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Für die Verschiffung von Obst, Gemüse, Fleisch und anderen »Perishables« zeichnet sich auch zur Hochsaison eine entspannte Kapazitätslage ab.

Carrier setzen Hoffnung auf Verkehre nach China.
Obwohl sie vergleichsweise klein sind, gelten Kühlverkehre eigentlich als sichere Bank für die Schifffahrt. Nach dem Motto: Gegessen und getrunken[ds_preview] wird immer. Doch die Zunahme der Ladungsmengen bei frischen Lebensmitteln und anderen verderblichen Gütern, die im Kühlcontainer oder mit spezialisierten Kühlschiffen gefahren werden, scheint jetzt ins Stocken geraten zu sein. Jüngste Schätzungen von Marktforschern, Reedereien und Spediteuren deuten darauf hin, dass der seewärtige Handel mit verderblichen Waren derzeit nicht mehr mit dem gewohnten Tempo von +3 bis 4% pro Jahr wächst. Trotz des Wachstums der Weltbevölkerung sowie der kaufkräftigeren Mittelschicht in den Schwellenländern Lateinamerikas und Asiens belasten die wirtschaftlichen und politischen Krisen rund um den Globus offenbar stark den Handel. Laut den jüngsten Daten der niederländischen Marktforschungsfirma Seabury, die auf der Fruchthandelsmesse Fruit Logistica in Berlin vorgestellt wurden, legten die Reefer-Containertransporte in den ersten zehn Monaten 2015 nur um 0,7% zu. Vom Jahr 2000 bis 2014 soll die durchschnittliche Zuwachsrate (nur für containerisiertes Kühlgut, Anm. der Redaktion) bei 7,6% gelegen haben. Für die Stagnation scheint ein ganzes Bündel von Faktoren verantwortlich zu sein: die Wirtschafts- und Finanzkrise in großen südamerikanischen Volkswirtschaften wie Brasilien und Argentinien, die Abwertung des Euro mit ihren Auswirkungen auf den europäischen Import, Rubelkrise und Russland-Sanktionen sowie Bürgerkriege und politische Instabilität in Nahost und Nordafrika. So ist das Volumen der Reefer-Container-Ladung aus Südamerika für Europa und den Mittelmeerraum laut Seabury im vergangenen Jahr um 5% gesunken. Aus Asien heraus sei sogar 8% weniger Perishables-Ladung nach Europa verladen worden. »Das war sicher kein erfolgreiches Jahr für die globalen Reefer-Verkehre«, fasste es Seabury-Analyst Michel Looten zusammen. Nicht nur für die Containerlinien ist das Geschäft schwieriger geworden, auch die spezialisierten Reefer-Reedereien berichten von Rückgängen in bestimmten Segmenten. So beklagt die in Stockholm ansässige Kühlschiffreederei Cool Carriers eine Flaute auf den Routen nach Nordafrika und Mittelost. »Wir sehen sehr viel geringere Verladungen in diese Regionen, die normalerweise riesige Mengen Bananen importieren«, stellt Glenn Selling, Vice President Commercial bei Cool Carriers, fest. Hinzu kommt ein weiterer Unsicherheitsfaktor, was das Ladungsangebot betrifft. So wird befürchtet, dass der diesjährige »El Nino« als das extremste Wetterphänomen seiner Art seit Jahrzehnten in die Geschichte eingeht. Die Zunahme von Dürren und Überschwemmungen birgt enorme Risiken für die Ernten von Früchten, Gemüse und Getreide weltweit. Beispiel: Die Weintraubenernte in Südafrika. Aufgrund der ungewöhnlichen Trockenheit fallen die Mengen dieses Jahr wohl unter das Niveau des Vorjahres. Dreimal mussten die Anbaubetriebe in Südafrika ihre Ernteprognosen für diese Saison bereits nach unten korrigieren. In Chile sollen die Exportverladungen von Trauben sogar um über 30% eingebrochen sein.

