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Zur Neunten Nationalen Maritimen Konferenz in Bremerhaven: Eine Analyse der Situation

des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt. Vorschläge zur Standort- und Beschäftigungssicherung am Standort Deutschland
Es ist manchmal viel einfacher als man denkt, eine Situationen zu beschreiben. Das gilt z.B. für die Ausbildungssituation in der[ds_preview] Deutschen Seeschifffahrt. Die von der Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt veröffentlichten Zahlen der neuen Ausbildungsverhältnissen zum Schiffsmechaniker und der gesamten Ausbildungsverhältnisse zeigen die Entwicklung der letzten Jahre (Tab. 1). Die Anzahl der Studienanfänger an den nautischen und technischen Fach- und Fachhochschulen sind in Tabelle 2 zu sehen.

Ein Blick in die Statistische Auswertung zum seemännischen Personal der Knappschaft Bahn See verdeutlicht die Entwicklung der Beschäftigungssituation in der deutschen Seeschifffahrt. Am 30.06.2014 gab es 5.289 in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigte Kapitäne, Offiziere und andere Angestellte. Am 30.06.2015 waren es 4.747, also 542 Personen weniger (ca. 10%) in nur einem Jahr. Zur Kenntnis nehmen muss man auch, dass von den am 30.06.2015 sozialversicherungspflichtig beschäftigten 4.747 Kapitänen, Offizieren und anderen Angestellten 1.056 (knapp 23%) in die Altersgruppe der 56- bis 65-jährigen fallen. Sie werden in den nächsten Jahren den Arbeitsmarkt verlassen. Andererseits finden viele Hochschulabsolventen keine Anstellung als Wachoffiziere, um wenigstens ihre Patente ausfahren zu können.

Die von der Finanzmarktkrise des Jahres 2008 ausgelöste, bis heute anhaltende Schifffahrtskrise hat sicher wesentlich dazu beigetragen, dass noch mehr Schiffe ausgeflaggt wurden und dadurch Arbeitsplätze in der Deutschen Seeschifffahrt langfristig verloren gegangen sind. Ein Blick auf die Zahl der im internationalen Verkehr unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe (ISR-Monitoringbestand) zeigt ebenfalls eine stark rückläufige Tendenz5. Ohne auf alle Ursachen einzugehen und sie im Einzelnen zu bewerten: das Maritime Bündnis für Ausbildung und Beschäftigung in der Seeschifffahrt hat in den letzten Jahren keine positive Entwicklung vorzuweisen. Die Situation lässt sich wie folgt zusammenfassen: Eine nur noch von einigen Reedern betriebene kleine Restflotte unter deutscher Flagge, weniger neue Auszubildende zum Schiffsmechaniker, weniger Studienanfänger in den Studiengängen Nautik und Schiffsbetriebstechnik, eine große Anzahl arbeitsloser Absolventen der Nautischen Hochschulen (Nautische Wachoffiziere) und eine immer kleiner werdende Anzahl in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigter Seeleute. Erfolgreiche Bündnisse bilanzieren anders. Wertet man diese Entwicklung im Lichte der demografischen Entwicklung ist das Fazit noch deutlich negativer.

Diskutierte Maßnahmen

Im Vorfeld der nächsten, der Neunten Nationalen Maritimen Konferenz (NMK) in Bremerhaven, steht die weitere Verringerung des Kostenunterschieds zwischen Schiffen unter deutscher Flagge und den Schiffen unter ausländischen Flaggen vor allem durch staatliche Beihilfen zur Debatte. Es geht um die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts gem. §41a Abs. 4 EStG auf 100% und um die Justierung der Zuschüsse zur Senkung der Lohnnebenkosten. Diese Maßnahmen sind dringend geboten! Damit sollte die Kostendifferenz bei Schiffen unter deutscher Flagge zu Schiffen unter ausländischen Flaggen im Wesentlichen egalisiert sein. Ich bezweifle stark die immer wieder erwähnten 300.000€ Mehrkosten eines Schiffes unter deutscher Flagge (inkl. Förderung) gegenüber einem Schiff unter ausländischer Flagge. Des Weiteren wird auch darüber diskutiert, die in der Schiffsbesetzungsordnung vorgeschriebene Besetzung der Schiffe mit einem Schiffsmechaniker zu streichen. Hier erwarte ich keine Einigung der Sozialpartner im Maritimen Bündnis, die wohl für diesen gesetzgeberischen Akt notwendig scheint.

