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In Leer gibt es einen neuen Anlauf zur Etablierung von Flettner-Rotoren in der Schifffahrt. Die Initiatoren haben ein fast serienreifes Produkt entwickelt. Neben der Nutzung der Windenergie spielen weitere Argumente eine große Rolle: die Stabilität und das Routing.

Im Hafen der ostfriesischen Stadt mit großer maritimer Tradition steht eine Modellversion des »Eco Flettner« mit 18m Höhe und 3m[ds_preview] Durchmesser. Er ist Teil des deutsch-niederländischen Projekts »Mari­TIM – Wind Hybrid Coaster«, dass von der Mariko GmbH koordiniert wird. Dabei handelt es sich um eine neue Generation von Motor-Rotor-Seglern für die Küstenschifffahrt. Sie haben zwei der Rotoren im Bugbereich. Unter optimalen Bedingungen sollen sie nach Angaben der Projektpartner den Antrieb des Schiffes zu 100% übernehmen können.

Doch nicht nur das Coaster-Segment wird als potenzieller Markt betrachtet. »Das ist eine Frage des Neubau-Designs. Grundsätzlich lassen sich Flettner-Rotoren auf den meisten Schiffstypen unterbringen. Wir wissen ja noch gar nicht, wie Schiffe in 20 Jahren aussehen«, sagt Ralf Oltmanns, der an der Entwicklung maßgeblich beteiligt war. Man wolle die ladungstragende Schifffahrt möglichst umfangreich ausstatten. Oltmanns ist sich durchaus der Zweifel der Reederschaft an der Praktikabilität bewusst, zeigt sich aber zuversichtlich: »Wir sind fest davon überzeugt, dass auf vielen Schiffstypen erhebliche Treibstoffersparnisse möglich sind und wollen die Vorbehalte ausräumen.« Der derzeit relativ niedrige Ölpreis sei dabei zwar ein Hemmschuh. Langfristig werde er aber steigen, woraufhin sich Alternativen durchsetzen. »Wir denken, dass die Zeit reif ist für den Einsatz von Flettner-Rotoren«, ergänzt Mariko-Geschäftsführerin Katja Baumann. »Das System hat 1925 schon bewiesen, dass es funktioniert«, so Oltmanns. Heute hätten Umwelt und Treibstoff allerdings einen viel höheren Stellenwert als damals.

Das grundsätzliche Prinzip des Flettner-Rotors ist seit vielen Jahrzehnten bekannt und wurde auch bereits diverse Male in der Handelsschifffahrt ausprobiert – zuletzt mit unterschiedlichen Konzepten auf der »E-Ship 1« von Enercon sowie der »Estraden« der Reederei Mann Lines. Bereits 1924 ging Anton Flettner mit einem Rotorschiff auf den Markt, der auf dem sogenannten Magnus-Effekt basierte. Der Wind Hybrid Coaster baut darauf auf. Der Rotor wird mit vierfacher Windgeschwindigkeit elektrisch bewegt. Luftteilchen werden beschleunigt und bewirken am Ende einen Wirbel. Auf der anderen, konkav gebogenen Seite wird der Wind durch den Luftwirbel gebremst. Dadurch entsteht Unterdruck, der wiederum für Vortrieb sorgt, weil der Rotor entsprechend in die richtige Richtung gedreht wird und fest am Rumpf verankert ist. Die ungleichmäßige Verteilung der Luft bewirkt eine unsymmetrische Druckverteilung, woraus ein Querantrieb zur Windströmung resultiert. »Es ist das gleiche Prinzip wie beim herkömmlichen Segel, nur wesentlich effektiver. Der Rotor ist sozusagen ein unendliches Segel beim Drehen. Man bekommt einen wesentlich höheren Auftriebskoeffizienten als beim Segel«, sagt Oltmanns. Das Verhältnis der Segelflächen beschreibt er mit 1:10. Zwei Rotoren haben eine gemeinsame Segelfläche von 108m2. »Ein Schiff braucht eine herkömmliche Segelfläche über 1.000m2, um die Geschwindigkeit von 12kn zu realisieren, die wir fahren wollen.«

