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Wiederanstieg von Großschäden und zunehmende Risikoballung stellt Assekuranz vor Probleme. Prämien weiter weich.
Vielleicht ist das Glas für die Transportversicherer gerade noch halbvoll. Aber es leert sich zusehends, und bis Jahresende könnten die[ds_preview] im Vorjahr mühsam verdienten Reserven wieder zerronnen sein. So in etwa lässt sich die Stimmung auf der Weltkonferenz der Transportversicherer – der International Union of Marine Insurance (IUMI) – zusammenfassen, die diese Woche an ihren Gründungsort Berlin zurückkehrte.

Die Hafenexplosion von Tianjin mit gewaltigen, wenn auch noch schwer abschätzbaren Auswirkungen auf internationale Warentransportpolicen, Untergänge von Massengutfrachtern und Ölförderplattformen, Feuer an Bord von Containerschiffen und Fähren – ie Liste der großen Schadensereignisse ist seit Jahresanfang wieder so lang geworden, dass keiner in der Branche mehr auf eine Wiederholung der guten Vorjahresergebnisse hoffen mag.

»Wir sind jetzt im Jahr 2015, und die Situation hat sich völlig gedreht«, erklärte Astrid Seltmann, Vizevorsitzende des IUMI-Statistikkomitees. Das gute Abschneiden im globalen Transportversicherungssegment 2014, das durch die jüngsten IUMI-Daten bestätigt worden ist, führt die Aktuarin auf einen »außergewöhnlichen« Umstand zurück: Das Ausbleiben von Riesenschäden à la »Costa Concordia« (2012), »MOL Comfort« (2013) oder Hurricane »Sandy« (2012). Das führte nach vorläufigen Zahlen dazu, dass sich die aggregierten Schadensquoten (Schäden im Verhältnis zu Prämieneinnahmen) in alle wesentlichen Teilsegmenten der Transportversicherung von Ware über Schiffskasko bis Offshore/Energy für 2014 erstmals seit vielen Jahren unterhalb der mutmaßlichen Breakeven-Schwelle von 70% bewegen.

Inzwischen hat die Frequenz der Großschäden wieder zugenommen. Aus dem nordischen Seekaskoversicherungsmarkt, der rund 30% der Weltflotte führend versichert, wurde zur Halbzeit des Geschäftsjahres 2015 ein Anstieg von schweren Schäden über 10Mio. $ auf zehn Vorfälle gemeldet. Im Gesamtjahr 2014 seien nur sieben gemeldet worden. Das bringt die Seekaskoversicherer erneut schwer in Bedrängnis, umso mehr als die Überkapazitäten in der Branche die Marktteilnehmer in einen gnadenlosen Preiswettkampf zwingen.

So lassen die 2014er Zahlen der IUMI für das Seekaskosegment erkennen, dass die Prämien zuletzt stark unter Druck standen. Gegenüber 2013 war das globale Prämienaufkommen in der Teilsparte um fast 6% auf 5,8Mrd. $ gesunken, obwohl die versicherten Werte kaum gefallen sein dürften. Um Kunden zu halten, werden verbesserte Schadensverläufe bei den Flotten offenbar schnell mit Prämiennachlässen honoriert. Die chronische Flaute bei den Prämienraten lasse nur einen Schluss zu, so Mark Edmondson, Vorsitzender des IUMI-Seekaskokomitees und Zeichnungsbevollmächtigter des Lloyd’s-Syndikats Chubb 1882: »Der Marktzyklus ist mittelfristig ausgeschaltet. Überkapazitäten sind die neue Normalität für uns.«

Ob der erneute Schadensanstieg zu einer Befestigung der Marktprämien führt? Wünschenswert aber keineswegs ausgemacht, so Edmondson, wenn er die letzten Jahre Revue passieren lässt. »Selbst Großereignisse wie der Wirbelsturm ›Sandy‹ oder die ›Costa Concordia‹ hatten nur eine kurzfristige Wirkung auf die Prämien, und auch nur im einstelligen Prozentbereich«, erläuterte der Brite.

