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Um Auswirkungen von umfangreichen Baumaßnahmen auf dem regulären Bahnnetz nach Bremerhaven aufzufangen, rückt eine Alternative immer mehr in den Fokus, die zum Jahreswechsel erstmals genutzt wurde: das Netz der Verkehrsbetriebe (evb)

An der Bahnstrecke Bremen–Bremerhaven erfolgten zwischen September und Dezember 2014 dringend erforderliche Unterhaltungsarbeiten. Die verantwortliche DB Netz AG hatte[ds_preview] die umfangreichen Maßnahmen, die sich nicht nur auf die Bereiche des Oberbaus und der Oberleitungen beschränkten, sondern auch komplette Brückensanierungen umfassten, im Vorfeld den potenziell betroffenen Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie den Anbietern und Bestellern der Schienenpersonenfern- und Nahverkehrsdienstleistungen vorgestellt. Deutlich wurde dabei, dass in den Bauzeiten selbst bei vollständiger Aufgabe des Personenfernverkehrs erhebliche Kapazitätseinschränkungen des Güterverkehrs unausweichlich werden würden.

Für den Hafen Bremerhaven und die Terminalbetriebe, insbesondere in den Segmenten des Container- und Automobilumschlags, erschien dies im Hinblick auf die typische Güterverkehrs-Rallye zum Jahresende kaum tragbar. Zugleich bestand aber die allgemeine Einsicht, dass Unterhaltungsarbeiten unausweichlich sind, und auch, dass Lösungen gefunden werden mussten, die trotzdem eine schienenseitige Erreichbarkeit des Hafens garantieren konnten. In dieser Gemengelage rückte neben einer partiellen Verlagerung von Verkehren auf die Straße und die Führung von Ausweichverkehren von und nach Hamburg über Cuxhaven eine Schieneninfrastruktur in den Fokus, die vom Land Niedersachsen bereits vor einigen Jahren als möglicher Schlüssel zur Verbesserung der Hinterlandanbindung in Norddeutschland erkannt worden ist: das Netz der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (evb). Es verbindet Bremerhaven über Bremervörde in Richtung Süden mit Rotenburg und Tostedt sowie in Richtung Osten mit Stade und Buxtehude und kann einen Bypass für die hoch belastete Strecke Bremen-Bremerhaven bilden. Unter Einbeziehung öffentlicher Fördermittel wurde entsprechend dem Hafenhinterland-Konzept des Landes die Strecke für die Streckenklasse D4 ertüchtigt. Bis dato konnte dieses Netz aber seine Möglichkeiten noch nicht unter Beweis stellen.

Mit den baubetrieblichen Einschränkungen 2014 aber wurde die Not in Bremerhaven so groß, dass ernsthaft über Ausweichverkehre über diese nahezu fertig ertüchtigte Stecke nachgedacht wurde. Dies ist deshalb erstaunlich, als dass nur ein Jahr zuvor keine Nutzung erfolgte. Ende 2013 nämlich war in Folge des Sturmtiefs »Christian« der Seehafen Bremerhaven für zwei volle Tage vom Bahnverkehr abgeschnitten und nur ein einziges Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) hatte damals die Streckennutzungsoption der evb in Betracht gezogen. Damals waren die Ertüchtigungsmaßnahmen noch nicht so weit fortgeschritten.

Im Vergleich der großen europäischen Seehäfen weist Bremerhaven im Modal Split des Containerhinterland-Verkehrs mit nahezu 50% den mit Abstand höchsten Wert aus. Über 1Mio. TEU, und damit wesentlich mehr als in den ansonsten größeren Häfen Rotterdam oder Antwerpen, erreichen oder verlassen den Hafen jährlich auf der Schiene. Dazu kommen noch fast 2 Mio. Automobile, die per Bahn nach Bremerhaven transportiert und von hier aus in alle Welt verschifft werden. Konkret verzeichneten die Serviceeinrichtungen der Bremischen Hafeneisenbahn in Bremerhaven im Jahr 2014 bei insgesamt 30.200 Zügen durchschnittlich 581 Ein- und Ausgangszüge pro Woche. Dieser Wert liegt trotz leicht rückläufiger Seeumschlagmengen rund 2,5% über dem Niveau des Vorjahres. Der Anteil der Container-Verkehre betrug rund 53%, der Automobil-Verkehre rund 43% und der sonstigen Verkehre rund 4%.

