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Die britische maritime Wirtschaft begegnet der großen Unsicherheit zum »Brexit« mit betontem Pragmatismus – und massiver Unterstützung der Regierung.

Keiner weiß, wie und wann der Brexit genau kommt. Natürlich verfolgt in der Debatte jeder seine eigende Agenda. Auf der[ds_preview] Insel wird das Thema noch intensiver diskutiert als auf dem Kontinent. Ein Schiffsversicherer betonte gegenüber der HANSA im Rahmen der »London International Shipping Week« (LISW): »Ihr denkt, der Brexit ist bei euch allgegenwärtig in den Nachrichten? Was glaubt ihr, was hier erst los ist?«

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Wasserstandsmeldungen aus Brüssel oder Downing Street No. 10 und den übrigen Ministerien – nicht selten mit potenziellem Einfluss auf die maritime Branche. Zu groß ist ihre Bedeutung vor allem für London. Offiziellen Angaben zufolge trägt allein der Dienstleistungssektor 3,5Mrd. £ zur britischen Wirtschaftsleistung bei.

Die gesamte maritime Branche erwirtschaftet rund 40Mrd. £ pro Jahr und beschäftigt 185.000 Menschen, heißt es in einer aktuellen Studie des Centre for Economics and Business Research (CEBR). Den Angaben zufolge dürfte das Wachstum der Branche allerdings vor allem aufgrund der Unsicherheiten während der zähen Verhandlungen bis mindestens 2019 relativ schwach ausfallen, danach aber bis 2022 stärker zulegen.

Es geht um Banken, Berater, Dienstleister, Juristen, Ausrüster, Versicherer, Makler, Shipmanager und und und… Auf der LISW waren sie alle zahlreich vertreten: Insgesamt zählten die Veranstalter mehr als 15.000 offizielle Besucher aus über 50 Ländern.

Was auffiel, war der ausgeprägte Pragmatismus, wenn über den Brexit und seine potenziellen Folgen gesprochen wurde. »Negative Meinungen« kamen vor allem von denjenigen, die auf ein Stück des Kuchens hoffen, der beim Brexit anfallen würde. Euripides Evriviades, High Commissioner der Republik Zypern in London, malte entsprechend ein eher düsteres Bild: Großbritannien werde weniger für Besatzungswechsel genutzt, weniger beziehungsweise keinen Kabotage-Verkehr durch EU-ausländische Reedereien mehr haben, weniger Finanzierer und Versicherer beheimaten. Positiv hob er allerdings hervor, es sei gut möglich, dass das UK eine stärkere Stimme für seine eigenen Belange in der IMO haben könnte, weil man sich nicht nicht mehr mit den übrigen EU-Staaten koordinieren müssen.

Die britische Branche selbst ist (noch) relativ gelassen. Zwar wird jedem Argument ein »es ist absolut nicht gut…« vorangestellt. Doch versucht man schnell, die Hysterie auszubremsen.

Die Häfen haben nach eigener Auffassung am wenigsten zu befürchten. Von der London Port Authority heißt es, dass Großbritannien schon allein aufgrund seiner Insellage immer auf den seeseitigen Transport angewiesen sein würde – ob mit oder ohne EU. Allerdings sei es enorm wichtig, dass Zollvorgaben und Abfertigungsprozesse so schlank und effektiv wie möglich ausgestaltet würden, um die Häfen nicht zu verstopfen.

In das gleiche Horn stieß der konservative Parlamentsabgeordnete Kwasi Kwarteng: »Handelsabkommen sind wichtig, ja, aber letztlich wird es auch ohne sie Handel und Transporte geben. Die Zukunft wird weit besser sein, als wir denken«, sagte er bei einer Expertendiskussion. Der Handel mit EU-Staaten sei in den vergangenen Jahren schon rückläufig gewesen, obwohl man noch Mitglied sei. Er baut auf Kooperationsabkommen mit anderen Hubs, wie sie etwa mit Dubai und Hong Kong anstehen oder schon unterzeichnet sind.

Auch David Dingle, Chairman der Lobbyorganisation Maritime UK meint, dass die maritime Industrie des Landes auch außerhalb der EU »florieren« könnte.

Einen großen Beitrag soll und will die britische Regierung leisten. Ein hochrangiger Vertreter eines Versicherungskonzerns bestätigte: »Die LISW ist enorm wichtig für uns. Was uns aber alle etwas überrascht und beeindruckt hat, ist die enorme Unterstützung durch die Regierung. Das ist definitiv sehr hilfreich.«

Die Politik nutzte die Gelegenheit für zahlreiche bilaterale Gespräche mit Vertretern anderer Nicht-EU-Staaten. LISW-Chairman Jeremy Penn betonte: »Die Veranstaltung war noch besser besucht als 2015 und 2013, was auch an der starken Unterstützung der Regierung für die maritime Branche liegt.«

Handelsminister Liam Fox forderte die EU mehrfach auf, ihre Tore für britische Bürger und Unternehmen nicht zu fest zu verschließen, weil der gesamte Kontinent darunter leiden würde.

Doch selbst wenn die Verhandlungen wie erwartet hart werden und die britische Wirtschaft mit rechtlichen und ökonomischen Problemen wird kämpfen müssen, ist London nicht gewillt, tatenlos zuzusehen. Transportminister John Hayes machte es unmissverständlich deutlich: »Die Regierung wird alles tun, was notwendig ist, um die internationale maritime Wirtschaft in Großbritannien zu halten und sie hier her zu holen.«
Michael Meyer