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Im Zuge des SOLAS Container Weight Verification Requirement muss ab Juli für jeden Container, der per Seeschiff transportiert wird, die Verified Gross Mass (VGM) vorliegen. In den wenigen Monaten, die bis zur Implemen­tierung bleiben, sind noch viele offene Fragen zu klären
Um die Sicherheit von Containertransporten zu verbessern, hat die International Maritime Organization (IMO) die Safety of Life at Sea Convention[ds_preview] (SOLAS) erweitert. Ab dem 1. Juli darf kein Container mehr ohne Angabe des verifizierten Bruttogewichts auf ein Seeschiff verladen werden. Zum einen sollen so Unfälle durch Überladung von Containern vermieden werden, zum anderen Unfälle aufgrund ungünstiger Gewichtsverteilung in Containerstapeln.

Bisher sind bei der Erstellung der Stauplanung, die üblicherweise etwa drei Tage vor Ankunft des Schiffs gemacht wird, oft keine Gewichtsangaben verfügbar, auch falsche oder geschätzte Daten sind keine Seltenheit. SOLAS nennt zwar keine klare Frist für die Übermittlung der Gewichtsdaten, es soll jedoch vor der Verladeplanung geschehen. Liegen die Daten nicht vor, darf der Container vom Kapitän nicht an Bord genommen werden.

SOLAS gibt kein Format für die Übermittlung der VGM vor. Die Gewichtsangabe darf auf den Seefrachtpapieren oder separat an den Reeder übermittelt werden und muss vom Absender oder einer von ihm autorisierten Person unterschrieben sein. Auch eine elektronische Übermittlung ist möglich. Das Unternehmen INTTRA, das den gleichnamigen Schifffahrtsmarktplatz betreibt und nach eigenen Angaben 40% aller Container weltweit anfasst, hat für die digitalisierte Übermittlung der VGM-Daten das Programm »eVGM« entwickelt. An der Entstehung waren unter anderem APL, BDP International, CEVA, CMA, Damco, DHL, Hapag Lloyd, Hamburg Süd, Kühne + Nagel, Panalpina, UASC. »Der Cloud-basierte Service soll den zusätzlichen verwaltungsaufwand in Grenzen halten«, erklärt INTTRA CEO John F. Fay.

SOLAS erlaubt zwei Methoden zur Ermittlung des Bruttogewichts. Entweder kann der Container samt Inhalt auf einer geeichten Waage gewogen werden oder auch das Gesamtgewicht wird errechnet. Dazu müssen Warengewicht, Tara, Leergewicht des Containers sowie Gewicht von Stau- und Laschmaterial zur Ladungssicherung addiert werden. Wo nicht ganze Container inklusive Ladung gewogen werden können, dürften die Tage, in denen zur Sicherung Bretter und Ähnliches verwendet wurden, bald der Vergangenheit angehören. Denn jedes Teil müsste dann einzeln gewogen werden. Das könnte eine erhöhte Nachfrage nach Staumaterial mit genormten Abmessungen und Gewichten zur Folge haben, beispielsweise nach luftgefüllten Stausäcken. Auch das würde sich letztlich positiv auf die Ladungssicherheit auswirken.

Wer ist verantwortlich?

Laut IMO ist einzig und allein der »Shipper«, also der Verlader, verantwortlich für die Erhebung der korrekten Gewichtsdaten und deren Übermittlung an den Carrier. Der Verlader kann Versender oder Spediteur sein, ausschlaggebend ist, wer den Container belädt. Bei vollen Containern (Full Container Load, FCL) liege es in der Verantwortung des Versenders, die VGM zu ermitteln. Speditionen wie Kühne + Nagel, Schenker oder Panalpina wiegen nur Ladung, die sie selbst physisch in einen Container verladen, z.B. wenn sie Fracht konsolidieren.

