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Für den Betrieb von Meereswindparks werden Spezialschiffe benötigt.

Die maritime Wirtschaft macht ihre Hausaufgaben: Bugsier und Fassmer projektieren zusammen ein »Emergency Rescue & Response Vessel«, Abeking & Rasmussen arbeitet an einem »Crew Base & Transfer Vessel«.
Im ersten Halbjahr 2015 sind in deutschen Gewässern 422 Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von 1.765,3 MW neu ans Netz[ds_preview] gegangen.

Das haben jüngst die Stiftung Offshore-Windenergie, die Windenergie-Agentur WAB, der Fachverband VDMA Power Systems, die Arbeitsgemeinschaft Offshore-Windenergie und der Bundesverband Windenergie mitgeteilt. Insgesamt speisten demnach zum 30. Juni 668 Anlagen mit einer Leistung von knapp 2.800 MW Strom ein, zusätzliche 174 Fundamente waren zur Jahresmitte bereits installiert und zum Teil mit Turbinen versehen. Zahlreiche weitere Windkraftanlagen werden in den kommenden Jahren folgen.

Die junge deutsche Offshore-Windbranche geht damit mit ihren ersten Projekten von der Errichtungs- in die Betriebsphase über: Die entsprechenden Turbinen müssen nun regelmäßig gewartet und bei Bedarf repariert werden, die Windparks sind zu sichern und vor Gefahren zu schützen. Dafür werden Spezialschiffe benötigt. Zwar konnte die hiesige maritime Wirtschaft bislang noch nicht wie gewünscht vom Ausbau der Offshore-Windenergie profitieren, aber sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich das in Zukunft unter Umständen ändern könnte.

Aktiv vorangetrieben wird dieses Ziel unter anderem durch die Entwicklung neuer Schiffstypen und damit verbunden neuer Logistik-, Einsatz- und Servicekonzepte. Aktuelle Beispiele finden sich bei Bugsier und Fassmer, wo gerade gemeinsam ein Schiff zur Sicherung von Windparks projektiert wird, sowie bei Abeking & Rasmussen, wo ein neuartiges Serviceschiff in der Entwicklung ist.

In 30 Minuten an Ort und Stelle

»Emergency Rescue & Response Vessel« (ERRV) heißt das Fahrzeug, an dem die Bugsier,- Reederei und Bergungsgesellschaft in Zusammenarbeit mit der Fassmer-Werft arbeitet. Es ist der Dreh- und Angelpunkt eines speziell auf Offshore-Windparks zugeschnittenen Einsatzkonzeptes, das Bugsier »3+-System« getauft hat: »Das bedeutet, dass es in kritischen Situationen drei Rückfallpositionen oder Verteidigungslinien gibt«, erläutert Projektleiter Carsten Wibel. Auf der ersten Ebene befinden sich demnach die örtlichen Einsatzkräfte, die unmittelbar auf der Windkraftanlage beziehungsweise Plattform Sofortmaßnahmen ergreifen, beispielsweise zur Bekämpfung eines Feuers oder eines Schadstoffaustritts. Unterstützt werden sie laut Konzept durch lokale Einsatzkräfte mit einer erweiterten Qualifizierung, die – und hier kommt das ERRV ins Spiel – in spätestens 30 Minuten am Ort des Geschehens eintreffen sollen. Zeitgleich werden an Land bereitstehende regionale Einsatzkräfte mit Spezialqualifizierungen alarmiert, die innerhalb von anderthalb Stunden mit dem Hubschrauber eingeflogen werden. Bei größeren Notlagen können zusätzlich noch überregionale Helfer hinzukommen.

»Die Ausgangsbasis ist immer das Schiff«, betont Fassmer-Vertriebsleiter Thomas Sass. Vorgabe von Bugsier war es, dass das ERRV jeden Punkt innerhalb eines Clusters in höchstens einer halben Stunde erreichen kann. Das größte zusammenhängende Windparkgebiet in deutschen Gewässern ist derzeit das SylWin-Cluster (Windparks »DanTysk«, »Butendiek« und »Sandbank«) mit einem Durchmesser von 40sm, woraus sich eine hohe Einsatzgeschwindigkeit von 20kn ergibt. Entscheidend für das Konzept ist darüber hinaus, dass auf dem Vorschiff eine Hubschrauberlandefläche vorhanden ist, damit die eingeflogenen Helfer ohne zeitraubendes Abwinschen an Bord kommen können, wenn die betroffene Plattform nicht genutzt werden kann – weil zum Beispiel Feuer oder Rauch ein Landen unmöglich machen. Ein geeignetes Bereitschaftsboot bringt die Einsatzkräfte dann zur Plattform oder zur Windkraftanlage. Die Landefläche sei letztlich der bestimmende Faktor für die Größe des Schiffes, sagt Wibel. Es solle so groß wie nötig, aber so klein wie möglich sein: »Wir ringen um jeden Meter, weil jeder Meter kostet.« Aktueller Stand ist der, dass das ERRV mit einer Länge von 74m und einer Breite von 16m geplant wird. Untergebracht und medizinisch versorgt werden können dort bis zu 60 aus Gefahrensituationen befreite Offshore-Arbeiter.