Von anderen Rotorsystemen unterscheidet sich das Projekt laut Jens Werner, der ebenfalls an der Entwicklung beteiligt ist, durch eine völlig andere Konzeption und auch das Material: »Der Rotor kann Windgeschwindigkeiten von 6-7bf optimal ausnutzen. Wir sind bei 150 bis 160 Umdrehungen pro Minute angelangt.« Ein Großteil des Materials besteht aus leichtem und damit den Schiffskörper wenig belastenden glasfaserverstärkten Kunststoff (GFK). Noch leichter sei war carbonfaserverstärkter Kunststoff (CFK). »Doch da kommt die Wirtschaftlichkeit ins Spiel, denn CFK ist teurer.« Der Rotor ist aus Einzelteilen mit maximal 5 bis 6m Durchmesser gebaut und lässt sich leicht zerlegen oder austauschen. »Das ist ein wichtiger Unterschied des Serienbaus zu Prototypbau. Wir haben ein Serienprodukt entwickelt«, so Werner weiter. Für den Betrieb muss eine gewisse Menge Energie aufgewandt werden, um die Rotoren zum Drehen zu bewegen. »Dadurch wird die gewonnene Windenergie aber natürlich nicht aufgehoben. Ein Grund, warum wir die Rotoren sehr leicht konzipiert haben, damit die nötige Anschubkraft möglichst klein ist« sagt Werner. Laut Oltmanns war es ein ursprüngliches Ziel mit 25 bis 35 kw rund 600 kw Schub durch die Rotoren zu erzielen. Der Teststand wurde zunächst mit 55 kw, Welle und Riemenantrieb gebaut. »Den können wir während der Erprobung austauschen und gegebenenfalls verkleinern.«

Ein Aspekt, der bislang weniger beachtet wurde, aber von den Projektpartnern jetzt betont wird, ist die Stabilität des Schiffes. Seeleute berichten, dass sich Rollen und Stampfen mit Flettner-Rotoren erheblich verringern. »Man kann dadurch einen direkten Kurs fahren und muss nicht mehr kreuzen, falls der Wind zu stark wird. Das ist ein wichtigstes Verkaufsargument für uns, weil man viele Seemeilen sparen kann«, sagt Oltmanns. Das Routing spielte und spielt eine große Rolle. Ende März lief die erste Phase des 2011 initiierten Projekts aus. In einem Folgeprojekt will man noch weitere Schritte gehen, erläutert Baumann: »Der telematische Aspekt wird stärker ausgebaut, etwa mit Wetterdaten. So kann ein Reeder oder Kapitän seine Routen anpassen.« Man wolle die Telematik weiterentwickeln. »Es geht immerhin um zwei mal 8t rotierende Masse, die ein gewaltiges stabilisierendes Moment haben«, ergänzt Werner. Daher sei die Technologie auch sehr gut für Kreuzfahrt- oder Passagierschiffe geeignet, für die ein hoher Reisekomfort wichtig ist. Die Auswirkungen seien zwar im Detail noch nicht erforscht. Nach dem Prinzip »Weniger Rollen – weniger Ruderbewegung – weniger Kraftstoff« werde es sich aber sicher bemerkbar machen.

Zu den Argumenten der Entwickler für ihr neues Projekt gehört außerdem dessen Anpassungsmöglichkeit. Man habe sich zunächst für die Küstenschifffahrt entschieden, weil es auch darum geht, Menschen vor Emissionen zu schützen. Bei konstanten Winden, etwa auf transkontinentalen Reisen, sei die Situation vielleicht besser. Der Ansatz sei aber ein anderer, sagt Oltmanns. Zudem müsse man es als eine Segelmaschine betrachten, die auf Knopfdruck funktioniert. »Man kann auch auf Flüssen, in Verkehrstrennungsgebieten oder für Anlegemanöver darauf zurückgreifen. Die Technologie ist relativ einfach.« Es sei auch weniger riskant als beispielsweise ein Segel- oder Zugdrachensystem, weil nichts reißen oder wegfliegen kann. »Es ist eine Maschine. Die macht man an oder aus.«

Sehr gute Bedingungen sind nach Angaben der Entwickler halbe Winde. Als Fahrtgebiete würden sich prinzipiell die Nordsee und der Nordatlantik gut eignen, das Mittelmeer vor allem im Sommer eher weniger. Dennoch ergaben verschiedene Reisesimulationen eine 9- bis 10-prozentige Treibstoffersparnis im Jahresmittel. »Das waren aber bewusst nicht immer optimale Rahmen. Wenn ein Schiff speziell für ein Fahrtgebiet geplant und gebaut wird, sind über 20% möglich – vorsichtig ausgedrückt«, ist sich Oltmanns sicher. »Es haben sich favorisierbare Designs und Routen gezeigt. Es gibt jedoch natürlich auch Regionen, wo es wirtschaftlich nicht mehr interessant ist«, ergänzt Werner. Man brauche halbwegs stetige Winde.

Aus der Reederschaft gab es trotz der Vorbehalte offenbar gute Resonanz. Man habe mit diversen Unternehmen gesprochen. »Der Tenor war: Baut den Rotor und zeigt, dass er funktioniert. Dann sehen wir weiter«, sagt Oltmanns. Nun ist man auf der Suche nach Unternehmen, die ein Schiff für Erprobungen zur Verfügung stellen. Er ist überzeugt, einen Testreeder zu finden – auch kurzfristig. Je nach Ölpreisentwicklung amortisiere sich die Investition in vier bis fünf Jahren.

Michael Meyer