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Die deutschen Häfen gelten als weltweit führend in Bezug auf Eisenbahnverkehre und Modal Split. Um diese Position dauerhaft zu halten und soweit möglich auszubauen, müssen sie auch die Möglichkeiten der Digitalisierung aufgreifen. In Bremerhaven arbeitet man einer Idee für autonomes Rangieren
Mit ihrer mehr als 150-jährigen Tradition als Eisenbahnhäfen und ihrer eigenen Bahn-Infrastruktur haben sie eine besondere verkehrliche Position[ds_preview] und Verantwortung. Bemerkenswert ist, dass der Bahntransport trotz seiner anerkannt positiven Umweltwirkung über die vergangenen Jahrzehnte vergleichsweise wenig innovationsorientiert war. Deutlich wird dies aus der Hafenperspektive darin, dass ein Seeschiff mit einer Transportkapazität von heute bis zu 22.000 Containern nur wenige Minuten nach dem Anlegen bereits be- und entladen wird. Ähnlich verhält es sich im Hinterlandverkehr mit Lkw oder auch mit dem Binnenschiff. In beiden Fällen sind die Prozesse grundsätzlich so gestaltet, dass zwischen der Ankunft im Terminal und der Be-und Entladung keine Leerläufe und unnötige Wartezeiten entstehen. Im Bahnbetrieb dagegen wird nach der Einfahrt eines Zuges in das Hafengebiet zunächst die Streckenlok vom Zug getrennt. Danach erfolgt der Transport der Züge bzw. Waggons per Rangierlok zu den Terminals, in denen zunächst Kontrollarbeiten am Zug und an der Ladung erforderlich werden. In der Konsequenz erfolgen die ersten Ladungsbewegungen an einem Güterzug erst Stunden nach der Ankunft im Hafengebiet. Ähnlich verhält es sich nach Abschluss der Ladearbeiten. Züge mit Importwaren benötigen durch die vorgeschriebenen Bremsproben, durch Ladungskontrollen und Rangierarbeiten im Mittel etwa zwei Stunden bevor sie das Hafengebiet zu ihren Zielorten im nationalen und europäischen Güterverkehr verlassen können. Das bedeutet, dass die Schiene im Vergleich der Verkehrsträger bezogen auf den zeitlichen Aufwand deutlich benachteiligt ist – in erster Linie durch bahnbetriebliche Regelungen und Vorschriften.

Der entsprechende Handlungsbedarf ist offenkundig, dennoch sind viele der bisherigen Innovationsvorstöße erfolglos geblieben. So sind automatische Kupplungen, automatische Bremsproben, Fernsteuerungen von Zügen, automatisierte Ladungskontrollen, Hindernisdetektionen und viele weitere bahntechnische Optimierungen längst technisch möglich bzw. erprobt. Sie konnten sich bislang am Markt aber nicht etablieren, so dass die Schiene ohne eine klare Hinwendung zu technischen Innovationen und digitalen Prozessoptimierungen im Verkehrsträgervergleich weiter zurückzufallen droht. Sofern die deutschen Häfen ihre führende Position als Eisenbahnhäfen halten und ausbauen wollen, sind Innovationen im Hafen-Bahnbetrieb unabdingbar.

Autonome Rangierlok (Rang-E 4.0)

Eine langfristige Zielstellung liegt beispielsweise in einem autonomen Rangierbetrieb auf der Bremischen Hafeneisenbahn am Standort Bremerhaven. Dieses Ziel wird über unterschiedliche Zwischenschritte der Prozessautomatisierung erreicht, wobei die Einführung eines vollständig und zentral ferngesteuerten Rangierbetriebes bei einem aktivem Engagement aller am Bahnprozess Beteiligten bereits ab 2027 möglich erscheint.

Zum Status quo übernehmen mehrere, im Wettbewerb zueinander stehende Rangierdienstleister die Aufgabe, die Züge, die in Bremerhaven vorwiegend mit Automobilen und Containern beladen sind, von den Einfahrtsgleisen zu den Umschlagterminals und umgekehrt zu transportieren. Den eigentlichen Schienengütertransport von und zu den Zielen im nationalen und europäischen Hinterlandverkehr übernehmen danach die jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmen. Diese derzeit rund 80 Unternehmen sorgen zugleich dafür, dass die elektrisch betriebenen Streckenlokomotiven mit den jeweiligen Lokführern für die Ein- und Ausfahrt aus dem Hafengebiet zur Verfügung stehen. Die Eisenbahnverkehrsunternehmen sind die Auftraggeber für die Rangierdienstleister.

