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Seit dem Jahr 2009 wird zunehmend auch auf das LTAV-Bewertungsverfahren (Long Term Asset Value) zurückgegriffen um den Wert eines Schiffes zu bestimmen, nicht mehr nur auf das Vergleichswertverfahren
Traditionell wird der Marktwert eines Schiffes, wie bei vielen auf Basis zeitnaher Verkäufe ohne Berücksichtigung von Einkünften ermittelt. Insbesondere Banken[ds_preview] fordern aus aufsichtsrechtlichen Risikogesichtspunkten eine stichtagbezogene Marktwertermittlung.

In vielen Marktsegmenten der Schifffahrt sind heute allerdings keine herkömmlichen Verhältnisse mehr gegeben, der An- und Verkaufsmarkt wird von Notverkäufen dominiert, so das oft die erzielten Preise unter normalen Umständen wohl nicht zustande gekommen wären.

Bei der ausschließlichen Zugrundelegung eines stichtagbezogenen Marktwertes wird nicht berücksichtigt, dass Schiffe, vergleichbar mit Unternehmungen anderer Branchen, längerfristig betrieben werden sollten, um Erträge zu generieren.

Es ist für schifffahrtsfremde Unternehmen üblich, dass Investoren oder Banken das langfristige Ertragspotenzial in die Entscheidung eines sinnvollen Investments bzw. in die Vergabe eines Kredits einbeziehen. Daher werden bei derartigen Investitionen neben dem Kaufpreis auch die zu erwartenden Erträge berücksichtigt. Dies wurde bisher nicht bei der Wertbetrachtung eines Schiffes berücksichtigt.

Die anerkannte Methode zur Ermittlung des Ertragspotenzials bzw. des Ertragswertes eines Unternehmens ist die so genannte DCF-Merthode (Discounted Cash Flow).

Um eine von Marktstörungen unabhängige, am langfristigen und nachhaltigen Ertragspotential eines Schiffes orientierte Bewertungsgrundlage zu erhalten, die bei funktionierenden und insbesondere bei gestörten Märkten einen konservativen, objektivierten und nachhaltigen Ertragswert eines Schiffes bestimmt, wurden die »Hamburg Ship Evaluation Standards« (HSES) entwickelt. Basis für dieses Verfahren ist das Barwert- bzw. das DCF-Verfahren, angepasst an die Erfordernisse der Schiffsbewertung. Durch die HSES / den LTAV soll das traditionell in der Schifffahrt angewandte Vergleichswertverfahren ergänzt, jedoch nicht abgelöst werden, um so einen zweiten Indikator für den Wert eines Schiffes zu haben.

Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) hat eine Validierung des HSES durchgeführt. Sie kam zu dem Schluss, dass der HSES ein plausibles und angemessenes Bewertungsverfahren ist und dem vom Institut der Wirtschaftsprüfer herausgegebenen Standard IDW S1 entspricht. Ähnliche Ertragswertverfahren werden auch in anderen Asset-Klassen angewandt, wie zum Beispiel in der Flugzeugindustrie und in der Immobilienbranche.

An einer zunehmenden Anzahl von Schiffsbewertungen mittels des LTAV kann festgestellt werden, dass zur Beurteilung neben dem Vergleichswertverfahren auch das LTAV-Verfahren herangezogen wird und dass eine Berücksichtigung des Ertragswertes vermehrt auch international Eingang in die Schifffahrt findet. So werden Wertgutachten gemäß HSES sowohl aus dem europäischen Ausland als auch insbesondere aus dem asiatischen Raum nachgefragt.

Bei den Bestellern von Wertgutachten nach dem LTAV-Verfahren gemäß HSES handelt es sich um eine recht breite Gruppe, wie z.B. Banken, Investmentgesellschaften, Wirtschaftsprüfern, Reedereien unter vielen anderen.

Auch die Aufsichtsbehörden, wie Europäische Zentralbank, die Deutsche Bundesbank und die BaFin akzeptieren mittlerweile Ertragswertermittlungen nach dem DCF Verfahren, wenngleich Sicherheitsabschläge von 12% vom ermittelten Wert vorgeschrieben werden. Insofern zeigt auch eine steigende Nachfrage nach Wertgutachten gemäß HSES, dass das LTAV-Verfahren durchaus seine Berechtigung findet.

Bernd Holst