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Der massenhafte Bau von Offshore Windparks (OWP) vor den deutschen Küsten macht deutlich, wie wichtig eine geordnete sichere Nutzung von Seeraum wird. Es besteht ein Risikopotential, für das noch kein ausreichendes Sicherheitskonzept besteht.
Die 33 genehmigten Projekte (30 in der Nordsee, 3 in der Ostsee, dazu 78 neue Anträge im Verfahren) sind nach[ds_preview] Meinung der Bundesregierung der wesentliche Bestandteil der Energiewende. Sie sollen die Kernkraftwerke ersetzen. Ob dieses Ergebnis angesichts vieler Unsicherheiten durch sich ändernde Vergütungen und Ausbauziele, Bedenken und Klagen von Umweltschutzverbänden, eintritt, darf jedoch bezweifelt werden.

Hinzu kommt das Sicherheitsproblem, das sich durch den enormen Raumbedarf für – laut Bundesfachplan Offshore Nordsee – zukünftig bis zu 2.100 Windmühlen, 25 Konverter-Plattformen und 3.880km Seekabel ergibt. Bisher sind fünf OWP mit 220 Anlagen in Betrieb, von denen der größte Teil Strom produziert, soweit die Netzanbindung existiert. Acht Parks sind im Bau und beschäftigen über 1.000 Menschen auf See, die mit Spezialschiffen ständig unterwegs oder auf Wohnplattformen stationiert und besonderen Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind.

Das komplexe Risikopotenzial ergibt sich aus der Kumulation bestehender Risiken, die sich wiederum aus der hohen Dichte des Seeverkehrs ergeben, und andererseits aus den Risiken durch Bau und Betrieb der OWP. Beispielhaft seien genannt: Schiffskollisionen, treibende Schiffe (black-out), Seenotfälle, Arbeits-, Taucher- und Höhenunfälle, Brände, Schadstoffaustritte, Meeresverschmutzungen sowie Kriminalität und denkbare Terrorangriffe.

Eine erhöhte Kollisionsgefahr entsteht, da die Parks zusätzliche Hindernisse für die Schifffahrt bilden, den freien Seeraum verengen und neue Kreuzungen und Durchfahrten entstehen. Auf den Baustellen herrscht reges Treiben durch Servicefahrzeuge, Errichterschiffe, Taucharbeiten, Schleppzüge, Kabelverlegungen und Unterwasserhindernisse. Simulationsergebnisse der FH Flensburg zeigen laut Medienberichten, dass Handelsschiffe im Radarbild den Verkehr innerhalb der Windmühlenfelder nicht präzise erkennen können. Eine besondere Gefahr sind halbfertige Windräder und Fundamente, die aus dem Wasser ragen und provisorisch beleuchtet sind. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrograhie (BSH) warnte bereits 2013 vor diesen »Möwenständern«. Während der Bauzeit gelten Sicherheits- und Verbotszonen, die überwacht werden müssen. Ist der Windpark in Betrieb, so gelten Sicherheitszonen von bis zu 500m Radius um jede Windanlage, was zu einer dauerhaften großräumigen Beschränkung (»Riegelbildung«) für alle Nutzer führt. Im verbleibenden Seeraum wächst das Kollisionsrisiko, weil die Kleinschifffahrt vertrieben wird und in die Korridore der Großschifffahrt drängt.

Die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) und das BSH sind für Planung, Genehmigung und Überwachung arbeitsteilig zuständig. Sie haben mit dem »Offshore Windenergie-Sicherheitsrahmen Konzept« (OWE-SRK) von 2014 eine Problemanalyse geschaffen, an der sich die Richtlinien für die Durchführung eines möglichst gefahrlosen Nebeneinanders der verschiedenen Nutzer orientieren sollen. Allerdings gilt dieses Konzept aus Gründen der Zuständigkeit des Verkehrsministerium nur für OWP in der deutschen ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), nicht für solche im 12sm-Küstenmeer, das in der Jurisdiktion der fünf Küstenländer verbleibt – ein Beispiel für die Zergliederung der deutschen Rechtsordnung. Internationale Vorgaben, konkretisiert durch eine Richtlinie der WSV regeln die Kennzeichnung der Anlagen durch Befeuerung, AIS-Signale und Beschriftung sowohl für die Bauzeit als auch für den anschließenden Betrieb. Wichtige Details sind die Anforderungen an Sicherheitszonen, Durchfahrtsbreiten und an »kollisionsfreundliche Bauweise« der Anlagen.

