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Der Prämieneinbruch bei Warentransport, Seekasko und Offshore macht den Versicherern und Rückversicherern schwer zu schaffen. Die möglichen Auswirkungen der Hanjin-Insolvenz auf die Policen sind dabei noch völlig unklar.

Dass die Transportversicherung kein leichtes Feld ist, liegt auf der Hand. So schwierig wie derzeit sind die Marktbedingungen für die[ds_preview] Risikoträger aber wohl noch nie gewesen. Auch wenn der Seekaskosektor unterm Strich schon seit vielen Jahren defizitär ist, konnten zumindest die Cargo- (Warentransport) und Offshore-Energie-Sparten immer wieder Überschüsse vorweisen. Doch auch damit könnte es nun vorbei sein.

Denn im vergangenen Jahr sind die Prämieneinnahmen in allen Bereichen gleichzeitig gefallen, obwohl es bei den Risiken keinesfalls Entwarnung gab. Das wurde auf dem Jahreskongress der International Union of Marine Insurance (IUMI) in Genua deutlich. Quer über alle Segmente gaben die Prämienumsätze laut der jüngsten Verbandsumfrage weltweit um 10,5 % auf 29,9 Mrd. $ nach. Damit setzt sich der Negativtrend aus dem Vorjahr (2014), als die Umsätze um 3 % fielen, mit Tempo fort.

Den gravierendsten Einbruch verzeichnet die Assekuranz im Offshore-Energie-Sektor mit Deckungen für Bohrplattformen, Pipelines und andere Offshore-Anlagen. Hier fiel das Prämienaufkommen im Jahr 2015 der IUMI-Statistik zufolge mit insgesamt 4,5 Mrd. $ um rund 20% geringer aus als im Vorjahr. Der Rückgang ist der stark gesunkenen Aktivität und verminderten Auslastung der Offshore-Förderanlagen in Folge des Ölpreis-Verfalls geschuldet.

Laut Clarksons Research sind die Offshore-Förderkapazitäten im Rohöl- und Gasbereich heute nur zu 70% ausgelastet. Die weltweiten Ausgaben für Erschließung und Produktion (E&P) sollen 2015 um 20% und dieses Jahr um weitere 25% zurückgeschraubt worden sein. »Eine solchen Abschwung haben wir seit 30 Jahren nicht mehr erlebt«, sagte Simon Williams, Vorsitzender des IUMI-Offshore-Komitees.

Umso schlimmer für die Versicherer sei, dass sie der Nachfragerückgang inmitten eines »weichen« Prämienmarktes mit weiter steigenden Deckungskapazitäten treffe. Angesichts der verringerten Einnahmen könnten sich einzelne Großschäden für den Gesamtmarkt noch verheerender als vorher auswirken, warnte Williams.

Etwas besser stellt sich Lage in der Warentransportversicherung (Cargo) dar. In diesem Marktsegment sackte das Prämienaufkommen 2015 laut IUMI zwar auch um gut 9% auf weltweit 15,8 Mrd. $ ab. Doch anders als im Offshore- und im Seekasko-Segment lässt sich der Rückgang hier ganz wesentlich durch Währungseffekte erklären. Denn die Waren-Policen werden häufig in der lokalen Währung der Ex- und Importeure abgeschlossen, weshalb die Aufwertung des US-Dollars im Verlauf des vergangenen Jahres die Prämienumfänge automatisch nach unten drückt. Wie stark dieser Effekt sein kann, machte IUMI-Statistikerin Astrid Seltmann am Beispiel des deutschen Warenversicherungsmarktes deutlich. In Dollar gemessen seien die Umsätze um 12% gesunken, währungsbereinigt hingegen nur um 2%.

Als sicher gilt unterdessen, dass viele Versicherungen mit Cargo-Deckungen gar kein Geld mehr verdienen. Hohe Schäden, unter anderem im Zusammenhang mit der schweren Explosion im chinesischen Hafen von Tianjin im August 2015, haben Seltmann zufolge die vorläufige Schadenquote für das Jahr 2015 auf 69% hochgetrieben. Eine weitere Verschlechterung der Quote sei im Zuge der Hanjin-Insolvenz und der Explosion eines Satelliten (Amos 6), der im Warenmarkt versichert war, zu befürchten. Sollte sie sich bei über 70% einpendeln, wäre klar, dass der durchschnittliche Versicherer nach Akquisitions- und Betriebskosten kein Geld verdient hat.

Im Seekaskomarkt dürfte sich ein Verlust kaum mehr abwenden lassen. Seltmann hat für dieses Segment eine vorläufige Schadenquote von 75% errechnet – gegenüber 71% im Jahr 2014 und 68% im Jahr 2013, dem wohl einzigen profitablen Jahr für die Seekaskobranche in den letzten zwei Jahrzehnten. Global sanken die Prämieneinnahmen in dem Segment im vergangenen Jahr erneut um 8,4% auf 7,5 Mrd. $, was nicht allein mit Währungseffekten zu erklären ist, da der absolute Großteil der Kaskoverträge ohnehin in der US-Währung abgeschlossen wird.

Schuld an der Prämienerosion seien einerseits die gesunkenen Versicherungswerte in der Bestandsflotte und andererseits die Preisnachlässe, erklärte Mark Edmondson, Vorsitzender des IUMI-Seekasko-Komitees und Leiter Transportversicherung bei Chubb Global Markets.

»Das Risikoprofil der Weltflotte entwickelt sich weiter, aber die Prämienbasis halt damit nicht Schritt.« Erhebliche Zeichnungsüberkapazitäten bestünden vor allem in Fernost, zudem gebe es Anzeichen für neue Start-ups im Seekaskogeschäft im Londoner Markt, stellte Edmondson fest.

