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Die Schifffahrtskrise hat die Perspektiven für deutsche Seeleute eingeengt, mit Folgen für die Nachwuchsgewinnung. Während sich die Situation mit der Konsolidierung in der Branche leicht entspannt, rücken maritime Jobs an Land in den Fokus, schreibt Felix Selzer

Anfang des Jahres war die Reederei German Tanker Shipping (GTS) aus dem Verband Deutscher Reeder (VDR) ausgetreten. Für Aufsehen sorgte[ds_preview] die Begründung: Es gebe im Verband kein gemeinsames Interesse mehr an der Ausbildung und Beschäftigung deutscher Seeleute – weniger Ausbildung, weniger Möglichkeiten, um Fahrtzeiten für den Erwerb von Patenten abzuleisten und studieren zu können. Auch die nautischen Vereine schlagen Alarm, sie sehen das maritime Know-how am Standort Deutschland in Gefahr, weil Reedern die Ausbildung von Mechanikern, Nautischen und Technischen Wachoffizieren zu teuer ist.

Tatsächlich gingen die hohen Studenten- und Studienanfängerzahlen in den Seefahrtschulen in den letzten Jahren zurück. Zu Boomzeiten hatten der VDR und die Küstenländer die Ausbildungsstätten sogar bei den Kosten für zusätzliche Lehrkräfte unterstützt. Mittlerweile hat man beispielsweise an der Jade-Hochschule als Reaktion auf die Krise eine Zulassungsbeschränkung für die Studiengänge im Fachbereich Seefahrt und Logistik eingeführt. So sollen nur noch so viele Studienanfänger zugelassen werden, wie der Arbeitsmarkt später aufnehmen kann. Am Bereich Seefahrt der Hochschule Wismar hat man die befristeten Verträge der in Boomzeiten eingestellten zusätzlichen Lehrkräfte auslaufen lassen.

Doch gleichzeitig blasen die Hochschulen auch Entwarnung. Die Studierenden- und Anfängerzahlen seien war rückläufig, im Vergleich zur Zeit vor dem Schifffahrtsboom hätten sie sich aber kaum geändert, sagt Karsten Wehner, Bereichsleiter des Wismarer Fachbereichs Seefahrt in Warnemünde. Die Hochschule Flensburg spricht sogar von einer »sehr erfreulichen« Entwicklung der Einschreibezahlen für ihren nautischen Studiengang. An den Hochschulen stabilisieren sich die Anfängerzahlen im Großen und Ganzen wieder, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Denn die rosigen Zukunftsaussichten wie vor zehn Jahren gibt es nicht mehr, das schreckt doch manchen ab.

Verantwortlich für die derzeitige Arbeitsmarktsituation sei abgesehen von der Wirtschaftslage auch die Politik, die große Zugeständnisse an die Branche gemacht habe, ohne verbindliche Verpflichtungen der Reeder einzufordern, heißt es vonseiten der Hochschulen. So habe sich die Lage kaum geändert, die Flotte unter deutsche Flagge wachse seit der Einführung des totalen Lohnsteuereinbehalts nicht. Der VDR beruft sich auf Ablöse- und Registergebühren, die oft im Voraus bezahlt würden und eine sofortige Umflaggung wirtschaftlich nicht vertretbar machten. Auch Thomas Jung von der Hochschule Bremen sagt, die Schifffahrt habe nun einmal lange Konjunktur- und Produktlebenszyklen. Eine Streichung der Erleichterungen für die Reeder wäre aber ein Desaster für die Nautiker in Deutschland, meint er.

Die Hochschulen sorgen sich vor allem, dass wegen der öffentlichen Wahrnehmung des maritimen Ausbildungswegs als Sackgasse die Studieninteressenten wegbleiben. Angesichts der allgemeinen demografischen Entwicklung und der Konkurrenz zu anderen Ausbildungen sehen sich die Standorte zusätzlich gefordert. Die Devise lautet daher, auf positive Entwicklungen hinzuweisen und Chancen aufzuzeigen – an Land wie auf See.

Wo die Jobs sind

Im vergangenen Jahr hatte eine BIMCO-Studie auf einen weltweiten Nachwuchsbedarf an Schiffsoffizieren hingewiesen. Die Nase vorn haben bei den Lohnkosten freilich nicht deutsche oder europäische Seeleute. Chancen gibt es aber durchaus im stabilen Bereich der Fährschifffahrt und in der boomenden Kreuzschifffahrt. Ein hohes Ausbildungsniveau sei beim Betrieb komplexer technischer Systeme gefragt, das gelte für die nautische, schiffsbetriebstechnische und die schiffselektrotechnische Ausbildung, meint Wehner von der Hochschule Wismar. Es gebe zwar internationale Mindeststandards, aber oft werde nicht darüber hinaus ausgebildet. Der sichere Betrieb moderner Umwelttechnik und der Umgang mit neuen Kraftstoffen verlange aber nach Spitzenpersonal.

Thomas Jung von der Hochschule Bremen macht auch die Digitalisierung und die damit einhergehenden Veränderungen im Schiffsmanagement als Treiber der derzeitigen Entwicklung aus. Entscheidungskompetenzen würden an Land verlagert, somit sei an Bord eher handwerkliche als akademische Bildung gefragt, was die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften steigen lasse. Der VDR sieht die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung aber auch genau deshalb als Chance für besonders gut ausgebildetes Personal. Letztlich sei auch die Vision vom autonomen Schiff eher als Vorteil für hiesige Fachkräfte zu sehen, da neue Jobs in der Steuerung, Überwachung und Forschung entstünden.

