen Ausbildungsmöglichkeiten an. Die in anderen Ländern praktizierte Ausbildung auf Nicht-Kauffahrteischiffen oder teilweise in der Binnenschifffahrt seien Ansätze. Dazu müsse aber die deutsche Lesart des internationalen Übereinkommens über Normen für die Ausbildung von Seeleuten (STCW) gelockert werden.

Alarm schlugen in den letzten Jahren ebenso die Lotsen. Bei der Lotsenbrüderschaft NOK II Kiel/Lübeck/Flensburg besteht schon seit einiger Zeit ein erhöhtes Interesse an frei werdenden Stellen, da diese auf See immer knapper werden. »Wir wissen aber, dass es sich bei diesem Ansturm um eine kurzzeitige Angelegenheit handelt und wir schon in wenigen Jahren auf eine dramatische Situation ohne Bewerber zusteuern«, sagt Stefan Borowski, verantwortlicher Ältermann.

Die bisherigen Bewerber hätten ihre Patente noch ausfahren können, für eine steigende Zahl von Berufsanfänger werde das aber immer schwieriger. Sie würden nicht mehr die Stufe des 1. Offiziers oder Kapitäns erreichen, die für den Lotsenberuf notwendig ist.

So ist laut Borowski der Knackpunkt das Ausfahren des Patents. Hier müsse es mehr geförderte Programme für die Zeit nach dem Studium geben. Am meisten verspricht er sich von einer geförderten Partnerschaft von Reedereien und Bundeslotsenkammer. Ein neuer Studiengang speziell für Lotsen sei dagegen nicht zielführend. Selbst wenn die jungen Nautiker mittlerweile mit hervorragenden Simulatoren trainieren könnten, so ersetze das niemals die reale Praxisfahrzeit.

Studium im Angesicht der Krise

Wer in Deutschland an einer Karriere im maritimen Bereich interessiert ist, hat die Möglichkeit, an elf Hochschulen verschiedene Wege im nautischen, ingenieurswissenschaftlichen oder kaufmännischen Bereich zu beschreiten. Betrachtet man die Studierendenstatistiken, kann man vor allem bei der Fachrichtung Nautik eine negative Tendenz für die letzten Jahre feststellen. Auf die Attraktivität technischer und kaufmännischer Studiengänge und Ausbildungen scheint die schlechte Lage der Schifffahrt bisher hingegen wenig Einfluss zu haben.

An der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) ist man zufrieden, die Studierendenzahlen in »Schiffbau«, »Meerestechnik« und »Ship- and Offshore Technology« seien seit Jahren stabil. »70 bis 75 junge Leute starten pro Jahr im Fach Schiffbau«, sagt Rüdiger Bendlin von der TUHH. Es gebe zwar immer mehr Bewerber als Studienplätze, »aber wir schauen, dass wir so viele wie möglich unterbringen können«. Für die technisch Ausgebildeten sieht er keine Engpässe bei der Jobsuche, die meisten würden direkt anschließend in den Beruf wechseln.

Bei den Bachelor-Studenten im dualen Studiengang Maritime Management an der Hamburg School of Business Administration (HSBA) gibt es nach deren eigener Aussage ebenso keine Probleme. 80% der Studenten würden gleich nach dem Abschluss von den jeweiligen Ausbildungsunternehmen übernommen. Auch die Zahl der Studierenden sei bislang konstant geblieben.

Anders sieht die Situation in Bereichen aus, die vor allem auf eine Beschäftigung auf See ausgerichtet sind. So zeigen sich an der Fachhochschule Flensburg im Studiengang »Seeverkehr, Nautik und Logistik« bereits deutliche Auswirkungen der negativen Entwicklung in der Schifffahrt. Immer problematischer wird beispielsweise die Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme des Theoriestudiums. Die Studierenden müssen 26 Wochen anerkannte Seefahrtzeit vorweisen. Das kann jedoch immer seltener durch das sogenannte Praxissemester abgedeckt werden.

»Offenbar haben immer weniger Reedereien Interesse an diesem nicht durch öffentliche Subventionen geförderten Ausbildungsweg. Insofern bleibt den Studenten nur der Weg des Nachweises über einen Schiffsmechanikerbrief, des Nachweises der Fahrzeiten als Nautischer Offiziersassistent (NOA) oder über die Anerkennung anderer Fahrtzeiten, etwa bei der Marine«, so Prof. Sander Limant.

Momentan kann die Hochschule noch mit einer befriedigenden Studienanfängerzahl aufwarten. Dennoch macht man sich bereits Gedanken, wie man schon während der Ausbildung der unerwartet lang anhaltenden Konjunkturschwäche in der Schifffahrt begegnen kann.

