Print Friendly, PDF & Email

Woran werden heute Kreuzfahrtschiffe gemessen? Nur zu gern werden vermeintlicher Luxus und Lifestyle als Argumente angeführt. Die wirklich spannenden Bereiche spielen sich jedoch seit geraumer Zeit hinter den für Passagiere zugänglichen Bereichen ab.
Das bei der Werft Meyer Turku gebaute neue Flaggschiff »Mein Schiff 4« von TUI Cruises ist so ein Beispiel. Es ist[ds_preview] das zweite Schiff einer Serie, von der bis 2019 sechs Einheiten in Fahrt kommen. Das erst 2008 gegründete Unternehmen aus Hamburg will sich mit diesem Schiffstyp den zweiten Platz im deutschen Kreuzfahrtmarkt sichern.

Eine Wasserrutsche sucht man an Bord vergeblich, genauso wie eine glitzernde Shopping-Mall mit dem Hauch Central-Park-Botanik am Heck. TUI Cruises legt Wert auf schlichtes und schnörkelloses Design. »Platz ist neben Zeit eine der wichtigsten Ressourcen, die wir Menschen haben.« Diese Worte wählt die neue Vorstandschefin Wybcke Meier nur zu gern. Die »Mein Schiff 4« ist dabei exakt im Kielwasser der »Mein Schiff 3«, die im Juni 2014 in Hamburg die neue Ära der Flotte einläutete. Die wichtigste Zahl schiebt Meiers Kapitän Kjell Holm gleich nach. Es ist die 40, genauer gesagt: 39,8BRZ pro Passagier. Soviel BRZ gibt es sonst kaum irgendwo auf einem der Neubauten im aktuellen Orderbuch. Der Durchschnitt der Bruttoraumzahl, die ein Passagier auf einem modernen Kreuzfahrer erwarten darf, liegt aktuell bei 35BRZ.

Dieses Konzept der TUI-Flotte scheint im Kreuzfahrtmarkt Deutschland seinen Platz zu finden. Besonders die ältere Generation liebt Raumgefühl. Statt der 30- bis 50jährigen , die Diskothek, Poolparty und Animationsprogramm verlangen, zieht es bei TUI Cruises die Babyboomer an Bord. Die, deren Kinder aus dem Haus sind, denen der Urlaub zur Entschleunigung dient und für die beim Essen die Qualität vor Quantität geht.

Die Daten der »Mein Schiff 4« sind dennoch beeindruckend: elf Restaurants, 13 Bars und 15 Decks auf 293m Länge verteilt. Wenn alle 1.253 Kabinen belegt sind, befinden sich bis zu 3.600 Menschen an Bord. Für 1.000 Menschen aus 40 Nationen ist die »Mein Schiff 4« Arbeitsplatz. Etwa 80% des Personals arbeiten in den Küchen, Restaurants und beim Kabinenservice. Die größte der fünf Kabinenkategorien sind die 957 Balkonkabinen. Die Zahl der Innenkabinen beträgt nur 123. Eine Besonderheit ist die Suite 10001: Es ist die Franziska-van-Almsick-Suite, die sich an der Backbordseite direkt hinter der Kommandobrücke befindet.

Fast 5.000m2 Fläche nehmen die elf Restaurants ein. Das Angebot reicht vom klassischen Restaurant »Atlantik« bis hin zum japanischen »Hanami«. Für den Hunger auf Pizza, Currywurst und Salat gibt es das »Tag & Nacht«-Restaurant. Am Platz wurde nicht gespart. Das 99.526 BRZ große Schiff ist bei voller Kabinenbelegung mit rund 2.600 Passagieren unterwegs. Vergleichbare Kreuzfahrtschiffe haben mehr als 3.000 Passagiere an Bord.

Auf dem Schiff gibt es einen 25m langen Außenpool für Schwimmer., auf Wasserrutschen wurde verzichtet. Für kühlere Tage steht ein überdachter Innenpool bereit. DieFlächen über der Kommandobrücke gehören dem Wellness- und Spa-Bereich. Über drei Decks erstrecken sich Saunen, Anwendungskabinen und Wellness-Suiten. Unter dem Reich von Kapitän Holm befindet sich das große Theater mit Platz für 1.000 Passagiere. Mittschiffs gibt es eine Waterkant-Lounge mit Bibliothek und einem Klanghaus für Konzerte und Lesungen.

Drei der rund 400Mio. € Gesamtinvestition wurden in 6.000 Kunstwerke investiert, die über das ganze Schiff verteilt sind. Die größte Investition ging aber in die Technik. Hier hat TUI Cruises einem dieselelektrischen Antrieb mit feststehendem Propeller und konventionellem Ruder den Vorzug vor den erhältlichen Pod-Lösungen gegeben. »Das hat sich bewährt«, sagt Kapitän Holm.