Wie die übrigen Transportsparten leide der Seekaskomarkt darunter, dass aufgrund der historisch niedrigen Zinsen viel Risikokapital auf der Jagd nach Renditen in den Versicherungsmarkt dränge, erklärte Patrizia Kern-Ferretti, Vorsitzende des Statistikkomitees der IUMI. »Solange es kaum andere interessante Investitionsmöglichkeiten gibt, wird der Versicherungssektor für neues Kapital attraktiv bleiben«, sagte sie. Die schwierigen Bedingungen im Nischengeschäft der Transportversicherung, die genauso wie die Schifffahrt heute nicht einmal ihre Kosten decken kann, fielen bei einer Gesamtbetrachtung der Versicherungswirtschaft gar nicht mehr ins Gewicht.

Weder Edmondson noch Kern Ferretti sehen Anzeichen für eine Trendwende im Seekaskogeschäft. Nur durch eine möglichst umsichtige Zeichnungspolitik und strenge Risikoauswahl könnten sich die Gesellschaften in diesem Marktumfeld behaupten. Ein scheinbar unauflösbares Problem für Transportversicherer in allen Segmenten stellt zudem die immer größere Konzentration von Werten und Risiken auf einzelnen Schiffen oder Offshore-Anlagen dar.

Aktuelle Daten dazu lieferte Matthew Cocchiaro, Director der Marktforschungsfirma IHS Maritime & Trade. So hätten sich beim Erstanlauf des CMA CGM-Großcontainerschiffs »Benjamin Franklin« (18.000 TEU) an der US-Westküste Waren im Gesamtwert von 985 Mio. $ an Bord befunden, womit sich ein denkbarer Totalschaden des beladenen Frachters auf weit über 1 Mrd. $ belaufen würde. Grundsätzlich seien die Wertumfänge an Bord ein und desselben Containerschiffs beträchtlichen Schwankungen unterworfen, da »viel Ladung saisonal bedingt ist«, wie der Marktforscher unterstrich.

Im Fall des deutschen Containerschiffs »MSC Flaminia«, das 2012 im Atlantik in Flammen aufging, hatten die Warenversicherer laut Cocchiaro noch Glück im Unglück gehabt: Bei der verhängnisvollen Reise hatte der Frachter Waren im Wert von 150 Mio. $ an Bord – auf einer früheren Reise seien es dagegen 600 Mio. $ gewesen.

Rechtslage bei Hanjin unsicher

Für große Verunsicherung vor allem innerhalb der Warenversicherung sorgt die Insolvenz der koreanischen Linienreederei Hanjin Shipping, da sich an Bord aller Schiffe Ladung im Wert von etlichen Milliarden Dollar befindet, die jetzt nur mit Verspätung oder gegen Zusatzkosten zugestellt werden kann.

Im italienischen Hafen La Spezia waren nach Angaben des italienischen Spediteursverbandes 2.500 beladene Hanjin-Container von Gläubigerseite gepfändet worden. Nur durch die Stellung von Bankgarantien könnten die Empfänger eine Freigabe erzwingen. Auch in anderen Regionen verlangen Terminals zusätzlich Geld für die Container-Freistellung von Spediteuren und Verladern, um für Zahlungsausfälle ihres Kunden Hanjin gewappnet zu sein.

Die deutsche Sachverständigenfirma Battermann & Tillery hat im Zusammenhang mit der Hanjin-Insolvenz von einem ihrer Kunden einen größeren Auftrag für Containerbesichtigungen in Shanghai erhalten. Der Kunde müsse derzeit 4.000 $ Kaution für jeden freizustellenden Hanjin-Container an das Terminal zahlen und sei besorgt, dass er das Geld bei Rücklieferung der Boxen nicht zurückbekomme. »Man befürchtet, dass das Geld einbehalten werden könnte unter dem Vorwand, dass sich der Zustand der Container verschlechtert habe«, so Geschäftsführer Patrick Tillery.

Durch Gutachten seiner Firma bei der Auslieferung der Container solle derartigen Unregelmäßigkeiten vorgebeugt werden. Battermann & Tillery habe zudem weitere Anfragen für Besichtigungen von verderblicher Ware an Bord von Hanjin-Schiffen bekommen, die bei einer verspäteten Auslieferung unbrauchbar sein könnte.

Von den Warentransportversicherern können sich Ladungseigner aber wohl nur begrenzt Schadenersatz erhoffen. Zusatzkosten wie Zahlungen auf Forderungen des Terminalbetreibers zur Freigabe der Güter dürften nur im Einzelfall als »Aufwendungen zur Abwendung oder Minderung von Schäden« gelten und entsprechend rückerstattet werden. Unmittelbare Schäden wie der Verderb von Fruchtladungen wären bei den häufig anzutreffenden Sondervereinbarungen wohl gedeckt. Auch Ausfälle bei Saisonware (etwa Herbstmoden), die nicht mehr in den Verkauf gehen könne, stelle unter Umständen einen versicherten Totalverlust dar, hieß es in Expertenkreisen.

Folgeschäden bei den Empfängern aufgrund verspäteter Ablieferungen fallen im deutschen Markt dagegen nur bei Vereinbarung der unverbindlichen Vermögensschadenklausel der DTV-Güter 2000 »in engen Grenzen« unter den Versicherungsschutz, heißt es seitens des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Schäden oder Kosten, die durch einen ordnungsgemäßen Arrest von Hanjin-Schiffen bedingt sind, seien in jedem Fall wegen des »Eingriffs von hoher Hand« nach deutschen Standardbedingungen ausgeschlossen. Nur bei Vereinbarung der unverbindlichen Beschlagnahmeklausel der DTV-Güter 2000 könnte sich eine andere Beurteilung ergeben.
Michael Hollmann