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In der Kreuzfahrtbranche tut sich derzeit Einiges, sowohl auf technischer Ebene als auch im boomenden Markt. Helge Grammerstorf, National Director der Cruise Lines International Association CLIA in Deutschland, gibt einen Einblick, wohin die Reise noch gehen könnte
Herr Grammerstorf, im Kreuzfahrtbereich gibt es viele Anstrengungen, die Branche »grüner« zu machen. Wie genau achten die Kunden beim[ds_preview] Buchen darauf?

Helge Grammerstorf: Das ist vor allem ein wichtiges Thema für die Industrie selbst. Einerseits ist es Teil des Geschäftsmodells, denn wir wollen Kreuzfahrten in einer intakten, schönen Umgebung anbieten. Das hat außerdem etwas mit Verantwortung der Industrie und natürlich mit Imagebildung zu tun. Inwieweit der Kunde dann seine Kaufentscheidung davon abhängig macht, kann ich nicht sagen. Ich denke die Gesellschaft hat ein hohes Verständnis dafür entwickelt und achtet auf diese Dinge, aber das Leben wird dadurch noch nicht bestimmt.

Wenn ein grüneres Produkt gleich viel kostet, hat das sicher einen Einfluss. Aber wenn die Kreuzfahrtbranche als grüner werdend betrachtet wird, nützt es ihr einfach insgesamt. Ich glaube es ist wichtig, ein Bewusstsein zu entwickeln, dass wir uns bemühen, besser zu werden, auch wenn wir noch nicht am Ziel sind. Das ist beim eigenen Auto nicht anders als beim Schiff. Es ist immer eine Kombination aus vielen Maßnahmen bis hin zu stromsparenden Klimaanlagen, LED-Beleuchtung und widerstandarmen Rumpfbeschichtungen.

In bestimmten Bereichen, z. B. bei der Abwasserbehandlung oder dem Abfallmanagement, sind wir häufig bereits besser als entsprechende Einrichtungen an Land. Das wissen die Passagiere zu schätzen.

Haben Kreuzfahrtgäste aus den verschiedenen Ländern auch unterschiedliche Ansprüche an die Schiffe?

Grammerstorf: Deutschland ist relativ weit vorne, sowohl was die Sensibilität der Kunden als auch der Reedereien angeht. Ich halte es nicht für einen Zufall, dass die besonders umweltfreundlichen Schiffe in den Orderbüchern für den deutschen Markt bestimmt sind. Dieses entspricht nicht nur unserem eigenen Selbstverständnis, sondern kommt auch den Wünschen unserer Gäste entgegen. Außerdem haben wir im Spitzenmanagement einiger Mitgliedsgesellschaften Leute, die es wirklich ernst meinen mit ihrem Engagement.

Geben Sie als Verband den Mitgliedern Empfehlungen, welche Technologien zur Schadstofffilterung oder Effizienzsteigerung am besten geeignet sind?

Grammerstorf: Als Verband empfehlen wir den Reedern keine bestimmten Technologien, da sind sie völlig frei. Wir unterstützen aber die Schaffung von Rahmenbedingungen, damit sie die entsprechende Technik einsetzen können. Wenn man z. B. Scrubber hat oder LNG, muss es die entsprechenden Rahmenbedingungen geben. Es kann nicht sein, dass man in jedem Hafen eigene Sondergenehmigungen für die Nutzung von LNG braucht oder die technischen Voraussetzungen für Landstrom nicht einheitlich sind.

Der Scrubber ist eine Brückentechnologie, das ist noch nicht der Stein der Weisen, aber zurzeit eine verfügbare und effiziente Technik. Abgesehen von der technischen und finanziellen Herausforderung gibt es auch noch andere Unsicherheiten. Das Bundesumweltamt hat bestätigt, dass die Scrubberabwässer unter den Grenzwerten der Einleiteverordnung bleiben, derzeit werden noch die kumulativen Effekte untersucht.

Zurzeit sehen wir aber noch ein anderes Problem: Ab 2019 bis 2021 wird in der Ostsee selbst das Einleiten von behandeltem Abwasser nicht mehr erlaubt sein. Dann müssen die Häfen in der Lage sein, sämtliche Abwässer anzunehmen. Das können sie heute nicht, und es ist fraglich, ob sie es dann können werden. Wir sehen da gerade eine Situation, dass wir das eine nicht dürfen und das andere nicht können. Da ist die Politik gefordert. Für die Häfen ist es vor allem ein Mengenproblem, pro Schiff und Anlauf können dies bei großen Schiffen schnell einmal 600t bis 800t sein, die in wenigen Stunden abgenommen werden müssen.

Wie sehen Sie die Chancen für LNG als Kraftstoff für Kreuzfahrtschiffe?

Grammerstorf: Aus heutiger Sicht ist LNG sicherlich eine der favorisierten Optionen für die Zukunft. Es bedarf aber noch einiger Anstrengung, insbesondere bei der landseitigen Infrastruktur. Das betrifft nicht nur die Versorgung, sondern auch das Handling sowohl technisch als auch administrativ. Alle, die damit befasst sind, Umweltämter, Sicherheitsbehörden usw., haben nur sehr wenig Erfahrung mit dem Thema. Als zweiten Teil der Infrastruktur betrachte ich die gesetzliche Infrastruktur, sie muss auch einheitlich geregelt werden. Aber ich bin überzeugt, dass LNG bald so selbstverständlich wird, wie es Diesel heute ist. Das ist ein Lernprozess, auch was die Sensibilität für die Gefahren angeht. LNG ist nicht gefährlicher als Diesel, und wir betanken auch Autos mit Erdgas.