Auch die Hafenpolitik des Landes Bremen setzt einen besonderen Schwerpunkt in der schienenseitigen Erreichbarkeit und der Bahn-Leistungsfähigkeit Bremerhavens. So werden aktuell erhebliche Kapazitätserweiterungen durch zusätzliche Vorstellgleise, Elektrifizierungen, neue Verbindungen und durch die Verlängerung älterer Gleisbereiche auf moderne Ganzzuglänge vorgenommen. Das Gesamtinvestitionsvolumen in diesem Bereich liegt bis Ende 2016 bei über 30Mio. €.

Um während der von der DB Netz AG vorgesehenen Arbeiten an der Hauptstrecke Bremen–Bremerhaven die Erreichbarkeit des Hafens Bremerhaven weiter in ausreichendem Maße sicherzustellen, wurden zwischen dem 5. November und dem 18. Dezember 2014 insgesamt 157 Züge über das Netz der evb geführt. In der Spitze wurden täglich bis zu 15 zusätzliche Güterzüge gefahren. Die Verkehre mussten dabei mit der Schwierigkeit zurechtkommen, dass die evb-Strecke Rotenburg–Bremervörde wegen Brückenerneuerungsarbeiten seit dem 1. Oktober zwischen Zeven und Bremervörde vollgesperrt war. Damit blieben als Ausweichrouten nur die Strecken von Bremerhaven-Wulsdorf nach Buxtehude bzw. Stade (126 Züge) und die Strecke von Osterholz-Scharmbeck über Bremervörde nach Bremerhaven-Wulsdorf (31 Züge) übrig.

Aufgrund des schon weit fortgeschrittenen Ausbaus der evb-Infrastruktur für den Hafenhinterlandverkehr konnte die Züge nicht nur in den SPNV-freien Nachtstunden sondern auch tagsüber geführt werden. Tagsüber wurde dabei im Wesentlichen die Relation Bremerhaven-Wulsdorf nach Stade (72 Züge) und nachts die Relation nach Buxtehude (54 Züge) bedient.

Durchgeführt wurden die Verkehre überwiegend von der evb Logistik, wobei einzelne EVU ihre Hafen-Hinterlandverkehre auch selber über das evb-Netz führten. Neben der Durchführung der eigenen Verkehre fungierte die evb Logistik als Traktionsdienstleister auf dem Netz der evb für insgesamt 14 andere private Eisenbahnverkehrsunternehmen, deren Trassen von der DB Netz AG zwischen Bremen und Bremerhaven ausgelegt wurden. Einzig DB Schenker als weiteres bedeutendes Eisenbahnverkehrsunternehmen führte keine Züge über das Netz der evb.

Nachdem zwischen 2009 und 2014 der Oberbau der Strecke Bremerhaven–Wulsdorf–Bremervörde–Rotenburg in weiten Teilen ertüchtigt, zusätzliche Kreuzungsbahnhöfe gebaut und die Strecke zwischen Bremerhaven und Bremervörde signaltechnisch aufgerüstet wurden, wird die evb in den Jahren 2015 bis 2017 durch den Abschluss der Brückenerneuerungen sowie der Installation einer leistungsfähigen Signaltechnik auf Basis von Ks-Signalen zwischen Bremervörde und Rotenburg die erste Stufe der Ertüchtigung der evb-Infrastruktur beenden. Ab dem Jahresfahrplan 2018 steht den EVU dann eine noch leistungsfähigere Infrastruktur für den Hafenhinterlandverkehr zur Umfahrung des Knotens Bremen zur Verfügung.

Dieses Konzept belegt auch für Sondersituationen wie Unfälle oder Baustellen die Notwendigkeit zur Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen und dauerhaft verlässlichen Bahn-Anbindung. Dem Schienennetz der evb kommt in diesem Zusammenhang für den Eisenbahnhafen Bremerhaven eine besondere Rolle zu, was Ende 2014 erstmals unter Beweis gestellt werden konnte. Für die Zukunft wird es darauf ankommen, die Leistungsfähigkeit des evb-Netzes mit Augenmaß weiter zu steigern, vor allem aber den Eisenbahnverkehrsunternehmen diese Bypass-Lösung bekannt zu machen. Die einmalige Situation während der Bauphase auf der Strecke Bremerhaven–Bremen stellt eine Ausnahme dar. Für den normalen, störungsfreien Betrieb soll die evb-Strecke lediglich als Ergänzung zum DB-Netz dienen. Dementsprechend ist die Strecke auf 20 Güterzüge pro Tag und Richtung ausgelegt.


Iven Krämer, Holger Buse