Für die Energie sorgen vier Wärtsilä-Motoren. Zwei Zwölf-Zylinder-Diesel des Typs 12V46F mit zusammen 28,8 MW und zwei kleinere Achtzylinder des Typs Wärtsilä 8L46F mit zusammen 19,2 MW arbeiten im Maschinenraum. Vier Hilfsdiesel flankieren die Antriebsmotoren. Zum Vergleich: Die 1996 auf der Meyer Werft gebaute »Mein Schiff 1« benötigt vier Antriebsmotoren mit 36.000 kW Leistung, da die Motoren dieselmechanisch auf die Wellen wirken. Dies ist auch der Grund, weshalb sich die Reederei 2018 von den beiden ersten Schiffen trennen wird. Sie sollen zur Schwesterreederei Thomson Cruises auf den britischen Markt wechseln.

Der Antrieb der »Mein Schiff 4« erfolgt mit zwei ABB-Elektro-Propellermotoren für jeweils 14 MW. Sie wirken auf die Wellen und erzeugen den Schub für knapp 22kn über zwei Fünfblatt-Verstellpropeller. Als Querschubhilfe sind drei Querstrahler im Bug und zwei Querstrahler im Heck eingebaut. Für die Leistung dieser Querstrahlruder wurde beim zweiten Schiff nachgebessert. Die Erfahrungen mit der »Mein Schiff 3« hatten ergeben, dass die Leistung der Querschubeinrichtungen nicht ausreicht, um das Schiff auch bei 36kn Seitenwinddruck im Hafen an der Pier zu halten. »Wir haben das in Wilhelmshaven beim Anlauf mit der ›Mein Schiff 3‹ getestet und danach entschieden, dass da mehr Leistung installiert werden muss«, so Holm. Bei dem Test der »Mein Schiff 4« im Mai 2015 gab es am JadeWeserPort nur zufriedene Gesichter. »Jetzt wird noch die ›Mein Schiff 3‹ nachgerüstet und dann ist sie optimal«, sagt der Kapitän. Der erfahrene Seemann und Nautiker berät TUI Cruises seit dem ersten Tag. Er hat auch die beiden Schiffe »Mein Schiff 1« und »Mein Schiff 2« mit begleitet und das Neubauprogramm mitgestaltet.

Für das Wohlbefinden bei Seegang sorgen auf dem Meyer-Schiff zwei große Stabilisatoren aus dem Hause des italienischen Werftkonzerns Fincantieri.

Ein Großteil der von Kjell Holm eingebrachten Ideen betreffen die Sicherheit. »Der Rumpf hat eine Doppelhülle, und wir haben mehr wasserdichte Abteilungen. Der Rumpf ist jetzt so konstruiert, dass auch zwei Abteilungen bei einer Havarie leckschlagen dürfen«, sagt der Experte. Bislang musste bei Schiffen eine Schwimmfähigkeit bei zwei bis drei Abteilungen gewährleistet werden. Für den Notfall hat Holm extra ein Tafelsystem mit großen Stabilitäts-Diagrammen an Bord. Dabei sind alle denkbaren Wassereinbrüche auf Papiertafeln dargestellt. Auf der Kommandobrücke gibt es zudem auch elektronische Systeme. 20 Rechner sind allein für die Brückenbesatzung installiert. Ein neuartiges Brigde Resource Management System soll für Sicherheit sorgen. Die vier Arbeitsplätze des wachhabenden Offiziers, des Kapitäns, des Lotsen und des Staff-Kapitäns sind in einer Konsole in der Mitte der Brücke zusammengefasst. »So ist die optimale Kommunikation sichergestellt«, sagt Holm.

Die »Mein Schiff 4« liegt beim Energieverbrauch 30% unter dem Verbrauch der anderen Schiffe dieser Größenordnung. Durch die Optimierung des Energiemanagements werden fast 10t Treibstoff pro Tag eingespart. LED-Technik und die Nutzung der Abgaswärme reduzieren außerdem den Strombedarf um 14.300 kWh am Tag. »Es kommt auf die Gesamtlösung an. Wenn man überall etwas spart, macht das unterm Strich auch sehr viel aus«, sagt Holm. Gespart wird aber auch im Kleinen. So gibt es in keiner der 1.253 bei Piikkiö-Works nahe Turku gefertigten Kabinen noch eine Minibar. Dadurch sollen nach Konzernangaben 330 l Kraftstoff pro Tag gespart werden. 4,2t Einsparungen bringt allein die neue Klimatechnik. Die beiden Pools auf dem Oberdeck, darunter auch der 25m lange Hauptpool, werden durch die Abwärme der Dieselmotoren geheizt. Dies soll etwa 1,6t Kraftstoff pro Tag sparen – natürlich abhängig von den klimatischen Bedingungen im Fahrtgebiet. Im Norden muss der Pool im Schnitt um 20% mehr als im Süden beheizt werden.