Gefahr abwehren

Ähnliche Einsatzkonzepte und Schiffstypen sind aus der Offshore-Öl- und Gasindustrie bereits bekannt, lassen sich aber nicht 1:1 auf die Offshore-Windbranche übertragen. So sind Beschäftigte auf einer Windkraftanlage oder einer dazugehörigen Plattform anderen Gefahren ausgesetzt als solche auf einer Öl- und Gasplattform. Zudem sind sie auf eine große Fläche verteilt an verschiedenen Standorten im Einsatz. Hinzu kommt, dass havarierte Schiffe, die auf einen Windpark zutreiben oder mit ausgebrachtem Anker die Exportkabel gefährden, massive wirtschaftliche Schäden verursachen können. Eine weitere wesentliche Aufgabe des Emergency Rescue & Response Vessels soll es daher sein, den Seeraum zu beobachten und Schiffe, die das Cluster gefährden könnten, rechtzeitig zu entdecken. Um im Notfall eingreifen zu können, wird das ERRV über eine Schleppleistung von mehr als 100t Pfahlzug verfügen und mit den erforderlichen Schlepp- und Hilfswinden ausgestattet sein.

»Das Rahmenkonzept für das Schiff ist fertig«, fasst Sass zusammen. »Jetzt gehen wir in die Detailabstimmung, was auch die Entscheidung für ein Antriebskonzept beinhalten wird.« Nach Aussage von Wibel sehen die beiden Unternehmen hierzulande einen Bedarf für fünf solcher Schiffe: eines für jedes der aktuell vier Windpark-Cluster in der Nordsee sowie ein weiteres als Reserve. Dass mehrere Windparkbetreiber gemeinsam ein ERRV betreiben, hält Wibel für durchaus denkbar: »Wir sehen es ja schon im Bereich Rettungsdienst, dass da zusammengearbeitet wird.« Die Frage sei, ob erst etwas passieren müsse, bevor die Branche den Wert eines solchen Konzepts erkenne und es tatsächlich umsetze. »Im Moment machen wir unsere Hausaufgaben und warten ansonsten gelassen ab, wie es weitergeht«, so Wibel. »Sobald wir einen verbindlichen Chartervertrag haben, können wir die Werft mit dem etwa zwei Jahre dauernden Bau beauftragen.«

Kleinere Service-Schiff-Variante

Schon etwas weiter in den Detailüberlegungen ist man in Lemwerder, wo derzeit ein weiteres neues Offshore-Spezialschiff in Planung ist. Die Werft Abeking & Rasmussen arbeitet dort an einer Weiterentwicklung des vor fünf Jahren in Dienst gestellten Crew Transfer Vessels (CTV) »Natalia Bekker« und ist nach eigenen Angaben bereits in »sehr konkreten Verhandlungen« mit einem potenziellen ersten Kunden. Das »Crew Base & Transfer Vessel« (CBTV) soll wie die »Natalia Bekker« in SWATH-Bauweise (Small Waterplane Area Twin Hull) gefertigt werden und ist dafür gedacht, Servicetechniker mehrere Tage lang an Bord unterzubringen, um ihnen lange Anfahrten in den Windpark zu ersparen. »Wir haben den Markt beobachtet und der Offshore-Branche zugehört«, sagt A&R-Vertriebsleiter Nils Olschner. »Dabei haben wir festgestellt, dass es einen Bedarf für einen solchen Schiffstyp gibt.«

Das CBTV hebt sich bewusst von anderen Serviceschiffen ab, wie sie zum Beispiel Siemens und die dänische Reederei Esvagt kürzlich mit ihren ersten beiden Service Operation Vessels (SOVs) in Betrieb genommen haben (HANSA 8/2015). So soll es auf dem wesentlich kleineren CBTV Einzelkabinen für zehn anstatt für bis zu 40 Techniker geben, wobei die Schichtdauer mit drei bis vier Tagen und nicht mit mehreren Wochen geplant ist. »Für Windparkbetreiber ist es interessant, ein Schiff in dieser Größenordnung im Einsatz zu haben«, meint Olschner. Sobald die häufig nur für die Anfangszeit abgeschlossenen Wartungsverträge mit den Turbinenherstellern abgelaufen seien, brauche man nicht mehr so viele Techniker im Windpark. Der Zeitraum von drei bis vier Tagen sei zudem ziemlich genau das, was ein Wetterbericht vorhersagen könne: »Und wenn das Wetter zu schlecht für Offshore-Arbeiten ist, bleibt das Schiff einfach im Hafen.«

