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Als neuesten Baustein zur Kostensenkung in der Offshore-Windbranche hat Siemens eine innovative Technologie zur Netzanbindung von Meereswindparks entwickelt. Die großen Konverterplattformen sollen damit überflüssig werden.
Nach vielen Negativschlagzeilen in den vergangenen Jahren war 2015 für Siemens im Geschäftsfeld Offshore-Netzanbindung ein äußerst erfolgreiches Jahr: Mit[ds_preview] BorWin2, HelWin1, Helwin2 und SylWin1 konnte der Konzern innerhalb weniger Monate gleich vier Netzanschlusssysteme in der Nordsee mit einer Gesamtkapazität von knapp 3.000 MW an Übertragungsnetzbetreiber Tennet übergeben.

Im Konsortium mit Petrofac arbeitet das Unternehmen aktuell an seinem fünften Offshore-HGÜ-Projekt (Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung) BorWin3, dessen Investitionsvolumen Tennet insgesamt auf »deutlich über 1 Mrd. €« beziffert. Größter Kostenblock bei den bisherigen HGÜ-Anbindungen sind die riesigen Konverterplattformen, auf denen der von den Windenergieanlagen erzeugte Drehstrom nach einer ersten Hochspannung in den parkinternen Umspannplattformen ein weiteres Mal hochtransformiert und in Gleichstrom umgewandelt wird. Notwendig ist dieser Vorgang bei küstenfernen Windparks, weil ab einer Entfernung von etwa 80 km die Übertragungsverluste beim Transport von Wechselstrom zu hoch für einen wirtschaftlichen Betrieb wären.

Genau hier will Siemens nun auf dem Weg zum erklärten Unternehmensziel, die Stromgestehungskosten für Offshore-Windenergie von derzeit etwa 14,5 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh) bis 2020 auf weniger als 10 ct/kWh zu senken, ansetzen. Unter dem Schlagwort »Offshore-Netzanbindung 2.0« hat der Konzern eine neue Technologie entwickelt. Sie soll die großen Konverterstationen auf dem Meer überflüssig machen und so einen deutlichen Beitrag zur Kostenreduzierung leisten Nach eigenen Angaben soll die HGÜ-Anbindung dadurch um rund 30% günstiger werden. Im Zentrum stehen dabei vollständig gekapselte Hochspannungsgeräte, die sogenannten Diodengleichrichtereinheiten (Diode Rectifier Units, DRUs): Diese flüssigkeitsisolierten Einheiten ersetzen die bisher verwendeten luftisolierten Transistormodule, für die wegen ihres großen Platzbedarfs auf den aktuellen Plattformen jeweils zwei große Konverterhallen vorgehalten werden mussten.

Übertragungskapazität von bis zu 1.200 Megawatt

»Es geht letztlich darum, ein System mit möglichst vielen passiven Komponenten und möglichst wenigen Hilfs- und Nebensystemen zu etablieren«, erläutert Patrick Weber, Leiter Grid Access bei Siemens. Die neu entwickelte vereinfachte Struktur werde dazu führen, dass im Vergleich zu den bisher eingesetzten Plattformen das Plattformvolumen um rund 80% geringer ausfalle und das Gewicht um 65% sinke. »Sowohl Transport und Installation als auch später die Wartung werden so deutlich vereinfacht«, sagt Weber. Das Ganze sei keine »Rocket Science«, sondern »eine intelligente Kombination bekannter elektrotechnischer Komponenten und Systeme«.

Die DRU als Herzstück der Übertragungstechnik vereint Transformator, Glättungsdrossel und Gleichrichter in einem zur Isolation mit biologisch abbaubaren und schwer entflammbaren Ester-Flüssigkeiten gefüllten Tank. Hier wird die Wechselspannung aus den angeschlossenen Windkraftanlagen »eingesammelt«, hochgespannt und per Diodengleichrichter in Gleichspannung umgewandelt. Die Übertragungsverluste lassen sich laut Weber mit der neuen Technik von heute 4% auf dann 3% senken. Die Übertragungsleistung jeder DRU beträgt 200 MW, wobei jeweils zwei Einheiten auf einer Plattform installiert werden sollen. Bis zu drei dieser neuen Plattformen, die in ihrer Größe mit den bisherigen parkinternen Umspannplattformen der Windparkbetreiber vergleichbar sind, können miteinander zu einem Offshore-Netzknotenpunkt verbunden werden und so mehrere Windparks mit einer Gesamtleistung von bis zu 1.200 MW ans Festland anbinden.

