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Das internationale STCW-Übereinkommen gilt als wichtige Stütze der internationalen Schifffahrtsregulierung für die Befähigung von Seeleuten. Das es für die deutsche Ausbildung aber auch negative Folgen haben kann, beschreibt Hans Wilhelm Hoffmann in einer aktuellen Beurteilung des Übereinkommens
Auf seiner Homepage www.deutsche-flagge.de erklärt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, dass eine fundierte Ausbildung der Seeleute ein[ds_preview] wesentlicher Baustein für die Schiffssicherheit sei. Die Mindeststandards für die Qualifizierung der Seeleute sowie für die Erteilung der Befähigungszeugnisse seien vor allem im internationalen STCW-Übereinkommen von 1978 sowie in nationalen Verordnungen geregelt. Mit den in Manila im Jahre 2010 beschlossenen Änderungen des Übereinkommens werde »die Ausbildung der Seeleute nochmals verbessert«.

Mit dem STCW-Übereinkommen werden nicht nur Mindest-Befähigungsnormen für Schiffsoffiziere vorgeschrieben, sondern erstmals auch für »able seafarers deck« und »able seafarers engine«, sogenannte Vollmatrosen im Decks- und Maschinenbetrieb. In einem verbindlich einzuhaltenden STCW-Code sind die Befähigungsnormen für die Vollmatrosen aufgeführt. Von besonderer Bedeutung sind die im Code vorgeschriebenen Verfahren und Kriterien für den Nachweis und die Beurteilung der Befähigung, die nahezu identisch sind mit dem System der »Nationalen Beruflichen Befähigungsnachweise« in Großbritannien.

Umgesetzt in deutsches Recht werden die STCW-Anforderungen an die Vollmatrosen durch die See-Berufsausbildungsverordnung (See-BAV) von 2013, die Berufsausbildung und Abschlussprüfung zum Schiffsmechaniker sowohl für den Decks- als auch für den Maschinenbetrieb regelt. Einige Vorschriften der bis dahin geltenden Schiffsmechaniker-Ausbildungsverordnung wurden mit dem Hinweis auf einzuhaltende STCW-Vorschriften grundlegend geändert. Die Auswirkungen dieser Änderungen auf Durchführung und Qualität der Berufsausbildung sind eher negativ als positiv.

Nach Abschnitt A-I/6 des STCW-Codes müssen Ausbildung und Beurteilung der Seeleute in Übereinstimmung mit schriftlich niedergelegten Programmen gegliedert und unter Berücksichtigung anerkannter Methoden der Ausbildung und Leistungsbeurteilung durchgeführt werden. Ausbilder, Aufsichtspersonen und Beurteiler müssen über eine angemessene Befähigung verfügen. Darüber hinaus müssen sie sich uneingeschränkt ihren Aufgaben widmen können. Schließlich dürfen Ausbildung und Beurteilung der Seeleute an Bord den normalen Schiffsbetrieb nicht beeinträchtigen.

Die Mindest-Befähigungsnormen für die Vollmatrosen im Decks- und Maschinenbetrieb sind in den Tabellen A-II/5 und A-III/5 des STCW-Codes dargestellt: Dazu zählen etwa die Funktionen der Vollmatrosen sowie ein »Mindestmaß an Kenntnissen, Verständnis und Fachkunde« – allerdings nicht dessen Vermittlung oder Erwerb. Hinzu kommen »Verfahren für den Nachweis der Befähigung«, die vor allem die Beurteilung von Qualifikationen am Arbeitsplatz oder in einer Prüfung an Bord beschreiben. Bei den »Kriterien für die Beurteilung der Befähigung« in handelt es sich um solche Tätigkeiten, die für die Beurteilung der Befähigung zugrunde zu legen sind. Ausschlaggebend für den Erwerb der Befähigungsnachweise der Vollmatrosen ist somit der Nachweis von Befähigungen, die nach vorgegebenen Kriterien und Tätigkeiten von einem Beurteiler als gegeben oder nicht gegeben beurteilt werden.

Nationale Befähigungsnachweise in Großbritannien im Vergleich zum STCW-Übereinkommen

Die 1986 in Großbritannien eingeführten Nationalen Beruflichen Befähigungsnachweise (National Vocational Qualifications – NVQs) werden im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erworben. NVQs sind – ebenso wie die Befähigungsnormen nach dem STCW-Code – arbeitsplatzbezogene Qualifikationen, die erforderlich sind, um die Anforderungen in einem bestimmten Berufs- oder Arbeitsbereich erfüllen zu können. Das theoretische Hintergrundwissen spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Man geht davon aus, dass die nachzuweisende Kompetenz die hierfür notwendigen Kenntnisse beinhaltet.