Gute Aussichten bestätigt Rudolf Rothe, Leiter der staatlichen Seefahrtschule Cuxhaven, derzeit für die Fischerei, und auch in der küstennahen Fahrt seien Nautiker z.B. für Crew-Tender gefragt. »In der großen Fahrt ist es problematisch, wenn man sich bei der Bewerbung nur auf deutsche Reeder beschränkt«, meint er. Eine Bereitschaft von Nautikern ins Ausland zu gehen, steigere die Jobaussicht, auch wenn man vielleicht auf einen Teil der Heuer und bezahlten Urlaub verzichten müsse. »Wenn man jung ist, soll man zur See fahren. Später kann man tolle Jobs im maritimen Bereich bekommen, auch an Land«, ermutigt Rothe.

»Nicht unbedingt an Bord«

Um für die digitalisierte Zukunft aber noch als maritimer Standort relevant zu sein, darf das entsprechende Know-how nicht verloren gehen. Mit zurückgehenden Studierendenzahlen steigen an machen Standorten die Kosten pro Student. Eine Entwicklung, die die Politik letztlich zur Schließung von Hochschulen veranlassen könnte. Nicht umsonst hat die Ständige Ausbildungskommission der Küstenländer für die Seefahrtausbildung (StAK) ein Gremium gebildet, dass Synergien bei der Nutzung der verschiedenen Standorte erarbeiten soll.

Karsten Wehner sieht die Idee einer Konsolidierung von Ausbildungsstandorten kritisch: »Das würde kurzfristig eine Einsparung an Kosten im Ausbildungsbereich bringen, jedoch den Abschwung der maritimen Wirtschaft in Deutschland verstärken.«

Den Blick auf den Arbeitsmarkt zum Zeitpunkt des Studienbeginns hält Ralf Wandelt, Dekan des Fachbereichs Seefahrt & Logistik an der Jade Hochschule, für eher zweitrangig. Mittelfristig seien die Aussichten nicht schlecht, auch wenn es den Reedereien wirtschaftlich nicht gut gehe. Mittlerweile kämen die Absolventen wieder besser bei den Reedereien unter.

Doch nur auf die Beschäftigungsmöglichkeiten an Bord zu schauen, ist nicht mehr zeitgemäß. Immer wichtiger wird für Ausbildungsstätten wie Berufs- und Studienanfänger der Blick auf den sogenannten Sekundärbereich. Denn die Kompetenz der Absolventen wird auch in Landberufen, bei Lotsen, in der Verkehrsüberwachung, bei Behörden, Versicherern und Reedereien gebraucht. Ebenso baut die maritime Zulieferindustrie in Deutschland auf das Praxiswissen ehemaliger Seeleute und ausgebildeter Nautiker.

Die Möglichkeit einer interessanten Karriere an Land wird daher mittlerweile nicht mehr nur als zweite Wahl und Ausweichstrategie dargestellt. Auch wenn die Seefahrt der Traumberuf ist, sollte man schon einen »Plan B« haben, falls es doch nicht klappt. Dann erhöhen Spezialisierungen und Zusatzqualifikationen die Chancen, eine interessante Stelle an Land zu finden.

Weil der Sekundärbereich auch in Zukunft nicht einfach auf billige Fachkräfte aus Südostasien zurückgreifen kann, wird hier besonders vor einem Nachwuchsmangel gewarnt. Daher ist es beispielsweise dem Nautischen Verein zu Hamburg (NVzH) ein anliegen, auch solche Unternehmen und Behörden in die Ausbildungsdiskussion miteinzubeziehen, die später von der Ausbildungsarbeit der Reedereien profitieren. Gemeinsam könnten in Ausbildungskooperation dann Kosten geteilt werden, so eine Idee. Im Oktober soll es dazu unter Moderation durch die HANSA einen Runden Tisch geben.

Umstellung in der Lehre

Die Hochschulen gehen damit unterschiedlich um. An der Jade Hochschule wurden Kapazitäten von der Nautik hin zu wirtschaftlich logistischen Studiengängen verlagert. Durch stärkere Kooperation mit der Hochschule Emden/Leer sollen im Bereich Nautik ab dem nächsten Wintersemester Synergien gehoben werden. Die Hochschule Flensburg verzeichnet eine steigende Bedeutung ihrer Studienzusatz- und Weiterbildungsangebote, in Bremerhaven nutzen Schiffs- und Anlagenbetriebstechnik zur besseren Auslastung Einrichtungen gemeinsam, bis sich die Situation in der Seefahrt bessert. An der Seefahrtschule in Cuxhaven steht der Erhalt des maritimen Know-hows ganz oben, auch bei nicht vollständiger Auslastung aller Lehrgänge. Die Zusatzausbildung zum Elektrotechnischen Schiffsoffizier (ETO) erweitert künftig das Angebot. Die Hochschule Bremen hat ihren Nautikstudiengang auf englischsprachige Lehre umgestellt, so wird die Ausbildung internationaler und für ausländische Studenten attraktiver. Eine weitere Reaktion ist die Streichung des ersten Praxissemensters, um den Zugang zum Studium in Bremen zu erleichtern.

Vernetzung, Synergien, Internationalisierung und stärkere Fokussierung auch auf nautisch geprägte Berufe an Land sind die Strategien für die neue Zeit.
Felix Selzer