Für die aktuellen Konverterplattformen hat das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) im Bundesfachplan Offshore für die Nordsee derzeit Standardübertragungsleistungen von 900 MW vorgegeben. Die neue Lösung ließe sich hingegen modular einsetzen: »Man könnte zum Beispiel mit einem 400-MW-Windpark anfangen und später noch einen oder zwei weitere zubauen«, meint Jan Mrosik, CEO der Division Energy Management bei Siemens. »So kann die Netzanbindung flexibel mit der Zahl der Windparks mitwachsen, was bisher nicht möglich war.«

Auch bei der Projektlaufzeit sieht Siemens erhebliche Einsparpotenziale. Während man bei den ersten Konverterplattformen noch von einer Bau- und Installationszeit von drei Jahren ausging und dann feststellte, dass doch eher vier Jahre benötigt werden, soll die Umsetzungszeit künftig nur noch 28 Monate betragen. Durch die Verwendung passiver Leistungselektronik in den DRUs ist keine komplexe Regelung des Systems erforderlich. Dafür muss allerdings ein Teil der Regelung auf die Windkraftanlagen verlagert werden. »Wir werden eine offene Schnittstelle haben«, sagt Patrick Weber und betont zugleich: »Es bedarf lediglich einer geringen Software-Anpassung an den Turbinen, damit ist dann der gesamte Regelkreis gesichert.« Man habe bereits die verschiedenen Hersteller von Offshore-Windturbinen angeschrieben, um ihnen die Technik zu erläutern und eine entsprechende Zusammenarbeit in die Wege zu leiten.

Regulatorische Voraussetzungen müssen noch geschaffen werden

Siemens erhofft sich mit seiner Entwicklung, die bei der Anbindung von Offshore-Windparks bisher ausschließlich in Deutschland eingesetzte HGÜ-Technik künftig auch in anderen Ländern etablieren zu können, zum Beispiel in Großbritannien. Wann das System erstmals in der deutschen Nordsee zum Einsatz kommen könnte, ist derzeit noch offen. Das aktuelle Anbindungsprojekt BorWin3 ist schon zu weit fortgeschritten, und auch für den nächsten anstehenden Netzanschluss DolWin6 sieht Wilfried Breuer, Mitglied der Geschäftsführung von Tennet, keine realistische Möglichkeit. »Das ist nicht von heute auf morgen machbar, weil zunächst verschiedene Voraussetzungen geklärt werden müssen.« So sei man im Gespräch mit den Behörden, um zum Beispiel den Bundesfachplan Offshore anzupassen und für diese Technologie zu öffnen. Darüber hinaus müsse vor einer Markteinführung sichergestellt werden, dass die Windparkbetreiber und Turbinenhersteller zur Einführung der neuen Lösung bereit seien. Und nicht zuletzt müsse der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass Investoren in Zukunft nicht besser oder schlechter gestellt würden als in der Vergangenheit.

»Die Schnittstelle, die wir vorher zentral in der großen Konverterplattform hatten, würde sich ja in die jeweilige Plattform der Parkbetreiber verlagern«, erläutert Breuer. Nach Vorstellung von Tennet könne das so aussehen, dass die Betreiber weiterhin für den Bau der Plattformen verantwortlich blieben, vom Übertragungsnetzbetreiber aber für den Einbau der erforderlichen Gleichrichterkomponenten entschädigt würden. Dies sei allerdings noch nicht mit den zuständigen Ministerien und der Bundesnetzagentur konsultiert und müsse letztlich auch von den Investoren so akzeptiert werden. Grundsätzlich sehe er allerdings keinen Grund, die neue Technik nicht einzuführen, so Breuer: »Wir begrüßen diese zukunftsweisende Entwicklung ausdrücklich und sehen sie mit großer Freude.«

Auch die Stiftung Offshore-Windenergie bewertet die Siemens-Lösung positiv. Es sei ein interessanter Ansatz, die Kosten im Bereich der Netzanbindung deutlich zu senken, meint Geschäftsführer Andreas Wagner. »Insbesondere die höhere Übertragungskapazität, die modulare Bauweise und deutlich geringere Größen und Gewichte bei den Plattformen sind auf diesem Gebiet vielversprechende Ansätze.« Ob sich dafür aber tatsächlich ein ausreichender Markt finde, sei jetzt noch nicht abzusehen: Das hänge insbesondere vom weiteren Ausbaupfad für die Offshore-Windenergie nach 2020 ab. »Wenn es bei dem beschränkten Zubau von 800 MW jährlich bleiben würde, wäre es für die neue Siemens-Technologie schwieriger.« Wichtig sei, dass andere Unternehmen mit innovativen Konzepten nachziehen könnten, wofür der regulatorische Rahmen die notwendige Flexibilität sicherstellen müsse. »Die kommerzielle Einführung sehe ich erst Anfang der 2020er-Jahre«, sagt Wagner. »Sinnvoll wäre in jedem Fall zeitnah ein erstes Demonstrationsprojekt.«
Anne-Katrin Wehrmann