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Das Fraunhofer IWES hat in Bremerhaven einen Gondelprüfstand in Betrieb genommen. Mithilfe der dort möglichen Labortests soll die Zuverlässigkeit von Windturbinen erhöht werden.
Im Rahmen ihrer Bemühungen um Kostensenkungen in der Offshore-Windbranche arbeiten derzeit praktisch alle Turbinenhersteller an größeren und leistungsstärkeren Windkraftanlagen[ds_preview]. Für die Betreiber von Offshore-Windparks liegen die Vorteile auf der Hand: Wer zum Beispiel ein 400-Megawatt-Projekt umsetzen möchte, könnte sich den Kauf und die Errichtung von 30 Anlagen sparen, wenn er anstelle von 5-MW-Anlagen die neue Generation 8-MW-Turbinen installieren würde. Auch die Betriebs- und Wartungskosten wären später entsprechend geringer. Diese Rechnung kann allerdings nur dann aufgehen, wenn die Anlagen auch tatsächlich zuverlässig ihren Dienst tun und möglichst selten repariert werden müssen, was auf See jedes Mal mit einem enormen Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist.

Das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) hat kürzlich in Bremerhaven das »Dynamic Nacelle Testing Laboratory« (DyNaLab) eröffnet, das dazu beitragen soll, die Anlagenverfügbarkeit zu steigern und die Phase bis zur Markteinführung eines neuen Modells zu verkürzen. Das 35 Mio. € teure Prüfzentrum, das nach 18-monatiger Bauzeit den Betrieb aufgenommen hat, ist auf Gondeln im Leistungsbereich von 2 bis 8 MW ausgelegt und dürfte besonders in der Offshore-Windbranche auf Interesse stoßen. »Gerade auf See ist die Steigerung der Zuverlässigkeit ein wichtiger Faktor«, sagt DyNaLab-Projektleiter Martin Pilas. »Wir können die Anlagen hier ausgiebig untersuchen und dadurch Fehler oder Langzeitschäden, die man sonst erst nach der Installation erkennen würde und die mit komplizierten und teuren Reparaturarbeiten verbunden wären, frühzeitig entdecken.«

»Wir können den Wind spielen«

Das Herzstück des Testlabors ist der Gondelprüfstand, mit dessen Hilfe Feldtests unter realitätsnahen Bedingungen nachgebildet werden können. »Insgesamt können wir das komplette System einer Windenergieanlage überprüfen, das für die Wandlung von Windenergie in elektrische Energie benötigt wird«, erläutert Pilas. »Das umfasst den mechanischen Triebstrang mit oder ohne Getriebe inklusive Lager ebenso wie den Generator und das elektrische System mit Umrichter, Trafos und Schaltanlagen.« Im Prüfstand lassen sich alle Kräfte erzeugen, die später auch auf See auf Rotor und Gondel einwirken – von Extremlasten über den Nennwind bis zur Böe. Dabei kann die Simulation der Windlast sowohl aus dem Nachbilden unterschiedlicher statischer und dynamischer Betriebszustände als auch aus den Lastdaten einer Echtzeitsimulation bestehen. »Wir können den Wind spielen«, macht Pilas deutlich.

So stehen zur Erzeugung des durch den Wind hervorgerufenen Drehmoments zwei fremderregte Synchronmaschinen in Tandemanordnung mit einer Antriebsleistung von insgesamt 10 MW zur Verfügung. Die Nachbildung der mechanischen Windlasten wie Schub- und Biegemomente übernehmen sechs an unterschiedlichen Stellen angebrachte Hydraulikzylinder mit einer Kapazität von jeweils 3.000 kN, die über eine feststehende Lastscheibe und ein Momentenlager die Momente und Kräfte auf die rotierende Hauptwelle übertragen. Die Welle ist wiederum über einen Flanschadapter mit dem Prüfling verbunden. Mit dieser Konfiguration lassen sich auch radiale Lasten dynamisch nachbilden.

Zusätzlich kann am Gondelprüfstand im DyNaLab auch das elektrische Netz nachgebildet werden, in das eine Windkraftanlage einspeist. Dies bietet die Möglichkeit, zum Beispiel Kurzschlüsse mit hoher Wiederholfrequenz zu simulieren sowie Wirk- und Blindleistungsabgaben bei unterschiedlichen Netzzuständen oder das thermische Verhalten elektronischer Komponenten zu untersuchen. Die elektrische Zertifizierung einer Gondel soll so schon am Prüfstand vorgenommen werden. Das IWES hat zu diesem Zweck die nach eigenen Angaben weltweit umfangreichste Netznachbildung im Prüfzentrum installiert.

Adwen ist erster Offshore-Kunde

Die Errichtung von Protoypen könne das DyNaLab nicht ersetzen, meint Martin Pilas. »Aber es kann die Prototypenphase deutlich verkürzen, weil wir hier Teile des Zertifizierungsprozesses und der Inbetriebnahmephase, also zum Beispiel die Einstellung der Regler und die Untersuchung der Betriebsführung, erledigen können.« Möglich sei das, weil der Wind im Gegensatz zum Feldtest nach Bedarf gesteuert werden könne und man nicht auf ihn warten müsse. »Letztlich wird sich damit die Markteinführungszeit einer neuen Turbine verkürzen«, zeigt sich der Projektleiter überzeugt.

Erster Prüfling im Testlabor ist der 100t schwere Generator einer 3-MW-Anlage von Jacobs Powertec, der seine elektrische Zertifizierung am Prüfstand erhalten soll. Als erster Kunde aus der Offshore-Windbranche hat sich der Bremerhavener Turbinenhersteller Adwen angekündigt. Kurz vor der offiziellen Eröffnung des DyNaLab unterzeichneten die Verantwortlichen von Fraunhofer IWES und Adwen einen Kooperationsvertrag zur Erprobung des Antriebsstrangs für die neue 8-MW-Anlage des Unternehmens, von der ein erster Prototyp 2016 an einem Onshore-Standort errichtet werden soll (s. HANSA 10/2015). Ab Dezember sollen alle Antriebskomponenten im DyNaLab getestet werden.

Mit der Nachbildung realer Betriebsbedingungen sowie Offshore-Bedingungen für Extrem- und Ermüdungslasten werde man bei der Prüfung von Getrieben, Lagern, Kupplungen, Wellen, Generatoren und Umrichtern bedeutende Fortschritte erzielen, heißt es bei Adwen. Neben der Validierung einzelner und voll integrierter Teilsysteme ermögliche das neue Testlabor die Prüfung des gesamten Antriebsstrangs in einer realistischen Belastungssituation, was im Rahmen der De-Risking-Strategie vor der Errichtung des Prototyps »von größter Bedeutung« sei. Der neue Prüfstand sei für die Windkraftbranche von unschätzbarem Wert, betonte der Technische Direktor (CTO) bei Adwen, Maite Basurto, während der Vertragsunterzeichnung. »Die durchgeführten Prüfverfahren werden den Zertifizierungsprozess beschleunigen und die Zuverlässigkeit der 2018 in Serienproduktion gehenden Turbinen gewährleisten.«


Anne-Katrin Wehrmann