Die NVQs sind in fünf Kompetenzstufen gegliedert. Die Stufen 1 bis 3 reichen von Qualifikationen für Routinearbeiten bis zu Facharbeiterqualifikationen, die Stufen 4 bis 5 beziehen sich auf Fach- und Fachhochschulabschlüsse. Auch diese Stufengliederung findet ihre Entsprechung in der Unterstützung-, Betriebs- und Führungsebene nach dem STCW-Übereinkommen. Teile der Kompetenzstandards sind – ebenso wie nach dem STCW-Code – Leistungskriterien und vorgeschriebene Tätigkeiten, bei deren Ausübung die Kompetenzen nachzuweisen und zu bewerten sind. NVQs sind demnach standardisierte Vorgaben für eine Beurteilung am Arbeitsplatz. Hierbei gilt: Was nicht beurteilt werden muss oder kann, wird in der Regel auch nicht beurteilt. Für NVQ-Bewerber gibt es nur zwei Möglichkeiten einer Beurteilung: »kompetent« oder »noch nicht kompetent«, wobei Nachweis und Beurteilung beliebig oft wiederholt werden können.

Die nachstehende Kritik am britischen NVQ-System trifft auch das STCW-Befähigungssystem für Vollmatrosen, da sich beide Systeme so gut wie nicht unterscheiden: Terry Hyland, Professor im Fachbereich Bildung an der Universität Bolton in England, vertritt die Auffassung, dass letztlich alle NVQs »logisch und begrifflich verworren und […] mehrdeutig« seien. Die Einführung der NVQs habe unter anderem »zu einer Entqualifizierung der Berufsrollen« geführt. Von einem Berufsbildungssystem, das »nur auf die Beurteilung der Kompetenz am Arbeitsplatz ausgerichtet« sei und in keiner Weise etwas mit Ausbildung und Lernen zu tun habe, sei auch nichts anderes zu erwarten gewesen. Nach einer Studie der Universität Sussex von 1996 räumten 40% der Beurteiler ein, dass sie auch solche Bewerber positiv beurteilt hätten, die die NVQ-Anforderungen nicht erfüllt hätten. Das Fortbestehen des NVQ-Systems und sein Export in andere Länder erklärt Terry Hyland mit der »aggressiven Vermarktung und Profitorientierung auf dem internationalen Markt für fertige Berufsbildungs-Komplettlösungen«, mit dem »politischen Druck einflussreicher Kreise, die angesichts der massiven öffentlichen Investitionen in die NVQs ihr Gesicht wahren wollten« sowie mit der »unwiderstehlichen Anziehungskraft scheinbar schneller und einfacher Lösungen für schwierige Bildungs- und Wirtschaftsprobleme«. Dass das NVQ-System auch für die Ausbildung und Befähigung der Seeleute übernommen wurde, unterstreicht das Interesse an einer internationalen Verbreitung dieses Systems.

Duale Berufsausbildung zum Schiffsmechaniker

im Vergleich zum STCW-Übereinkommen

Die für den Erwerb der Befähigungsnachweise der Vollmatrosen Deck und Maschine nachzuweisenden Seefahrtzeiten betragen ohne Urlaub insgesamt 42 Monate oder nur 22 Monate, wenn eine anerkannte Ausbildung nachgewiesen wird. Die Gesamtdauer der Berufsausbildung zum Schiffsmechaniker beträgt 27 Monaten ohne Urlaub. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die von der Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt überwachte Berufsausbildung im Rahmen eines Berufsausbildungsverhältnisses auf anerkannten Ausbildungsschiffen, in überbetrieblichen Ausbildungsstätten und in der Berufsschule qualitativ höher einzustufen ist als eine Seefahrtzeit im Rahmen eines Heuerverhältnisses.