Auge auf Umweltverträglichkeit

Im Fokus der Umweltverbände stehen seit Jahren die Abgasemissionen. Die »Mein Schiff 4« soll auch weiterhin mit IFO380-Schweröl betrieben werden. Der Kraftstoff hat einen Schwefelgehalt von bis zu 1%. Damit aber dennoch die Vorgaben der IMO eingehalten werden, wurde eine umfangreiche Abgasnachbehandlung in den Schornsteinbereich eingebaut. Die von Wärtsilä entwickelte und in Norwegen gebaute Scrubber-Technik besteht aus einer Entschwefelungsanlage (AEP – Advanced Exhaust Gas Purification) und einem SCR-Katalysator (Selective Catalytic Reduction). Dieses geschlossene Waschverfahren nutzt Seewasser zum Reinigen der Abgase. Laut Reederei sollen so 99% der Schwefeldioxid-Emissionen entfallen.

Der Partikelausstoß wurde um 60% reduziert und die Stickoxid-Emissionen sanken um 75%. »Damit kann das Schiff auch die Auflagen nach dem erst ab 2016 geltenden TIER III-Abkommen erfüllen«, erläutert Kapitän Holm. Die beim Waschprozess anfallenden Feststoffe werden an Bord gesammelt und zum Teil als Dünger verkauft.

Das gilt auch für das Abwasser, das komplett aufgefangen wird. In der Ostsee wird nichts mehr von Bord gepumpt. In Kopenhagen erfolgt die Abholung der aufbereiteten und nährstoffreichen Grauwasser durch landwirtschaftliche Betriebe. Aber auch Waschwasser und Bilgenwasser werden aufbereitet. Beim Bilgenwasser wird ein Restölgehalt von 5 ppm (parts per million) erreicht, der den IMO-Grenzwert von 15 ppm deutlich unterschreitet.

Großer Wert wurde auf die Recyclingfähigkeit des Schiffes gelegt. So legte man beim Bau bereits fest, dass nur Stoffe verwendet werden, die nach heutigen Maßstäben auch nach einer zu erwartenden Lebensdauer von 40 Jahren noch bedenkenlos in den Wertstoffkreislauf zurückgelangen können. »Das war uns sehr wichtig. Es ist sicher nicht die günstigste Art, aber für die kommenden Generationen der verantwortungsvollste Weg«, so Wybcke Meier bei der Vorstellung.

In Zusammenarbeit mit der Meyer Werft wurden nur Zulieferer gewählt, deren Produkte und Konzepte das Umweltsiegel tragen. In den Kabinen wurde ausschließlich FSC-zertifiziertes Holz verwendet, sämtliche Materialien erfüllen die Vorgaben der Hong-Kong-Konvention.

Bei der Zulieferung der Stoffe in den Kabinen bediente sich TUI Cruises der Kieler Firma Horstmann & Partner, die Container mit den Materialien nach Finnland lieferte. Vom Handtuch über Bettwäsche bis hin zu Matratzen und Decken hat Horstmann die Grundausstattung geliefert. Aus Kiel kamen auch die Navigationstechnik von Raytheon Anschütz (Kompass und Steuerung) sowie die Typhone (Zöllner). Bei den Rettungsbooten haben die Boote und Tender der Firma Fassmer aus Berne den Zuschlag bekommen.

Bei der Taufe am 5. Juni in Kiel durch Schwimmstar Franziska von Almsick wurde sogar darauf geachtet, dass keine Plastik-Schnipsel aus der Deko und Feuerwerkstechnik ins Hafenwasser wehten.

Das Bauprogramm umfasst nach der Ablieferung der »Mein Schiff 3« und »Mein Schiff 4« noch vier weitere Neubauten, die im Jahrestakt bis 2019 zur Flotte stoßen sollen. Diese Schiffe werden allesamt in Finnland bei der Meyer Turku Yard gebaut. Zulieferungen im Stahlbau könnten auch aus Deutschland kommen. Die Meyer Werft hat zusammen mit der Reederei Harren & Partner ein Spezialschiff für den Sektionstransport in Dienst gestellt. Die »Papenburg« sorgt seit April dieses Jahres dafür, dass Sektionen für den Bau von Schiffen transportiert werden. Die ersten Sektionen wurden aus Danzig geliefert.


Frank Behling