Flaute am Spotmarkt

Die Lage am Spotmarkt für konventionellen Reefer-Schiffe passt zum allgemeinen Stimmungsbild im Fruchthandel. Seit Ende 2015 wurden kaum noch Spot-Frachtabschlüsse gemeldet. »Der Markt ist vor Weihnachten eingeschlafen und bislang nicht wirklich aufgewacht«, erklärte ein Schiffsmakler gegenüber der Hansa. Einige große Frachter der dänischen Reederei Maestro – darunter die »Ice Glacier« und »Ice Ranger« – fanden kürzlich trotzdem Beschäftigung für Reisen ex Argentinien sowie Chile zu Charterraten von ca. 40 bis 45 US Cent pro Kubikfuß/30 Tage Laufzeit. Das ist deutlich weniger als letztes Jahr um dieselbe Zeit, als vergleichbare Schiffe rund 80 US Cent erzielten, wie zu hören ist. Doch es sei noch zu früh, um alle Hoffnung zu begraben. »Wir haben noch drei Monate Hochsaison vor uns. Erst im Mai kann man wirklich ein Fazit ziehen«, sagt ein anderer Makler. Auch im Reefer-Container-Markt sind die Frachtraten angesichts des hohen Kapazitätsangebots deutlich gesunken. Aus Fernost nach Europa seien 40-Fuß-Reefer im Januar zu Raten von nur 600$ verladen worden, berichtet ein belgischer Spediteur, der die aktuelle Preispolitik der Linien mit Kopfschütteln quittiert: »Was da bei der Ratenfestsetzung passiert, ist nicht mehr nachvollziehbar.«

Reefer-Experten der weltgrößten Seefrachtspedition Kühne + Nagel, die pro Jahr rund 190.000TEU temperaturgeführte Ladung im Seeverkehr zuzüglich 360.000t Luftfracht (Perishables) bucht und disponiert, befürchten, dass die Reeder die Überkapazitäten dieses Jahr nicht in den Griff bekommen werden. 2015 sei das erste Jahr gewesen, in dem es selbst zur Hochsaison im Frühjahr keine erheblichen Reefer-Container-Engpässe gab, erklärte Frank Ganse, Global Director Reefer Logistics bei Kühne + Nagel, in einem Vortrag auf der Fruit Logistica. »Es ist möglich, dass wir 2016 erstmals die Situation erleben, dass es ein Überangebot an Reefer-Containern gibt«, stellte Ganse fest. Das hätte aus seiner Sicht zur Konsequenz, dass sich weitere Spediteure und Carrier in den Reefer-Markt »einkaufen«, was die Frachtpreise nochmals unter Druck setzen würde. Aber auch hier gilt, dass die Perspektiven alles andere als sicher sind. Ganse erinnerte an eine Ausnahmesituation im vergangenen Jahr in Zentralamerika, wo Exporteure während der Hochsaison für Melonen nicht genügend Equipment bekamen. Die Engpässe hätten sich auf Hunderte von Containern belaufen, so Ganse. »Das hat dann zur Folge, dass die Ware im einheimischen Markt verkauft oder schlimmstenfalls vernichtet werden muss.« Die gegenwärtige Marktsituation halte Kühne + Nagel aber nicht davon ab, sein operatives Netzwerk für Reefer-Ladung weiter auszubauen. Im vergangenen Jahr seien neue Teams in Marokko, der Türkei und Indonesien dazugekommen. Im Laufe dieses Jahres werde ein neuer Standort in Ghana aufgemacht.

Linien blicken nach Osten

Mit Blick auf die Importnachfrage richten die Reedereien ihr Augenmerk vor allem auf Asien. »Wir verzeichnen definitiv eine höhere Nachfrage in China, dort steigt der Bedarf für frische Lebensmittel trotz des schwächeren Wirtschaftswachstums immer noch an«, erklärt Shereen Zarkani, Head of Reefer Management, bei Maersk. Auch Hapag-Lloyds Wachstumsstrategie für den Reefer-Bereich ist stark an das China-Geschäft angelehnt, wie Vertriebsdirektorin Gurdrun Feil erläutert. Bei Obst und Gemüse müssen die Importeure per Protokoll nachweisen, dass bestimmte Temperaturgrenzwerte während des Transports eingehalten wurden. Die Bestimmungen zum »Cold Treatment« der Ware im Transit dienen der Abwehr von Schädlingen und Pflanzenkrankheiten. Hapag-Lloyd bietet den Kunden dazu als Mehrwertleistung die Fernüberwachung der Temperatur und Atmosphäre im Container an. »Wir haben ein paar Hundert Container dafür ausgerüstet und fahren die Zahl step by step weiter hoch«, so Feil. Der Vorteil bestehe darin, dass schon im Vorwege Alternativen ausgelotet oder Vorbereitungen zur Sonderbehandlung der Ware getroffen werden können, wenn Kühlfunktionen länger als erlaubt ausgefallen sind.

