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Das niederländische Forschungsinstitut MARIN, die TU Berlin und k+s projects haben eine Kooperation vereinbart. Gemeinsam wird eine Pilotstudie zur Erfassung der Arbeitsbelastung während des Simulator-Trainings erstellt
Rotterdam, Einfahrt in den Hafen. Ein Schlepper fährt als Bugschlepper, der Kapitän sitzt ruhig und konzentriert, die Sitz – und Blickrichtung[ds_preview] achteraus, die Leine zum Bug des Containerschiffs fest im Visier. Eigentlich Alltagsroutine. Aber: Eine Kamera ist auf den Schiffsführer gerichtet. Auf dem Kopf sitzt eine merkwürdige blinkende Kappe, ein Blickfang zwar, aber keine attraktive Hutmode. Eine Klemme an der Hand, Kabelstränge am Oberkörper. Wendie Uitterhoeve, Projektleiterin von MARIN, sitzt in einer Ecke und notiert ihre Beobachtungen, im Nebenraum kontrolliert Daniel Miklody, Doktorand der TU Berlin, die eingehenden Messsignale.

Das Szenario findet im Schleppersimulator von MARIN in Wageningen statt. Der Proband ist ein Schlepperkapitän aus Rotterdam, der sich als menschliches Versuchskaninchens zur Verfügung gestellt hat, sich verkabeln und verdrahten ließ. Über einen Gürtel wird die Atemfrequenz erfasst, ein anderer Sensor registriert den Herzschlag, ein weiterer die Hautleitfähigkeit. Das EEG verrät, welche Areale des Gehirns beansprucht sind, welche Bereiche des neuronalen »Kabelgewirrs« im Kopf aktiviert und vernetzt sind. Auf welche Reize wird spontan reagiert – wie und wann regelt das Bewusstsein nach?

Diese erste Messrunde ist Bestandteil einer Pilotstudie der Projektgruppe MARIN ( Maritime Research Institute Netherlands), der TU Berlin und k+s projects. Sie schließt sich an die Messepräsentation »Training meets Science« von k+s projects und anderen Projektpartnern anlässlich der ITS 2014 in Hamburg an. Das neu gebildete Team setzt auf eine langfristig angelegte Kooperation.

Der Schlepperkapitän wird in seiner Rolle als Proband stark gefordert: Aber ist die eigentliche Aufgabe schon herausfordernd genug – oder muss man den Schwierigkeitsgrad mit etwas Sturm oder Nebel noch erhöhen? Mehrere Versuchsanordnungen, bezogen auf Schlepper, wurden erarbeitet: die Bug/Bug-Konstellation: Bugschlepper/geschlepptes Schiff, ein Offshore-Szenario, bei dem ein Tanker auf Position gehalten werden muss und ein N-Back-Dauerbelastungstest (mentaler Zusatztest) bei freier Fahrt.

Wie auf Stress im Allgemeinen oder infolge hoher Arbeitsbelastung reagiert wird, folgt einem individuellen Muster. In Arbeitsfeldern mit sehr hohem Verantwortungslevel, zu denen die Schifffahrt sowohl im Binnen– als auch im Seebereich gehört, ist der erfolgreiche Umgang mit kritischen, anspruchsvollen Situationen ein fester Bestandteil des Berufsbildes.

Da die neuronalen Vorgänge elektrochemischer Natur sind, jedes Augenklimpern und Kopfdrehen zu elektrischen Veränderungen im Kopf führt oder elektromagnetische Geräte auch zu Rauschen und irreführenden Signalen führen können, ist große Sorgfalt bei der Analyse geboten. Ziel der Untersuchung ist es, einen auf die maritime Branche zugeschnittenen sogenannten Workload-Indikator zu ermitteln. Messungen sind zunächst im Simulator und später auch an Bord vorgesehen.

Das beinhaltet folgende Fragestellungen: Wie belastet ist der Mensch auf der Brücke? Welche Aufgaben lösen Stress aus, wie schnell sinkt der Belastungspegel wieder? Welche Bereiche des Gehirns sind besonders beansprucht? Wie viel Reserven hat der Mensch, der gerade in Verantwortung steht? Was hilft, den Stress zu reduzieren? Es gilt nicht nur das obere Ende der Skala zu betrachten, sondern auch das untere Ende: die Unterforderung, wenn sich die Aufmerksamkeit verabschiedet, weil an Bord zu viel automatisiert läuft. MARIN-Projektleiterin Wendie Uitterhoeve dazu: »Uns geht es darum, die Schifffahrt sicherer zu machen.«

Das Kooperationsprojekt ist eine Verknüpfung von Grundlagenforschung und gelebter Praxis. Die Erkenntnisse können in der Ergonomie, der Verbesserung von Trainingsmethoden aber auch in der Methodik im Umgang mit Stress genutzt werden. In Kürze sollen die ersten Messungen abgeschlossen sein und eine Auswertung vorliegen.
Kerstin Klinkenberg