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Im Golf von Aden hat sich nach dem Rückgang der Piraterie eine gefährliche Gemengelage mit Seeräubern, Terroristen und Schmugglern entwickelt. Das birgt hohes Risiko für die Schifffahrt – zumal jüngste Pirateriefälle zeigen, dass mehr Nachhaltigkeit im Kampf gegen die Kriminellen nötig ist. Von Michael Meyer

Ja, es stimmt, die Zahl der Pirateriefälle vor Ostafrika hat drastisch abgenommen. Auch das Wiederaufflackern seit dem Spätherbst 2016 ist[ds_preview] – relativ betrachtet – nur ein Aufflackern. Jedoch zeigen die Attacken auch den Optimisten in der Branche, dass die Gefahr keinesfalls gebannt ist. Immer wieder testen Piratengruppen ihre Grenzen aus, immer wieder kommt es zu Schusswechseln mit Sicherheitskräften. Angeblich sollen sich in den ehemaligen Hotspots Harardheere und Hobyo sowie in Puntland wieder einige jener Piratengruppen geformt haben, die in der Vergangenheit erfolgreich waren.

Aber auch unabhängig davon ist die Sicherheit im Golf von Aden und am Horn von Afrika fragil. Das ist die Kehrseite der erfolgreichen Bekämpfung der Seeräuberei: Die multinationalen Marinemissionen, die Operationen einzelner Staaten wie Russland, China, Indien oder Iran sowie der Rückgriff auf private Sicherheitsfirmen haben sich vor allem auf Piraterie fokussiert, um nicht zu sagen: beschränkt.

Weil weniger Piraten aktiv und weniger Militärs vor Ort sind, ist das Risiko für andere illegale Aktivitäten auf See höher. Zugegeben: Es gab Drogen- und Waffenfunde durch die EU-Mission »Atalanta« und die US-geführten »Combined Maritime Forces« (CMF). Letztere soll zwischen 2010 und 2016 rund 2,2t Heroin und 16t Haschisch aufgebracht haben. Das war jedoch eher »Beifang«.

Somalia hat eine lange Küstenlinie, die ausschließliche Wirtschaftszone (EEZ) umfasst über 825.000km2, das ist mehr als die der anderen Pirateriehotspots Nigeria, Ghana, Ägypten und Kenia zusammen. Nirgendwo sonst auf der Welt sei ein so großes Areal in der Verantwortung einer einzigen, derart schwachen Staatsgewalt, heißt es in einem Bericht der NGO One Earth Future (OEF). Die strategische Lage an einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt, gepaart mit der noch immer extrem schwachen politischen Durchsetzungsfähigkeit in dem von Jahrzehnten des Bürgerkriegs und Terrorismus zerrütteten Land machen Somalia zu einem Hotspot für maritime Kriminalität: Piraterie, illegale Fischerei, Schwarzhandel mit Holzkohle und Zucker, Waffen- und Drogenschmuggel oder Menschenhändler und Flüchtingsschleuser – all dies findet man am Horn von Afrika, in den Häfen und Gewässern Somalias. Die NGO Oceans Beyond Piracy (OBP) spricht von »turbulenten« soziopolitischen Rahmenbedingungen. Sie waren einst der Nährboden für das Aufkeimen der Piraterie und seien vor allem in den Hotspots an der Küste noch immer nicht beseitigt. OEF hat kürzlich eine der sehr wenigen Analysen veröffentlicht, in der diese Themen bei der Betrachtung der Lage einbezogen werden, ja sogar der Hauptbestandteil sind.

Ein tieferer Blick in den mit zahlreichen Verweisen belegten Bericht lohnt sich. Er offenbart die große Gefahr sowie die mangelnde Nachhaltigkeit der internationalen Bemühungen der vergangenen Jahre.