Aktuell werden am Standort Bremerhaven an sieben Tage pro Woche und 350 Tagen pro Jahr insgesamt 13 Rangierlokomotiven unterschiedlicher Bauart und unterschiedlichen Alters vollständig auf Dieselbasis betrieben. Zum Betrieb einer Rangierlok sind jeweils der Lokführer und ein Rangiermitarbeiter notwendig. Die Einsatzplanung erfolgt über die ebenfalls vor Ort mit Büroarbeitsplätzen ansässigen Disponenten der entsprechenden Rangierunternehmen. Der eigentliche Fahr- und Rangierbetrieb erfolgt nach den Vorgaben der Betriebsführung der Bremischen Hafeneisenbahn, wobei die dortigen Disponenten, die entsprechende Gleisnutzung vorgeben und die Fahrdienstleister auf den Stellwerken die Fahrtstrecken festlegen und freigeben. Weitere wesentliche Beteiligte an den Hafeneisenbahnprozessen sind die Umschlagbetriebe bzw. Terminals, da sie mit dem Beladen und Löschen der Waggons letztlich den Gesamttakt für die Zugbewegungen definieren.

Grundsätzlich folgen in Bremerhaven die Lade-und Löschprozesse sowohl im Container- als auch im Automobilverkehr zuvor definierten Slotzeiten. Die tatsächlichen Abläufe berücksichtigen darüber hinaus die jeweiligen Ladezustände der Waggons, so dass möglichst keine Leerläufe und Wartezeiten entstehen. Eine unmittelbare vertragliche Beziehung zwischen den Terminals, der Hafenbahn-Betriebsführung und den Rangierdienstleistern besteht nicht, so dass der Kommunikation und Abstimmung der Beteiligten eine besondere Rolle zukommt. Aufgrund der Auftragsverhältnisse der RDL gegenüber den Eisenbahnverkehrsunternehmen kann es vorkommen, dass die Rangierlok eines RDL in einen bestimmten Hafenbereich umgefahren werden muss, obwohl ein anderer RDL dort zu dem Zeitpunkt über eine einsatzbereite Rangierlok verfügt hat. Aus Hafengesamtsicht unnötige Umfuhrprozesse von Lokomotiven entstehen auch im Falle von Pausen und Schichtwechseln.

Eine grundlegend neue Überlegung besteht darin, den Gesamtprozess des Hafeneisenbahnrangierbetriebes autonom zu gestalten. Im Ergebnis würden deutlich weniger Lokomotiven als bisher am Standort zum Einsatz kommen. Diese, voraussichtlich elektrisch betriebenen autonomen Rangierlokomotiven (Rang-E 4.0) würden übliche Leerfahrten nahezu vollständig vermeiden. Sie würden die Fahrtaufträge aufgrund einer vollständigen Vernetzung bzw. optimierten IT-Schnittstellen mit den Terminalbetrieben und mit der Hafeneisenbahnbetriebsführung sowie gegebenenfalls auch mit der DB Netz AG und den Eisenbahnverkehrsunternehmen vorausschauend und kapazitätsoptimiert durchführen und so zu einer Prozessoptimierung im Schienengüterverkehr beitragen. Erwartbare Effekte bestehen in den folgenden Bereichen:

– Vereinfachung von Betriebsabläufen

– Vermeidung von Leerfahrten

– Reduktion des Rangier-Fuhrparks (Einspareffekt rund 30%)

– Vermeidung kommunikativer Schnittstellen

– Optimierte Infrastrukturnutzung mit deutlichen Einspareffekten

– Reduktion des betrieblichen Aufwandes (auf der Lok und im Büro) durch Einsparung des Personals

– Verbesserung der Arbeitssicherheit

– Reduktion von Störungen im Betriebsablauf

Die selbständig agierenden Rangierlokomotive Rang-E 4.0, zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:

– Sie weiß immer wo sie ist und wo sie hin will

– Sie kommuniziert ständig mit allen Hafen-Beteiligten über die jeweiligen Systemzustände, Planungen, Störungen (verfügt über Schnittstellen zu allen Hafen-IT Systemen)

– Sie hat einen vollständigen Überblick über den Hafen-Gleisspiegel, die Lade- und Löschzeiten in den Terminals, die geplanten Slots, die tatsächlichen An- und Abfahrtzeiten der Züge, die Verfügbarkeit der Lokführer…

– Sie weiß im Voraus, was als nächstes und übernächstes und überübernächstes zu tun ist

– Sie sorgt für eine optimierte Nutzung von Fahrstraßen und eine optimierte Belegung von Gleisen (Infrastrukturoptimierung)

– Sie braucht keine Pause

– Sie fährt emissionsfrei

– Sie arbeitet im Schwarm (voraussichtlich neun Einheiten bei der heutigen Verkehrsmenge)

Es ist davon auszugehen, dass vor der Einführung eines autonomen Rangierbetriebes auf der Bremischen Hafeneisenbahn eine Vielzahl betrieblicher, eisenbahnrechtlicher, unternehmerischer, finanzieller und organisatorischer Fragen zu klären ist. Diese Fragestellungen sollen im Rahmen eines IHATEC–Vorhabens näher untersucht und jeweils Lösungsansätze erarbeitet werden.

Iven Krämer