Laut Panalpina wird im Falle einer FCL-Verladung eine vom Shipper unterschriebene Container-Bruttogewichtserklärung verlangt und die Angaben werden nach Prüfung an den Reeder weitergeleitet. Wenn Panalpina als Consolidator fungiere, würden Container Freight Stations mit geeichten Waagen ausgerüstet, um entweder eine Vollcontainerverwiegung vorzunehmen oder um die einzelnen Sendungen inkl. Verpackung und Staumaterial zu wiegen. Die Ermittlung des »VGM« könne auch an Erfüllungsgehilfen übergeben werden, erklärt Schenker. Die entsprechende Verifizierung müsse aber vom Unternehmen, das als verantwortlicher »Shipper« im Bill of Lading genannt werde, final erfolgen.

Noch wenig Zeit zur Vorbereitung

Große Speditionen wie Schenker, Kühne + Nagel und Panalpina bereiten sich nach eigenen Angaben mit Hochdruck auf die neuen SOLAS-Richtlinien vor. »Wir haben unsere Kunden bereits im November 2015 auf ihre zusätzliche Verantwortung als Versender hingewiesen. Darüber hinaus gab es diverse Gespräche mit Kunden, um auf spezielle Fragestellungen einzugehen«, bestätigt Panalpina auf HANSA-Anfrage. Ferner stehe man im engen Dialog mit den einzelnen Landesorganisationen, Seefracht-Carrier-Partnern und IT-Anbietern, um die neuen Richtlinien zu verstehen und Prozesse und Systeme möglichst effizient anzupassen.

Auch Schenker arbeitet in internen und externen Gremien an einer adäquaten Lösung für seine Kunden. Dies geschehe durch Workshops mit Reedereien und Seehafen-Terminal-Betreibern sowie wirtschaftspolitischen Verbänden. Intern arbeite man an der Umsetzung der erarbeiteten Prozessbeschreibungen in den Tagesroutinen. »Eine finale Version der regional oder national ratifizierten SOLAS Vorgabe ist derzeit leider noch nicht verfügbar«, so die Kritik des Logistikkonzerns.

Langsam drängt nun die Zeit. Das Maritime Safety Committee (MSC) der IMO hatte die Erweiterung des Regelwerks bereits im November 2014 offiziell in ihren Verordnungskatalog aufgenommen. Viele Unternehmen sind aber noch nicht bereit für das Inkrafttreten im Juli. Laut INTTRA haben in einer Umfrage unter den 220.000 Kunden des Unternehmens 66% die Implementierung der neuen SOLAS als »major disruptive event« bezeichnet. Lediglich 30% sähen sich darauf vorbereitet.

In der Kritik stehen die Regierungen, die die neuen Sicherheitsregeln in nationales Recht überführen müssen. Neben Kontrollen und Ahndung von Verstößen sind die Staaten auch dafür zuständig, Toleranzhöchstgrenzen bei Abweichungen vom gemeldeten VGM festzulegen. Das ist bisher nur in wenigen Ländern geschehen. In der transporttechnisch eng miteinander verwobenen Europäischen Union gebe es bislang keine gemeinsame Linie, lautet die Kritik von Schenker. Die einzelnen Mitgliedsstaaten hätten bislang nur eigenständige Werte mitgeteilt. So stünden für Österreich derzeit ca. 5% Abweichung, für die Niederlande ebenfalls 5%, für Belgien allerdings nur ca. 3% und Deutschland sogar nur 2% gestatteter Abweichung zur Debatte. »Dies würde die Verladung eines Containers aus Österreich über die europäischen Nordseehäfen in Antwerpen, Rotterdam oder Hamburg deutlich verkomplizieren«, heißt es Seitens des Logistikers.

Warten oder handeln?

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es laut Kühne + Nagel außerdem unmöglich, eine Aussage über die tatsächliche weltweite Verfügbarkeit von Wiegestationen zu machen. Auch bei Panalpina sieht man Engpässe voraus. »Hauptproblem ist, dass erst wenige Länder genaue Spezifikationen an die Klasse der zu verwendenden Waagen definiert haben. Solange keine ausreichend klaren Vorgaben seitens des Gesetzgebers vorliegen, müssen mögliche Investitionen aufgeschoben werden«, sagt Dennis Heineke, Global Head of Ocean Freight Governance & NVOCC Management. In letzter Minute könne es zu einem Run auf entsprechend geeichte und zertifizierte Waagen kommen.