Trotz dieser Bemühungen bleibt der Eindruck, dass ein auf Dauer angelegtes Sicherheitskonzept noch nicht erreicht wurde, welches die Verantwortlichkeiten für Windparkbetreiber, Bund und Länder klarstellt und die Durchsetzung durch Vollzugskräfte regelt. Es gibt jedoch Arbeitspapiere und »runde Tische« der Akteure. Das Konzept müsste wie in Teilen bereits berichtet für das Küstenmeer und die AWZ möglichst alle relevanten Aspekte umfassen:

Raumordnung auf See

Seeraumüberwachung (z. B. AIS, Radar)

Verkehrssicherung (u.a. Befahrensregelung für die Kleinschifffahrt u. Fischerei)

Sicherheitszonen

Such- und Rettungsdienst (SAR) durch Marine und DGzRS

Arbeitsunfall, Lebens-/ Verletztenrettung

Brand- und Schadstoffbekämpfung

Havarie und Bergung

Gewerbeaufsicht und Arbeitsschutz

Kriminalitätskontrolle und Terrorabwehr für sensible Infrastrukturen

Nationale Küstenwache und Wasserschutzpolizeien, sowie

Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der regionalen Küstenanrainer

Ein umfassendes Sicherheitssystem muss rund um die Uhr reaktionsfähig und zu Vollzugsmaßnahmen in der Lage sein. Besonders wichtig wäre eine zentrale Notfallleitstelle, die eigenständig den Schadensfall kompetent beurteilen kann und Zugriff auf die erforderlichen privaten und staatlichen Hilfsleistungen hat. Ein aktuell umstrittenes Teilproblem ist die Frage, ob die Notfallrettung bei Arbeitsunfällen auf Windanlagen eine Aufgabe der (privaten) Betreiber oder eine staatliche Aufgabe von Bund oder Ländern ist. Das Arbeitsschutzgesetz (§1 Abs.1 und §10) und das Verursacherprinzip nehmen grundsätzlich den Betreiber von Windkraftanlagen für Arbeitsunfälle in seinem Bereich in die Pflicht. Mehrere private Unternehmen bieten Sicherheitsdienste für Windparks an. Dazu gehören OWP-Rettungsleitstellen an Land – wie die Einrichtung »Offshore Rettung Sicherheit (ORS)«, die Bereitstellung von Hubschraubern und die Stationierung von Notärzten und Sanitätern auf Plattformen oder Schiffen. Die DGzRS hat eine »Gesellschaft für Maritimes Notfallmanagement« gegründet, die als einer der Anbieter gelten kann. Derweil entwickeln die Firmen Bugsier und Fassmer laut Medienberichten ein neues vielseitiges »Emergency Response & Rescue Vessel«, das als Sicherungsschlepper weitere Aufgaben übernehmen kann. Somit gibt es verschiedene Partner, die einen privaten Rettungsdienst oder andere Dienste z. B. der Brand- und Schadstoffbekämpfung anbieten. Zusätzlich hält in dieser Situation das Havariekommando (HK) als gemeinsame Bund-Ländereinrichtung ein bis zwei Offshore-Notfall-Reaktionsteams (ONRT) für »komplexe Rettungssituationen« bereit, falls die Windkraftbetreiber für die sehr anspruchsvolle Höhenrettung aus den Türmen und die Tiefenrettung aus den Fundamenten unter Wasser überfordert sind und eine einheitliche Führung erforderlich ist. Dies ist nachzulesen in der Drucksache des Bundestags 17/14305.

Hierfür dürfte die Rechtsgrundlage jedoch fehlen, denn weder das Grundgesetz noch die Bund-Ländervereinbarung zur Errichtung des Havariekommandos (HKV) bieten für medizinische Rettungsdienste eine Grundlage. Nach dem Aufgabenkatalog des Grundgesetzes (Art. 30, 70 Abs. 1) sind Rettungsdienste Aufgaben der Länder. Das HK ist bekanntlich geschaffen worden, um »komplexe Schadenslagen«, also Großschadensereignisse zu bekämpfen. Arbeitsunfälle werden im Normallfall diese Schwelle nicht erreichen. Offenbar wurde der Begriff »komplexe Rettungssituation« gewählt, um eine sprachliche Verbindung mit der »komplexen Schadenslage« zu finden. Falls also staatliche Rettungsdienste für notwendig erachtet werden, müsste dies zwischen Bund und Küstenländern neu vereinbart und beispielsweise dem HK zugewiesen werden.

