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Das Dilemma mangelhafter englischer Sprachkenntnisse der Schiffsbesatzungen ist nicht unbekannt. Die verbindliche Einführung weltweit einheitlicher Sprachzertifikate auch in der zivilen Seeschifffahrt befindet sich auf dem Weg
Weltweit ereigneten sich im Zeitraum des Jahres 2014 insgesamt 75 Schiffstotalverluste ab einer Größe von 100BRZ (Bruttoraumzahl), hierbei starben 2.773[ds_preview] Menschen (http://www.agcs.allianz.com/insights/white-papers-and-case-studies/safety-and-shipping-review-2015/). In den sich anschließenden Berichten und Diskussionen über die eigentlichen Unfallursachen wird häufig technisches oder menschliches Versagen genannt. Beiden gemeinsam ist eine momentane Überforderung, entweder des Bauwerks Schiff insgesamt, seiner technischen Anlagen oder der mit der Führung dieser Schiffe beauftragten Menschen kurz vor dem Unfalleintritt.

Eine aktuelle Quelle der Schiffsklassifikationsgesellschaft DNV GL bewertet den Anteil des menschlichen Versagens mit ungefähr 85% (DNV/GL Maritime: Maritime Impact, Ausgabe 02/2014, Seite 20-21). Der Anteil des technischen Versagens liegt demnach bei ungefähr 15%.

Ein technisches Versagen zu verhindern ist Aufgabe der Ingenieure, deren Arbeitsergebnisse fortlaufend überprüft und verbessert werden. Insgesamt haben Ausrüstungspflichten zu einer fortschreitenden Technisierung, Automation und Digitalisierung des Schiffsbetriebs geführt, diese Entwicklung beinhaltete auch eine zunehmende Überwachung des Bordpersonals. Beispielsweise begann die Einführung eines »Voyage Data Recorders« auf den zivilen Seeschiffen ab dem 1. Juli 2002 (SOLAS Übereinkommen (Safety of Life at Sea), zuletzt geändert am 5. Dezember 2014: Kapitel V, Regel 20, Ziffer 1.1). Vergleichbare, auch unter dem Begriff »Black Box« bekannte Flugschreiber, existierten in der zivilen Luftfahrt zu diesem Datum bereits seit mehreren Jahrzehnten.

Kommunikation als Fehlerquelle

Für menschliches Versagen sind die verschiedensten Gründe bekannt. Mangels verfügbarer Statistiken wird an dieser Stelle auf die öffentlich zugänglichen Seeunfalluntersuchungsberichte verwiesen. Die hohe Quote unfallbeteiligter Nautiker erklärt sich mit den berufstypischen, mit der Führung eines Seeschiffes verbundenen Gefahren. Die mit Unterstützung der UK Maritime and Coastguard Agency im Jahr 2010 erschienene Schrift »The Human Element – a guide to human behaviour in the shipping industry« besagt, dass bei circa 25% aller Unfälle in den »safety critical industries« wie der zivilen Seeschifffahrt mangelhafte Sprachkompetenzen unfallursächlich beteiligt sind (Gregory, Dik; Shanahan, Paul (2010): The Human Element a guide to human behaviour in the shipping industry, Seite 83).

Der objektiv in der zivilen Seeschifffahrt existierenden Sprachproblematik wird regelmäßig beim Normalschiffsbetrieb mit verschiedenen Strategien begegnet. Die Verwendung von Handzeichen, Wiederholungen oder Nachfragen (Clarifying), aber auch intuitives Handeln ersetzen in vielen Fällen die im internationalen STCW Übereinkommen (Standards of Training, Certification & Watchkeeping) geforderte »klare Kommunikation«. Solange es sich um Routineabläufe handelt, kann dies funktionieren.

Direkt nach dem Einritt eines Seeunfalls werden aber komplexere und gleichzeitig auch vollkommen ungewohnte Kommunikationskompetenzen erforderlich. Diese unterscheiden sich nicht nur fachlich von den gewohnten Inhalten, auch die Anzahl der potentiellen Kommunikationspartner vervielfacht sich. Nach dem Eintritt einer größeren Schadenslage soll nicht nur die Schadensabwehr an Bord koordiniert werden. Auch mit anderen Fahrzeugen in der näheren Umgebung sowie eventuell auch mit landgebundenen Stellen soll nun eine »klare Kommunikation« abgewickelt werden können. Im Falle einer Überforderung der Sprachteilnehmer droht das erfolgreiche »Accident-Response« zu scheitern.

