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Der Seehafenhinterlandverkehr ist Gegenstand intensiver Debatten. Das »Dialogforum-Schiene-Nord« soll eine konsensfähige Lösung für die Region Bremen-Hamburg-Hannover ermöglichen. Eine Bewertung aus Bremer Sicht
Die Diskussion um die so genannte Y-Trasse und mögliche Alternativvarianten ist in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sehr intensiv[ds_preview] und kontrovers geführt worden, ohne dass dringend benötigte, zusätzliche Schienenkapazitäten im Hinterland Bremens und Bremerhavens geschaffen wurden. Die Y-Trasse steht seit 1992 im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans, seitdem hat sich der Containerumschlag der Bremischen Häfen verfünffacht und der Automobilumschlag verdreifacht.

Mit dem »Dialogforum-Schiene-Nord« wurde ein neuer Weg der frühzeitigen Beteiligung und Konsenssuche in und mit der betroffenen Region beschritten. Seit Februar 2015 wurde in insgesamt acht Foren mit jeweils knapp 100 Teilnehmern aus Kommunen, Verbänden, Bürgerinitiativen unter Beteiligung der Bahn, des Bundes und der Länder Niedersachsen, Hamburg und Bremen eine Empfehlung für eine weitgehend konsensfähige Lösung zur Erweiterung der Kapazitäten im Schienenverkehr für den Raum Bremen/Hamburg/Hannover erarbeitet. Parallel dazu fand ein umfangreicher Bürgerbeteiligungs- und Informationsprozess statt. Das Ziel des Forums bestand darin, eine Lösung für die schienengebundenen Hafenhinterlandverkehre zu finden, die einerseits die verkehrlichen Anforderungen aus steigenden Zugzahlen erfüllt, andererseits Natur und Umwelt geringstmöglich beeinträchtigt und zugleich die Belange und Interessen der Region und der Menschen bestmöglich berücksichtigt. Als Lösungsbeitrag hat sich das Dialogforum-Schiene-Nord auf seiner finalen Sitzung am 5. November mit großer Mehrheit für die sogenannte »Alpha Variante E« ausgesprochen. Diese sieht vor, den steigendenden Anforderungen zunächst mit dem Ausbau bestehender Bahnstrecken statt mit einem Neubau zu begegnen.

Allerdings gab es auch eine Minderheitsmeinung, die insbesondere durch Hamburg, den VCD und die Stadt Lüneburg vertreten wurde. Darin wird zwar die Alpha Variante grundsätzlich begrüßt, allerdings nicht die Teilmaßnahme des dreigleisigen Ausbaus der Strecke Lüneburg–Uelzen.

Hier wird statt des Baus eines dritten Gleises der Bau zweier zusätzlicher Gleise zwischen dem Raum Hamburg und dem Großraum Hannover für notwendig gehalten, um die für das Jahr 2030 notwendigen Kapazitäten im Schienennetz schaffen zu können.

Konkret umfasst die Alpha Variante E folgende Maßnahmen:

Zweigleisiger Ausbau der Strecke Rotenburg–Verden

Dreigleisiger Ausbau der Strecke Lüneburg–Uelzen

Elektrifizierung der eingleisigen Strecke Langwedel–Uelzen (Amerikalinie)

Zusätzlicher Überholbahnhof und Blockverdichtung auf der Strecke Nienburg–Minden

Blockverdichtung auf den Strecken Verden–Wunstorf (inkl. eines zusätzlichen Wendegleises in Nienburg) und Celle– Lehrte

Die Beseitigung aller Engpässe auf der Strecke Uelzen–Stendal–Magdeburg–Halle, um eine leistungsfähige Anbindung der Häfen an den sogenannten Ostkorridor zu gewährleisten.

Um die entsprechend ausgebaute Infrastruktur in vollem Umfang nutzen zu können, fordert das Forum darüber hinaus flankierende Maßnahmen:

Die Nutzung der EVB Strecke Bremerhaven–Bremervörde–Rotenburg als alternativen Laufweg für Züge von und nach Bremerhaven und

die Schaffung zusätzlicher Überholungsbahnhöfe auf der Strecke Hamburg–Wittenberge für Hamburger Verkehre in Richtung Osten.