Die mitunter geäußerte Auffassung, dass der seefahrtbezogene Berufsschulunterricht von 36 Wochen nicht auf die nach dem STCW-Übereinkommen vorgeschriebenen Seefahrtzeiten angerechnet werden könne, entbehrt jeder sachlichen Grundlage: Der gesetzlich geregelte Berufsschulunterricht ist seit Einrichtung seefahrtbezogener Berufsschulen 1972/1973 ein wesentlicher und unverzichtbarer Teil einer qualifizierten Berufsausbildung der Seeleute. Der Rahmenlehrplan für den Berufsschulunterricht wurde sachlich und zeitlich nicht nur auf die See-BAV abgestimmt, sondern auch auf die STCW-Anforderungen.

Die nach der See-BAV zu vermittelnden Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten sind in einer praktischen und schriftlichen Abschlussprüfung nachzuweisen. Die Abschlussprüfung wird von einem aus mindestens fünf Mitgliedern bestehenden Prüfungsausschuss abgenommen und dauert insgesamt rund 30 Stunden. Angehende Vollmatrosen werden dagegen von nur einem Beurteiler am Arbeitsplatz oder in einer Prüfung an Bord als »befähigt« oder »(noch) nicht befähigt« eingeschätzt. Eine solche Beurteilung der Befähigung am Arbeitsplatz liegt in Bezug auf Anspruch, Aussagekraft und Objektivität deutlich unter dem Niveau der Abschlussprüfung zum Schiffsmechaniker.

Änderungen in der See-BAV aufgrund

des STCW-Codes

Die äußere Form der See-BAV, insbesondere die Gliederung des Ausbildungsrahmenplans, wird unübersehbar von den Mindest-Befähigungsnormen des STCW-Codes geprägt. Darüber hinaus erschweren die Verweise auf das Übereinkommen die Lesbarkeit der See-BAV. Die mit der Ausbildung beauftragten Schiffsoffiziere sollten die Ausbildungsordnung auch ohne die zutreffenden STCW-Vorschriften lesen und verstehen können. Im Übrigen wird mit der neuen Bezeichnung See-Berufsausbildungsverordnung der Eindruck erweckt, dass es in der Seeschifffahrt mehrere anerkannte Ausbildungsberufe gibt. Das im STCW-Code für Vollmatrosen im Decks- und Maschinenbetrieb vorgeschriebene »Mindestmaß an Kenntnissen, Verständnis und Fachkunde« wurde – soweit bis dahin noch nicht berücksichtigt – in das Ausbildungsberufsbild und den Ausbildungsrahmenplan der See-BAV eingearbeitet. Unverständlich ist, dass in den grundlegenden Ausbildungsbereichen »Schiffssicherheit hinsichtlich Brandabwehr und Rettung« und »Bearbeiten von Metallen« inhaltliche Abstriche gemacht wurden, was auch durch eine Reduzierung der Zeitrichtwerte um jeweils die Hälfte zum Ausdruck kommt. Ebenso unverständlich ist, dass die Summe der zeitlichen Richtwerte für die einzelnen Ausbildungsbereiche im ersten Ausbildungsjahr nur 39,5 Wochen beträgt, im zweiten und dritten Ausbildungsjahr 44 bzw. 45 Wochen.

Mit der See-BAV wurde ein sogenannter Ausbildungsnachweis eingeführt, der sich aus dem vom Ausbilder zu führenden betrieblichen Ausbildungsplan und dem Tätigkeitsnachweis des Auszubildenden zusammensetzt. Vorgeschrieben ist, dass »der betriebliche Ausbildungsplan […] von den Ausbildern als Ausbildungs- und Bewertungsnachweis nach Regel I/6 […] des STCW-Übereinkommens zu führen« ist. Der für die Planung und Durchführung der Ausbildung an Bord zu führende betriebliche Ausbildungsplan ist mit dem »Ausbildungs- und Bewertungsnachweis« ebenso wenig zu vereinbaren wie das duale System der Berufsausbildung mit dem Befähigungssystem nach dem STCW-Übereinkommen.

Nach der See-BAV »ist die Abschlussprüfung […] bestanden, wenn hinsichtlich der Anfertigung der Prüfungsstücke und der Durchführung der Arbeitsproben […] und in der schriftlichen Prüfung jeweils mindestens ausreichende Leistungen erbracht sind«. Diese für das Bestehen der Abschlussprüfung nicht unwichtige Regelung entspricht wörtlich der bisherigen Regelung nach der Schiffsmechaniker-Ausbildungsverordnung, allerdings ohne die dort gemachten Einschränkungen und Auflagen in Bezug auf mindestens zu erbringende Leistungen. Wenn wegen berechtigter Anforderungen an die Schiffssicherheit für bestimmte Prüfungsstücke, Arbeitsproben und schriftliche Prüfungsfächer jeweils mindestens ausreichende Leistungen zu erbringen sind, muss dieses in der See-BAV – ebenso wie in allen Ausbildungsordnungen der Seeschifffahrt seit 1975 – dem Wortlaut nach auch so geregelt werden.