Dieses Jahr wolle Hapag-Lloyd bei der Vermarktung von Reefer-Transporten wieder stärker in die Offensive gehen, nachdem im Vorjahr im Zuge der Integration von CSAV bestimmte Geschäft verloren wurden. »Für uns ist 2016 klar, dass wir das wieder zurückgewinnen wollen, was wir an Volumen verloren hatten. Wir erwarten bei den Reefer-Carryings ein hohes einstelliges Wachstum«, sagt Feil. Ihren Reefer-Container-Bestand haben die Hamburger durch Übernahme des chilenischen Partners sowie durch Neubestellungen auf 145.000TEU erhöht. 2015 seien 6.000 neue Reefer-Container angeschafft worden – darunter rund 1.000 Stück mit CA-Technologie (»Controlled Atmosphere«). Letztere erlauben eine Regulierung der Luftzusammensetzung im Inneren des Containers, damit der Reifeprozess verzögert und die Früchte über weitere Distanzen befördert werden können. »Das ist das Topsegment, das wir ausbauen wollen«, erklärt Feil.

Dass es sich für die Reedereien lohnt, ihre Geschäftsstrategie noch stärker auf China auszurichten, lässt sich auch aus den Marktdaten von Seabury schlussfolgern. Denn wenn der Reefer-Containerverkehr auch nur minimal zugelegt haben sollte, dann wohl nur wegen der gestiegenen Importe im Reich der Mitte. Um 46.000TEU bzw. um 9% sei der Umschlag eingehender Reefer-Container im vergangenen Jahr gestiegen, so Seabury. »Es ist eines der wenigen Segmente des chinesischen Marktes, die noch wachsen. Auch für europäische Firmen, die neue Geschäftschancen suchen, lohnt es sich, nach China zu schauen«, meint Seabury-Analyst Looten.

Zu den Obstsorten, die in Fernost trotz niedrigerem BIP-Wachstums immer reißenderen Absatz finden, gehören Kiwis aus Neuseeland. »China wird dieses Jahr Japan als größten Markt für uns überrunden«, sagt Mike Knowles, Shipping Manager der Kiwi-Vertriebsorganisation Zespri. Die Zuwächse dort spiegeln sich im erweiterten Transportprogramm der Erzeugergenossenschaft wieder, das dieses Jahr deutlich auf über 10.000 FEU-Verladungen (40-Fuß-Container) sowie 61 Charterreisen mit konventionellen Reeferschiffen hochgefahren werde, so Knowles. Wohlgemerkt: Ein Viertel der für China bestimmten Gesamtmenge wird seinen Worten zufolge mit Kühlschiffen gefahren.

Yntze Buitenwerf, Befrachtungschef der weltgrößten Reefer-Reederei Seatrade, sieht noch weitere interessante Nischen in der Entstehung. Kürzlich sei die Firma kurz davor gewesen, erstmals eine Schiffsladung Kirschen von der Westküste Südamerikas nach China einzubuchen. Das Geschäft sei bloß nicht zustandegekommen, weil die obligatorische Dokumentation der Kältebehandlung (»Cold Treatment«) für das Produkt auf Kühlschiffen noch nicht geregelt gewesen sei. Buitenwerf rechnet damit, dass ein entsprechendes Protokoll bald vereinbart wird und der Weg dann frei ist für derartige Verschiffungen. Vielleicht dauert es gar nicht lange, bis wieder mehr Bewegung in den Markt kommt.


Michael Hollmann