Strenge Vorgaben in der Luftfahrt

Bisher werden von den Besatzungen der Seeschiffe international noch keine einheitlichen Sprachzertifikate verlangt. Dagegen wurden die gegenwärtig im Bereich der zivilen Luftfahrt existierenden Sprachzertifikate von der International Civil Aviation Organisation (ICAO) im Zeitraum von 2004 bis 2008 weltweit einheitlich mit dem »Manual on the Implementation of ICAO Language Proficiency Requirements«, dem ICAO Doc 9835, etabliert. Dieses Verfahren fordert vom gesamten mit sicherheitsrelevanten Aufgaben betrauten Luft- und Bodenpersonal den Erwerb eines Sprachzertifikats, mit dem mindestens ein englisches Sprachniveau der Stufe 4 »Operational« bestätigt wird.

Ein weiteres Beispiel sind die bei der Bundeswehr für bestimmte Laufbahnen abzulegenden Sprachleistungsprüfungen. Die Zuständigkeit liegt hier beim Bundessprachenamt in Köln/Hürth sowie deren circa 100 dislozierten Dienststellen, zum Beispiel an der Marineschule Mürwik in Flensburg. Insgesamt wird vom Bundessprachenamt die Ausbildung in mehr als 40 Fremdsprachen angeboten.

Heterogene Vorkenntnisse

Aus Sicht der Ausbilder besteht generell das Problem, auch bei weit auseinander liegenden Vorkenntnissen, einen für alle gleichmäßig attraktiven Unterricht anzubieten. Während im Bereich der Bundeswehr wegen der hohen Teilnehmerzahlen Kurse zusammengestellt werden können, besteht an kleineren maritimen Ausbildungseinrichtungen nur die Möglichkeit der gezielten und problemorientierten Sprachförderung in Verbindung mit einer gut vorbereiteten Binnendifferenzierung. Sehr vernünftig erscheint unter diesen Bedingungen der Gedanke einer frühzeitigen Lernstandserhebung zur Vermeidung von Fehleinschätzungen durch die Lehrkraft.

Das im Jahr 2012 zusammen gestellte Abstract: »Communication and Practical Training Applied in Nautical Studies« beschreibt die Ergebnisse einer Umfrage, an der sich 64 Lehrkräfte für »Maritime English« von 30 maritimen Akademien and Universitäten weltweit beteiligt hatten (Ziarati, Martin; Ziarati, Reza; Bigland, Oliver; Acar, Ugurcan (2012): Communication and Practical Training Applied in Nautical Studies, Seite 3). Die im Folgenden genannten Einschätzungen beziehen sich auf den sechsstufigen Common European Framework of Reference for Languages (CEFR, siehe Tabelle).

Die englische Sprachkompetenzstufe der Probanden wurde zu 5% auf der Stufe »Beginner« und zu 19% auf der Stufe »Elementary« angegeben. Von den befragten 64 Lehrkräften wurden für Schiffsführungen aber mindestens die Stufen »Upper Intermediate«, in einigen Fällen sogar die höchste Stufe »Proficiency« empfohlen.

Individuell gewählte Kriterien

Häufig wird an den maritimen Ausbildungsseinrichtungen individuell über die Kriterien zum Bestehen einer Prüfung entschieden. Die bereits thematisierte Problematik belastet die Prüfer mit der Entscheidung zwischen der Einhaltung der vorab definierten Ansprüche und dem (inoffiziellen) Ziel einer möglichst geringen Durchfallquote, um zum Beispiel eine Abwanderung potenzieller Bewerber an andere maritime Ausbildungseinrichtungen zu vermeiden. Einheitliche Sprachzertifikate würden daher nicht nur die nachvollziehbare Einhaltung der englischsprachigen Mindestkompetenzen sicherstellen, sondern zusätzlich eine starke Entlastung der Prüfer bedeuten.

Geeignete und auf die Besonderheiten der zivilen Seeschifffahrt abgestimmte Sprachtestverfahren stehen bereits am Markt zur Verfügung. Die Firma Marlins aus Glasgow zum Beispiel, nach eigener Auskunft führend im Bereich »E-Learning« und »Language Assessment«, bietet hochwertige und kostengünstige Online-Trainingkurse an. Der in enger Zusammenarbeit mit der International Shipping Federation (ISF) entwickelte »ISF Marlins English Test for Seafarers« wird bereits von mehreren Flaggenstaaten und der UK Maritime Coastguard Agency akzeptiert. Der »ISF Marlins English Test for Seafarers« besteht aus einem Online-Test, bei dem 85 Fragen in einem Zeitraum von 60 min beantwortet werden sollen. Die Testfragen sind in verschiedene Kompetenzbereiche gegliedert und werden vor Beginn des eigentlichen Tests in diversen zur Auswahl stehenden Sprachen anschaulich erklärt.