Als Grundvoraussetzung für die Kapazitätszuwächse aller Trassenalternativen wird die Leistungsverbesserung in den Knoten Hamburg, Bremen und Hannover eingefordert.

Darüber hinaus wurde vereinbart, dass für den Zeitpunkt, an dem die Leistungsfähigkeit dieser Maßnahmen absehbar erreicht sein wird, weitergehende Maßnahmen in einem neuen Forum erarbeitet werden sollen. So soll dem Minderheitenvotum Rechnung getragen werden, das Zweifel an einer langfristig ausreichenden Leistungsfähigkeit der gefundenen Variante anmeldet.

Die mehrheitliche Einigung des Dialogforums Schiene Nord auf die Ausbauvariante Alpha E für das Schienennetz im Raum Hamburg/Bremen/Hannover, die geeignet ist, die für die kommenden Jahre erwarteten Steigerungen des Seehafenhinterlandverkehrs aufzunehmen, ist aus Bremer Sicht zu begrüßen. Sie entspricht in weiten Teilen der bereits zur Jahresmitte 2013 erfolgten Anmeldung des Landes Bremen zum Bundesverkehrswegeplan 2015.

Sowohl die allgemeine Anerkennung stark wachsender Schienenverkehre als auch der abgeleitete breite Konsens zur Notwendigkeit zusätzlicher Schienenkapazitäten stellen aus Bremer Sicht einen großen Fortschritt in der Diskussion über einen Ausbau des Schienennetzes dar. Dabei ist es wichtig, nicht nur die Verkehrszuwächse auf die Schiene zu bringen, sondern auch bereits bestehende Verkehre verstärkt auf den umweltfreundlichen Verkehrsträger zu verlagern. Auch die Konzentration auf zeitnah realisierbare Maßnahmen ist wichtig. Durch den modularen Aufbau der Alpha Variante E ergibt sich die Möglichkeit einer schrittweisen und zeitnahen Realisierung. Damit können bereits kurzfristig dringend benötigte zusätzliche Kapazitäten für die schnell wachsenden Seehafen-Hinterlandverkehre geschaffen werden.

Zur Auflösung der Kapazitätsengpässe im Knoten Bremen erarbeitet die DB AG derzeit gemeinsam mit dem Bremer Senat zusätzliche kapazitätssteigernde Maßnahmen, durch die die Alpha Variante in der Region Bremen ergänzten werden soll. Dabei dient eine ausreichende Kapazität im Schienennetz nicht nur dem Schienengüterverkehr, sondern ermöglicht auch den nachfragegerechten Ausbau des Personennahverkehrs. Mit der Regio-S-Bahn wurde 2010 ein leistungsfähiges Nahverkehrssystem aufgebaut, dieses soll basierend auf dem Verkehrsentwicklungsplan und SPNV-Plan in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden.

Bremen erwartet vom Bund und der DB AG, dass diese eine Finanzierung der vom Dialogforum Schienen Nord verabschiedeten Maßnahmen sicherstellen und kurzfristig deren Realisierung in die Wege leiten. Voraussetzung hierfür ist die Aufnahme in den Bundesverkehrswegeplan, die der Bund auf der letzten Sitzung des Dialogforums zugesagt hat. Parallel dazu werden der Bund und die Bahn aufgefordert, zeitnah Maßnahmen zur Auflösung der Kapazitätsengpässe im Knoten Bremen umzusetzen, die erforderlich sind, damit die Alpha Variante ihre volle Wirksamkeit entfalten kann.

Eine umfassende Dokumentation des Dialogforums-Schiene-Nord findet sich unter: www.dialogforum-schiene-nord.de.

Autoren: Dr. Iven Krämer,

Leiter des Referates Hafenwirtschaft und -infrastruktur, Schifffahrt beim Bremer Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen

iven.kraemer@wuh.bremen.de

Christoph Lankowsky,

Leiter des Referates Schienenverkehr beim Bremer Senator für Umwelt, Bau und Verkehr


Dr. Iven Krämer, Christoph Lankowsky