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Die Seeschiffe sind in den vergangenen Jahren immer größer geworden.

Ein Ende dieser Entwicklung ist noch nicht in Sicht. Welche Folgen die Schiffsgrößenentwicklung für die verwendeten Baumaterialien hat und worauf es zu achten gilt
Die größer werdenden Schiffe mit steigenden Tonnagen haben durchaus Einfluss auf den im Schiffbau verwendeten Stahl, denn an die Materialien[ds_preview] werden höhere Anforderungen bezüglich ihrer Festigkeit gestellt. Die Festigkeit des Stahls wird im linear-elastischen Bereich durch die Streckgrenze charakterisiert, diese wird in Newton pro Quadratmillimeter (N/mm2) oder auch in Megapascal (MPa) angegeben. Die Streckgrenze gibt Aufschluss darüber, wie stark der Werkstoff maximal belastbar ist, bis er anfängt zu fließen.

Es gibt natürlich die Option, die Stahlplatte von vornherein dicker zu machen. Dies ist jedoch gleichbedeutend mit einem höheren Gewicht des gesamten Schiffes und kann daher nicht immer in Betracht gezogen werden. Doch noch ein zweiter Punkt spricht gegen dickere Stahlplatten: Konventionelle Schweißverfahren erfordern bei dicken Platten mehrere Lagen, somit wird viel Zeit benötigt und viel Wärme eingetragen. Auch deshalb stellen sehr dicke Platten und die benötigte große Anzahl an Schweißlagen ein Problem dar.

Höherfeste Stähle

Bei großen Schiffen kommt heutzutage immer häufiger der sogenannte höherfeste Stahl zum Einsatz. Im Schiffbau liegt die Streckgrenze dann zumeist zwischen 355 und 450 N/mm2, bei Offshore-Einrichtungen sogar bei bis zu 550 N/mm2. Bei üblichen normalfesten Stählen ist die Grenze bei 235 N/mm2 erreicht. Auch hier ist das Schweißen eine große Herausforderung. »Je fester der Stahl ist, also je höher seine Streckgrenze ist, desto schwieriger ist er zu schweißen«, sagt Prof. Sören Ehlers, von der Technischen Universität Hamburg-Harburg. Bei stärkeren Stählen sei deshalb eine bessere Kontrolle notwendig.

Bei der Biegung einer Stahlplatte entsteht die größte Spannung an der Ober- und Unterseite. Bei einem Schiffskörper bei ebener Biegung ist dies im Boden und am oberen Deck. Diese höherfesten Stähle würden es dann bei quasi-statischer Last unter linear-elastischer Annahme erlauben, die Extrema im Deck und Boden bis zur neuen zulässigen Spannung zu verschieben, sagt Ehlers. Allerdings wird dieser Effekt reduziert, da die Betriebsfestigkeit mit höherer Festigkeit des Grundwerkstoffes nicht notwendigerweise zunimmt und in der Regel nur wenig über der Betriebsfestigkeit von normalfesten Güten liegt.

Der Klassifikationsgesellschaft DNV GL zufolge ist der Einfluss der Seebewegung bei den heutigen Ultra Large Container Vessels (ULCV) – das sind Schiffe mit einer Länge von bis zu 400m, einer Breite von über 56m und einem Tiefgang von bis zu 16m – ausgeprägter, wenn sich z.B. entweder Bug und Heck gleichzeitig auf einem Wellenberg befinden, mit dem Wellental in Schiffsmitte, oder wenn sich die Mitte des Schiffe auf einem Wellenberg befindet. Beides führe zu sehr hohen Belastungen in der Schiffslängenmitte.

Aus Sicherheitsgründen fordern daher die Klassifikationsgesellschaften, dass Schweißverbindungen in den besonders kritischen Bereichen, bei Containerschiffen neben dem oberen Deck auch im Bereich der Lukensüllstruktur, eine Mindest-Bruchzähigkeit aufweisen. Gleichzeitig sind die Anforderungen an die Zerstörungsfreien Prüfverfahren (ZfP) höher, da mehr Schweißverbindungen geprüft werden müssen. In bestimmten Bereichen gilt es, Rissinitiierungen zu verhindern sowie – falls anderenorts entstanden – einen Riss aufzufangen. Dies soll durch die Verwendung entsprechender höherfester Stähle geschehen. An diesem komplexen Feld wird nach Auskunft des TUHH-Professors gegenwärtig geforscht. Ziel ist es, die Kapazitäten bestmöglich ausschöpfen zu können. Auch Meyer Turku untersucht nach eigenen Angaben vermehrt die Verwendung von höherfesten Stählen, um ihn in die großen Kreuzfahrtschiffe einzusetzen.

reijähriges Forschungsprojekt

Höherfeste Stähle seien darüber hinaus besser geeignet bei tiefen Temperaturen, sagen Experten. Wenn man bedenkt, dass die Eisdicke in den arktischen Gebieten weiter abnimmt, sodass die Handelsschifffahrt ihre Routen künftig in diese Gebiete verlegen könnte, ist dieses Thema aktuell für Schiffbauer und auch für Reedereien von besonderem Interesse. Dennoch herrschen in diesen Gebieten weiterhin saisonale Minusgerade, weshalb die Werkstoffe hier extremen Anforderungen standhalten müssen.

Obwohl bekannt ist, dass sich mit sinkenden Temperaturen die Werkstoffeigenschaften von Stahl und Schweißverbindungen ändern, sind die dabei auftretenden Effekte bisher nur wenig erforscht, weswegen große Teile maritimer Strukturen oftmals noch aus normalfesten Stahl gefertigt werden. Bei sorgfältiger Beachtung der Einsatzkriterien, der Fertigungsabläufe sowie der Weiterentwicklung bestehender Bauvorschriften für maritime Strukturen könnte die Anwendung höherfester Stähle jedoch erhebliche Vorteile bieten und folglich den Absatz der hiesigen Industrie steigern, sagen Experten.

Zu Beginn dieses Jahres wurde deswegen ein dreijähriges Forschungsprojekt gestartet, das sich mit der Anwendbarkeit höherfester Stähle bei Minusgeraden beschäftigt. An dem rund 370.000€ teuren Projekt sind neben der TUHH die Unternehmen Dillinger Hütte, DNV GL, Flensburger Schiffbau-Gesellschaft (FSG), Mareval und Rambøll Energy beteiligt.

Ziel des von der Forschungsvereinigung der Arbeitsgemeinschaft der Eisen und Metall verarbeitenden Industrie (AViF) geförderten Vorhabens ist es, die Anwendbarkeit höherfesten Stahls in ermüdungsfestigkeitsrelevanten Bereichen nachzuweisen und somit dessen bessere statische Eigenschaften konstruktiv optimaler ausschöpfen zu können. Hierfür soll das Verhalten von Grundwerkstoffen und üblichen Schweißverbindungen an höherfesten Stählen bis minus 50°C experimentell und rechnergestützt ermittelt werden.

Der Erkenntnisgewinn über das Ermüdungsverhalten geschweißter Strukturen verschiedener Stahlfestigkeiten unter extremer Kälteeinwirkung sei maßgeblich sowohl für deren vermehrten Einsatz als auch für zukünftige Entwicklungen neuer Stähle unter Minusgraden, so die Forscher. Nach Abschluss des Vorhabens soll in Absprache mit der beteiligten Klassifikationsgesellschaft die Basis für die Zulassung von Stählen und Verbindungen unter extremen Bedingungen erweitert werden.
Thomas Wägener