Es gibt zwar von internationaler Seite diverse Versuche, die Entwicklung in Somalia voranzutreiben, etwa die Ausbildung maritim-militärischer Strukturen oder den Aufbau effizienter politischer und juristischer Institutionen. Allerdings schränken die OEF-Experten ein: »Derartige Programme haben sicherlich substanziell zur kurzfristigen Verbesserung der maritimen Sicherheit beigetragen. Jedoch sind nachhaltige politische und finanzielle Unterstütung notwendig, wenn Somalia wirklich geholfen werden soll.«

Als positives Beispiel gilt die Küstenwache der autonomen Region Puntland (PMPF), sie wird unter anderem von den Vereinigten Arabischen Emiraten direkt unterstützt. »Solche Maßnahmen sind der Schlüssel für eine langfristige maritime Sicherheit«, so der OEF-Bericht weiter. Auch in der Provinz Somaliland ermöglicht die relativ gute Stabilität den dortigen Eliten ein größeres Engagement für maritime Sicherheit.

Datenaustausch unabdingbar

Jedoch seien solche Beispiele nur im Norden zu finden, der Süden und der zentralsomalische Einflussbereich der Bundesregierung sei weit schwächer aufgestellt. »Es gibt ermutigende Ansätze, aber die Küstenschutzabteilungen sind angesichts der Größe des Areals überfordert«, heißt es.

Das liegt unter anderem auch an den innerstaatlichen Konflikten an der Küste. Einzelne Regionen kämpfen gegen die Bundesregierung oder gegeneinander und gegen die Terroristen der islamischen al-Shabaab-Miliz. Zum Teil gibt es gar keine Küstenwache, in Galmudug oder Jubaland besteht sie lediglich aus 55 oder 150 Männern. Die Bundesregierung verfügt nur über 200 Mann und vier 9-m-Boote.

Selbst wenn es mehr Kapazitäten gäbe: Die Masse allein reicht nicht aus. Laut der Analyse wurden mittlerweile mindestens acht nationale, regionale oder lokale maritime Sicherheitsakteure aufgebaut, ohne das sich die Situation entschieden verbessert hätte. Das größte Problem ist, dass diese Organisationen nahezu unabhängig, ohne jede Koordination arbeiten. Weitaus effizienter könnte der Kampf gegen Piraten und andere Kriminelle geführt werden, wenn es einen institutionalisierten Informationsaustausch über Hintermänner, Attacken und Strategien gäbe – ein Austausch also, wie er im asiatischen Anti-Piraterie-Projekt ReCAAP sowie in Ansätzen auch in Westafrika verfolgt wird. Die Einheiten müssen in die Lage versetzt werden, die Probleme in den Griff zu bekommen, indem sie die nötigen Informationen erhalten. Der Informationsaustausch ist ein enorm wichtiges, allerdings auch ein sensibles Thema, weil einige staatliche Akteure nicht bereit sind, ihre Daten preiszugeben. Andererseits ist dies selbst in Südostasien mittlerweile gelungen, eine Region, in der die Regierungen sich »traditionell« misstrauen.

Zurück nach Somalia: Die 2010 gegründete PMPF verfügt alleine über 700 Männer, zwölf Schnellboote, drei Flugzeuge und zwei Hubschrauber. Damit habe sie Kapazität für viele Aufgaben und Einsatzgebiete, schreiben die Experten. Ohne die PMPF hätte die Befreiung der Crew der »Aris 13« im März 2017 weit länger gedauert, heißt es. »Die Einheit zeigt, was erreicht werden kann, wenn man den Somalis ausreichend Ressourcen gibt, damit sie ihre Sicherheit in die eigenen Hände nehmen können.«

Zu diesen Ressourcen gehört auch das Meer selbst. Wurde die Begründung somalischer Piraten, man sei zur Kriminalität quasi gezwungen worden, weil internationale Flotten illegal in den somalischen Gewässern fischen und den Einheimischen die Existenzgrundlage entziehen, oftmals belächelt, ist die Realität mittlerweile bekannt. Tatsächlich gibt es große Probleme mit illegaler Fischerei am Horn von Afrika. Das liegt aber nicht nur an der kriminellen Energie der Fischer, sondern auch an der schlechten oder widersprüchlichen Rechtslage. Wo die Regionen, für deren Nutzung Somalia zustimmen muss, anfangen und aufhören, ist umstritten. »Diese Schlupflöcher nutzen die internationalen Fischfangflotten. Eine einheitliche Regelung könnte dazu führen, dass der Fischfang zur wirtschaftlichen Entwicklung im Land beiträgt und dadurch finanzielle Ressourcen zur Stärkung der Sicherheit frei werden«, so der OEF-Report.

