Rettung über See

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Die militärische Lage war für die Deutschen Anfang 1945 überall hoffnungslos. In Ostpreußen drohte die Rote Armee, die Zivilbevölkerung und[ds_preview] das verbliebene Militär zu überrollen. In dieser Situation ordnete der Marinebefehlshaber, Großadmiral Karl Dönitz an, die Marine nach Westen zu verlegen und den freien Schiffstransportraum für die flüchtende Bevölkerung sowie zur Rettung der Verwundeten einzusetzen. Die Koordinierung lag bei Konteradmiral Konrad Engelhardt, Chef für Seetransporte in der Wehrmacht.

Die größte Evakuierungsaktion über See, die es jemals gegeben hat, begann am 26. Januar 1945 im Königsberger Hafen Pillau. Den Anfang machten das ehemalige Kraft-durch-Freude-Schiff »Robert Ley« sowie die Frachter »Ubena« (Deutsche Ostafrika Linien) und »Pretoria« (Hamburg Süd).

Eine Zeitzeugin, die zusammen mit ihrer Mutter und Großmutter als Fünfjährige auf die »Pretoria« kam, erinnert sich noch heute daran, dass alles sehr geordnet vor sich ging. Die Zuweisung der Plätze an Bord erfolgte über die ausgegebenen Passagierkarten. Besonders habe sich das Personal um die Kinder gekümmert.

Die »Pretoria« sei aus Vorsicht vor russischen U-Booten Zickzackkurs gefahren und habe erst nach sechs Tagen Stettin erreicht. Die Zeitzeugin berichtet, dass die Schiffsleitung auf einer Seite sichtbehindernde Planen aufgehängt habe. Heute weiß sie, dass dies geschah, um den Flüchtlingen den Anblick von Toten und Trümmern nach dem Untergang der »Wilhelm Gustloff« zu ersparen. Das Passagierschiff war am 30. Januar 1945 von einem sowjetischen U-Boot torpediert worden und hatte mehrere tausend Menschen mit sich in den Tod gerissen.

In der Öffentlichkeit hat diese Rettungsaktion, die über den Tag der Kapitulation hinausging und erst mit dem Eintreffen des Binnenschiffs »Hoffnung« mit 100 Menschen an Bord am 14. Mai in Flensburg endete, durch seine großen Katastrophen in Erinnerung behalten. Neben der Versenkung der »Wilhelm Gustloff« waren es die Untergänge der »Goya«, der »General von Steuben« und der »Cap Arcona« sowie der »Thielbeck« in den letzten Kriegstagen in der Neustädter Bucht. Durch die Bombardierung der letzteren beiden Schiffe kamen tausende KZ-Häftlingen um.

Hinter diesem grauenhaften Geschehen verblasst in der Erinnerung, welche Leistungen von den Seeleuten bei dieser gefahrvollen Rettungsaktion erbracht wurden. Fast zwei Millionen Menschen, darunter 1,3 Millionen Flüchtlinge, erreichten über See die sicheren Häfen überwiegend in Norddeutschland und in Dänemark. Unter den Reedereien, denen die Transportschiffe gehörten, ragten der Norddeutsche Lloyd, John T. Essberger und die Hamburg Amerika Linie mit jeweils mehr als 200.000 Geretteten hervor. Die nur 5.064 BRT große »Eberhard Essberger« fuhr allein zwölf Einsätze und brachte 66.500 Menschen in Sicherheit – fast ebenso viele wie die viermal größere »Deutschland«. Zu beklagen waren allerdings auch mehr als 20.000 Tote. 123 der über 700 eingesetzten zivilen Schiffe gingen verloren.


Wulf Brocke