Bei Schenker sieht man das etwas entspannter. Wiegevorrichtungen für Container seien bereits weit verbreitet. Die Umschlagterminals in den Häfen, sowie die Containeryards im Hinterland verfügten ebenfalls über die Grundvoraussetzungen. Ferner gibt es auch bereits mobiles Equipment zur Gewichtsermittlung, das z.B. in Container-Staplern verbaut sei.

Die Normierungsorganisation Bureau International des Containers (BIC) empfiehlt eindringlich allen Betroffenen, nicht auf die Entscheidungen nationaler Regierungen zu warten. Es sei völlig unerheblich, ob in einem Land 5% oder 2% Abweichung erlaubt seien, diese Grenzwerte seien nur für die Überprüfung der gemeldeten VGM maßgeblich. Der Verlader müsse akkurate Gewichtsdaten bereitstellen. Tue er dies mithilfe geeichten Equipments bestehe kein Anlass zur Sorge. Zudem würden die rechtlich erlaubten Abweichungen beim VGM immer weit über den Abweichungen kalibrierter und zertifizierter Waagen liegen.

Ausnahmen in der Übergangszeit?

Die Bruttogewichte werden zwar erst ab 1. Juli verlangt, gelten dann jedoch unter Umständen auch für Container, die noch vorher verschickt wurden. Wenn die Box vor dem 1. Juli gepackt und verschickt wird und nach dem ersten Juli in einem Transshipment-Hafen zum Weitertransport auf ein anderes Schiff geladen wird, muss spätestens an dieser Stelle die VGM vorliegen. »Hier gibt es seitens der Carrier widersprüchliche Aussagen, ob in diesem Fall ein Container-Bruttogewicht bereits bei Buchung vor dem 1. Juli übermittelt werden muss«, sagt Heineke von Panalpina.

Die IMO verweist auf Nachfrage auf SOLAS Chapter VI, Regulation 2, §6. Darin heißt es, falls die VGM nach dem 1. Juli nicht vorliegt, sind für deren Erhebung der Kapitän bzw. sein Vertreter und der Repräsentant des Terminals zuständig. Ohne VGM keine Verladung aufs Schiff, eine Ausnahmeregelung im SOLAS gibt es ausdrücklich nicht. Es sei jedoch wahrscheinlich, dass die Mitgliedsstaaten einen pragmatischen Ansatz im Umgang mit solchen Containern wählen, meint die IMO. Für die Übergangszeit könnte es also individuelle Ausnahmeregelungen geben. Dann müssten vor dem 1. Juli verschickte Container auch im Transshipment-Hafen nicht gewogen werden und könnten ohne VGM bis zum Ziel transportiert werden. Die IMO empfiehlt Carriern und Verladern trotzdem, sich bei Transporten im fraglichen Zeitraum schon im Vorfeld abzustimmen. Reedereien sollten im Zweifelsfall einen Frachtvertrag nur bei Vorliegen der VGM vor dem 1. Juli unterschreiben. Heineke befürchtet, dass Container im großen Stil stehenbleiben könnten, wenn das Bruttogewicht nicht rechtzeitig vorliegt. »So könnten unvorhergesehene Kosten verursacht werden, welche die Versender möglicherweise nicht bereit sind zu tragen.«

Auch an den Terminals müsste ab dem Stichtag entsprechendes Equipment zum Wiegen zur Verfügung stehen. Allerdings gebe es keine Garantie, dass das der Fall sein werde, sagt die IMO. Betroffen wären nicht nur Container, die per Schiff vor Juli auf die Reise gehen. Container, die zunächst per Bahn, Binnenschiff oder Lkw transportiert werden, müssen auch nach dem 1. Juli nicht gewogen sein. Erst vor der Verladung auf ein Seeschiff müssen die Daten vorliegen. INTTRA-CEO Fay mahnt, trotz der Probleme nicht auf einen Aufschub der VGM-Bestimmung zu hoffen: »SOLAS ist in seiner Geschichte noch nie verschoben worden.«


Felix Selzer