Abgesehen von diesem Teilaspekt ist die rechtlich zergliederte Sicherheit vor dem oben umrissenen breiten Risikoszenario zu sehen und zu ordnen. Es sind Unfallsituationen in und um Windparks denkbar, in denen havarierte Schiffe, Sportboote und sonstige Opfer oder Werte gefährdet oder Umweltschäden zu bekämpfen sind. Die Einbindung privater Dienstleister ist auf vielen Spezialgebieten durchaus möglich, aber zunächst sind aus Expertensicht Bund und Länder für die allgemeine Gefahrenabwehr und die öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständig. Die Hubschrauberkrise der Bundeswehr unterstreicht diese Dringlichkeit. Dass seeflug- und nachtflugfähige Hubschrauber der Marine das probateste Mittel zur Hilfeleistung und Rettung auf See sind, dürfte zweifelsfrei sein. Zu den Schwachpunkten zählt weiterhin die Tatsache, dass es keine vollständige Seeraumüberwachung für die gesamte deutsche AWZ gibt. Denn die lückenlose Überwachung durch AIS und Radar durch die Verkehrszentralen der WSV findet nur in den küstennahen Revieren und Ansteuerungsbereichen statt, nicht im küstenfernen Gebiet der AWZ, wo ebenfalls Windparks entstehen. Deshalb hat die WSV im April 2014 eine Durchführungsrichtlinie »Seeraumbeobachtung Offshore-Windparks« erlassen, die zwischen Gebieten mit und ohne (staatlicher) Verkehrssicherung unterscheidet. Soweit sich OWP in Gebieten ohne Verkehrssicherung befinden, wird den Betreibern eine »automatisierte Seeraumbeobachtung« (erstreckt auf die internen Flächen des OWP und 12sm um den OPW herum) und »qualifiziertes Fachpersonal« auferlegt. Sie sollen offenbar als vorgeschobene Beobachter bei kritischen Situationen die Verkehrszentralen informieren, damit diese zur Verkehrssicherung eingreifen können. Ob dieses Zusammenspiel von Partnern mit unterschiedlicher Professionalität und Technik funktionieren kann, darf man bezweifeln. Im Schadens- und Haftungsfall dürfte Streit vorprogrammiert sein. Schließlich fehlt es zum Sicherheitskonzept an laufender Abstimmung und Erfahrungsaustausch mit den Nachbarstaaten und der EU, wie selbst das Sicherheits-Rahmenkonzept einräumt. Allerdings ist festzuhalten, dass für Großschadenslagen die Zusammenarbeit in regionalen Abkommen für Nordsee und Ostsee geregelt und erprobt ist.

Dreh- und Angelpunkt der Sicherheit wäre also ein zentrales Lagezentrum, wo alle Informationen, auch die der vielen Windparkbetreiber, zusammenlaufen. Nach Lage der Dinge kommt dafür am ehesten das Havariekommando mit dem Maritimen Lagezentrum MLZ in Cuxhaven in Frage. Insgesamt bleibt die Sicherheit der Windparks damit eine politische Aufgabe. Nordsee und Ostsee werden auf Jahre hinaus große Baustellen für neue Infrastruktur (Fehmarnbelttunnel!) bleiben. Die Industrialisierung des Seeraumes erhöht die Verdichtung der Nutzungen vor der eigenen Haustür: Schiffsverkehre wie auf der Autobahn, Öl- und Gasplattformen, Kabel und Pipelines, Fischerei und Sportschifffahrt, Übungs- und Schießgebiete der Marine, Gefahrstofftransporte, Meeresumweltschutz sowie Schutz von Küsten und Nationalparks. Letztlich steht die Sicherheit und Leichtigkeit des zuverlässigen und gefahrlosen Zugangs zu den deutschen Häfen und zum Kiel-Kanal auf dem Spiel. Daraus folgt eine Wunschliste für:

weitere ausreichend dimensionierte Verkehrstrennungsgebiete für die Berufsschifffahrt

großzügige Befahrensregelungen für die Kleinschifffahrt

Zurückhaltung bei laufenden und zukünftigen OWP-Anträgen sowie

Zentralisierung der Leitstellen und der Vollzugskräfte

Bund und Küstenländer werden sich der Verantwortung für staatliche Maßnahmen der Daseinsvorsorge im Zusammenspiel mit kompetenten privaten Dienstleistern und Betreibern auf Dauer nicht verschließen können.


Dr. Uwe Jenisch