Wie stehen die Chancen für Batterietechnologie, insbesondere auf kurzen Reisen, wie etwa im Mittelmeer?

Grammerstorf: Im Moment sind wir nicht in der Lage, Batterien oder auch Solarkollektoren zu bauen, die ausreichen, um ein großes Schiff zu betreiben. Für Solarzellen wäre einfach nicht genug Fläche vorhanden, um den benötigten Strom zu gewinnen. Auf einem Kreuzfahrtschiff wird außerdem viel Energie nicht nur für den Antrieb, sondern auch für Licht, Klimaanlage, Entertainment, Abwasser und Müllbehandlung benötigt.

In welchen Bereichen wird sich technisch in nächster Zeit noch etwas verändern?

Grammerstorf: Technisch sehe ich kein Limit, was die Größe angeht. Das Entscheidende sind die Bedürfnisse der Kunden, was das Angebot an Bord und die Fahrtgebiete betrifft. Bei den Rumpfformen beobachten wir eine Rückkehr zu Designs, die es schon einmal gab. Eine Zeit lang war man stolz, Schiffe bauen zu können, die 27kn schnell waren. Heute spielt hohe Geschwindigkeit keine Rolle mehr, im Gegenteil, sie ist heute vor allem Kostentreiber und bedeutet eine höhere Umweltbelastung. Und die althergebrachten Rumpfformen sind für geringere Geschwindigkeiten einfach deutlich besser.

Ändert sich die Nachfrage nach speziellen Routen und Fahrtgebieten und wirkt sich das auf Schiffsdesigns und -größen aus?

Grammerstorf: Man muss klarstellen, dass es heute den typischen Kreuzfahrer nicht mehr gibt. Wir erleben ein enormes Mengenwachstum, weil die Kreuzfahrt in den Augen vieler Menschen eine denkbare Urlaubsoption geworden ist. Dabei haben die Leute ganz unterschiedliche Motive: Die einen wünschen Club-Urlaub, manche wollen sich verwöhnen lassen und entspannen, andere möchten eher so etwas wie Bildungsurlaub machen. Für alle gibt es ein spezielles Schiff, aber ein einzelnes Schiff kann nicht allen Ansprüchen gerecht werden. Deshalb wird es auch weiterhin noch größere Schiffe geben, aber auch noch mehr kleinere. Es gibt keine Tendenz in die eine oder andere Richtung, sondern einfach eine Diversifizierung bei steigender Nachfrage.

Die Neubauaktivität im Kreuzfahrtbereich ist beeindruckend – für wie groß halten Sie die Gefahr von Überkapazitäten?

Grammerstorf: Im Moment steigt die Nachfrage stärker als das Angebot. Wir sind der Meinung, dass ein breiteres Angebot auch die Nachfrage fördern kann – sofern das Angebot attraktiv genug ist. Wenn ein großes Schiff in Betrieb geht, müssen natürlich tausende Betten sofort gefüllt werden. Das ist aber kein strukturelles Problem, sondern nur eine momentane Herausforderung, der sich die Reedereien stellen müssen.

Wie sehen Sie die Chancen für unabhängige deutsche Anbieter? Hier sind ja zuletzt einige Anbieter im Kampf mit den Großen aus Amerika untergegangen.

Grammerstorf: Ich sage, je größer die Größten werden, umso größer werden auch die Nischen unter ihnen. Die Großen haben natürlich riesige Werbebudgets, die aber auch den Kleineren zugute kommen. Denn deren Werbung ist in erster Linien imagebildend für den Markt, nicht nur für die Marke. Letztlich muss das Produkt stimmen.

Die Kleinen wären schlecht beraten, mit den Großen zu konkurrieren. Für sie gilt ebenfalls, sich den gesellschaftlichen Trends anzupassen. So haben zum Beispiel die heute 60-Jährigen ganz andere Präferenzen als die 60-Jährigen vor 20 Jahren. Dass muss auch der kleinere Anbieter auf seine Weise abbilden können, sonst kommen keine neuen Gäste nach und das Produkt wird langfristig nicht bestehen.

Wie entwickelt sich der Markt weiter, auch mit Blick auf China – wird der Boom noch lange anhalten?

Grammerstorf: Aus Sicht des Vertreters der deutschen Kreuzfahrtbranche macht mir China durchaus Sorgen, aber das ist eher sportlicher Ehrgeiz. Die Bedeutung des Marktes dort erkennt man daran, dass die großen Reedereien ihre größten Schiffe nach Asien schicken. Die Potenziale dort sind riesig, der chinesische Markt könnte alleine so groß wie der heutige Weltmarkt werden. Der asiatische Markt lag 2014 schon bei 1,4Mio. Kreuzfahrtgästen. Allein der chinesische Markt wuchs von 2012 bis 2014 um 80%.

Aber auch in Deutschland gibt es noch Potenzial. 2014 hatten wir rund 1,8Mio. Gäste, dieses Jahr werden es vielleicht 2 Mio. und bis zum Jahr 2020 sogar 3Mio. Gäste. Gemessen an 70Mio. Pauschalreisen, die hier im Jahr gebucht werden, ist das noch wenig. Ich mache mir bei der weiteren Entwicklung des Kreuzfahrtmarktes eher Gedanken über die Nachhaltigkeit als über die Passagierzahlen.

Interview: Felix Selzer


Felix Selzer