Zusätzlich zum »Online Test« kann ein »Test of spoken Englisch« (TOSE) mit einer Länge von 20 min absolviert werden. Gegenwärtig bestehen in 35 Ländern insgesamt 160 Testcenter von Marlins, an denen Sprachzertifikate unter Prüfungsbedingungen erworben werden können. Eine offizielle Anerkennung (Flag State Approval) des »ISF Marlins English Language Tests for Seafarers« besteht bereits für die Länder Großbritannien, Irland, Bulgarien und Australien.

Bewährte Test am Markt

In der Zwischenzeit hat sich der »ISF Marlins English Tests for Seafarers« aber auch bei vielen Crewing-Firmen als »In-House« Lösung bewährt. Die von der IMO im »International Safety Management Code« definierte Forderung: »The company should ensure that the ship’s personnel are able to communicate effectively …« kann somit nachvollziehbar erfüllt werden (ISM Code (International Safety Management Code), ed. 2014, Chapter 6.6.7).

Das gegenwärtig einzige Marlins Test Centre in Deutschland befindet sich in Leer/Ostfriesland. Nach Auskunft der Reederei Briese werden dort jährlich circa 300 bis 500 Marlins-Sprachzertifikate erworben, hauptsächlich von osteuropäischen Seeleuten. Da es sich um eine »In-house« Variante handelt, ist der Erwerb eines Sprachzertifikats für Externe dort nicht möglich.

Nicht unerwähnt bleiben darf der von Marlins für die IMO entwickelte »Maritime English Instructor Training Course« (MEITC). Dieser zielt auf eine Steigerung der Qualifikation der Ausbilder für maritimes Englisch ab. Ein weiterer aktueller Fortschritt ist das mit Mitteln aus dem EU-Programm für lebenslanges Lernen »Leonardo da Vinci« geförderte Projekt »SeaTALK«.

Dabei wurden unter Leitung der World Maritime University in Malmö in Zusammenarbeit mit neun anderen maritimen Ausbildungseinrichtungen in Europa kostenlos verfügbare Übungsmaterialien entwickelt, deren Auswahl sich an den im IMO Model Course 3.17 »Maritime English« definierten Richtlinien eines kommunikativen Konzepts orientiert und berufsbezogene sowie nach Kompetenzen abgestuft wie auch zum Selbststudium geeignet zur Verfügung gestellt.

Die im Projekt »SeaTALK« entwickelten Materialien bilden auch die Grundlage zur Beschreibung der in den einzelnen Disziplinen der Seeschifffahrt zu erwerbenden Sprachkompetenzen für künftig zu erwerbende Sprachzertifikate. Das Projekt »SeaTALK« verweist auf das von der EU im Rahmen des Programms »Leonardo da Vinci« entwickelte Sprachtestmodul »MarTEL« .

Zögern in der Schifffahrt

Die Seeschifffahrt ist nicht gerade bekannt für die zügige Umsetzung fortschrittlicher Ideen. Die Grundlagen für die Einführung weltweit einheitlicher Sprachzertifikate in der zivilen Seeschifffahrt sind aber durchaus bereits vorhanden. Mehrere maritime Ausbildungseinrichtungen, Organisationen und Firmen sind an deren Formulierung beteiligt.

Intensiv wird dieses Thema seit vielen Jahren von der IMLA, der International Maritime Lecturers Asscociation, sowie auch national bei der G.A.M.E. e.V., der German Association for Maritime English e.V., diskutiert. Auch von der International Maritime Organization (IMO) wurde mit dem Maritime English Model Course 3.17 ein technischer Ratgeber herausgegeben.

Das für eine verbindliche Einführung zuständige Gremium, das Maritime Safety Committee (MSC) der IMO, ist aber gegenwärtig noch mit internationalen Abstimmungsproblemen beschäftigt. Dennoch ist die Einführung weltweit einheitlicher Sprachzertifikate in der zivilen Seeschifffahrt absehbar.

Natürlich steht es einzelnen Flaggenstaaten bis zu einer internationalen Einführung frei, schon heute die Möglichkeiten einheitlicher Sprachzertifikate innerhalb nationaler Gewässer zu nutzen.

Ihre Einführung würde zu einer Verbesserung des allgemeinen Ausbildungsniveaus in der zivilen Seeschifffahrt führen und viele menschliche Opfer, umständliche Bergungsoperationen, so manche Umweltverschmutzung sowie drohende wirtschaftliche Schäden mit Sicherheit vermeiden helfen. Letztlich geht es bei allen Bemühungen um die Schließung einer bis heute bestehenden Sicherheitslücke in der Seeschifffahrt.

Autor:

Bernd Mönnigmann

Kapitän STCW II/2, Seefahrtlehrer

moema4@posteo.de


Bernd Mönnigmann