Steigende Risikokapazitäten seien auch für andere Segmente wie Warentransport ein Problem. Mit ausschlaggebend dafür seien die strengere Regulierung und verschärfte Solvabilitätsbestimmungen für die Eigenkapitalausstattung der Versicherer (»Solvency II«), wie IUMI-Präsident Dieter Berg von der Münchener Re verdeutlichte. Um die Risiken zu diversifizieren, bauten immer mehr allgemeine Versicherer ihre Transport-Portefeuilles aus.

Die möglichen Verluste in dem Segment könnten sie durch Freisetzung von Eigenkapital mehr als kompensieren. Dabei sei es angesichts der niedrigen Zinsen und Kapitalerträge für die Versicherer umso wichtiger, dass sie im »technischen« Kerngeschäft gute Ergebnisse erzielten. »Wenn ich mir den Markzyklus anschaue, wo sollen die erforderlichen Gewinne dann herkommen?«, so Berg.

Die Hafenexplosion von Tianjin könnte durchaus ein Schadensereignis sein, dass zu einer Preiswende führt. Inwieweit es den internationalen Versicherungsmarkt ins Mark trifft, darüber herrscht noch weitgehend Unklarheit. Aktuelle Schätzungen taxieren die versicherten Verluste auf 1,5 Mrd. bis über 3 Mrd. € – womit Tianjin als schwerstes singuläres Schadensereignis der Transportversicherung in die Geschichte eingehen könnte. Ein Großteil dürfte bei chinesischen Sachversicherern zu Buche schlagen. Die möglicherweise über 17.000 beschädigten Fertigfahrzeuge im Hafen würden hingegen mit hoher Sicherheit den internationalen Markt betreffen. Besorgt seien internationale Versicherer außerdem über mögliche umfangreiche Kontaminationen von Waren und Containern durch Zyanid, wie Nick Derrick, Vorsitzender des IUMI-Cargo-Komitees, erklärte. »Es sind nicht die eigentlichen Explosionsschäden sondern die indirekten Kosten, die sich zu hohen Verlusten addieren«, so Derrick.

Zwei Knackpunkte haben die Ereignisse von Tianjin den Transportversicherern dramatisch vor Augen geführt. Erstens die stark gestiegene Wertekonzentration in einzelnen Hubs (»Kumulrisiken«) und zweitens: Menschliches Versagen bzw. mangelnde Sorgfalt als Schadensursache, in diesem Fall bei der Gefahrguteinlagerung. Beide Faktoren lassen sich auch auf den Seetransport – speziell die Containerschifffahrt übertragen. Ultragroße Containerschiffe samt Ladung erreichen leicht einen Gesamtwert von an die 1 Mrd. €. Schon ein falsch deklarierter Container, der dann entsprechend falsch an Bord verstaut wird – etwa in Maschinenraumnähe – und sich entzündet, kann Schiff und Ladung zum Verhängnis werden. »Diese Kettenwirkungen sind für uns ganz entscheidend«, erklärte Dr. Marcus Kremer, Vorsitzender der Komission Transportversicherung/Schadenverhütung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Das Größenwachstum der Schiffe können die Versicherer nicht aufhalten, aber bei den Brandschutzbestimmungen an Bord pocht die Assekuranz nach wie vor auf grundlegende Nachbesserungen. Kürzlich in Kraft getretene IMO-Bestimmungen, wonach die Schiffe eine bestimmte Anzahl von mobilen Löschmonitoren mit sich führen müssen, gehen die Risikoexperten nicht weit genug. GDV-Präsident Dr. Alexander Erdland, Vorstandschef der Wüstenrot & Württembergische AG, ging in seiner Begrüßungsrede hart ins Gericht mit der Schifffahrtsbranche und ihren Regulierern. »Es ist schlichtweg unakzeptabel«, beschwerte sich Erdland, »dass so viele Crews im Ernstfall gar nicht in der Lage sind, ein Feuer zu löschen.« Um die Ausbreitung von Bränden an Bord zu unterbinden, fordert der GDV die Installation von automatischen Löschanlagen und Wasserwänden auf Deck. Die Diskussion darüber soll in den kommenden Monaten international vorangetrieben werden. »Allerdings sind wir da nicht blauäuig«, stellte Transportexperte Kremer klar. Bis zu einer Durchsetzung schärferer Bestimmungen könnten Jahre vergehen.


Michael Hollmann