Direkter Zugang spart Kosten

Anders als die SOVs setzt die Neuentwicklung nicht auf eine Gangway, über die die Servicetechniker ihren Arbeitsplatz erreichen können, sondern auf einen direkten Übergang vom Bug des Schiffes zur Windkraftanlage. Die »Natalia Bekker« habe in den vergangenen Jahren bewiesen, dass dank eines speziell zu diesem Zweck entwickelten Fenders auch so ein sicherer Übergang bei signifikanten Wellenhöhen von bis zu 2,50m möglich sei, betont Olschner. »Durch den Verzicht auf ein indirektes Zugangssystem können wir Platz und vor allem auch Kosten sparen.« Ein Dynamisches Positionierungssystem wird bei dieser Variante nicht gebraucht, da sich das Schiff mit dem Fender an das Boatlanding am Anlagenfundament presst und so die Position hält. Nach Angaben des Vertriebs­chefs werden dadurch neben den Baukosten auch die Betriebskosten deutlich geringer ausfallen. Ein weiterer Vorteil sei, dass die Zugänglichkeit der Anlage nicht durch eine Kombination aus Betriebs­limits von Schiff und Zugangssystem eingeschränkt sei, sondern lediglich durch das Schiff selbst bestimmt werde.

Die Schiffbauer aus Lemwerder haben ein Fahrzeug mit der maximalen Größe entwickelt, die ein Boatlanding mit Blick auf den Anlagestoß ohne Schaden verkraften kann. Unter dem Strich heißt das, dass das CBTV nach jetzigem Stand 27,40m lang und 14m breit sein wird und einen Tiefgang von etwa 3,10m hat. Die Gefahr, dass die Techniker – wie auf manchem CTV bereits geschehen – auf dem vergleichsweise kleinen Schiff seekrank und damit arbeitsuntauglich werden könnten, sieht Olschner nicht: Das werde dadurch verhindert, dass die Doppelrumpfschiffe von A&R durch ihre spezielle Bauweise mit den tief eingetauchten torpedoförmigen Rümpfen auch bei rauer See ruhig im Wasser lägen. »Da können wir es locker mit einem großen Schiff aufnehmen«, zeigt er sich überzeugt. »Ich will gar nicht sagen, dass unsere Variante diesbezüglich besser ist – aber sie ist eben auch nicht schlechter.«

Stahl ersetzt Aluminium

Welche Antriebsleistung benötigt wird, hängt letztlich von den Anforderungen der Kunden ab: Der eine möchte vielleicht mehr Ladung mitnehmen, der andere braucht mehr Raum und dadurch andere Abmessungen. Aktuell kalkuliert A&R mit einer installierten Leistung von 1.600 kW. Fest steht, dass es ein Diesel-direktantrieb werden soll – und dass das CBTV auf eine Geschwindigkeit von 18 bis 20kn kommen wird, womit es eigentlich – wie bei kleineren Serviceschiffen üblich – unter dem High-Speed Craft (HSC) Code der IMO fahren könnte. In diesem Fall ist das allerdings nicht möglich, weil laut HSC-Code weder Crew noch Passagiere in abgeschlossenen Kabinen untergebracht werden dürfen.

Das Schiff wird daher unter die »normalen« SOLAS-Regelungen fallen, was wiederum die Verwendung von Aluminium als Baumaterial, wie es bei den bislang 17 auf der Werft entstandenen 25m-Doppelrumpfschiffen der Fall war, ausschließt: Laut Olschner müsste das Aluminium dafür auf eine Weise isoliert werden, wie es auf einem derart kleinen Schiff nicht machbar sei. »So sind wir letztlich bei Stahl gelandet«, erläutert er. Zusammen mit einem Spezialunternehmen habe man eigens eine neue Variante des Laserschweißens entwickelt. Um das Material bearbeiten zu können und zugleich das Gewicht und die Baukosten konstant zu halten, ist der Stahl nur 3mm dick und damit 5mm dünner als zuvor das Aluminium. Die Klassifikationsgesellschaft DNV GL habe die Festigkeit der Konstruktion bereits bestätigt, berichtet Olschner. »Wir haben die Klasse im Boot und wir haben die deutsche Flagge im Boot. Wenn jetzt eine Bestellung kommt, können wir sofort loslegen.«


Anne-Katrin Wehrmann