»Wir versuchen die Ausbildung besser auf potenzielle Arbeitgeber auszurichten und Kooperationen zu stärken. Aber wir wollen auch die Kompetenzen der Studierenden zur Aufnahme einer Landverwendung vertiefen,« so der Professor.

Neben »Schiffsbetriebstechnik«, wofür ein Nachweis von zwölf Monaten Fahrtzeit nötig ist, wird in Flensburg daher jetzt der Studiengang »Schiffsmaschinenbau« angeboten, der sich laut Limant wachsender Beliebtheit erfreut.

Ernüchterung macht sich breit

Wer die nötige Praxiserfahrung für seinen Traumberuf nicht sammeln kann, für den wird es schwer, überhaupt einen Einstieg zu finden, selbst wenn er sich umorientiert. Im Offshore-Bereich etwa sei ein Einstieg ohne Berufserfahrung praktisch unmöglich, schildert Axel Rothermund von der Flensburger Fachschaft Seefahrt die Situation seiner Kommilitonen.

Aber sogar die Praxiserfahrung zu haben, sei kein Garant mehr für eine Anstellung. »Aktuell sieht die Situation für Absolventen sehr bescheiden aus«, so Rothermund. Bis vor kurzem seien bei den großen Linienreedereien praktisch alle Absolventen übernommen worden, die dort zuvor eine Ausbildung gemacht oder eine Anstellung als Nautischer oder Technischer Offiziersassistent hatten. Nun aber würden auch die großen Reedereien immer weniger dieser jungen Seeleute übernehmen.

Wer eine Anstellung findet, muss sich oft mit schlechteren Bedingungen begnügen, als erwartet. Ein Flensburger Absolvent berichtet, er sei seit seinem Abschluss 2013 trotz durchgehender Anstellung nur sechs Monate nach Tarif bezahlt worden. Sein erster Arbeitgeber habe zwar ausschließlich deutsche Nautiker beschäftigt, diese allerdings nur über kurzfristige Zeitverträge. Urlaubsverzicht und der ständige Wechsel zwischen Gehalt und Arbeitslosengeld seien für ihn und seine Kollegen nötig gewesen, um über die Runden zu kommen. Die mangelnde Planbarkeit der Zukunft und die aufreibende Stellensuche belasten die Berufsanfänger.

Aus den Reihen der Studenten gibt es daher auch Kritik an den deutschen Reedern, die Zusagen im Rahmen des Maritimen Bündnisses mit der Bundesregierung nicht gehalten hätten. Das gutgemeinte Förderungsmodell für junge Offiziere bewirke vor allem, dass diese nur noch befristet für die Dauer der Förderung eingestellt würden. Teilweise werde aus dieser Personalpolitik nicht einmal ein Geheimnis gemacht. Es sei fraglich, wie so in Zukunft die Sicherheit in der Seefahrt gewährleistet bleiben solle.

Diese Zustände kritisiert auch der VDKS. Allerdings sei das nichts Neues, schon in den Jahren, als es der Schifffahrt gut ging, hätten die Seeleute oft keine langfristigen Perspektiven gehabt. »Nicht wenige Personalabteilungen oder Crewing Agencies haben leider wenig Gespür für die Bedürfnisse der Seeleute und ihrer Familien. Zeitverträge gehören sicher nicht dazu«, meint der Präsident zu der Problematik.

Patrick le Plat vom Fachschaftsrat Seefahrt der Hochschule Wismar berichtet ebenfalls von einer Situation, die alles andere als zuversichtlich in die Zukunft blicken lässt. So seien die meisten Studenten, die noch mit großem Enthusiasmus ihr Studium begonnen hätten, spätestens seit der Ankündigung der kompletten Ausflaggung bei NSB ernüchtert. »Teilweise müssen Studierende mehr als 65 Bewerbungen für ein einziges Praxissemester verschicken und erhalten dann von knapp 50 Reedereien nicht einmal eine Antwort«, schildert le Plat die Lage. Sollte man dann tatsächlich einen Platz bekommen, werde damit oft nur die Hälfte der geforderten Zeit abgedeckt und weitere Bewerbungen seien in der Folge nötig. So ziehe sich das Studium unnötig in die Länge.

Er selbst hatte Glück, eine Reederei zu finden, bei der er seine Fahrtzeit absolvieren konnte und die ihm auch eine Perspektive für die Zeit nach dem Studium bietet. Viele Absolventen hätten aber massive Probleme, eine Stelle zu finden, sofern sie nicht auf Spezialschiffen unterkämen oder zu einer Anstellung weit unter Tarifvertrag bereit seien. Ein anschließendes Masterstudium ist laut le Plat daher für viele ein Weg zur Überbrückung, andere suchen sich gleich etwas an Land, wo die hochqualifizierten Absolventen nicht nur in maritimen Bereichen sehr gefragt sind.


Felix Selzer