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An der »unbemannten Schifffahrt« scheiden sich die Geister – obwohl es sie noch gar nicht gibt. Die meisten Experten sind sich einig: An der Technik würde es nicht scheitern – eher an den Rahmenbedingungen.
Befürworter erhoffen sich neben einer Reduzierung der Personalkosten auch und vor allem ein geringeres Sicherheitsrisiko, wenn das Potenzial für menschliche[ds_preview] Fehler minimiert werden könnte. Bei den Kritikern beziehungsweise Skeptikern des Forschungsbereichs haben sich zwei Richtungen herauskristallisiert. Während die einen sich um die Zukunft des Berufs Seefahrer sorgen und eine überbordende Automatisierung der Schifffahrt monieren, verfolgen die anderen einen eher rationalen Ansatz: die unausgereifte Technik ist nur eines der Argumente. Hinzu kommt ein regulatorischer Aspekt. Denn die Schifffahrt wäre darauf angewiesen, dass unbemannte Frachter in nationalen Hoheitsgewässern und Hafengebieten operieren dürften. Dafür müssten jegliche Sicherheitsbedenken staatlicher Behörden ausgeräumt werden.

Zudem wird angeführt, dass vor allem im Maschinenraum sehr oft Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten anfallen. Dem stellen die Forscher entgegen, dass ein unbemanntes Schiff viele redundante Anlagen haben müsste. So könnte bei Problemen ein Wechsel zwischen ihnen stattfinden. Wichtige Wartungsarbeiten würden dann in den Fahrplan des Schiffes integriert und in regelmäßigen Abständen in Häfen durchgeführt werden.

Die maritime Forschung sieht nicht die Technik als größte Hürde für die Realisierung einer unbemannten Schifffahrt. Das wurde unter anderem auf der jüngsten Fachkonferenz COMPIT (»Computer Applications and Information Technology in the Maritime Industries«, siehe Seite 38/39) deutlich.

»Es gibt unbemannte Züge und es wird immer mehr unbemannte Autos geben. Warum sollte das nicht auch in der Schifffahrt passieren?«, sagte Giampiero Soncini von der auf Zypern ansässigen SpecTec Group. Seiner Meinung nach bedarf es jedoch einiger regulatorischer Anpassungen und vor allem mutige Schiffseigner, die als Vorreiter auftreten. Er schränkte allerdings ein, dass Frachter komplett ohne Seeleute wohl eher unrealistisch seien, da eine gewisse Flexibilität an Bord zu gewährleisten sei. »Besatzungen mit vier oder fünf Seeleuten sind aber nicht nur möglich, sondern die Realität der Zukunft«, so Soncini. Ein Großteil der Arbeit könnte seiner Meinung nach eine zentrale Monitoring-Stelle übernehmen, die den Anforderungen an Reporting und Wartung genügen könnte.

Auch der Motorenhersteller Rolls-­Royce hat sich ein Projekt für eine höhere Automatisierung auf die Fahnen geschrieben, dass zu unbemannten Schiffen führen könnte. Das Brückenkonzept »oX« soll der Besatzung einige Arbeit abnehmen können.

Eine höhere Automatisierung, die unter Umständen auf der einen Seite zu einer gewissen Risikobegrenzung beitragen könnte, führt auf der anderen Seite allerdings auch zu »neuen« Herausforderungen. Auch die Schifffahrt ist beispielsweise von der stetig zunehmenden Gefahr von »Cyber-Attacken« nicht ausgenommen. So könnten Hacker-Angriffe Kursänderungen bewirken oder Staupläne und Ladungspapiere fälschen. Der Versicherer Allianz hat unlängst darauf hingewiesen, dass Cyber-Angriffe auf die Navigationssysteme zu einem Totalverlust führen könnten.

Ørnulf Jan Rødseth vom norwegischen Forschungsinstitut MARINTEK und Kwangil Lee vom südkoreanischen Institut ETRI haben sich mit der Kommunikationssicherheit bei unbemannter Schifffahrt beschäftigt. »Die Thematik hatte bislang keine hohe Priorität. Aber das muss sich ändern«, sagte Rødseth auf der COMPIT. Er sieht noch Nachholbedarf in Bezug auf den Schutz der Daten vor externem Zugriff sowie das weltweite Satellitennetz.

Unter anderem auf die Fragestellung nach Anforderungen in Küstengewässern geht das multinationale Kooperationsprojekt MUNIN ein, an dem das Fraunhofer Centrum für Maritime Logistik (CML) maßgeblich beteiligt ist.

Bei dem »Testschiff« handelt es sich um einen 225m langen Handymax-Bulker, bei dem die Crew nach Verlassen der Küstengewässer von Bord geht. Danach überwacht eine Monitoring-Stelle die Einhaltung vorher festgelegter Routen-Vorgaben. Sie wird dann tätig, wenn das Schiff außerhalb seines vorgesehenen Spielraums navigiert, nachdem es – automatisch – auf bestimmte Faktoren wie drohende Kollisionen reagiert hat. Die Wahl fiel auf einen Bulker, weil es in diesem Markt im Vergleich zur Containerlinienschifffahrt relativ wenige Hafenanläufe gibt.

Zentrale Bestandteile sind »automated execution«, also eine Art Autopilot nach den Vorgaben der Reederei, »automated control«, im Rahmen dessen das Schiffssystem die Route auf Kollisionsrisiken oder Begegnungsverkehr beobachtet und auch die Wetterlage im Blick behält sowie »remote control«. Dies kommt dann zum Einsatz, wenn das Kontrollzentrum an Land eingreifen muss.

Die Forscher sind optimistisch. »Es ist nicht die Frage ob, sondern wann ein solches System Realität wird«, sagt Professor Carlos Jahn, Leiter des CML. Knapp drei Jahre wurde am MUNIN-Projekt gearbeitet, beteiligt sind Experten aus Island, Irland, Schweden, Norwegen, Südkorea und Deutschland. Laut Jahn wurde man zu Beginn von der maritimen Wirtschaft sehr kritisch beäugt: »Seit gut einem Jahr hat sich die Stimmung aber gedreht und die Industrie ist sehr offen.«

Projekt-Koordinator Hans-Christoph Burmeister sieht einige Vorteile im Personalbereich: »Immer öfter wird über einen Mangel an qualifizierten Seeleuten gesprochen. Die unbemannte Schifffahrt könnte hier Abhilfe schaffen. Außerdem könnte das Risiko verringert werden. Immer noch haben 70 bis 80% der Havarien menschliche Fehler als Ursache.« Darüber hinaus wären Reeder in der Lage, einen nicht unerheblichen Anteil an Crewing-Kosten einzusparen. Unter anderem dadurch, dass ein Team an Land für die Koordinierung und Steuerung mehrerer Schiffe verantwortlich ist. Das »Shore Control Centre« soll gewährleisten, dass der Reeder nach wie vor Kontrolle über sein Schiff hat. Von dort aus können Experten im Notfall eingreifen, etwa wenn das Schiffssystem entsprechende Signale sendet, weil es mit den gesammelten Daten »überfordert« ist.

Die Datengenerierung ist ein enorm wichtiger Aspekt des Projekts. Dafür bekommt das Testschiff eine Vielzahl an zusätzlichen Sensoren installiert, mit deren Hilfe das Team an Land den Überblick behält.


Michael Meyer