Erhalt des dualen Systems der Berufsausbildung

zum Schiffsmechaniker

Nach Artikel IX des STCW-Übereinkommens von 1978 wird die Verwaltung einer Vertragspartei nicht daran gehindert, »andere Lehr- und Ausbildungsformen« beizubehalten oder einzuführen, einschließlich solcher Formen, die sich auf Seefahrtzeiten und Bordorganisation beziehen und speziellen Schiffstypen und Fahrtgebieten besonders angepasst sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die Anforderungen an die Seefahrtzeiten sowie an die Kenntnisse und Fertigkeiten für die technische Handhabung von Schiff und Ladung in Bezug auf die Schiffssicherheit und den Meeresumweltschutz den Vorschriften des Übereinkommens mindestens gleichwertig sind.

Eine andere Lehr- und Ausbildungsform im Sinne des STCW-Übereinkommens ist die duale Berufsausbildung, die sich als Teil des deutschen Bildungssystems durchaus bewährt hat – auch in der Seeschifffahrt. Dagegen ist eine Ausbildungsform, die auf Seefahrtzeiten für den Erwerb von Qualifikationen beruht und auf eine Beurteilung von Kompetenzen am Arbeitsplatz ausgerichtet ist, im deutschen Seefahrtbildungswesen seit 1975 nicht mehr üblich. Angesichts ihrer negativen Auswirkungen auf die Durchführung und die Qualität der Berufsausbildung zum Schiffsmechaniker hätte die Lehr- und Ausbildungsform nach dem Übereinkommen weder gänzlich noch teilweise in die See-BAV übernommen werden dürfen und auch nicht übernommen werden müssen. Sofern dies von den Verantwortlichen und Beteiligten gewollt wird, dürfte es nicht schwerfallen, die IMO davon zu überzeugen, dass das duale System der Berufsausbildung im Vergleich zur Lehr- und Ausbildungsform nach dem STCW-Übereinkommen mehr als gleichwertig ist.

Erhalt des Ausbildungsberufs

Schiffsmechaniker in Deutschland

Um den Ausbildungsberuf Schiffsmechaniker zu erhalten, genügt es nicht, dass das duale System der Berufsausbildung in der Seeschifffahrt ohne Einschränkungen beibehalten wird. Um den Beruf auch ausüben zu können, muss es hinreichende Beschäftigungsmöglichkeiten im erlernten Beruf geben. Von großer Bedeutung hierfür ist, dass auf Schiffen mit einer BRZ von mehr als 1.600 auch weiterhin ein Schiffsmechaniker gefahren wird. Sollte dies künftig nicht mehr der Fall sein, würde der Beruf des Schiffsmechanikers in absehbarer Zeit nicht mehr ausgeübt werden können und damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für seine staatliche Anerkennung als Ausbildungsberuf entfallen. Die gegenwärtig 3.071 Handelsschiffe im Eigentum deutscher Reeder, davon 12% unter deutscher Flagge, müssten ggf. mit Vollmatrosen nach dem STCW-Übereinkommen besetzt werden.

Die Anzahl der Berufsanfänger im Ausbildungsberuf Schiffsmechaniker hat sich in den Jahren von 2007 bis 2013 von 364 auf 170 um 53% verringert. Ohne wirksame Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungsaussichten für Schiffsmechaniker wird sich diese rückläufige Entwicklung fortsetzen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass junge Bewerber, die an einer qualifizierten Berufsausbildung in der Seeschifffahrt interessiert sind, sich für die international geregelte Ausbildung und Befähigung von Vollmatrosen entscheiden oder von deutschen Reedereien eingestellt werden. Seeleute aus Deutschland werden – wenn überhaupt – nur mit einer qualifizierteren Berufsbildung im Wettbewerb mit kostengünstigeren außereuropäischen Seeleuten bestehen können.

Autor: Hans Wilhelm Hoffmann

Bremen, hw.hoffmann@gmx.net


Hans Wilhelm Hoffmann