Landarbeitsplätze

Immer wieder wird in den Diskussionen um den Schifffahrtsstandort Deutschland die Bedeutung der Landarbeitsplätze bei den Reedereien, Zulieferbetrieben, Versicherungen, Klassen, Banken, Schulungs- und Fortbildungseinrichtungen, Besichtigern, Behörden, Werften, Lotsen, etc. betont. In diesen Betrieben besteht ein bis jetzt nicht quantifizierter Personalbedarf seemännischen Personals, das nach dem Ende seiner Seefahrtszeit an Land arbeitet. Wo findet sich eigentlich ein Beitrag dieser Gruppen an der Ausbildung der Seeleute?

Eigene Vorschläge

Es ist sehr zu hoffen, dass zumindest die im Vorfeld der NMK diskutierten Maßnahmen (Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts auf 100% und die bisher nicht konkretisierte Justierung der Lohnnebenkostenzuschüsse) auch tatsächlich umgesetzt werden. Ohne diese Maßnahme wird der Bestand der Schiffe unter deutscher Flagge noch weiter zurückgehen. Hoffentlich führen diese Maßnahmen auch zu einer Verbesserung der Ausbildungs- und Beschäftigungszahlen in der Seeschifffahrt. Ich bin in Anbetracht der Erfahrungen in der Vergangenheit eher skeptisch, ob sie ihr Ziel diesmal erreichen und habe daher drei zusätzliche Vorschläge zur Verbesserung der Situation:

a) Sofortprogramm

»Nautische Wachoffiziere«

Als Sofortmaßnahme ist ein Programm zwingend notwendig, um die große Anzahl arbeitsloser Absolventen der nautischen Hochschulen sofort in eine Beschäftigung an Bord zu bringen. Wie will man eigentlich zukünftig junge Menschen überzeugen, ein Nautik-Studium zu beginnen, wenn im Voraus bekannt ist, dass man nach dem erfolgreichen Abschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in dem angestrebten Beruf arbeiten kann? Der Verband Deutscher Reeder (VDR) könnte sich beispielsweise erklären, für die sofortige Beschäftigung der Nautischen Wachoffiziere zu sorgen.

b) Bindung der Tonnagesteuer

an die seemännische Ausbildung

Um deutlich mehr »Ausbildungsverhältnisse« für die seemännischen Berufe zu schaffen, könnte die Tonnagesteuer zusätzlich an die seemännische Ausbildung gekoppelt werden. Das würde sicher nicht allseits Zustimmung finden, wäre aber doch m.E. eine sehr wirksame Maßnahme, um die Schaffung von Ausbildungsverhältnissen deutlich zu forcieren.

Jedes inländische Schifffahrtsunternehmen entscheidet selbst, ob es Seeleute für den Einsatz im Bordbetrieb oder später im Landbetrieb ausbildet. Abgesehen von der im Standortwettbewerb unverzichtbaren Tonnagesteuer werden die inländischen Schifffahrtsunternehmen seit vielen Jahren mit einer Reihe von Beschäftigungsbeihilfen unterstützt (Lohnnebenkostenzuschüsse, Lohnsteuereinbehalt, Ausbildungszuschüsse, Zuschüsse der Stiftung Schifffahrtsstandort Deutschland). Diese nur bei Schiffen unter deutscher und bei der Ausbildungsförderung auch unter EU-Flaggen gewährte Förderung allein scheint bisher nicht die gewünschten Effekte zu bringen. Meines Erachtens müssen darüber hinaus die von den Flaggen der Schiffe unabhängigen, nur standortbezogenen Rahmenbedingungen verbessert werden. Dazu könnte die Tonnagesteuer durch Einfügen eines Absatzes 2a in §5a EStG an die seemännische Ausbildung gebunden werden:

»(2a) Weitere Voraussetzung für den Betrieb von Handelsschiffen im Sinne des Absatzes 1 ist, dass auf den Schiffen ausgebildet wird. Als Ausbildung gilt die Ausbildung von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Schiffsmechaniker nach der SMAusbV/See-BAV, zum Offiziersassistenten nach der SchOffzAusbV/See-BV sowie die Tätigkeit während der Seefahrtzeit als Nautischer Wachoffizier/Erster Offizier nach §10 Abs. 2 und 3 SchOffzAusbV/§30 Abs. 2 und 3 See-BV oder als Technischer Wach­offizier/Zweiter technischer Schiffsoffizier nach §15 Abs. 2 und 3 SchOffzAusbV/§39 Abs. 2 und 3 See-BV. Das Bundesministerium für … wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für … die näheren Anforderungen an den Umfang der Ausbildung und die erforderlichen Nachweise durch Rechtsverordnung zu regeln.«

c) Anwendung der Tonnagesteuer auch für Bereederer, die nicht an den bereederten Schiffen beteiligt sind

Wer sich um Beschäftigungsverhältnisse in den Landbetrieben der Reedereien oder Bereederern Gedanken macht, erkennt, dass im Zuge der krisenbedingten starken Schrumpfung der deutschen Handelsflotte immer mehr Bereederungsarbeitsplätze in Deutschland wegfallen. Nach §5a Abs. 2 Satz 1 und 2 EStG ist die Tonnagesteuer für Bereederer nur anwendbar, wenn die Bereederung Nebengeschäft zum Betrieb eigener Schiffe ist. Der Bereederer muss deshalb am Schiff zumindest beteiligt sein. Mit dem Rückgang der Zahl der Schiffe unter Tonnagesteuer sinkt auch die Zahl der für ihren Betrieb erforderlichen inländischen Bereederer und ihrer Arbeitnehmer an Bord wie an Land. Die Anwendung der Tonnagesteuer ließe sich auf Bereederer von im internationalen Verkehr eingesetzten Handelsschiffen, die keinen sonstigen Bezug zum Inland haben (Sitz des Reeders, Flagge, Besetzung, Fahrtgebiet etc.) erweitern. Dazu sollte ein Absatz 2b in §5a EStG eingefügt werden:

»(2b) Als Betrieb von Handelsschiffen im internationalen Verkehr gilt auch die Bereederung von Schiffen, die im Wirtschaftsjahr überwiegend zur Beförderung von Personen oder Gütern im Verkehr mit oder zwischen ausländischen Häfen, innerhalb eines ausländischen Hafens oder zwischen einem ausländischen Hafen und der Hohen See eingesetzt werden.«

Durch diese Regelung in Absatz 2b wird es den zahlreichen deutschen Bereederungsunternehmen ermöglicht, ihre Leistungen Reedern in aller Welt anzubieten und in Folge der Schifffahrtskrise verlorenes inländisches Geschäft zu kompensieren oder neues dazuzugewinnen. Grundvoraussetzung muss bleiben, dass die Bereederung, wie in §5a Abs. 1 Satz 1 EStG und dem BFM-Schreiben vom 06.03.2002 (A.I.1.) bestimmt, soweit möglich vollständig im Inland durchgeführt wird.

Fazit

Um das Bündnis für Arbeit und Beschäftigung in der Seeschifffahrt ist es – die Zahlen zeigen es – schlecht bestellt. Und es ist doch erstaunlich, dass die Bündnisbeteiligten (Verband Deutscher Reeder, ver.di sowie Bund und Länder), die diese Zahlen kennen, es nicht schaffen, den negativen Trend durch geeignete Maßnahmen wirksam umzukehren. Eine Umkehr dieser Situation sollte im Interesse der Schifffahrtunternehmen liegen, die als Reeder oder Bereederer ein langfristiges Interesse am Standort Deutschland haben. Und die Umkehr dieser Situation ist ganz sicher auch im Interesse der Landbetriebe, die Bedarf an seemännischem Personal haben, das nach dem Ende seiner Seefahrtszeit an Land arbeitet. Vorschläge, die über eine notwendige Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts auf 100% und der Justierung der Lohnnebenkosten hinausgehen sind mir nicht bekannt. Ich habe daher drei eigene Vorschläge zur Standort- und Beschäftigungssicherung erarbeitet, die schon längst hätten diskutiert werden müssen. Die aktuelle Situation ist kritisch, es muss endlich wirksam gehandelt werden.M