Aus der Analyse lässt sich die zentrale Forderung schließen, dass die internationale Gemeinschaft einzelne Problemfelder nicht mit einzelnen Maßnahmen bekämpfen, sondern den Fokus weiten sollte. Und zwar vor allem, weil es sich sehr häufig um die selben somalischen Kriminellen oder Hintermänner handelt. »Spezifische Ansätze helfen nicht, die Netzwerke auszuheben. Sie sind sehr anpassungsfähig und suchen sich immer wieder neue Wege, um von der mangelhaften Sicherheitsarchitektur zu profitieren«, schreiben die Analysten. Solange es keine umfänglicheren Programme gebe, sei keine Besserung zu erwarten.

»Rückkehr« ist nur kleiner Schritt

Schmuggel, Terrorismus und illegale Fischerei mögen auf den ersten Blick keine ganz so große Gefahr für die Handelsschifffahrt darstellen wie Piraterie. Die abermalige Rückkehr in das ertragreiche Geschäft der Seeräuberei ist jedoch nur ein kleiner Schritt für die Somalis. Daher ist es zum Einen wichtig, die Anstrengungen vor Ort nicht zurückzufahren, sondern sie vielmehr in einigen Bereichen wie dem Informationsaustausch auszubauen. Laut OBP wurden die Ausgaben zur Bekämpfung der Piraterie seit 2011 (6,6Mrd. $) bis 2016 (1,7Mrd. $) stark eingedampft. Nachhaltigkeit sei nicht wirklich groß geschrieben worden – kaum dass die Zahl der Überfälle sank, wurden auch die Ausgaben zurückgefahren. Zudem wurde in den ganzen Jahren nur sehr wenig von dem Geld für den Aufbau von Strukturen vor Ort verwendet. Ein großer Teil entfällt auf kurzfristig wirksame, aber nicht nachhaltige Maßnahmen wie die Marie-Missionen (228Mio. $) und Sicherheitsteams (726Mio. $).

Die internationale Gemeinschaft täte gut daran, das »große Ganze«, wie es der OEF-Bericht aufzeigt, im Blick zu behalten, damit der Schifffahrt auf einer der wichtigsten Routen nach der Eindämmung einer Gefahr nicht die nächste bevorsteht. Die Überfälle im Jahr 2017 zeigen, dass es noch immer große Lücken gibt, heißt es seitens OBP. Auch die OEF-Analyse macht deutlich: »Die erwarteten Budget-Kürzungen könnten die maritime Sicherheit in naher Zukunft stark beeinträchtigen.«

Vorbild für einen erweiterten Fokus könnte der »Djibouti Code of Conduct« von 2009 sein, in dessen Rahmen sich zahlreiche ostafrikanische und arabische Staaten die Kooperation im Kampf gegen Piraterie auf die Fahne geschrieben hatten. Ein loses Abkommen zwar nur, aber immerhin einigten sich die Mitglieder kürzlich auf das »Jeddah-Amendment«. Dadurch werden nun explizit auch weitere Probleme ins Auge gefasst, etwa Schmuggel, Drogenhandel, Schlepperei und illegale Verklappung von Gefahrgütern. Dafür soll unter anderem der Austausch von Informationen ausgebaut werden.

Die OEF-Experten begrüßen den Schritt ausdrücklich. Das Risiko einer Renaissance der Piraterie sei »substanziell«. Daher sei es dringend nötig, den Fokus zu weiten und vor allem die regionalen Behörden und Küstenwachen besser auszustatten und zu trainieren.

Zwar haben auch EU und UN verschiedene Programme, die den Aufbau von Institutionen und Staatlichkeit oder Ausbildungsmissionen in Somalia zum Ziel haben. Allerdings ist zum Einen die Aktivität auf See eingeschränkt: die NATO hat ihre Anti-Piraterie-Mission eingestellt, die sogenannte »High Risk Area« wurde schon 2015 um über 50% verkleinert, die EU beschäftigt sich nicht intensiv mit Schmuggel und Schleppern (anders als zum Beispiel im Mittelmeer). Zu konkreten Weiterentwicklungen wollten sich die Verantwortlichen auf Anfrage der HANSA nicht äußern.


Michael Meyer